Chemie & Life Sciences

DeepTech und Medizin verheiraten

Die Ziele von Ralf Huss, dem neuen Geschäftsführer der Münchener Biotech-Entwicklungs- und Managementorganisation BioM

21.02.2023 - Als Nachfolger von Horst Domdey bei BioM will Huss Gründungsprozesse beschleunigen, Arzneimittelkandidaten schneller marktreif machen und die digitale Technologie als auch die künstliche Intelligenz stärker nutzen.

BioM, die Entwicklungs- und Managementorganisation aus dem Münchener Vorort Martinsried, steht für die bedeutendste Biotechregion Deutschlands. Seit Anfang 2023 ist Ralf Huss neuer Geschäftsführer und Nachfolger von Horst Domdey, der nach 25 Jahren in den Ruhestand gegangen ist. Im Interview mit CHEManager-Journalist Thorsten Schüller skizziert Huss seine Pläne für BioM und seine Visionen für die Medizin von morgen. Wichtig ist ihm, Gründungsprozesse zu beschleunigen, Arzneimittelkandidaten schneller marktreif zu machen und die digitale Technologie wie auch die künstliche Intelligenz stärker zu nutzen. Eine wichtige Rolle soll zudem ein Projekt namens Maxl spielen.

CHEManager: Herr Huss, Ihr Vorgänger, Horst Domdey, hat BioM 25 Jahre lang aufgebaut, geleitet und entwickelt. Ist das für Sie Bürde, Verantwortung, Herausforderung?

Ralf Huss: Es ist sicher eine Herausforderung. Es ist zweifellos auch eine Verantwortung, das weiterzuführen, was Horst Domdey und sein Team aufgebaut haben. Es ist aber auch ein i-Tüpfelchen auf meiner fast 30-jährigen Karriere in der akademischen und industriellen Forschung sowie in der Klinik. Meine neue Tätigkeit bei BioM ist eigentlich eine Synergie aus dem, was ich die vergangenen Jahrzehnte gemacht habe, und bringt meine Kompetenzen zusammen.

Wie steht die Biotechregion München im deutschlandweiten Vergleich da?

Ralf Huss: Die Region München ist vor Frankfurt und Berlin zweifellos die Nummer 1 im Hinblick auf Kapital und Arbeitsplätze. Aber ich glaube, wir sollten uns auch international vergleichen mit Standorten in Frankreich, Skandinavien und natürlich den USA und Asien.

Was machen die anders oder besser?

R. Huss: Die Amerikaner haben einfach die unternehmerische Mentalität im Blut. Da ist ein ganz anderer Spirit dahinter. Die Skandinavier sind gerade im Bereich Netzwerk und Integration deutlich offener. Wir sehen dagegen vieles als Konkurrenz. Ich glaube, wir wären noch stärker, wenn wir im regionalen Verbund besser zusammenarbeiten würden.

Damit sind wir bei Ihren Plänen für die Zukunft von BioM. Wie sehen die aus?

R. Huss: BioM hat bereits ein einzigartiges Unterstützungsprogramm für Gründer. Dieses werden wir nun weiter ausbauen, um die Gründungsdynamik noch weiter zu verstärken. Ich möchte auch den Transfer von Wissen, welches wir hier in München und Bayern ja in einer schier unendlichen Vielfalt haben, schneller machen. Darüber hinaus möchte ich BioM noch mehr als Partner auch für junge Unternehmer positionieren. Wir sehen ja gerade eine neue Generation an Gründern, die Millennials oder Digital Natives. Die haben einen ganz anderen Zugang zu Problemlösungen. Sie haben auch besondere Ansprüche an die Work-Life-Balance und andere Vorstellungen, wie ein Team aufgestellt werden sollte. Dabei möchte ich gerne unterstützen.

 

„Wir sehen gerade eine neue Generation an Gründern, die einen ganz anderen Zugang zu Problemlösungen haben.“

 

Wie geht diese neue Generation an Unternehmensgründungen heran?

R. Huss: Entspannt. Als ich mein erstes Unternehmen gegründet habe, haben wir Businesspläne in der Nacht und am Wochenende geschrieben. Heute stellen sich die jungen Gründer auch die Frage: Wie stark möchte ich mich als Person einbringen? Der heutigen Generation fällt es zudem leichter, Kooperationen einzugehen, über die sozialen Medien zu interagieren und Ideen auszutauschen. Ich glaube, das ist ihr großer Vorteil.

Schreiben die heutigen Gründer noch Businesspläne?

R. Huss: Sie müssen. Die Geldgeber verlangen das. Ich glaube aber, man muss ihnen helfen, diese Pläne zu fokussieren. Viele junge Wissenschaftler muss man auch erst mit dem Gedanken vertraut machen, sich mit ihren Ideen selbstständig zu machen. Man muss ihnen vermitteln, dass es nicht nur eine lebenslange Karriere an der Universität oder in der Verwaltung gibt, sondern auch in der freien Wirtschaft. Dabei sollte der Eintritt in diese Welt so niederschwellig wie möglich sein.

Wie kann dieser niederschwellige Eintritt gelingen?

R. Huss: Zum Beispiel durch Maxl, einen Bioinkubator und Accelerator mit vollständigem Namen Munich Accelerator Life Sciences & Medicine. Das wird eine vom Bayerischen Wirtschaftsministerium geförderte Laborlandschaft sein, in der Wissenschaftler ihren letzten Schliff vor der Unternehmensgründung bekommen können. Konkret wollen wir die hier vorhandenen forschenden Inkubatoren und Labore noch besser miteinander vernetzen und deren Kompetenzen nutzen. Gründer haben oft die richtigen Fragen, finden aber nicht immer die richtigen Antworten mit den richtigen Partnern. Durch eine Integration des Netzwerkes, wie wir sie in den USA und in Skandinavien sehen, möchte ich das auch hier schaffen.

Wann wird Maxl seinen Dienst aufnehmen?

R. Huss: Der Förderbescheid des Wirtschaftsministeriums liegt bereits vor. Wir fangen am 1. April 2023 hier auf dem Campus mit dem Umbau an und werden zunächst Co-Working und bereits mit Geräten ausgestattete Gemeinschaftslaborflächen schaffen. Damit wird eine besondere Infrastruktur zur Verfügung gestellt, sowohl technischer Art, aber auch struktureller und organisatorischer Art. Wir hoffen, dass Ende des Jahres die ersten Teams mit Maxls Hilfe ihre Entwicklungen vorantreiben können.

Was sind die inhaltlichen Themen, mit denen heutige Biotechgründer aktiv werden?

R. Huss: Das sind vielfach immer noch die klassischen Themen wie vor 30 Jahren: Neue Medikamente, Zell- und Gentherapie, RNA-Therapeutika, Vakzine, Immunologie. Es gibt zudem viele neue Plattformtechnologien, unterstützt durch digitale Lösungen, künstliche Intelligenz und Datenanalyse. Wir sehen immer noch einen Mangel an Antiinfektiva. Dann ist da das große Thema regenerative Medizin. Wir leben in einer alternden Gesellschaft mit all den begleitenden Herausforderungen. Und wir haben natürlich das Thema psychomentale Erkrankungen, zum Beispiel das Erkennen und die Behandlung von Depressionen. Ein wichtiger Bereich ist auch das Re-Purposing, also die Frage, ob wir etablierte Medikamente allein oder in Kombination mit anderen für neue Indikationen verwenden können.

 

„Es ist mein Ziel, DeepTech stärker mit der klassischen Biomedizin zu verheiraten. Gründungen im Bereich DeepTech gehen schneller. Sie sind auch nicht so kostenintensiv und langfristig. Ich glaube, das Potenzial in dem Bereich ist sehr groß.“

 

Können Digitalisierung, KI und Datenanalyse in der Biotechforschung und -entwicklung den entscheidenden Unterschied machen und etwas komplett Neues hervorbringen?

R. Huss: Ich bin ja Pathologe, und die Diskussion in der Pathologie ist immer: Macht die KI das, was wir Pathologen können, also Krankheiten diagnostizieren? Oder zeigt uns die KI auch Dinge auf, die wir als Mensch gar nicht erkennen? Die Datenanalyse mit KI macht viele Dinge schneller und robuster, gleichzeitig zeigt sie uns aber auch neue Wege auf. Ich glaube, da müssen wir offen sein, was uns die KI anbietet und ermöglicht.

Was mir besonders am Herzen liegt, ist die Zusammenarbeit mit Deep-Tech-Lösungen. Es muss nicht jede Gründung im Bereich Life Sciences oder Healthcare aus der klassischen Biologie oder Medizin kommen. Wir sehen zunehmend, dass auch Physiker und Chemiker Anwendungen in der Medizin suchen. Es ist mein Ziel, Deeptech stärker mit der klassischen Biomedizin zu verheiraten. Gründungen im Bereich Deeptech gehen schneller. Sie sind auch nicht so kostenintensiv und langfristig. Ich glaube, das Potenzial in dem Bereich ist sehr groß.

Halten Sie es für möglich, dass Arzneimittel in Zukunft ausschließlich am Computer entwickelt und dann per 3-D-Druck hergestellt werden?

R. Huss: Klar. Lesen Sie Bücher von Ray Kurzweil oder Eric Topol. Ich habe selber ein Büchlein zu dem Thema geschrieben. Die Vision ist, dass man seinen eigenen Chip schluckt. Der stellt dann beispielsweise fest: Ohh, jetzt bräuchtest du aber eine höhere Dosierung von Ace­tylsalicylsäure, weil deine Koronarstenose weitergeht. Das entsprechende Medikament wird dann über 3D-Druck im Miniaturformat hergestellt. Alles denkbar, das funktioniert bereits teilweise in der Maus. Ob meine Generation es aber in der Anwendung am Menschen noch erleben wird, weiß ich nicht. Aber die Vision ist sicherlich realistisch.

Heißt das dann auch, dass vollständig auf klinische Studien und Tests am Menschen verzichtet werden kann?

R. Huss: Ich glaube, das wird erst passieren, wenn die Simulationen am Computer wirklich durchgetestet sind. Ungeachtet dessen müssen wir die Wirkstoffprüfung und -entwicklung überdenken. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, zehn bis zwölf Jahre auf ein neues Medikament zu warten und dafür bis zu 1,5 Mrd. EUR auszugeben. Allein von der Idee bis in die Klinik dauert es um die sechs Jahre. Das ist zu lange, vor allem für die neuen Therapeutika. Wir müssen dahin kommen, dass wir es in ein bis zwei Jahren in die Klinik schaffen. Ich glaube, das ist machbar.

Wie finanzieren heutige Unternehmensgründer ihr Business?

R. Huss: Das ist nach wie vor eine Herausforderung. Wir haben immer noch einen Mangel an Pre-Seed- und Seed-Finanzierung. Zwar haben wir bei der BioM beziehungsweise in Bayern das Werkzeug des M4-Awards, wo sich junge Gründer einem Auswahlgremium stellen und einen substanziellen Betrag von 500.000 EUR erhalten können. Davon würde ich mir aber mehr wünschen.

Wie könnte das ausgeweitet werden?

R. Huss: Eine Möglichkeit wäre die Bildung von integrierten Konsortien, wie es sie in den USA gibt. Dabei wird in Form von Private Public Partnership Geld in substanzieller Menge zur Verfügung gestellt.

Wäre ein Konzept in der Art der TV-Show „Höhle der Löwen“ für BioM eine Möglichkeit?

R. Huss: Im Grunde machen wir das hier bereits. Mit dem BioAngels Pitch Day bieten wir den jungen Unternehmen die Bühne, ihre Ideen vorzustellen. Allerdings lassen wir sie nicht unvorbereitet dorthin gehen. Wir wollen sie nicht den Löwen zum Fraß vorwerfen, sondern wir möchten sie in eine Beutegemeinschaft einbringen für Leute, die Geld und Erfahrungen haben.

⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔

Zur Person

Ralf Huss, 60, verfügt über Erfahrungen in der akademischen Forschung und in Pharmaunternehmen. Nach seinem Medizinstudium wurde er Facharzt für Pathologie und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ehe er zu Roche Diagnostics wechselte, Apceth mitgründete und 2015 zu Definiens ging. Seit 2020 war er geschäftsführender Oberarzt am Institut für Pathologie und molekulare Diagnostik, seit 2021 zudem Direktor des Instituts für Digitale Medizin und zuletzt ebenso stellvertretender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Augsburg. Seit
1. Januar 2023 ist Huss Geschäftsführer von BioM. Als Autor hat er u.a. 2019 das Buch „Künstliche Intelligenz, Robotik und Big Data in der Medizin“ veröffentlicht.

⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔