Forschung & Innovation

Optimierte Verfahren

Wie das Paul-Ehrlich-Institut in der Coronapandemie die Entwicklung von Impfstoffen beschleunigt hat. Interview mit PEI-Präsident Klaus Cichutek

18.05.2022 - Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist die entscheidende Institution für die Zulassung und Bewertung von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln.

Während der Coronapandemie hat das Bundesinstitut wesentlich die Entwicklung von Impfstoffen und anderen Therapeutika begleitet. Auf Initiative des PEI wurden dabei Entwicklungsprozesse effizienter und Zulassungsverfahren erheblich verkürzt. PEI-Präsident Klaus Cichutek erläutert im Interview mit Thorsten Schüller, wie die Pandemie die Arbeit seines Instituts verändert hat und wie sich das PEI für die Bekämpfung künftiger gesundheitlicher Bedrohungen aufstellt.

CHEManager: Herr Cichutek, die Coronapandemie dauert nun seit mehr als zwei Jahren an. Wie hat die Pandemie die Anforderungen an Ihr Haus und die Arbeitsweise des PEI verändert?

Klaus Cichutek: Im Paul-Ehrlich-Institut haben wir auch während der Coronapandemie konzentriert und genau gearbeitet, so wie vor der Pandemie. Wir haben einige Experten in neue Bereiche umgesetzt, um den erhöhten Arbeitsanfall zu bewältigen. Unsere Mitarbeiter handelten jedoch sehr engagiert und flexibel. Die Tätigkeiten beim Paul-Ehrlich-Institut zeichnen aus, dass wir eine sehr sinnstiftende Arbeit haben, die von unseren Beschäftigen mitgetragen wird.

 

 

„Wir konnten die Entwicklungsprozesse
EU-weit in einigen Punkten optimieren.“

Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts

 


Ein Grund, warum so schnell Covid-Impfstoffe entwickelt und zugelassen werden konnten ist, dass wir die Entwicklungsprozesse EU-weit in einigen Punkten opti­mieren konnten. Damit konnten wir bei gleichbleibender Bewertungsqualität von Sicherheit und Wirksamkeit die Verfahrensdauer kürzen, ohne dass die Maßstäbe geändert wurden. Das gilt übrigens nicht nur für die Covid-Impfstoffe, sondern auch für die Therapeutika, die wir betreuen – dazu zählen beispielsweise biomedizinische Arzneimittel wie CoV-2-neutralisierende Antikörper.

Können Sie die Optimierungen näher erläutern?

K. Cichutek: Wir haben zum einen frühzeitige und zum Teil auch mehrfache wissenschaftliche Beratungen durchgeführt. Zudem haben wir sowohl bei den nationalen Genehmigungen der klinischen Prüfung wie auch bei den Zulassungsverfahren, die wir bei der Europäischen Arzneimittelagentur inhaltlich gestalten, den sogenannten Rolling Review etabliert. Das bedeutet, dass erste Ergebnisse von den Antragstellern eingereicht und von uns begutachtet wurden, während gleichzeitig die klinischen Prüfungen fortgesetzt und weitere Daten generiert wurden.

Im Wesentlichen haben wir zwei Dinge optimiert: Wir haben den Arzneimittelentwicklern dazu geraten, bestimmte Phasen der klinischen Prüfung zu kombinieren, und wichtige nichtklinische Untersuchungen vor der Erstanwendung der Covid-­Impfstoffe durchzuführen, weniger wichtige Untersuchungen parallel zur ersten klinischen Prüfung. Das hat mit dazu geführt, dass die Entwicklungsdauer der Impfstoffe, die üblicherweise bis zu zehn Jahre oder länger dauert, verkürzt werden konnte.
Ein Medium fasste unsere Vorgehensweise mit „Schneller, aber sicher“ zusammen. Das umschreibt unsere Vorgehensweise ganz gut. Außerdem hat uns das Bundesministerium für Gesundheit dankenswerterweise dabei unterstützt, befristet zusätzliches Personal einzustellen.

Werden Sie die optimierten Verfahren auch in Zukunft anwenden?

K. Cichutek: Darüber wird viel diskutiert. Grundsätzlich geht der Weg dahin, mehr sogenannte adaptive klinische Prüfungsdesigns zu verwenden. Gerade im Bereich der Therapeutika kann es passieren, dass Sie vor dem Start oder im Verlauf einer bereits genehmigten klinischen Prüfung neue Erkenntnisse gewinnen und daraufhin relativ schnell das Design dieser klinischen Prüfung ändern wollen.

 

„Grundsätzlich geht der Weg dahin,
mehr sogenannte adaptive klinische Prüfungsdesigns
zu verwenden.“

 

 

Diese Möglichkeit werden wir sicherlich beibehalten. Aber auch sonst können wir das, was wir in der Pandemie geleistet haben, auf andere Verfahren anwenden, sofern wir die entsprechende personelle Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Davon hängt das Ganze ab.

Welche Signale erhalten Sie dazu?

K.Cichutek: Die politische Unterstützung durch die neue Bundesregierung sehen wir durchaus. Die haushalterische Unterstützung bleibt abzuwarten, weil diese Gespräche erst noch geführt werden. Grundsätzlich sehen wir sowohl in der Öffentlichkeit wie auch in den entsprechenden politischen Ressorts großes Interesse an unserer Arbeit.

Worauf liegt Ihr aktueller Fokus?

K. Cichutek: Insbesondere bei Impfstoffen arbeiten wir eng mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) und mit den entsprechenden Fachabteilungen zusammen, bei kritischen Angelegenheiten mit der Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit. Derzeit liegt ein starker Fokus auf der Erfassung und Bewertung von möglichen Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe. Das gilt ebenso auch für neutralisierende Antikörper und andere Therapeutika im Bereich Covid, damit wir im Bedarfsfall schnell Maßnahmen für die Risikoreduktion ergreifen können. Ein Beispiel: Am Anfang der Pandemie hatten wir bei einem Adenovirus-­Vektorimpfstoff gegen Covid-19 früh erkannt, dass es zu Sinusvenenthrombosen kommen kann, und hatten daraufhin angeregt, die Impfkampagne kurzfristig und bis zur Klärung zu unterbrechen, was dann auch passiert ist. Letztlich hat die Ständige Impfkommission (STIK­O) auf unseren Hinweis hin die entsprechende Impfempfehlung geändert, denn es handelt sich um ein altersabhängiges Risiko. Dies zeigt, wir werden schnell aktiv und können so mögliche Risiken reduzieren. Wobei die Erfahrung inzwischen zeigt, dass die Impfstoffe, die wir haben, sicher und hochwirksam sind. Dafür sollten wir sehr dankbar sein.

Zu den Leitprinzipien des PEI zählen insbesondere Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und Transparenz. Haben Sie diese Kriterien in den vergangenen beiden Jahren wahren können, oder sind Sie von verschiedenen Seiten auch mal unter Druck geraten?

K. Cichutek: Wir sind nicht unter Druck geraten. Gerade in Bezug auf Verschwiegenheit muss man wissen, dass wir schon immer viele Daten von Unternehmen und akademischen Entwicklern zu Arzneimitteln und Impfstoffen erhalten. Darunter sind natürlich viele geheimhaltungsbedürftige Informationen. Bei den Verdachtsfallmeldungen ist es notwendig, dass wir diese Daten in anonymisierter Form erhalten oder verarbeiten, so dass Dritte keine Rückschlüsse auf die betroffenen Personen ziehen können. Dem sind wir verpflichtet, das entspricht unserem Auftrag. Wir sind ein wissenschaftliches Institut mit wissenschaftlichen Aufgaben. Da ist es selbstverständlich, dass wir wissenschaftliche Standards anwenden, unter anderem damit es zu keiner Verzerrung unserer Bewertungen kommt.

Mehr als zwei Jahre Pandemieerfahrung haben gezeigt, dass die Akzeptanz für Impfungen in der Gesellschaft Grenzen hat. Wie sehen Sie das als Wissenschaftler, der ganz vorne bei der Bewertung und Zulassung dieser Impfstoffe tätig ist?

K. Cichutek: Ich glaube, wir sind alle die Pandemie leid. Ich würde mir wünschen, dass wir einen Zustand erreichen, bei dem wir die Pandemie unter Kontrolle haben.
Natürlich nehmen wir wahr, dass es neben allem Zuspruch für die Aktionen zur Pandemiebekämpfung auch Kritik gibt von Leuten, die meinen, dass wir keine vollständigen Informationen geben. Gerade in Bezug auf die vierte Impfung hört man aus der Bevölkerung, dass einige es überdrüssig sind, sich turnusmäßig im­pfen zu lassen. Aber wir lernen ja alle neu, wie sich das Virus verhält und wie wir uns darauf einstellen können.
Wir können nicht davon ausgehen, dass das Virus vollständig verschwindet. Ich hoffe, dass es uns gelingt, durch periodische Impfungen einen Zustand zu erreichen, in dem aus der Pandemie nur noch eine Epidemie oder gar Endemie wird.
Vielleicht schaffen wir es, mit breiter wirkenden Impfstoffen ein Verfahren zu implementieren, wie wir es von der Influenza-Impfung gewohnt sind. Dazu benötigen wir Impfstoffe, die auch gegen neue Varianten wirksam sind. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, dass es den Herstellern mit unserer Beratung gelingt, für den Herbst Zulassungen für wirksame Impfstoffe gegen mehrere Varianten zu erhalten.

Sehen Sie das Coronavirus beziehungsweise Viren generell als die große gesundheitliche Herausforderung für die Zukunft?

K. Cichutek: Pandemien können auch in Zukunft auftreten. Aber wir sollten gewappnet sein. Wir müssen uns noch besser vorbereiten, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Dazu hat das Bundesministerium für Gesundheit beim Paul-Ehrlich-­Institut das Zentrum für Pandemie-­Impfstoffe und -Therapeutika eingerichtet, das ZEPAI. Derzeit ist das ein zeitlich befristetes Projekt. Unser Ziel ist es, damit in Zukunft besser auf neue Pandemien reagieren zu können.

Wie soll das konkret aussehen?

K. Cichutek: Indem wir zum Beispiel Impfstoffe für neue oder neu auftretende Erreger schneller bereitstellen. Indem wir Produktionsstätten und die benötigten Materialien zur Herstellung von Pandemieimpfstoffen bereithalten. Außerdem geht der Trend dahin, wichtige Produktionen in Europa oder in Deutschland anzusiedeln, damit wir bei einer globalen Bedrohung weniger abhängig sind vom Pandemiegeschehen in entfernten Ländern.

 

 

„Der Trend geht dahin, wichtige Produktionen in Europa
oder in Deutschland anzusiedeln,
damit wir bei einer globalen Bedrohung weniger abhängig sind
vom Pandemiegeschehen in weit entfernten Ländern.“

 


Die Einrichtung des ZEPAI ist ein erster Schritt dorthin. Das müssen wir fortsetzen. Auch bei der Forschung müssen wir noch mehr tun. Unser Ziel sollte es auf mittlere Sicht sein, einen Universalimpfstoff zu entwickeln, der gegen verschiedene SARS-CoV-2-Varianten wirkt. Das wird aber noch etwas dauern, so etwas haben wir auch gegen Influenza noch nicht.

Was können moderne Technologien wie mRNA, Zell- und Gentherapien, aber auch KI, zur Überwindung der Herausforderungen leisten?

K. Cichutek: Das sind sehr wichtige neue Attribute. Am Paul-Ehrlich-Institut haben wir seit Jahrzehnten eine Abteilung für Zell- und Gentherapeutika eingerichtet. Wir haben uns mit DNA- und RNA- und Vektor-Impfstoffen befasst und sind hier gut aufgestellt. Bei den Antikörpern sehen wir, dass gerade im Bereich der sogenannten Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf- oder neurologischen Erkrankungen und Krebs neue Antikörper, bifunktionale Antikörper und kleinere Antikörpermodule in der Entwicklung sehr gute Fortschritte zeigen. Wir haben auch ein Programm, in dem wir uns damit befassen, wie wir künstliche Intelligenz besser beurteilen und sie bei der Bewertung von Impfstoffen und Therapeutika einsetzen können. Die Entwicklung eines HIV-Impfstoffs, die bislang nicht richtig vorankommt, könnte durch die Anwendung der RNA-Technologie einen neuen Schub erhalten.

Sie üben die Funktion als PEI-Präsident seit 2009 aus. Wie lange werden Sie dem Institut noch erhalten bleiben?

K. Cichutek: Meine Präsidentschaft beim Paul-Ehrlich-Institut ist bereits um ein Jahr über die Pensionsgrenze verlängert worden, da noch ein paar Dinge geordnet werden müssen. Es wäre nicht gut gewesen, ausgerechnet in der Pandemie einen Leitungswechsel vorzunehmen. Auch nach meiner Zeit als Präsident wird es sicher noch ein paar Aufgaben geben, die ich in der Wissenschaft wahrnehmen werde.

Das Interview mit PEI-Präsident Klaus Cichutek führte Thorsten Schüller.

ZUR PERSN
Klaus Cichutek (66) absolvierte sein Promotionsstudium im Fach Biochemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Anschließend forschte er drei Jahre an der University of California, Berkeley, USA, ehe er 1988 seine Karriere als Wissenschaftler am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) begann. Nach Tätigkeiten als Forschungsgruppen- und Abteilungsleiter wurde er Ende 2009 zum Vizepräsidenten und im Dezember 2009 zum Präsidenten des PEI ernannt. Cichutek ist außerplanmäßiger Professor für Biochemie an der Johann-Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/Main und Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Fachgremien. Zudem ist er Autor von über 150 Publikationen in internationalen Wissenschaftsjournalen.

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