Märkte & Unternehmen

Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor

Innovative Klebebänder ermöglichen das Design kreislauffähiger Produkte

24.01.2024 - Die Kreislaufwirtschaft ist eine riesige Chance für das Beiersdorf-Tochterunternehmen Tesa.

Die Erfolgsgeschichte von Tesa begann vor über 125 Jahren mit einer missglückten Entwicklung des Apothekers Paul Beiersdorf. Sein Wundpflaster klebte hervorragend, reizte aber die Haut. Firmengründer Oscar Troplowitz brachte es als erstes technisches Klebeband zum Flicken von Fahrradreifen auf den Markt. Heute finden sich allein über 130 verschiedene Klebebänder in einem einzigen Elektroauto.

Tesa fokussiert sich auf die Herstellung von Klebebändern und selbstklebenden Produkten. Mit weltweit rund 5.000 Mitarbeitenden erzielte das 100 %ige Tochterunternehmen des Beiersdorf-Konzerns im Jahr 2022 einen Umsatz von 1,7 Mrd. EUR.

Andrea Gruß sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden Norman Goldberg über Wachstumstreiber und Nachhaltigkeitsinnovationen im Markt für Klebebänder.

CHEManager: Herr Goldberg, welche Vorteile hat ein Klebeband gegenüber einem flüssigen Klebstoff?

Norman Goldberg: Ein Flüssigklebstoff muss trocknen und fest werden. Ein Klebeband ist immer klebrig und sofort einsatzbereit. Das beschleunigt insbesondere industrielle Prozesse. Im Gegensatz zu einem Klebstoff kann man ein Klebeband ein- oder zweiseitig herstellen. Es besteht zu großen Teilen aus Klebstoff, aber auch aus einem Trägermaterial. Dieses hält nicht nur die Klebemasse zusammen, sondern bietet auch unglaublich viele Möglichkeiten, die Funktion des Produkts zu beeinflussen. Mit Klebebändern können Sie Dinge zusammenfügen – sie halten sozusagen die Welt ein bisschen zusammen.

Wo liegt die besondere Expertise von Tesa?

N. Goldberg: Wir funktionalisieren sowohl den Klebstoff als auch das Trägermaterial. Unsere Kernkompetenz jedoch liegt im Beschichten des Materials mit Klebstoff. Dabei entsteht zum Beispiel ein Zentimeter dickes Klebeband, das beim Bau eingesetzt wird. Unser ­dünnstes Klebeband ist 20-mal dünner als ein menschliches Haar. Es wird unter Reinraumbedingungen und für elektronische Anwendungen hergestellt. Dies sind nur zwei von über 7.000 Klebelösungen, mit denen wir die Produkte oder das Leben unserer Kunden verbessern helfen. Und jährlich kommen neue Produkte hinzu. Denn weltweit befassen sich 600 Chemiker, Ingenieure und Produktentwickler bei Tesa mit Polymerwerkstoffen, zum Beispiel damit, wie sie diese verstärken und beschichten oder elektrisch und thermisch leitfähig machen können. 6 % unseres Umsatzes investieren wir pro Jahr in die Entwicklung neuer Produkte und Technologien. Das macht Tesa zu einer Perle der Materialwissenschaften im Bereich der Polymerwerkstoffe.

 

„Tesa ist eine Perle der Materialwissenschaften.“

 

Welches sind die wichtigsten Geschäftsfelder und Anwendungen Ihrer Klebebänder?

N. Goldberg: Tesa erzielt heute rund 80 % seiner Umsätze mit Industriekunden. Wichtige Branchen sind Automobil- und Elektronikindustrie, Druck und Papier und die Bauindustrie. Ein großer Anteil unseres Industrieumsatzes fällt auf die Automobilindustrie. In einem E-Auto stecken im Schnitt 130 verschiedene Klebebänder. Sie fixieren zum Beispiel die Kabelbäume, Displays, Außenspiegel oder die Zellen in Batterien. Viele der Tapes haben zusätzliche Funktionen, sie können Strom leiten und abschirmen oder tragen zum Licht- und Wärme­management oder zum Flammschutz bei. Etwa 70 Klebebänder sind in einem Smartphone zu finden. Sie dienen der Montage von Bauteilen und machen das Gerät stoßfest, wasserdicht und hitzebeständig.

Welches sind die wesentlichen Wachstumstreiber bei Tesa?

N. Goldberg: Die Automobilindustrie ist ein wichtiges Wachstumssegment für uns, selbst wenn die Stückzahlen in Europa schon seit einigen Jahren rückläufig sind. Durch die Elektrifizierung und die Technifizierung – Autos entwickeln sich immer mehr zu fahrenden Handys – ergeben sich viele neue Themen für uns. Das birgt hohes Potenzial für Anwendungen unserer Lösungen in den kommenden Jahren. Ein Beispiel: Je leiser ein Auto fährt, desto besser muss es verklebt sein, damit die Bauteile keine Geräuschkulisse bilden. Bislang wurden viele Knarz- und Rattergeräusche durch den Motor übertönt. Ein weiterer Wachstumstreiber bei Tesa sind nachhaltigere Produkte.

Welche Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt Tesa?

N. Goldberg: Wir haben bei Tesa Nachhaltigkeit zur Priorität gemacht und arbeiten seit dem Jahr 2022 deutlich schneller und nachdrücklicher als bisher geplant an dieser wichtigen Transformation unseres Geschäfts. Dabei geht es uns sowohl um die schnellere Reduktion von Emissionen als auch die Verbesserung der Nachhaltigkeit unserer Produkte. Bis zum Jahr 2030 wollen wir klimaneutral produzieren, in Bezug auf Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Zudem haben wir den Anspruch, von unseren Kunden als Toplieferant im Bereich Nachhaltigkeit gesehen zu werden. Hierfür investieren wir in den kommenden Jahren 300 Mio. EUR. Wir kaufen schon heute weltweit für alle Standorte 100 % unseres Stroms aus erneuerbaren Energien. Im vergangenen September starteten wir den Bau eines Solarparks am Standort Offenburg. Die Anlage soll bis Ende 2024 rund 25 % des Energiebedarfs am Standort decken. Weitere Anlagen in China, Italien, Deutschland und den USA sind bereits im Bau oder in Vorbereitung.
Wir investieren stetig in die Weiterentwicklung lösemittelfreier und energieeffizienter Produktionstechnologien. Unseren US-Standort in Michigan haben wir im vergangenen September auf eine lösemittelfreie Produktion umgestellt. Wir planen gerade eine Investition von über 60 Mio. EUR in eine Großanlage für die lösemittelfreie Produktion.
Im vergangenen Jahr haben wir fast 50 neue, nachhaltigere Produkte auf den Markt gebracht. Unser Flaggschiff, der Tesafilm, ist seit Kurzem in einer nachhaltigeren Variante im Einzelhandel erhältlich: Die Trägerfolie besteht zu 90 % aus recyceltem PET, die Klebmasse wird aus wasserbasiertem Acrylat und der Rollenkern aus 100 % industriell anfallenden Rückständen der Plastikverarbeitung hergestellt.

Wie sieht die Rohstoffbasis von Tesa aus?

N. Goldberg: Im Jahr 2022 haben wir bereits zu 22 % biobasierte oder recycelte Materialien als Rohstoff eingesetzt. Bis 2030 wollen wir den Anteil auf 70 % steigern und zugleich unseren Einsatz von nicht recyceltem fossilem Kunststoff um die Hälfte senken. Ein ehrgeiziges Ziel. Denn wir sind nicht die Einzigen, die Recyclingmaterialien einsetzen. Der Markt dafür wird immer kompetitiver. Deshalb setzen wir auch auf biobasierte Rohstoffe. Gemeinsam mit BASF arbeiten wir zum Beispiel daran, biomassebilanzierte, abgekürzt BMB, Acrylmonomere einzusetzen. Bei deren Herstellung werden fossile durch erneuerbare Rohstoffe wie Bio-Naphtha oder Bio-Methan in der Wertschöpfungskette zu 100 % substituiert. So können wir auch den CO2-Fußabdruck unserer Produkte reduzieren.

Sie sprechen es an: Recycelte Rohstoffe sind knapp. Welchen Beitrag leistet Tesa, die Recylingrate von Wertstoffen zu erhöhen?

N. Goldberg: Weltweit werden rund 160 Milliarden Pakete pro Jahr verschickt. Tendenz steigend. Häufig landen Füllmaterialien und Klebebänder dieser Pakete im Altpapier und müssen akribisch getrennt werden, bevor sie recycelt werden können. Einstoffverpackungen, die auf Kunststoffe verzichten, können die Recylingrate erhöhen. Hierfür haben wir einen papierbasierten Aufreißstreifen für Versandtaschen und Kartons entwickelt, der zusammen mit dem Verpackungsmaterial recycelt werden kann.

Eine Hürde für die Kreislaufwirtschaft ist das Design von Produkten. Sie sind oft so gestaltet, dass sie sich nicht reparieren oder die Materialien nicht sortenrein trennen lassen. Welche Lösungen bietet Tesa hier?

N. Goldberg: Sie haben recht, während Polymerwissenschaftler in den vergangenen 80 Jahren damit beschäftigt waren, Klebstoffe so herzustellen, dass sie fest und lange halten, geht es heute darum, sie auch wieder auseinanderzubekommen – „Debonding on Demand“ ist eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Kreislaufwirtschaft. Ein durchschnittliches Smart­phone enthält zum Beispiel etwa 70 Klebebänder, darunter solche, die den Bildschirm, den Akku und die Kameras sichern. Klebebänder, die sich wieder rückstandsfrei ablösen lassen, ermöglichen die Reparatur oder den Austausch von Bauteilen, genauso wie die Trennung von Wertstoffen. Auf diese Weise bleiben die Geräte länger nutzbar und die Menge an Elektronikschrott wird verringert. Die Klebebänder, die nach dem Prinzip des Klebenagels funktionieren, eines unserer Consumer-Produkte, finden immer mehr Anwendung im Elektronik- und Automobilbereich.

Wie bewerten Sie aktuell die Wettbewerbsfähigkeit von Tesa?

N. Goldberg: Um unsere Zukunft ist uns nicht bange. Die Kreislaufwirtschaft und die damit verbundene Herausforderung, Materialien wieder trennbar zu machen, ist eine riesige Chance für Tesa. Großkunden aus der Elektronikindustrie sehen uns hier als strategischen Partner. Auch Nachwuchsprobleme, wie sie andere Unternehmen beklagen, treffen uns nicht. Die Marke Tesa ist so stark, dass sie – ähnlich wie Tempo – als Produktbezeichnung für Klebebänder genutzt wird. Zudem sind wir mit unseren hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung ein Hochtechnologiekonzern und attraktiver Arbeitgeber für Wissenschaftler und Ingenieure. In unserem 2016 eröffneten Campus in Norderstedt arbeiten Chemieingenieure, Maschinenbauer, Informatiker und Menschen unterschiedlicher Kulturen interdisziplinär und direkt mit unseren Kunden zusammen – eine Spielwiese für begabte und engagierte Materialwissenschaftler.

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Solarpark in Offenburg

Die Reduktion von Emissionen ist ein strategisches Handlungsfeld der Nachhaltigkeitsstrategie von Tesa, um bis 2030 eine klimaneutrale Produktion zu erreichen (­Scope 1 und Scope 2). Im September 2023 startete Tesa mit dem Bau eines Solarparks am Standort Offenburg. An drei Stellen auf dem Werksgelände werden bis Ende 2024 Solarflächen entstehen, die zusammen eine Leistung von 5.600 kWp (6.000.000 kWh/a) erbringen. Das sorgt mit der gerade im Aufbau befindlichen Anlage auf dem Flachdach eines Lagers dafür, dass das Offenburger Werk am Ende eine 25 %ige Autarkiequote aufweisen wird, sich also zu einem Viertel selbst und mit erneuerbarer Energie versorgt. So werden am Standort im Jahr rund 1.200 t CO₂ eingespart. Durchschnittlich 1.900 Sonnenstunden im Jahr sollen das in Offenburg möglich machen. Für das Projekt werden über 13.000 Fotovoltaik-Module installiert. Eine der Anlagen befindet sich im Eingangsbereich des Werkes, auf dem Parkplatz für die Mitarbeitenden. Die Konstruktion versorgt nicht nur das Werk mit Strom, sondern zum Selbstkostenpreis auch die E-Fahrzeuge der Beschäftigten.

ZUR PERSON
Norman Goldberg ist seit 2017 Mitglied des Vorstands bei Tesa. Im Jahr 2020 übernahm er den Vorsitz des Gremiums. Zuvor war er als Geschäftsführer für Lohmann und neun Jahre für die Klebstoffsparte von Henkel tätig. Goldberg studierte Chemie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und promovierte an der TU Berlin.

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