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Ineos in Köln setzt auf chemisches Recycling

Das britische Chemieunternehmen sieht Kreislaufwirtschaft als notwendig für die Transformation zu Netto-Null

13.12.2023 - Die Transformation in Richtung Treibhausgasneutralität bedeutet für die chemische Industrie eine grundlegende Umstellung der Energie- und Rohstoffbasis, der Produktionsprozesse und der Wertstoffkreisläufe.

Ein wichtiger Baustein für das global aufgestellte Chemieunternehmen Ineos auf dem Weg zu Netto-Null bis spätestens 2050 – in Deutschland bis 2045 – ist die Stärkung der Kreislaufwirtschaft.

Hierzu arbeitet das britische Chemieunternehmen in Köln mit Hochdruck u.a. an der Optimierung und Weiterentwicklung innovativer Recyclingtechnologien. So ist im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem britischen Recyclingunternehmen Plastic Energy eine Anlage für chemische Wiederverwertung am Standort Köln in Planung, die künftig 100.000 t/a Rohstoffe aus Kunststoffabfällen herstellen soll – eines von vielen weltweiten Recyclingprojekten der Ineos-Gruppe.

Dem chemischen Recycling kommt ergänzend zum mechanischen Recycling eine besondere Bedeutung zu, weil damit gemischte und verschmutzte Kunststoffabfälle wiederverwertet werden können. Die Verfahren tragen somit zur Lösung des Müllproblems, zur Rohstoffsicherheit und zur Entkopplung von der Nutzung fossiler Rohstoffe bei. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, braucht es europaweit verlässliche und pragmatische politische Rahmenbedingungen, die die Anwendung von chemischem Recycling in großindustriellem Maßstab ermöglichen. Jetzt.

Massenbilanzen gesetzlich verankern

Die Abfallwirtschaft hat 2021 laut Umweltbundesamt (UBA) fast 35 % aller gesammelten Kunststoffabfälle werkstofflich und 64 % energetisch verwertet (UBA, 2023). Lediglich 0,4 % wurden rohstofflich oder chemisch verwertet. Das Potenzial des chemischen Recyclings wird gegenwärtig also nicht ausgeschöpft. Um die von der Politik geforderten Recyclingquoten zu erfüllen, ist die chemische Wiederverwertung unentbehrlich.

Recyclingziele

Bislang sind die EU-Recyclingziele für Kunststoffverpackungen u.a. in der Richtlinie (EU) 2018/852 über Verpackungen und Verpackungsabfälle festgeschrieben. Demnach sollen bis 2030 55 % der Kunststoffverpackungen wiederverwertet werden. Die EU-Einwegkunststoffrichtlinie (EU) 2019/904 legt fest, dass hauptsächlich aus Polyethylenterephthalat (PET) bestehende Getränkeflaschen bis 2025 einen Anteil von mindestens 25 % recyceltem Kunststoff enthalten sollen, bis 2030 30 %. Das ist ein Horizont von weniger als einem Jahr bzw. weniger als sieben Jahren.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle vom November 2022 sieht vor, dass bis 2030 alle Verpackungen recycelt werden. Zudem enthält er folgende Mindestrezyklat­anteile für Kunststoffverpackungen: für kontaktempfindliche PET-Verpackungen (z. B. für Lebensmittel) 30 % bis 2030 und 50 % bis 2040, für Einwegflaschen aus Kunststoff 30 % bis 2030 und 65 % bis 2040.
Um diese Ziele zu erreichen, ist eine rasche Skalierung des chemischen Recyclings dringend erforderlich. Der Wirtschaftsverband der europäischen Kunststoffhersteller, PlasticsEurope, geht davon aus, dass die Verbandsmitglieder bis 2030 rund 7,2 Mrd. EUR in die Förderung des chemischen Recyclings investieren werden. Für diese Investitionen benötigen Unternehmen in erster Linie Planungssicherheit und eine verlässliche Regulatorik. Die chemische Rohstoffrückgewinnung muss abfallrechtlich und als Beitrag zur Erfüllung der relevanten Recyclingquoten anerkannt werden.

Massenbilanzen erforderlich

Da sich die Kapazitäten für chemisches Recycling in der Aufbauphase befinden, müssen fossile und chemisch wiederverwertete Sekundärrohstoffe noch gemeinsam verarbeitet werden. Daher ist es kompliziert, den Rezyklatanteil im Produktionsprozess genau nachzuvollziehen. Zur Erfassung und Dokumentation der Anteile sind deshalb sog. Massenbilanzen erforderlich. Es handelt sich hierbei um einen buchhalterischen Ansatz, der es ermöglicht, den Rezyklatanteil in einem fossilbasierten Endprodukt transparent und standardisiert zu bestimmen. Das Prinzip ähnelt dem des Ökostroms: In Stromnetze wird Energie sowohl aus konventionellen als auch erneuerbaren Quellen eingespeist. Entscheiden sich Kunden für den Bezug von Ökostrom, ist nicht nachzuvollziehen, wie viel Strom tatsächlich aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde. Insgesamt jedoch steigt der Anteil an ökologisch erzeugtem Strom im Gesamtnetz. Gleichermaßen ermöglichen es Massenbilanzen, den Rezyklatanteil in wiederaufbereiteten Kunststoffen im Produktionsnetzwerk der Indus­trie stetig zu erhöhen.

Das Konzept der Massenbilanz ist in der chemischen Industrie nicht neu. Bei nachwachsenden Rohstoffen wie Biomethan und Bionaphtha ist das Konzept schon voll akzeptiert und Stand der Technik. Die biomassenbilanzierten Produkte sind zertifiziert und haben die gleiche Produktqualität wie die rein fossilen Standardprodukte, sparen aber fossile Ressourcen ein und haben quantifizierbar geringere Treibhausgasemissionen.
Gemeinsam mit PlasticsEurope und dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) setzt sich Ineos in Köln für eine pragmatische Lösung und einen verlässlichen Regulierungsrahmen ein. Dieser soll auf europäischer Ebene für alle bestehenden und künftigen Rechtsakte gelten, die Rezyklatanteile adressieren.

 

„Wir wollen 100.000 t Rohstoffe pro Jahr aus Abfällen recyceln.“
 

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Passende Recyclingverfahren

Ineos Styrolution, die Entsorgungsgesellschaft Niederrhein und der Sortiertechnikspezialist Tomra haben ein gemeinsames Projekt angekündigt, das am Standort Krefeld-Uerdingen realisiert werden soll: geplant ist eine mechanische Polystyrolrecyclinganlage mit einer Kapazität von 40.000 t/a. Um die Anforderungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei Anwendungen mit Lebensmittelkontakt zu erfüllen, übernimmt Styrolution den „Super-Cleaning“-Reinigungsprozess. Die neue Anlage soll Mitte 2025 in Betrieb gehen.
Mit dem italienischen Unternehmen ForeverPlast hat sich Ineos zusammengetan, um aus gebrauchten PET-flaschenverschlüssen neue zu erzeugen.

Die Kooperation mit dem finnischen Unternehmen UPM Biofuels ermöglicht es, aus Rohstoffen der Zellstoffindustrie erneuerbare Kunststoffe herzustellen. Weitere Kooperationen sind in Planung.

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Chain of Custody

Das Chain of Custody-Prinzip ist ein Verfahren zur sicheren Verfolgung von Informationen, Proben oder Beweisen entlang der gesamten Produktionskette. Es erfordert eine lückenlose Dokumentation sämtlicher schritte, Beteiligten und Orte, um Integrität und Verlässlichkeit zu gewährleisten. Dabei stellt es sicher, dass jedes Glied in der Kette der Verwahrung oder Handhabung verantwortungsvoll handelt und die Objekte ordnungsgemäß weitergegeben werden. Insgesamt sorgt das Prinzip für ein Höchstmaß an Vertrauen und Verständlichkeit.

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Credit-Methode

Der quantitativen Bewertung ökologischer Leistungen dient die Credit-Methode. Sie basiert auf dem Gedanken, dass Unternehmen für positive Umweltauswirkungen Punkte („Credits“) angerechnet bekommen können. Dabei werden Umweltauswirkungen in Bezug auf Kategorien wie Ressourceneffizienz, Emissionen oder Energieverbrauch gemessen. Die erzielten Credits können Unternehmen dazu verwenden, ihre ökologischen Leistungen nachzuweisen oder zu kommunizieren. Die Credit-Methode fördert eine systematische
Herangehensweise an die Bewertung und Verbesserung der Umweltleistung und trägt zur Förderung nachhaltigerer Praktiken bei.

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Sinnvolle Ergänzung

Chemisches Recycling umfasst verschiedene Recyclingverfahren, darunter Pyrolyse, Solvolyse oder Depolymerisation. Bei diesen Prozessen werden Kunststoffabfälle in ihre chemischen Bestandteile (z.B. Oligomere, Monomere) zerlegt, um sie dann erneut als Rohstoff für die Produktion neuer Kunststoffe einzusetzen. Mit chemischer Wiederaufbereitetung ist es somit möglich, verschmutzte oder gemischte
Kunststoffabfälle in hoher Qualität wiederzuverwerten (z. B. Autoreifen oder Kunststoffe aus Verbundmaterial). Das chemische Recycling stellt eine sinnvolle Ergänzung zum mechanischen Recycling dar, das für saubere sortenreine Kunststoffabfälle geeignet ist. Die Kunststoffe werden gesammelt, sortiert und aufbereitet. Anschließend werden sie zerkleinert, gereinigt und eingeschmolzen, um daraus neue Produkte herzustellen.

Nachgefragt

„Wir brauchen Planungssicherheit“

CHEManager sprach mit den Geschäftsführern von ­Ineos in Köln über die Rolle der Wiederaufbereitung von Kunststoffabfällen bei der Transformation der chemischen Industrie zur Klima­neutralität.

Hoher Ressourcenverbrauch und Klimawandel erfordern ein radikales Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft. Ein zentraler Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Kreislaufwirtschaft. Wie funktioniert das in der chemischen Industrie?

Patrick Giefers: Die chemische  Industrie steht vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, die Transformation in Richtung Klimaneutralität zu meistern. Zugleich ist die chemische Industrie ein wichtiger „Enabler“ auf diesem Weg. Das Schließen von Kreisläufen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Erstens gilt es, den Verbrauch fossiler Ressourcen zu minimieren – als Energieträger und als Bestandteil von Produkten. Weiterhin ist es notwendig, die Nutzung von Wertstoffen und Produkten zu maximieren – etwa durch Mehrfachverwendung, durch Aufbereitung oder durch Verlängerung des Lebenszyklus. Drittens gilt es, Wertstoffkreisläufe und Wertschöpfungsketten zu schließen. Genau hierfür ist das chemische Recycling wichtig.

Was kann das chemische Recycling leisten?

Axel Göhrt: Chemisches Recycling bietet viele Vorteile: Kunststoffe können in höchster Qualität und mit weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zur Neuproduktion erneut verwertet werden, Stichwort Nachhaltigkeit. Beim chemischen Recycling kann eine breite Palette von Kunststoffen einschließlich komplexer Verbundkunststoffe verarbeitet werden. Dadurch verringert sich die Menge an Kunststoffen, die auf Deponien landen oder verbrannt werden. Das chemische Recycling forciert zudem Innovationen in der Kunststoffverarbeitung und die Entwicklung nachhaltigerer Produktionsverfahren.

 

„Auf dem Weg zur Klimaneutralität spielt das Schließen von Kreisläufen eine entscheidende Rolle."

 

Soll chemische Wiederverwertung mechanische Verfahren ersetzen?

A. Göhrt: Beide Technologien ergänzen sich: Während mechanisches Recycling für homogene Kunststoffabfälle geeignet ist, bietet chemisches Recycling die Lösung für gemischte und verschmutzte Kunststoffströme. Beim mechanischen Recycling werden – vereinfacht gesagt – Kunststoffabfälle zerkleinert, gewaschen und eingeschmolzen. Das funktioniert am besten bei Kunststoffen mit ähnlicher Zusammensetzung und geringem Verschmutzungsgrad, etwa bei PET-Flaschen. Beim chemischen Recycling hingegen werden Kunststoffe in ihre ursprünglichen chemischen Bestandteile zerlegt. Dazu braucht es innovative Technologien und hochmoderne teure Anlagen. PlasticsEurope prognostiziert, dass die chemische Industrie bis 2030 mehr als 7 Mrd. EUR ins chemische Recycling investieren wird.

Was ist erforderlich, damit chemische Aufbereitung im industriellen Maßstab angewendet werden kann?

P. Giefers: Um diese hohen Investitionssummen zu stemmen, brauchen wir verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen. Zuerst muss das chemische Recycling für die werkstoffliche Verwertungsquote in der Regulatorik Anerkennung finden. Dann brauchen wir ein europaweit einheitliches Massenbilanzverfahren, um den Rezyklatanteil in einem fossilbasierten Endprodukt transparent und standardisiert bestimmen zu können. Wird dieses Verfahren nicht zugelassen, sind Investitionen in Neuanlagen unwirtschaftlich. Dies gilt insbesondere für unser Projekt am Standort Köln: Gemeinsam mit Plastic Energy planen wir eine hochmoderne Anlage für chemisches Recycling, um 100.000 t/a recycelte Rohstoffe aus Kunststoffabfällen herzustellen. Wir wollen das Projekt – und wir brauchen dafür Planungssicherheit.

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