Strategie & Management

Die Methanol-Ökonomie

Kann Methanol der Schlüssel zum „Königsweg“ bei der Bewältigung der Energiekrise sein?

14.07.2015 -

Nach dem G7-Gipfel im Juni 2015 steht fest: Die Industriestaaten streben eine Weltwirtschaft ohne Kohle, Öl und Gas an. Doch welche Alternativen gibt es? Methanol hat das Potenzial, eine führende Rolle als Treibstoff, Energie- und Chemierohstoff zu übernehmen und damit die Energiewende in Deutschland entscheidend voranzubringen. Es ist aus Synthesegas auf Basis von Erdgas bzw. Kohle oder aus Kohlendioxid und Wasserstoff zugänglich. Das Kohlendioxid kann dabei aus Abgas der Verbrennung von Kohle mit Sauerstoff, aus Hüttenrauch, Müll- und Biomasseverbrennung und ultimativ auch aus der Luft bzw. den Ozeanen stammen. Als Flüssigkeit ist Methanol ein geeignetes Speichermedium und zugleich auch als Transportform für chemisch gebundene Energie einsetzbar. Als Rohstoff für organische Chemieprodukte kann Methanol Erdöl und Erdgas ersetzen.

Die Herstellung von Synthesegas für die Methanolherstellung („schwarzes“ Methanol) geschieht heute überwiegend durch das „Steamreforming“ oder die partielle Oxidation von Erdgas und die Vergasung von Kohle. In Nordamerika und Europa wird meist Erdgas als Rohmaterial genutzt, in China und Südafrika basiert die Synthesegasherstellung auf Kohle oder Braunkohle.

In weiser Voraussicht

Schon in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts prangerte Friedrich Asinger, ein Pionier der Petrochemie, die Vergeudung der kostbaren fossilen Rohstoffe Erdgas und Erdöl an und sprach sich 1960 in einem Vortrag für Kohle und Kernenergie zur Energieerzeugung aus: „Es ist sehr bedauerlich, dass der allergrößte Teil des geförderten Rohöls für die Herstellung von Vergaserkraftstoffen, Dieselkraftstoffen und Schmierölen verwendet bzw. als Heizöl verheizt wird, obwohl es den idealsten chemischen Rohstoff darstellt!“ Im Jahr 1986 betonte er: „Die große Zukunft des Methanols liegt in der energiewirtschaftlichen Verwertung!“

Es ist das große Verdienst des ungarisch-amerikanischen Nobelpreisträgers George A. Olah, dass er die Ideen und Visionen von Asinger aufgegriffen und eindrucksvoll weiterentwickelt hat. Er propagiert für die Zeit „Beyond Oil and Gas“ die „Methanol Economy“, so auch der Titel seines 20 Jahre nach Asingers Methanolbuch erschienenen Werkes.

Was bedeutet „Methanol-Ökonomie“?

China ist derzeit das am weitesten fortgeschrittene Land in Bezug auf methanolbasierte Treibstoffe. Das erforderliche Methanol wird weitestgehend aus Kohle gewonnen. Auf diese Weise ging im Jahr 2010 mit 7 Mio. t knapp ein Drittel der chinesischen Methanolproduktion von 22 Mio. t in den Treibstoffsektor.

In Europa ist die schwedische Reederei Stena, eines der größten Fährunternehmen der Welt, Vorreiter. Sie hat im April 2015 die zwischen Kiel und Göteborg verkehrende Fähre „Germanica“ auf Methanol als Treibstoff umgerüstet. Man reagiert hiermit auf die “Special Emission Control Areas” (SECA).

Die Diskussionen über die Energiewende in Deutschland sind aber überwiegend auf den Stromsektor fokussiert. Nach der politischen Entscheidung der Bundesregierung, bei der Stromversorgung aus deutschen Energieanlagen auf Kernenergie zu verzichten, stehen der Ausbau von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energie auf Basis von Wind und Sonne und der geplante Bau von Stromtrassen deutlich im Vordergrund. Dabei beträgt der Anteil der Stromversorgung am Endenergieverbrauch nur 28% des Primärenergieverbrauchs in Deutschland. Den Hauptteil machen der Treibstoffsektor, die Prozessenergie der Industrie und der private Sektor aus. Bei der Bereitstellung der Rohstoffe für die Energieerzeugung, die Treibstoffversorgung und zur Herstellung von Chemieprodukten spielen die fossilen Rohstoffe Erdgas und Erdöl eine dominierende Rolle. Der wichtigste Lieferant für Erdgas (ca. 33%) und Erdöl (› 36%) ist Russland. Bei Erdgas stammen ca. 15% und bei Erdöl nur 3% aus heimischen Quellen.

In der Bundesrepublik spielen Stein- und vor allem Braunkohle heute noch eine bedeutende Rolle bei der Bereitstellung der Primärenergie. Wenn das letzte deutsche Steinkohlenbergwerk Ibbenbüren 2018 stillgelegt werden wird, fällt der Braunkohle als heimischem Rohstoff (neben wenig Öl) für die Energieerzeugung in Kraftwerken eine ganz besondere Rolle zu, insbesondere in Bundesländern mit großen Braunkohlenrevieren.

Sigmar Gabriel, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Energie, und die Ministerpräsidenten von Brandenburg und dem Freistaat Sachsen Dietmar Woidke und Stanislaw Tillich haben eine Lanze für die Braunkohle gebrochen. Für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist die durch verschiedene politische Gruppierungen und interessensverbände vorgebrachte Verteufelung der Braunkohle als „Dreckschleuder“ und „Klimakiller“ allerdings kontraproduktiv. Unstrittig ist hingegen der verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource Kohlenstoff. Zweifelsfrei ist das Fördern, Verbrennen und Endlagern des Kohlenstoffs in der Atmosphäre ein fragwürdiger Umgang mit einem Rohstoff, den im Kreislauf zu halten die Natur seit Jahrmilliarden mit einem enormen Aufwand bedenkt.

Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten

Einer stofflichen Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten ist, gerade im Zuge einer konsequenten Umsetzung des Energiewendegedankens, aus wissenschaftlich-technischer Sicht nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil, gerade die Power-to-Liquids-Technologie (PtL) ist wie keine andere geeignet, den Kohlenstoffkreislauf über CO2 und Methanol zu schließen. Indem Methanol als chemischer Energiespeicher dient, kann die Energieversorgung der Bundesrepublik ebenso abgesichert werden wie die Mobilität. Dasselbe gilt für die Versorgung der Industrie mit Methanol als universellem C-Rohstoff, sodass die Nutzung der heimischen Braunkohle perspektivisch auf eine rein stoffliche Nutzung zur Deckung derjenigen Versorgungslücken hinausläuft, die sich über „grünes“ Methanol nicht decken lassen.

Die Kombination von regenerativen Energien und Braunkohle (evtl. auch Importsteinkohle) eröffnet einen „Königsweg“ bei der Energiewende mit kurz -, mittel- und langfristigen Vorteilen: Kurzfristiger Vorteil ist die Vermeidung der CO₂-Emissionen bei der Verbrennung der Kohle und Nutzung des Kohlenstoffdioxids als Rohstoff. Mittelfristig vorteilhaft ist die Sicherstellung der Stromversorgung nach Abschalten aller Atomkraftwerke und langfristig bietet dieser Weg die Unabhängigkeit von Importen an Erdgas und Erdöl und eine sichere Rohstoffbasis für Zeiten „Beyond Oil and Gas“.

Technologien zur Methanol-Nutzung

Die Technologien für diesen "Königsweg" sind weitgehend erprobt und werden weiter verbessert. Mehrere Anlagenhersteller (z.B. Electrolyser, Brown Boveri, Air Liquide/Lurgi, De Nora, Epoch Energy Technology, Hydrogenics) bieten große Elektrolysegeräte mit Wirkungsgraden von über 80% an. Sunfire testet zurzeit eine aussichtsreiche Hochtemperatur-Variante.

Die Verbrennung der Braunkohle mit reinem Sauerstoff (Oxyfuel-Prozess) wurde von der deutschen Vattenfall-Tochter in einer Pilotanlage in Brandenburg erprobt, die von 2006 bis 2014 betrieben wurde.

Die Hydrierung des Kohlenstoffdioxids zu Methanol ist ebenfalls erwiesen. Auch hier gibt es sehr erfolgversprechende Fortschritte, da es z.B. Forschern der RWTH Aachen gelang, die Hydrierung in homogener Phase mit einem speziellen Ruthenium/ Phosphin-Komplex durchzuführen. Wissenschaftlern am Institut für Technische Chemie der TU Bergakademie Freiberg gelangen wesentliche Fortschritte hinsichtlich einer sukzessiven Umstellung der Rohstoffbasis von fossilen Rohstoffen auf Methanol. Sie produzierten u.a. Methanol in höheren Ausbeuten nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht. Ein Konsortium mit dem Energieanlagenbauer Mitsubishi Hitachi Power Systems Europe (MHPSE) als Systemintegrator errichtet in Lünen (NRW) eine Anlage, in der CO₂ aus einem Kohlekraftwerk von Steag und Wasserstoff aus Windstromelektrolyse von Hydrogenics in Methanol umgewandelt wird.

„Königsweg“ bei der Energiewende

Die Kombination von Erneuerbaren Energien und Braunkohle eröffnet somit einen „Königsweg“ bei der Energiewende zur Verwertung von C-Quellen in Form des Abgases CO₂, vorzugsweise aus Braunkohle unter Zuhilfenahme erneuerbarer Energien. Als Quelle für das CO₂ besitzt die heimische Braunkohle erste Priorität. Denkbar ist auch der Neubau von Kraftwerken auf Basis von Importsteinkohle unter Nutzung der Oxyfuel-Technologie. Standorte könnten hierbei auch ungenutzte Werftgelände in Hafenstädten Norddeutschlands und nicht weit von den Nordsee-Windparks sein.

ThyssenKrupp initiierte gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft ein branchenübergreifendes Technologietransfer-Projekt „Carbon2Chem“ in dessen Mittelpunkt die Umwandlung von Prozessgasen aus der Stahlherstellung zu werthaltigen Chemikalien, speziell Methanol, steht. Der Strom dafür soll aus erneuerbaren Quellen stammen.

Das Methanol-Zeitalter hat begonnen

Die Methanol-Ökonomie auf Basis Kohle via Synthesegas ist in China Realität. Für Deutschland stellt die Kombination von erneuerbaren Energien zur Gewinnung von H₂ und O₂ durch Wasserelektrolyse und CO₂ aus der „sauberen“ Braunkohleverbrennung (Oxyfuel-Technologie) oder aus Abgasen wie z.B. Hüttenrauch eine Option bei der Energiewende dar.

Bei der Nutzung der heimischen Braunkohle zur Energieerzeugung kann das Abgas (Oxyfuel-Prozess) als C-Quelle zur Herstellung von Methanol genutzt werden. Nutzt man hingegen CO2 aus nicht-fossilen Quellen läßt sich der Kohlenstoffkreislauf klimaneutral schließen.

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TU Bergakademie Freiberg