Anlagenbau & Prozesstechnik

Eine Charge mehr!

Migration zu Simatic PC S7 erhöht Produktivität einer Kunstharzanlage

19.01.2016 -

17 Tage und keinen Tag mehr – dies war die Ausgangssituation für die Migration eines Leitsystems in einem großen Reaktor. Dank Simulation, virtuellen Testmethoden und standardisierten Factory und Site Acceptance Tests (FAT/SAT) gelang der problemlose Übergang in eine neue Automatisierungswelt. Und noch mehr: Die Kapazität konnte um eine Charge pro Woche erhöht werden.

Die Zeit war knapp und sicher auch nicht die günstigste: Zum Jahreswechsel sollte ein in die Jahre gekommenes Leitsystem in ein Simatic PCS 7 System migriert werden. Dafür wollte Axalta Coating die Zeit eines Shutdowns des Reaktors 5 am belgischen Chemiestandort Mechelen nutzen. Weihnachtliche Gefühle kamen im ersten Moment sicher nicht auf, aber nachdem alles nach Plan funktionierte, waren am Ende alle Beteiligten stolz auf das Projekt. "Es ist eine enorme Herausforderung und zugleich eine große Chance, wenn sich etwas verändert, wie bei Reaktor 5, unserem größten hier auf der Anlage. Circa Mitte 2010 haben wir uns zur Migration eines in die Jahre gekommenen ABB DCS zu einem sehr wettbewerbsfähigen Simatic PCS 7 Prozessleitsystem entschlossen", begeistert sich Geert Van Roy, Manufacturing Technology Lead, Axalta, noch im Nachhinein für das Projekt.

Lacke für die Automobilindustrie

Axalta Coating Systems gehört zu den großen Herstellern von umweltschonenden Lacken für LKW- und Automobilausrüster. Bekannte Reparaturlackmarken, die in vielen Lackier- und Karosseriefachbetrieben eingesetzt werden, sind z.B. Standox, Spies Hecker, Ixell, Permasolid oder Cromax. Die Produkte werden in Batches nach Kundenauftrag gefertigt. So werden inzwischen Lacke gefordert, die schnell trocknen, eine hohe Deckkraft oder eine bestimmte Viskosität besitzen oder auf Wasserbasis funktionieren. Nach der Herstellung gehen sie direkt zur Auslieferung bzw. werden als Sonderprodukte in kleineren Mengen auch auf Lager gehalten. Dabei werden sie in den unterschiedlichsten Verpackungseinheiten (Dosen, Kanister, Fässer) abgefüllt. Über 1000 Produkte und Gebinde werden am Standort hergestellt, dementsprechend groß ist der Anspruch an die Flexibilität der Produktion. Nur so lässt sich die hohe Qualität und die von den Verbrauchern gewünschten Eigenschaften in der Produktion umsetzen. Die Weichen hierfür werden früh gestellt. "Wenn es etwas aus 145 Jahren Erfahrung in der Lackindustrie zu lernen gibt, dann ist es die Tatsache, dass Qualität bereits mit dem kleinsten Detail im Prozess beginnt", so die Erfahrung von Van Roy. Ein weiterer wesentlicher Faktor in der Produktion spielt die Sicherheit und der Schutz der Anlagen und der Anwohner. "Die Menschen in unserer Nachbarschaft verlassen sich auf uns – und zwar nicht nur im Hinblick auf die Qualität ihres Fahrzeuglacks – sondern auch angesichts ihrer Sicherheit, Gesundheit und der Umweltfreundlichkeit in der Nähe unseres Standorts", so die Meinung von Luc Van Den Hemel, Plant Manager bei Axalta.

Das Herz der Produktion

Mechelen ist der größte Axalta Standort in Belgien, einer von 35 weltweit. Der Standort wurde bereits 1958 gegründet und war bis 2013 ein Teil von DuPont. Bei der Revision stand insbesondere Reaktor 5 im Mittelpunkt, der größte in Mechelen. Dabei sollte nicht einfach nur die Automatisierungs-Technologie modernisiert werden, sondern es gab die klare Vorgabe, dass die Kapazität um 12 Prozent erhöht werden sollte. Statt acht sollten nun neun Chargen pro Woche von Kunstharz produziert werden.

Siemens war kein Unbekannter am Standort, bereits bei Reaktor 3 setzte man auf Siemens-Komponenten. Das Automatisierungsteam von Axalta entschied sich für eine PCS 7 V7.1 SPS-Architektur mit drei Clients (zwei in der Leitwarte und ein Client als Ex-HMI im Feld), einer Engineering Station und zwei redundanten Server-Paaren. Bei der Entscheidung spielte nicht nur die Technik eine Rolle, sondern auch das Vertrauen aus bisherigen Projekten und die Planung, dass die Migration in dem vorgegebenen Zeitraum durchgeführt werden kann. Das Engineering startete mit einem Vorlauf von zehn Monaten und war nach fünf Monaten weitgehend abgeschlossen. In diesem Zeitraum wurden auch das Training und bereits erste Tests vorgenommen. Der FAT (Factory Acceptace Test) erfolgte im November und Dezember, bevor dann der spannendste Abschnitt des Projekt bevor stand.

Standards beschleunigen die Arbeit

Um das Projekt im vorgegebenen Zeitraum abzuschließen, wurde die Standard-Bibliothek von PCS 7, die Advanced Process Library (APL) für alle DCS-Komponenten genutzt. Diese wurden so wenig wie möglich angepasst, nur 3 Prozent wurden verändert. Bei den Rezepten wurde etwa ein Drittel adaptiert, der Rest per „Copy and Paste“ eingefügt.

Weiter mussten das Basic Process Control (BPCS) und das Emergency Shutdown-System (ESD) in PCS 7 integriert werden. Dabei wurde die Simatic Safety Matrix für die einfache Konfiguration von Sicherheitsanwendungen während des Engineerings eingesetzt. Bei der Risikoanalyse seiner Anlage kann der Anlagenplaner den im Verlauf eines Prozesses auftretenden Ereignissen exakt definierte Reaktionen zuordnen. Mit der Safety Matrix können auch die Anlagenfahrer alle Sicherheitsfunktionen des Reaktors im Detail online nachverfolgen, sogar bis auf die Ebene der Feldgeräte.

Eher eine Kleinigkeit, für den praktischen Umgang jedoch von großer Bedeutung, war die Gestaltung der grafischen Benutzeroberfläche (GUI). Diese wurde äußerlich an die Visualisierung mit Hilfe des Siemens Farbcode-Systems angepasst. Dadurch fiel den Anlagenfahrern der Umstieg sehr leicht.

Reibungsloser FAT ist Schlüssel für schnelle Migration

Besonderes Augenmerk aller Beteiligten lag auf dem FAT. Jedem war klar, dass dies der Schlüssel für die spätere reibungslose Migration war. Zum Einsatz kam hier ein dynamisches in-house Prozesssimulationstool in Verbindung mit Simit Simulation Framework, dem Prozesssimulationstool von Siemens, das das PCS 7-System mit dem in-house Simulationstool verband und dadurch sehr detaillierte Daten von den einzelnen Batches lieferte. Dabei entsprachen die Einstellungen der Siemens Hardwaretests genau den Prozesseinstellungen. Bis zu vier Leute konnten die Umgebung gleichzeitig nutzen. Getestet wurden die I/Os, die Chargenabläufe sowie die Rezeptureinstellungen. Funktionale oder auch Programmierfehler wurden so gleich beseitigt.

Der große Tag – Site Acceptance Test

Vor dem Hintergrund, dass der FAT so gut abgelaufen war, waren die Beteiligten zwar gespannt, aber nicht nervös, als es auf die Weihnachtszeit zuging. Alle Aufgaben waren festgelegt: Dazu gehört die Demontage des alten Systems und Installation der neuen Hard- und Software, Testen der I/O-Komponenten, Durchführung des Safety Interlock Tests sowie das Einstellen der Temperatur- und Durchflussmessgeräte. Abschließend wurde noch eine Wasserfahrt mit Lösungsmittel für zwei Harzrezepturen gefahren. Aufgrund der sorgfältigen Durchführung der Tests und der Simulation war es letztendlich keine Überraschung, dass alles rechtzeitig und entsprechend den vorgegebenen Qualitätsstandards in Betrieb genommen wurde.

Seitdem läuft die Anlage rund, wie Van Den Hemel berichtet: "Qualität ist eine Voraussetzung aber nicht die einzige Bedingung für den Geschäftserfolg. Flexibilität bedeutet für uns auch Kapazitätssteigerung. Früher realisierten wir acht Batches, jetzt sind wir in der Lage, neun Batches pro Woche zu fahren. Diese 12 Prozent Unterschied sind für unsere Branche eine enorme Steigerung. Wir haben den Fokus auf Produktivität, Effizienz und Flexibilität unseres Batch-Systems gelegt. Alle Ziele bei der Migration von Reaktor 5 wurden erreicht, und wir sind sicher, dass wir die Erfolgsgeschichte gemeinsam mit Siemens bei der Modernisierung der anderen Reaktoren fortschreiben".

Kontakt

Siemens AG

Werner-von-Siemens-Straße 1
80333 München
Deutschland

+49 89 636-00

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