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Alternativen für eine Plastiksteuer

Diskriminierung von Kunststoffen hätte nachteilige Ausweichbewegungen bei der Materialwahl zur Folge

17.04.2024 - Interview mit Klaus Wittstock, Director Industry Affairs, BASF, und stellv. Vorstandsvorsitzender, PlasticsEurope Deutschland

Eigenmittel sind die Einnahmequellen für den EU-Haushalt. Zum 1. Januar 2021 wurden Beiträge von den EU-Mitgliedsstaaten auf der Grundlage nicht recycelter Verpackungsabfälle aus Kunststoff – sog. Kunststoff-Eigenmittel – als neue Einnahmequelle des EU-Haushalts 2021-2027 eingeführt. Der einheitliche Abrufsatz in Höhe von 80 Cent pro Kilogramm nicht recycelter Kunststoffabfälle summiert sich für die Bundesrepublik derzeit auf einen jährlichen Beitrag von 1,4 Mrd. EUR. Eine Verpflichtung zur Einführung einer nationalen Plastiksteuer ist damit nicht verbunden, die meisten Mitgliedstaaten bestreiten ihren Beitrag direkt aus ihren Staatshaushalten. In Deutschland wurde Mitte Dezember 2023 eine Plastiksteuer zum 1. Januar 2024 angekündigt, die von der Bundesregierung aber zunächst auf 2025 verschoben wurde. Klaus Wittstock, Director Industry Affairs und Kunststoffrecyclingexperte bei BASF und stellv. Vorstandsvorsitzender, PlasticsEurope Deutschland, bezieht Stellung zu den Vorhaben der Politik.

CHEManager: Herr Wittstock, derzeit wird die Umlegung der Plastiksteuer auf die Hersteller von Kunststoffverpackungen diskutiert. Warum wird das von der Industrie kritisiert? 

Klaus Wittstock: Wir halten eine Plastiksteuer für den falschen Ansatz. Wir unterstützen alle Maßnahmen, die eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft fördert, doch eine Steuer, die ausschließlich für Plastikverpackungen gilt, verfehlt eindeutig ihr Ziel. Zum ersten, gehen die Mittel aus dieser Steuer in den Bundeshaushalt ein und dienen zur Finanzierung der deutschen EU-Beiträge und nicht zum Aufbau von Recyclingkapazitäten. Sie würden also nur sehr indirekt durch Erhöhung von Preisen eine Lenkungswirkung zu mehr Recycling für Kunststoffverpackungen haben. Zum anderen muss man klar sagen, die Steuer soll nicht recycelbare Plastikverpackungen reduzieren, nicht aber für andere Verpackungsmaterialien gelten, eine solche Diskriminierung von Kunststoffen führt aber nur dazu, dass Hersteller auf andere Materialien ausweichen, die nicht von der Steuer betroffen sind – beispielsweise schlecht rezyklierbare kunststoffbeschichtete Faserverbunde. Das löst weder das Müllproblem noch werden dadurch Umwelt- und Klimaschutz gestärkt noch stehen damit Mittel für den EU-Haushalt bereit.

 

„Unser Ziel sollte es sein, Abfälle zu vermeiden.“


Aber ist es nicht so, dass wir Steuern brauchen, damit wir von den hohen Abfallmengen pro Kopf in Deutschland wegkommen? Zuletzt lag die Menge bei 238 kg. 

K. Wittstock: Die Abfallmengen pro Kopf in Deutschland sind hoch, unabhängig vom Material. Plastik­abfälle machen mit circa 40 kg eher einen kleineren Anteil aus. Unser Ziel sollte es sein, Abfälle zu vermeiden. Ganz gemäß der Abfallhierarchie. Sind Abfälle unvermeidbar, sollten wir sicherstellen, dass sie recycelt werden und so zirkuläre Prozesse entstehen und verwertbare Abfallströme zu Wertstoffen werden. Schon jetzt sehen wir – wie schon gesagt – mit Sorge einen Anstieg schwer verwertbarer kunststoffbasierter Faserverbunde im Verpackungssektor. Diese Verbunde sind schwerer zu recyceln als reine Kunststoffverpackungen und verursachen auch noch mehr Material- und Ressourceneinsatz. Kunststoffe einfach durch andere Materialien zu ersetzen, sehe ich somit als wenig sinnvoll an. Das wird sogar von unerwarteter Seite bestätigt: Eine vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass eine einseitige Besteuerung von Kunststoffen im Verpackungssektor das Risko einer ökologischen Fehlsteuerung erhöht. Die angedachte Steuer kann also so wie vorgeschlagen keine sinnvolle politische Lösung sein.

PlasticsEurope Deutschland, der Verband, in dem sie stellvertretender Vorstandsvorsitzender sind, wirbt für einen Alternativvorschlag. Wie sieht dieser aus? 

K. Wittstock: Um Anreize für mehr Zirkularität im Verpackungssektor zu setzen, sehen wir das im Koalitionsvertrag vorgesehene Fondsmodell für recyclinggerechtes Verpackungsdesign und mehr Einsatz von Rezyklaten als einen unterstützenswerten Ansatz. Eine Reform des Verpackungsgesetzes könnte dazu beitragen, recyclingfähige Verpackungen und den Einsatz nicht-fossiler Rohstoffe zu fördern. Die Inverkehrbringer von Haushaltsverpackungen zahlen ja bekanntermaßen Beteiligungsentgelte an die Dualen Systeme, mit denen die Sammlung, Sortierung und Verwertung der Verpackungen sichergestellt werden. Das Verpackungsgesetz sieht bereits vor, diese Beteiligungsentgelte so zu bemessen, dass hochgradig recycelbare Verpackungen sowie die Verwendung von Rezyklaten und nachwachsenden Rohstoffen angereizt werden. Durch die sogenannte ökologische Modulierung der Beteiligungsentgelte besteht somit ein starker Hebel, der noch viel zu wenig genutzt wird – aber auch dieser Hebel muss sorgfältig angesetzt werden. 

Sie wollen also auch alle Verpackungsmaterialien heranziehen und nicht nur die Kunststoffe?

K. Wittstock: Das Recycling von Kunststoffen wird oft mit dem erfolgreichen Recycling von Metallen und Glas verglichen. Aber das wirkliche Problem beim Recycling sind die schon erwähnten Ausweichbewegungen bei der Materialwahl zu extrem schlecht recyclingfähigen Misch- und Verbundmaterialien. Das Problem ist in Politik und Fachbehörden bekannt. Eine Änderung des Verpackungsgesetzes könnte dies lösen. Im Zentrum müsste die Vereinheitlichung des Anreizsystems über die Dualen Systeme hinweg stehen, etwa durch ein Fondsmodell, mit dem Lizenzentgeltaufschläge vereinnahmt und für die Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaft, zum Beispiel für den Ausbau der Sortier- und Verwertungsinfrastruktur, verwendet werden – und selbstverständlich sollte dies materialübergreifend für alle lizensierungspflichtigen Verpackungen gelten. Die Fehlanreize durch nachteilhafte Materialsubstitution würden entfallen.

 

„Eine Reform des Verpackungsgesetzes könnte dazu beitragen, recyclingfähige Verpackungen und den Einsatz nicht fossiler Rohstoffe zu fördern.“



Was kann die Politik ihrer Meinung nach besser machen?

K. Wittstock: Wir brauchen drei wichtige Anreize, um mehr Zirkularität zu fördern:
Erstens ein Verpackungsdesign, das Ressourcen schont und Recycling- und Mehrwegfähigkeit in den Fokus rückt. Wichtig ist auch die Reduzierung des Materialeinsatzes. Mit dem Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen bestehen bereits Leitlinien für zirkuläres Verpackungsdesign. 
Zweitens technologieoffene Anreize für eine höhere Nachfrage nach Rezyklaten sowie mehr Rezyklateinsatz. Hierbei sollten sowohl Materialien, die aus mechanischen als auch solche, die aus komplementären chemischen Verfahren gewonnen werden, berücksichtigt werden. Gerade das chemische Recycling bietet die Chance, mechanisch nicht rezyklierbare Abfallströme doch im Kreislauf zu halten, anstatt sie zu verbrennen, und so auch anspruchsvollsten Verpackungsanwendungen nachhaltige Einsatzstoffe auf Basis von Abfällen oder nachwachsenden Rohstoffen zuzuordnen.
Dazu brauchen wir, drittens, die volle Anerkennung und Förderung aller sekundärer Rohstoffe, die als nachhaltig zertifiziert sind. Dazu zählen Produkte auf Basis chemischen und mechanischen Recyclings, Biomasse und CO2 aus CCU. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Anerkennung des ‚Fuel Use Exempt‘ Massenbilanzansatzes, der aus geeinter Industriesicht die einzige wirtschaftlich umsetzbare Möglichkeit darstellt durch flexible Zuordnung recycelte Sekundärrohstoffe in Chemieanlagen den Verkaufsprodukten zuzuordnen. Wenn unser Ziel ist, weniger CO2 zu emittieren und weniger fossilen Kohlenstoff zu nutzen, müssen wir jede alternative Kohlenstoffquelle nutzen – schnellstmöglich und unter Einbeziehung bestehender Infrastruktur. Wir können uns als Volkswirtschaft eigentlich gar nicht leisten, alternative Kohlenstoffquellen nach einer gefühlten Wertigkeit unterschiedlich zu fördern – Kohlenstoff ist Kohlenstoff. 

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Zur Person

Klaus Wittstock ist seit 2020 Director Industry Affairs bei der BASF in Ludwigshafen mit globaler Verantwortung und Mitarbeitern in mehreren Hauptstädten. Er übernimmt seit vielen Jahren Verantwortung in deutschen, europäischen und globalen Verbänden der chemischen Industrie. 1996, nach Studium und Promotion in Chemieingenieurwesen in Karlsruhe, begann er seine berufliche Laufbahn in der Verfahrensentwicklung bei BASF. Ab 2001 baute er mit seinem Team das Themengebiet Nachhaltigkeit von Kunststoffen auf und entwickelte sich zu dem Kunststoffrecycling­experten der BASF. Ab 2012 verantwortete er die Umweltpolitik in der Einheit Governmental Relations innerhalb des BASF-Konzerns. Wittstock ist zudem stellvertretender Vorstandsvorsitzender von PlasticsEurope Deutschland.

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