Anlagenbau & Prozesstechnik

Qualitätsanforderungen hochgeschraubt

Weltweit einzigartige Richtlinienanforderungen erhöhen die Qualität bei Schraubverbindungen

28.06.2016 -

Mit der Richtlinie VDI/VDE 2862 Blatt 2 für Maschinen und Apparatebau sowie Flanschverbindungen an drucktragenden Bauteilen sind die Anforderungen deutlich angestiegen.

Die Anwenderrichtlinie ist eine Grundlage für die Klassifizierung von Schraubverbindungen sowie ein Leitfaden für die Auswahl entsprechend geeigneter Schraubsysteme.
Die Zielsetzung ist es, die Qualität bei Schraubverbindungen zu gewährleisten. Die steigenden Anforderungen an Schraubverbindungen sind getrieben durch Materialkosten, Transportkosten wie auch Umweltthemen (CO2-Emission) und dem hiermit erforderlichen Leichtbau von Komponenten, Geräten und Maschinen. Auch möchten die Hersteller ihre Haftungsrisiken reduzieren.

Anwenderaufgaben
Die Einflussgrößen beim Verschrauben mit der gewünschten Zielgröße „Vorspannkraft“ sind zahlreich und dürfen deshalb auch bei einem hohen Maß an Qualitätskontrolle nicht unterschätzt werden. Die VDI/VDE 2862 Blatt 2 erläutert die wesentlichen Anwenderaufgaben.
Diese sind:

  • Klassifizierung der Schraubfälle (A, B, C)
  • Einsatz von fähigen:
    - Schraubwerkzeugen (Anforderung MFU)
    - Messmitteln
    - Prüfmitteln
  • Prozessfähigkeitsuntersuchung bei Serienfertigung
  • Dokumentation
  • Kenntnis des erforderlichen Stands der Technik

Der Anwender ist somit aufgefordert, seine Schraubverbindung und seine eingesetzten Schraubsysteme zu kennen und fachgerecht einzusetzen. Die korrekte Beurteilung des Schraubsystems bezüglich Eignung für den Schraubfall ist zusammen mit einer Prozessfähigkeitsuntersuchung bei Serienverschraubungen die Voraussetzung für eine konforme Umsetzung der Richtlinie.

Anforderungen an das Schraubsystem
Am Beispiel für einen Kategorie A-Schraubfall bedeutet dies für ein handgeführtes Schraub­system:

  • Maschinenfähigkeit des Schraubwerkzeuges gemäß VDI/VDE 2645 Blatt 2 (MFU) ist erforderlich.
  • Zu erfassende Messgrößen für den Schraubprozess:
    - Direkt gemessene Steuergröße
    - Direkt gemessene Kontrollgröße
    - Steuer- und Kontrollgröße müssen unterschiedlich sein
    - Bereitstellung der Schraubergebnisse
  • Selbsttestfähigkeit
  • Erkennung von Fehlverhalten im Signalaustausch
  • Redundanter Aufbau zur Erfassung der Steuer- oder Kontrollgröße

Unter einer Kategorie A-Verschraubung wird im Sinne der Richtlinie eine Schraubstelle oder Schraubverbindung verstanden, welche beim Versagen zu einer Gefährdung für Leib und Leben oder Umwelt führt.

Die Prozessfähigkeitsanalyse als Qualitätsfähigkeitsnachweis
Die hohen Qualitätsanforderungen bei Schrauben spiegeln sich z. B. bei der Stichprobenuntersuchung von Serienverschraubungen mittels geeigneter Prüfmethoden durch geschulte Mitarbeiter wieder. Eine mögliche genannte Methode ist z. B. die Ermittlung des Weiterdrehmomentes gemäß VDI/VDE 2645 Blatt 3, welche voraussichtlich in Q2/2016 als Gründruck erscheint. In dieser Richtlinie werden diverse Methoden der Messwerterfassung sowie deren statistische Auswertung beschrieben. Darüber hinaus sind die anerkannten Methoden der Längen- und Vorspannkraftmessung weiter anwendbar und sehr gute Methoden, um insbesondere bei großen Schrauben den geforderten Fähigkeitsnachweis zu erbringen.
Um die Anwenderpflichten korrekt und vollständig zu erfüllen, ist die statistische Auswertung der Schraubvorgänge und die Analyse der erfassten Messdaten erforderlich.

Mitarbeiter müssen branchenspezifische Schulungen erhalten
Die steigenden Anforderungen an die Qualität der Schraubverbindung erfordern auch immer höher werdende Anforderungen an die Mitarbeiter. Diese müssen entsprechende Schulungen erhalten, damit die notwendige Fachkenntnis zum jeweiligen Themenschwerpunkt sichergestellt wird. Die Qualifizierung von Montagepersonal nach DIN EN 1591-4 deckt hierbei nur einen sehr kleinen Bereich einer speziellen Branche ab. Die Anwender müssen sich darauf einstellen, dass die Qualifikation der Mitarbeiter branchenspezifisch durch entsprechende Schulungen sicherzustellen ist, insbesondere um die steigenden Qualitätsanforderungen auch in der Zukunft weiter erfüllen zu können.

Große Herausforderungen im Feldeinsatz bei Service, Wartung und Reparatur
Viele Anwender im Maschinenbau müssen ihre Großgeräte im Feld unter stark wechselnden Umgebungsbedingungen verschrauben. Damit der Anwender auch hier ein qualitativ hochwertiges Schraubergebnis erreichet, muss er ein geeignetes Schraubverfahren anwenden und sein Schraubergebnis über entsprechende Messungen verifizieren. Mit dem Einsatz intelligenter Schraubsysteme, welche alle gängigen Schraubverfahren beherrschen, wird diese Aufgabe deutlich einfacher. Hochwertige Systeme liefern dabei sogar noch eine Rückmeldung zur Prozessstabilität und dokumentieren die gewünschten Messgrößen.
Möchte der Anwender seine Schraubverbindung vom Potential her komplett ausnutzen und strebt man an, den Schraubprozess bezüglich der Anzugsmethodik möglichst „wartungsarm“ zu gestalten, müssen hochwertige Anzugsverfahren angewendet werden. Ein Verfahren ist das Streckgrenzen gesteuerte Anziehen von Schraubverbindungen, welches auch mit unterschiedlichen Reibbeiwerten sehr gut umgehen kann. Im Feldeinsatz zeigt sich, insbesondere unter Einsatz der intelligenten Schraubsysteme, dass solche Verfahren insbesondere unter kritischen Umweltbedingungen die bestmöglichen Vorspannkraftergebnisse liefern. Praxisergebnisse und Hochschuluntersuchungen belegen, dass dieses Verfahren auch mit unterschiedlichen Reibbeiwerten sowie den daraus resultierenden Drehmomentschwankungen von Faktor 2 und größer zielsicher die gewünschte Vorspannkraft erreichen können.

„Industrie 4.0“ in der Schraubtechnik im Sinne der Richtlinie
Schraubsysteme und Werkzeuge, welche den Ansatz „Industrie 4.0“ erfüllen, werden in der Zukunft für den Anwender die einfachste Lösung für richtlinienkonformes Arbeiten bieten, auch bezüglich der VDI/VDE 2862 Blatt 2. Sie erlauben beispielsweise die Vernetzung verschiedener unabhängiger Messsensoren mit dem Schraubmontagesystem, welche völlig eigenständig Messwerte erfassen und auswerten. Damit die normativen Anforderungen erfüllt werden, müssen auch diese Mess- und Prüfgeräte völlig unabhängig vom Schraubsystem in der Lage sein, ihre physikalische Messgröße zu erfassen. Sensoren und Messgeräte in der Schraubtechnik sind z. B. Ultraschall-Längenmesssysteme, DMS-Messschrauben (DMS=Dehnmessstreifen), DMS-Messunterlegscheiben, aber auch manuell messende Systeme wie z. B. eine Schieblehre oder eine Bügelmessschraube, deren Messergebnis manuell in das Schraubmontagesystem zur Auswertung übertragen werden kann. Die automatisierte statistische Auswertung der Steuer- oder Kontrollgröße durch das Schraubmontagesystem sowie die Auswertung weiterer externer eingebundener Sensoren zur Prozessfähigkeitsuntersuchung ist somit schnell und effizient gewährleistet.

Kundennutzen und Fazit
Bereits im ersten Jahr seit Inkrafttreten der Richtlinie zeigen sich äußerst positive Effekte für die Anwender. Anwender, welche bisher rein drehmomentgesteuert verschraubt haben und jetzt auf Verfahren mit Winkelkontrolle gewechselt haben, konnten schnell und einfach Prozessprobleme erkennen und wirksam gegensteuern. Durch diese Tatsache wird der Nutzen für den Kunden offensichtlich, da Folgeschäden schnell und effektiv verhindert werden können, was zu einer effektiven Qualitätssteigerung führt.
Durch den Einsatz der neuen Möglichkeiten ist es jetzt auch für viele Anwender möglich, deutlich leichter zu bauen und trotzdem ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Diese Themen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor, der in Zukunft für den Anlagen- und Maschinenbau noch mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Somit steht auch der wirtschaftliche Sinn der Anwendung dieser weltweit einzigartigen Richtlinie zum Einsatz von Schraubsystemen (VDI/VDE 2862 Blatt 2) außer Frage.

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