Chemie & Life Sciences

Optimismus statt Katzenjammer

Für die Chemiedistribution geht es langsam, aber sicher aufwärts

02.02.2010 -

Im März dieses Jahres präsentierte sich der Verband Chemiehandel (VCH) zwar angeschlagen von der Wirtschaftskrise, aber mit Zuversicht, die Krise ohne großen Schaden zu überstehen. Trotz allem wurde ein Umsatzrückgang im zweistelligen Bereich prognostiziert. Die Worte Kurzarbeit und Personalkürzungen standen im Raum. Dr. Birgit Megges sprach mit Uwe Klass, Präsident des Verbandes und Geschäftsführer von CG Chemikalien, und Peter Steinbach, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des VCH, über den restlichen Verlauf des Jahres, die Perspektiven und aktuelle Themen der Verbandsarbeit.

CHEManager: Herr Klass, Herr Steinbach, das Jahr 2009 neigt sich dem Ende zu. Wie ist das Jahr verlaufen?

U. Klass: Die Entwicklungen, die wir prognostiziert haben, sind im Wesentlichen eingetreten. Die Tonnage-Rückgänge waren in fast vergleichbaren Größenordnungen wie im 4. Quartal 2008. Damals gab es auch durchaus schon Einbrüche von 15 % bis zu 25 %. Ich würde sagen, dass der Chemiehandel bzw. die Distribution die Talsohle ungefähr Anfang bis Mitte des 2. Quartals erreicht hat. Seit dem 3. Quartal kann man von einem sehr schwachen Wachstum sprechen. Der Markt hat in diesem Zeitraum wieder begonnen, mit einer gewissen Form der Sicherheit zu kaufen. Auch die Produzenten haben wieder Mut gefasst. So wird derzeit nicht mehr nur bedarfsbezogen gekauft, sondern mit einer gewissen Weitsicht. Ich meine, dass auch die preislichen Entwicklungen inzwischen in vielen Bereichen mit einem normalen Maß der Jahre 2006 und 2007 vergleichbar sind.

Wie hat sich die Personalsituation entwickelt?

P. Steinbach: Soweit ich das übersehe, haben eine Reihe von Unternehmen für eine überschaubare Zeit Kurzarbeit angemeldet und durchgeführt. Ich glaube aber, dass das nicht die Mehrzahl der Unternehmen war. Die meisten haben sich bemüht, auf Personalmaßnahmen zu verzichten, und sind heute noch optimistisch, dass sie das auch für den Rest 2009 und für 2010 durchhalten können. Natürlich ist das eine spekulative Aussage, da keiner wirklich weiß, wie es weitergeht und ob der momentane Aufwärtstrend nicht doch nur ein Strohfeuer ist.

U. Klass: Mit REACh und GHS wird unser Personal jetzt schon wieder über das Maß hinaus durch gesetzgeberische Maßnahmen gebunden. Wir sind gezwungen, Krise hin oder her, uns personell, entweder durch interne Umorganisationen oder über externe Unternehmen oder Mitarbeiter, diesen Umsetzungsanforderungen zu stellen.

Wie sieht die Prognose für 2010 aus?

U. Klass: Die erwartete Tendenz für das 1. Quartal 2010 ist analog dem, was nach der Talsohle passiert ist. Das große Fragezeichen ist, worauf wir uns 2010 einstellen müssen. Durch die Abwrackprämie hat die Automobilindustrie nicht so stark gelitten wie andere Wirtschaftsbereiche. Es könnte aber sein, dass durch den vorgezogenen Bedarf im nächsten Jahr mit Einschnitten gerechnet werden muss. Außerdem müssen wir beobachten, was sich in Berlin nach der Regierungsbildung in den kommenden Monaten tut. Meiner Ansicht nach bleibt es außerordentlich spannend bezogen auf das, was uns im Jahre 2010 erwartet. Wir wagen im Moment keine Prognosen. Ich gehe aber davon aus, dass wir wie 2009 auch 2010 nur auf ein unterdurchschnittliches Niveau kommen werden.

Die Branche ist sehr stark mittelständisch geprägt. Ist dies eher von Vorteil oder von Nachteil für den Weg durch die Krise?

U. Klass: Ich glaube, dass wir weniger Angst vor solchen Situationen haben, weil wir als mittelständische Familienunternehmen in Generationen denken. Wir sind in einer Phase, die wir zwar durchstehen müssen, die es aber immer schon einmal in unterschiedlicher Qualität gegeben hat. Wichtig dabei ist immer der Blick nach vorne. Hilfreich ist, dass hinter der Mehrzahl von Firmen innerhalb unseres Verbandes keine Investoren stehen, es sind die Inhaberfamilien als Eigentümer. So bleibt der Druck aus der Finanzwelt aus.

Heißt das, die Krise hinterlässt keine Spuren?

U. Klass: Ich gehe davon aus, dass wir nach der Krise von einer kräftigen Beule sprechen können. Nach meiner Einschätzung wird aber das, was wir in den letzten 12 Monaten erlebt haben, die Strukturen im Chemiehandel nicht ins Wanken bringen. Ich würde sagen, es wird keine Veränderung über das langfristig normale Maß hinaus geben.

Wie sehen die momentanen Strukturen im Chemiehandel aus?

U. Klass: In den letzten Jahren haben sich viele Unternehmen sehr stark diversifiziert. Sie haben den reinen Chemikalienhandel verlassen und sind in Nischen hineingegangen. Sie bieten im großtechnischen Bereich Formulierungen, produzieren selbst oder verfügen über ein breites Spektrum an Dienstleistungen. Diese Schritte, die mitunter Jahre gedauert haben, waren sehr wichtig für unsere Branche.
Ein weiterer Vorteil ist, dass wir mit unseren Produkten in jedem Segment der Wirtschaft zu Hause sind. Das Kundenportfolio ist sehr breit gefächert. Diese Tatsache hat mit dazu beigetragen, die wirtschaftliche Schwächephase zu überbrücken, zumal die Einbrüche je nach Marktsegment unterschiedlich stark waren.

P. Steinbach: Diese Diversifizierung ist kein neuer Trend. Wichtig zu sehen ist meines Erachtens aber auch, dass in Deutschland der Markt für Chemikalien - insbesondere Commodities - gesättigt ist. Insoweit war und ist es wichtig, als Handel dem Hersteller deutlich zu machen, dass zusätzliche Funktionen übernommen werden können. So hat der Handel durchaus Chancen, seinen Tätigkeitsbereich deutlich zu erweitern, ohne dass der Verbrauch von Chemikalien insgesamt zunimmt.
Erwähnenswert erscheint auch, dass in den letzten Jahren viele Unternehmen europäische Vertriebsstrukturen aufgebaut haben, die es bisher noch nicht gegeben hat. Das ist eine Folge dessen, dass der Handel versucht, seinen Kunden so gut es geht zu folgen.

Was können Sie zur allgemeinen Situation des Verbandes sagen?

P. Steinbach: Die Chemikaliendistribution ist mit den derzeit 108 ordentlichen Mitgliedern im Verband fast vollständig abgebildet. Wir haben nach wie vor im Import- oder auch Spezialitätenhandel die ein oder andere Lücke, haben aber auch wesentliche Firmen aus diesen Bereichen für eine Mitgliedschaft im VCH gewinnen können.
Bemerkenswert ist eine deutliche Verschiebung bei den korrespondierenden Mitgliedsfirmen. Derzeit sind es 28 an der Zahl. Aus der Historie heraus waren dies Zulieferer, wie Verpackungshersteller, die in unseren technischen Arbeitskreisen eingebunden wurden. Heute haben wir aber auch eine ganze Reihe von Beratungsunternehmen unterschiedlichster Art oder auch spezialisierte IT-Anbieter als korrespondierende Mitglieder. Ich denke, dass wir dabei von einer deutlichen Win-win-Situation im Sinne von intensiver Zusammenarbeit sprechen können. Die Firmen haben über den Verband einen Zugang in unsere Branche, und unsere Mitglieder haben die Gewissheit, dass wir seriöse Beratungsdienstleistungen anbieten können. Das ist auch eine Entwicklung, die gerade während der letzten Jahre durch REACh und GHS gefördert wurde.

Steht REACh bei der Verbandsarbeit immer noch im Vordergrund?

P. Steinbach: Die politische Verbandsarbeit zu REACh wurde im Wesentlichen in den letzten Jahren geleistet. Wir sind aber mit der Umsetzung, das muss man ganz klar sagen, eher noch am Anfang.
Wir haben in 2008 mit der Vorregistrierung einen in der Gesamtbetrachtung einfachen ersten Schritt zur Umsetzung der REACh-VO gemacht. Die erwartete Anzahl an vorregistrierten Stoffen ist aber um das Zehnfache übertroffen worden. Das ist aus meiner Sicht ein Indiz dafür, dass das, was jetzt zur Vorbereitung der eigentlichen Registrierungen folgt, eine andere Quantität und Qualität bekommen wird. In 2009 waren die Firmen, die selbst als Importeur oder über einen Alleinvertreter registrieren wollen, damit befasst, sich in den entsprechenden SIEFs einzubringen. Dabei scheiterte es schon oft an der Frage: Ist es überhaupt der gleiche Stoff, den wir registrieren wollen? Viele Firmen sind noch mit dieser Frage beschäftigt, müssten aber eigentlich schon die Registrierung vorbereiten, das heißt, Studien suchen, Besitzrecht und Kosten prüfen, neue Studien in Auftrag geben usw. So ist jetzt schon absehbar, dass die Registrierungspflicht in einem Umfang, der sicher heute noch offen ist, bis zum Dezember 2010 nicht erfüllt werden kann. Dann stellt sich die Frage, ob man die Wirtschaft ins Messer laufen lässt und den Termin strikt einhält. Die Folge wäre ein Produktions- bzw. Importverbot für nicht registrierte Stoffe ab dem 1. Dezember 2010. Die Alternative wäre, eine politische Lösung zu finden. Ich meine, man müsste Letzteres tun, aber ich bin nicht bedingungslos optimistisch, dass das so passieren wird.

Wie kann der Verband seine Mitglieder diesbezüglich unterstützen?

P. Steinbach: Es gibt zwei Kernthemen bezüglich REACh, an denen wir derzeit arbeiten. Auf der einen Seite versuchen wir, unsere Mitgliedsfirmen, die selbst Registrierungen durchführen, in ihren spezifischen Fragen individuell zu beraten. Auf der anderen Seite ist für alle Firmen die Thematik „Kommunikation in der Lieferkette" relevant. Die Firmen sind mit der Frage beschäftigt, wie sie als Bindeglied zwischen Produzent und Abnehmer mit einem vertretbaren Aufwand die Verwendungen und Expositionen der Stoffe kommunizieren können. Hier bemühen wir uns, für unsere Mitglieder Lösungen zu finden, um zu verhindern, dass sie in Probleme hineinlaufen - sprich, dass wichtige Verwendungen langfristig allein aus formalen Gründen nicht mehr zulässig sind.

Wie sehr sind die Unternehmen durch GHS belastet?

P. Steinbach: GHS ist sicher, im Unterschied zu REACh, mehr eine Fleißaufgabe. Es müssen für alle Stoffe und im Anschluss auch für die Zubereitungen neue Einstufungs- und Kennzeichnungskriterien umgesetzt werden.
Wir versuchen im Rahmen von GHS unsere Firmen dahin gehend zu unterstützen, dass wir für unsere Standardchemikalien die Einstufungen und Kennzeichnungen nach GHS zur Verfügung stellen. Dies soll bis Ende des Jahres geschehen. Zusätzlich bieten wir Schulungen für die Mitarbeiter an, die nach neuem Recht Einstufungen vornehmen müssen. Es bleibt aber noch eine Menge an Arbeit übrig, die im Jahr 2010 in den Unternehmen erhebliche Kapazitäten binden wird.

 

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