Anlagenbau & Prozesstechnik

MultiPilot-Anlage als Impulsgeber für industrielle Biotechnologie

Das BioCampus-Bauprojekt ist auch für erfahrene Planer und Anlagenbauer eine besondere Aufgabe

13.12.2023 - Die industrielle Biotechnologie zählt zu den Schlüsseltechnologien für die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren wurde der Ruf aus Forschung und Industrie nach mehr Kapazitäten für die Skalierung neuer Prozesse lauter

Die industrielle Biotechnologie zählt zu den Schlüsseltechnologien für die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren wurde der Ruf aus Forschung und Industrie nach mehr Kapazitäten für die Skalierung neuer Prozesse lauter. Mit dem anstehenden Baubeginn der BioCampus MultiPilot (BMP), einer frei zugänglichen Multipurpose-Demonstrations- und Skalierungsanlage für ebendiese Prozesse in Straubing, wird die Landschaft der Anbieter, die diese Lücke füllen können, um einen wichtigen Baustein ergänzt. Bis zur Inbetriebnahme erwartet die Beteiligten ein Bauprojekt der besonderen Art. 

Über die BioCampus MultiPilot ist in den letzten Jahren viel gesprochen worden. Jetzt sind entscheidende Meilensteine erreicht – Finanzierung und Baugenehmigung sind fixiert, die Gewerke für Gebäude, Prozesstechnik und Kernapparate sind vergeben. Die Realisierung dieses ungewöhnlichen bioverfahrenstechnischen Projekts kann beginnen. Investor und Bauherr für die deutschlandweit in der geplanten Form einzigartige Anlage ist der Zweckverband Hafen Straubing-Sand. Die Umsetzung und den Betrieb übernimmt die Hafentochter BioCampus Straubing. Bei einem Gesamtprojektvolumen von fast 90 Mio. EUR kann der Bauherr auf eine Investitionsförderung des Bayerischen Wirtschaftsministeriums in Höhe von 80 Mio. EUR zurückgreifen. 

Impulsgeber für die industrielle Biotechnologie
Die BMP soll ein Impulsgeber für die industrielle Biotechnologie weltweit werden und bietet eine breite Palette von Möglichkeiten zur Unterstützung von Forschungs-, Entwicklungs- und Scale-up-Aktivitäten hin zum industriellen Maßstab. Sie deckt ein vielfältiges Anwendungsspektrum ab, darunter die Herstellung von Biokraftstoffen, biogenen Kunststoffen und Materialien, biobasierten Spezial- und Bulkchemikalien, und insbesondere Novel Food und Feed Ingredients. Ermöglicht wird dies durch einen modularen Aufbau mit Pretreatment, Fermentation und breitem Downstream-Processing, verbunden mit einem hohen Maß an baulicher und verfahrenstechnischer Flexibilität.
Darüber hinaus soll sie ein lebendiges Ökosystem für Wissensaustausch und Technologietransfer fördern und Nutzern jeglicher Couleur zu Marktkonditionen zur Verfügung stehen. Das Profil Straubings als der bayerische Hub für Bioökonomie und industrielle Biotechnologie gewinnt so weiter an Tiefe.

Realisierungsteam aus Spezialisten 
Um diese Ziele in Beton und Stahl zu realisieren, braucht es neben dem politischen Rückenwind des Fördermittelgebers und jahrelanger Planung vor allem ein erfahrenes Team aus Spezialisten im Prozesstechnik-, Gebäude- und Anlagenbau. Schließlich handelt es sich nicht um eine Anlage von der Stange. Mit dem Abschluss eines aufwändigen, EU-weiten Vergabeprozesses konnte nun im Oktober dieses Team in Form von vier Auftragnehmern fixiert werden. Zuständig für das Gebäude und die Schnittstellen zu Anlagen und Peripherie ist die Swietelsky-Niederlassung Regensburg. Glatt Ingenieur­technik aus Weimar war bereits am Basic Engineering beteiligt und zeichnet sich verantwortlich für die übergeordnete Prozesstechnik und Anlageninfrastruktur. Im Pretreatment-Modul liefern die Experten für Naturstoffextraktion von Schrader aus Ennigerloh in Nordrhein-Westfalen die Aufschlusstechnik. Für das Herzstück der MultiPilot, die Fermentationsanlage mit einem Maximalvolumen von 25 m³, zeichnet sich Bioengineering aus Wald in der Schweiz verantwortlich. 
Nicht nur aus prozesstechnischer Sicht eine der größten Herausforderungen bei der Realisierung dieser hochmodernen Skalierungsplattform: der Flexibilisierungsanspruch und das offene Design, das die Umsetzung verschiedenster biotechnologischer Prozesse für ganz unterschiedliche Kundenanforderungen ermöglichen muss – denn den einen fixen Prozess, wie sonst im Anlagenbau üblich, gibt es nicht. Genau diese Herausforderung nennen alle Engineering- und Anlagenpartner als größten Reiz, an der BMP mitzuwirken. „Für uns ist besonders spannend, dass die Anlage Zwischen- und Endprodukte auf biogener Basis umsetzen wird“, erläutert Lutz Heinzl, Head of Business Unit PPE/PTF bei Glatt, „damit kommen wir dem Nachhaltigkeitsanspruch in der Industrie näher.“ Für Luzi Sproll, CSO bei Bioengineering, und seinen zuständigen Projektleiter Christoph Gmeiner stellt der Beitrag der Anlage zur Etablierung von Novel-Food-Produkten und der damit verbundenen, nachhaltigeren Herstellung von Lebensmitteln eine weitere Motivation dar, für das Projekt tätig zu sein. Jan Schneider, Geschäftsführer von Schrader, reizt es, in einem einzelnen Objekt die Umsetzung verschiedenster Ansätze und Verfahren mitgestalten zu können. Durch seine spezifische Sicht auf den Anlagenbau sieht Schneider auch Herausforderungen in der Auswahl der Materialien, die den Betriebsparametern, insbesondere den hohen Druck- und Temperaturbedingungen, standhalten können. Durch die Komplexität des Vorhabens sowohl mit Blick auf die zu realisierende Anlage als auch hinsichtlich der Vielzahl der Beteiligten, wird ein effizientes Projektmanagement ebenfalls maßgeblich für den Projekterfolg sein. Gezieltes Schnittstellenmanagement und eine enge Zusammenarbeit der Beteiligten seien hier aus Blick von Glatt und Bioengineering essenziell.

Erfahrungen nutzen, neue Perspektiven eröffnen
Der Bau und Betrieb der BioCampus MultiPilot ist nicht nur aufgrund des neuartigen Charakters des Projekts eine Besonderheit, sondern stellt für den Investor Hafen Straubing-Sand und BioCampus Straubing den Aufbruch in ein neues Geschäftsfeld dar. Dass für die Umsetzung daher umso mehr Partner nötig sind, die einschlägige Erfahrung mitbringen, liegt auf der Hand. „Wir realisieren gerade eine Multipurpose-Anlage für Zellkulturen in der Schweiz“, erläutert Bioengineering-CSO Sproll, „auch, wenn diese mit 1 m³ Volumen deutlich kleiner ist als die 25 m³ der BioCampus MultiPilot: Anlagen dieser Größenordnung haben wir bereits in verschiedensten Anwendungsfeldern in Europa und Asien realisiert.“ 
Auch Schrader spricht in Größenordnung und Anwendungsfeld von Standard: „Unsere Aufschluss- und Extraktionsanlagen sind weltweit im Einsatz. Die eingesetzten Rohwaren könnten unterschiedlicher nicht sein. Angefangen bei Blättern und Blüten bis hin zu Hölzern und Wurzeln“ – gute Voraussetzungen, denn in der BMP soll es möglich sein, jegliche Arten von Lignocellulose-haltigem Feedstock aufzuschließen. Eine vergleichsweise größere Herausforderung als die Anlagenlieferanten ergibt sich für Glatt Ingenieur­technik als Verantwortliche für die komplette Prozess­technik. Die Biotechnologie-Experten von Glatt haben jedoch im Feld der industriellen Biotech und der Multipurpose-Anlagen in den letzten Jahren ein Profil entwickelt, das sie nun in Straubing zum Einsatz bringen. Zu ihren Referenzen gehören die führende Mitwirkung bei Realisierung und Erweiterung des Chemisch-Biotechnologischen Prozesszentrums in Leuna, die Planung einer Pilot-Bioraffinerie in Thailand, sowie die Planung von Enzymanlagen für c-Lecta in Leipzig und einer Anlage für die Herstellung alternativer Proteine für die Planetary Group in der Schweiz. 
Auch, wenn die Projektbeteiligten Erfahrung in verwandten Projektkontexten mitbringen: Alle versprechen sich durch die Arbeit an der MultiPilot Plant einen Impuls für weitere Aufträge und allgemein für die weitere Entwicklung der industriellen Biotechnologie. Sproll und Gmeiner von Bioengineering sehen weltweit einen enormen Bedarf an Kapazitäten von Fermentationsanlagen für die Lebensmittelindustrie: „Durch Projekte wie in Straubing hoffen wir, dass die Industrie weiterwächst und nochmals einen Sprung nach vorne macht.“ Auch Glatt sieht in der BMP erst den Start für weitere Projekte und baut auf die Net-Zero-Ziele vieler Unternehmen: „Für uns ist wichtig, dabei zu sein und weitere Kompetenzen zu entwickeln. Die BMP ist dabei ein wichtiges Referenzprojekt“, so Heinzl. Auch Schrader-Geschäftsführer Schneider sieht die indus­trielle Biotechnologie als Schlüssel für nachhaltigere Industrielösungen und betont, dass Projekte wie die BMP bei der Skalierung vom Labor in den Markt einen essenziellen Beitrag leisten werden.


Thomas Luck, Director Business Development, MultiPilot Plant, BioCampus Straubing
 

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Zur Person

Thomas Luck leitet seit Mai 2018 das Business Development der BioCampus MultiPilot Plant. Nach seiner Promotion in Lebensmitteltechnologie/Chemieingenieurwesen an der TU München Weihenstephan und am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV im Jahr 1989 war Luck zunächst mehrere Jahre als Leiter der Abteilung Verfahrenstechnik am IVV tätig, bevor er 1997 geschäftsführender Gesellschafter am Innovationszentrum Kreislaufpolymere IZK wurde. Von 2001 bis 2006 war er Projektmanager im Bereich Pflanzenbiotechnologie bei BASF und anschließend bis zu seinem Wechsel zu BioCampus Straubing mehr als zehn Jahre Geschäftsführer einer Innovationstransfer-Agentur.

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