Chemie & Life Sciences

Sandoz-Deutschland-Chef: „Mit der Ökonomisierung völlig übertrieben.“

24.01.2024 - Thomas Weigold, Country President Germany des Arzneimittelherstellers Sandoz, kritisiert den anhaltenden Preisverfall auf dem deutschen Generikamarkt. Er plädiert dafür, dass die Bundesregierung die Medikamentenhersteller finanziell unterstützt, um Produktion hierzulande zu halten.

Nach der Trennung von Novartis will sich der Baseler Pharmakonzern Sandoz noch stärker auf die Bedürfnisse des Generikamarkts ausrichten. Der befindet sich nach den Worten von Thomas Weigold, Country President Sandoz Germany, hierzulande allerdings in einem kritischen Zustand, geprägt von niedrigen Preisen und geringen Margen. Im Gespräch mit Thorsten Schüller plädiert Weigold für attraktivere Rahmenbedingungen und finanzielle Unterstützung durch den Staat, um Produktion in Deutschland zu halten.

CHEManager: Herr Weigold, in welchem Zustand befindet sich das deutsche Gesundheitssystem?

Thomas Weigold: Ich habe viele Jahre in verschiedenen Ländern gearbeitet. Dabei erkennt man, dass es kein perfektes System gibt. Generell ist das deutsche Gesundheitssystem robust aufgestellt, es zeigt aber zunehmend Risse.

Woran machen Sie das fest?

T. Weigold: An den Arzneimittelengpässen. Die kommen im Jahresverlauf immer wieder vor, zeigen sich aber besonders drastisch bei Erkältungs- oder Allergiewellen. Dann manifestiert sich die Mangelsituation. Vor allem, wenn es vulnerable Gruppen wie Kinder, Ältere oder Menschen mit Krebs trifft, kommt zum Vorschein, dass das System am Ende ist.

Ist das ein grundsätzliches Problem?

T. Weigold: Wir haben ganz klar ein systemisches Problem. Aktuell sind mehr als 500 Medikamente davon betroffen. Die Lieferengpässe erstrecken sich über multiple Unternehmen und über das gesamte Portfolio.

Die Ursachen sind die üblichen Verdächtigen: niedrige Preise für Generika einerseits und die Kostenstruktur für die Unternehmen andererseits?

T. Weigold: Auf der einen Seite gibt es die forschenden Unternehmen. Die haben eigene Rahmenbedingungen, die nötig sind, um den Forschungsstandort Deutschland zu stärken. Auf der anderen Seite gibt es die medizinische Grundversorgung, die durch die Generikaindustrie abgedeckt wird.

Dieser Bereich umfasst 80 % aller Medikamente. Wir bei Sandoz decken allein rund 20 % der Grundversorgung in Deutschland ab. Bei der Finanzierung dieser Segmente gibt es allerdings ein Missverhältnis. In Deutschland gehen 92 % des Medikamentenbudgets in die forschende Pharmaindustrie. Dagegen werden nur 8 % für die 80 % Grundversorgung ausgegeben. Im europäischen Durchschnitt liegt die Aufteilung bei 70 zu 30. In Deutschland hat man es mit der Ökonomisierung der medizinischen Grundversorgung völlig übertrieben. Unglücklicherweise geht dieser Prozess ungebremst weiter. Das bereitet uns große Sorgen.

Was meinen Sie mit Ökonomisierung?

T. Weigold: Dabei geht es um zwei Dinge. Das eine ist die Inflation der Produktionskosten, vor allem bei Rohstoffen und Energie. Diese Kosten gehen tendenziell nach oben, insbesondere in Deutschland. Bei vier Produktionsstandorten in Deutschland spüren wir das sehr.

Auf der anderen Seite geht der Preisverfall für Generika ungebremst weiter. Erst Anfang Dezember hat der GKV-Spitzenverband mitgeteilt, dass die Preise für bestimmte Antibiotika nochmal drastisch reduziert werden sollen, unter anderem für Amoxicillin/Clavulansäure. In dieser Situation müssen alle Generikahersteller durchrechnen, ob sie da noch mitmachen können. Für uns erschließt sich jedenfalls nicht, wieso in einer Situation von Engpässen die Preise noch weiter reduziert werden sollen.

Dringt die Generikaindustrie mit ihren Argumenten bei den Kassen und in der Politik nicht durch?

T. Weigold: Wir machen ja darauf aufmerksam, dass diese Geiz-ist-geil-Mentalität Folgen hat und die Industrie darauf reagieren muss. Die Rahmenbedingungen werden in Deutschland rapide schlechter, Unternehmen können ihr Geschäft nicht mehr nachhaltig betreiben. Deswegen gibt es immer weniger Anbieter für bestimmte Produkte. Es wäre gut, wenn man jetzt mal die Vernunftsbremse ziehen, sich gemeinsam an einen Tisch setzen und diskutieren würde, wie für die Unternehmen wieder attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden können.

 

"Wir machen darauf aufmerksam,
dass diese Geiz-ist-geil-Mentalität Folgen hat"

 

Immerhin hat das Bundeskabinett gerade eine neue Pharmastrategie beschlossen.

T. Weigold: Die Pharmastrategie ist ein erster guter Impuls in die richtige Richtung. Allerdings sind die angekündigten Schritte keinesfalls ausreichend, um die Versorgung zu stabilisieren und das Lieferengpass­problem zu bekämpfen.

Darüber hinaus hat das Bundesgesundheitsministerium bei Kinder-Arzneimitteln die Festbeträge abgeschafft.

T. Weigold: Da ist mal etwas Gutes passiert. Andererseits betrifft das nur 1 % von den Grundversorgungsmedikamenten. Was ist denn mit Diabetes? Was mit Asthma und mit Krebs? Bei all diese Erkrankungen wurde überhaupt nicht berücksichtigt, dass es auch dort Engpässe gibt. Außerdem hat man mit dem Lieferengpassbekämpfungsgesetz, kurz ALBVVG, im nationalen Alleingang festgelegt, dass die Hersteller jetzt einen Sicherheitspuffer von sechs Monaten anlegen müssen.

 

"Wir produzieren praktisch alle an der Kapazitätsgrenze.
Mehr geht nicht."

 


Wir produzieren praktisch alle an der Kapazitätsgrenze. Mehr geht nicht. Trotzdem sollen die Generikahersteller jetzt diese Vorräte anlegen. Das heißt, dass man Produktion aus Nachbarländern abziehen muss, um in Deutschland Lager zu befüllen. Im Übrigen weiß ich gar nicht, wo wir diese unvorstellbare Menge an Lagerplatz finden sollen.

Wie schaffen Sie es, trotz dieser Bedingungen wirtschaftlich zu produzieren?

T. Weigold: Wir haben als Indus­trie teilweise hauchdünne Margen auf ein hohes Volumen. Die Menge macht das Ganze für uns zwar nachhaltig. Aber wenn die Kosten hoch- oder die Preise weiter runtergehen, lohnt sich das schnell nicht mehr.
Darüber hinaus kann ein größeres Unternehmen wie wir Investitionen in Effizienzsteigerungen leichter tätigen als eine mittelständische Firma. Nehmen Sie unseren österreichischen Standort in Kundl. Dort stellen wir Antibiotika her. Vor ein paar Jahren standen wir dort vor der Situation: Entweder, wir verlagern die Produktion nach Asien, um dort kostengünstiger zu produzieren, oder wir investieren in Kundl, um die Effizienz zu steigern. Wir haben Letzteres gemacht. Damit konnten wir die Kosten so weit drücken, dass wir wieder in einem konkurrenzfähigen Bereich sind. Heute ist in Kundl der einzige Standort in Europa mit einer komplett vertikal integrierten Penicillin-Produktion. Wir machen dort alles von der Rohstoffproduktion bis zum fertigen Arzneimittel, verpackt und bereit für den Verkauf in der Apotheke.

Allerdings wurden Sie vom österreichischen Staat mit 50 Mio. EUR gefördert.

T. Weigold: Das fehlt mir in Deutschland komplett. Wir haben hier Standorte, die Krebs-, Asthma- und Notfallmedikamente produzieren. Da gibt es aber keine Diskussion, wie man die Produktion halten kann.

Sie plädieren also dafür, dass die Bundesregierung die generische Pharmaindustrie stärker unterstützt?

T. Weigold: Die Preise sind mittlerweile so weit gedrückt worden, dass wir finanziell attraktive Rahmenbedingungen brauchen, um Produktion hier zu halten und damit bis zu einem gewissen Grad unabhängig von anderen Regionen zu sein.

In welchem Umfang sollten Generikahersteller in Deutschland gefördert werden?

T. Weigold: Hier muss man je nach Standort genau hinschauen. Es gibt Werke mit einer energieintensiven Produktion. Dort würde ein subventionierter Industriestrompreis helfen. In anderen Fällen möchte man vielleicht einen Standort halten. Da kann eine finanzielle Unterstützung sinnvoll sein. Außerdem glaube ich, dass man auch grundsätzlich an das System herangehen muss. Man müsste einfach mal wieder mehr Geld in die Hand nehmen. Die Grundversorgung, zu der die ständige Verfügbarkeit von Notfall- und anderen essenziellen Medikamenten gehört, hat eben auch einen gewissen Grundpreis. Den haben wir teilweise unterschritten.

Neben klassischen Generika bauen Sie Ihr Biosimilargeschäft zunehmend aus. Wo stehen Sie da?

T. Weigold: Bei Biosimilars sind wir in Europa und Deutschland mit Abstand Marktführer. Diese Arzneimittel sind technologisch wesentlich anspruchsvoller, dafür brauchen sie wirkliche Expertise. Wir haben im März 2023 die Absichtserklärung zum Bau einer neuen Produktionsanlage für Biosimilars in Slowenien in Höhe von 400 Mio. USD unterzeichnet. Außerdem haben wir 25 Mio. EUR in ein neues Biosimilar-Entwicklungszentrum am Standort Holzkirchen investiert.

Wieso hier?

T. Weigold: Biotech-Entwicklungen kann man in Deutschland sehr gut machen. Sie brauchen dafür ein gut funktionierendes Umfeld und die Köpfe – beides finden wir hier.

Und die Margen sind dicker als im „hauchdünnen“ Generikageschäft?

T. Weigold: In Deutschland haben wir auch bei den Biosimilars Rabattverträge. Vernünftigerweise hat man da erkannt, dass sich eine Investition für die Unternehmen auch lohnen muss. Im Gegensatz zu Generika hat man es bei Biosimilars mit der Ökonomisierung also noch nicht übertrieben. Ich hoffe, dass wir da auch nicht hinkommen, denn das wäre katastrophal. Immerhin handelt es sich um Medikamente, auf die wir in keinem Fall verzichten wollen. Wir reden hier über Autoimmunerkrankungen, schwerste Krebserkrankungen oder Diabetes.

Wie ist bei Ihnen aktuell die Umsatzrelation Generika versus Biosimilars?

T. Weigold: Biosimilars machen 30 bis 40 % unseres Geschäfts aus. Der andere Teil ist das Volumengeschäft mit Generika und OTCs. Bei den Biosimilars sehen wir eine riesige Chance. In den nächsten fünf bis sieben Jahren werden über 100 biologische Medikamente ihr Patent verlieren. Da tut sich für uns ein sehr großer Markt auf. Wir haben bei Sandoz 25 neue Biosimilars in der Pipeline. In Deutschland werden wir 2024 neue Produkte einführen. Damit wird der Anteil der Biosimilars an unserem Gesamtgeschäft künftig noch größer werden.

Wie groß?

T. Weigold: Die Hälfte ist durchaus wahrscheinlich. Vor allem der US-amerikanische Markt bietet großes Potenzial. Biosimilars sind dort noch nicht so verbreitet wie in Europa. Andererseits sind die Preise für Arzneimittel dort deutlich höher als in Europa. Wenn Biosimilars dort stärker zum Einsatz kommen, hätte das nicht nur einen großen Einfluss auf die Kostenstruktur im US-Gesundheitswesen, sondern auch für uns.

Ihr Unternehmen ist nach der Abspaltung von Novartis nun seit einigen Monaten eigenständig. Was ändert sich damit bei Ihnen?

T. Weigold: Erstmal war es ein guter Schritt, zu sagen, dass ein forschendes Pharmaunternehmen andere Rahmenbedingungen braucht als eine Generikafirma, die die Grundversorgung abdeckt. Mit der Trennung haben wir zunächst sichergestellt, dass wir alleine arbeiten können, ohne dass etwas passiert. Jetzt machen wir den zweiten Schritt und richten uns noch mehr auf die Bedingungen des Generikageschäfts aus. Wir schauen uns an, was wir brauchen, um effizient und schnell zu sein und um die Kostenstrukturen abzubilden, die das Marktumfeld erfordert. Wir fragen uns: Wie können wir agiler werden? Können wir mehr digitalisieren? In diesen Prozessen sehen wir eine große Chance. Darüber hinaus halten wir immer Ausschau nach Deals, also nach potenziellen Partnerschaften und Produkten. Es wird ja nicht alles bei uns entwickelt.

Heißt mehr Effizienz auch, die Zahl der Beschäftigten zu reduzieren?

T. Weigold: Jedes Unternehmen muss regelmäßig evaluieren, wie es die Marktbedingungen abbildet. Je unattraktiver der Markt, desto stärker muss man in die Bücher schauen, sich fragen, ob die eigene Struktur noch zu den Rahmenbedingungen passt und gegebenenfalls diese anpassen.

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ZUR PERSON
Thomas Weigold ist seit Januar 2023 Country Head Sandoz Deutschland und CEO von Hexal mit Sitz in Holzkirchen. Zuvor war der studierte Betriebswirt ab August 2020 Country Head von Sandoz Polen. Seit 1999 war er in verschiedenen Positionen für den Schweizer Pharmakonzern Novartis tätig, darunter in internationalen Führungspositionen. Im April 2023 wurde Weigold in den Vorstand des Branchenverbands „Pro Generika“ gewählt.

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