Chemie & Life Sciences

„Wir wollen konsolidieren, nicht konsolidiert werden”

Wolfgang Wienand, CEO von Siegfried, über die Wachstumspläne des Schweizer Arzneimittel-Auftragsproduzenten

17.05.2023 - Das Geschäft von Entwicklungs- und Synthesedienstleistern (CDMOs) für die Pharmaindustrie hat eine vielversprechende Zukunft, da ist sich Wolfgang Wienand, CEO der Schweizer Siegfried AG, sicher.

Das Geschäft von Entwicklungs- und Produktionspartnern (CDMOs) für die Pharmaindustrie hat eine vielversprechende Zukunft, da ist sich Wolfgang Wienand, CEO der Schweizer Siegfried-Gruppe, sicher. Wenngleich das gerade 150 Jahre alt gewordene Unternehmen bereits eine bedeutende kritische Größe innerhalb seiner Branche hat, steuert Wienand die in Zofingen im Kanton Aargau beheimatete Gruppe weiter auf Wachstumskurs. Sein Ziel ist es, künftig einen noch größeren Wertschöpfungsanteil von Pharmaunternehmen zu übernehmen. Thorsten Schüller sprach mit ihm über die Strategie, mit der er dieses Ziel erreichen will.

CHEManager: Herr Wienand, was zeichnet aus Ihrer Sicht eine gute CDMO aus? 

Wolfgang Wienand: Das ist eine Kombination aus verschiedenen Erfolgsfaktoren. Es geht um Technologie, Kapazität, regionale Präsenz, wettbewerbsfähige Kosten, um nur einige zu nennen. Der wichtigste Faktor ist allerdings Vertrauen. Das ist im Geschäftsleben natürlich immer so, gilt aber in besonderem Maße zwischen einem Pharmaunternehmen und einer CDMO. Zum einen, weil die Produkte, die wir herstellen, letztlich im menschlichen Körper landen. Damit ist die Erwartungshaltung hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit verständlicherweise besonders hoch. 

Es gibt aber auch einen kommerziellen Aspekt. Während ein Produkt, das wir für einen Kunden herstellen, bei uns vielleicht einen Umsatz von mehreren zehn Millionen Euro bringt, kann es beim Kunden für Umsätze in Milliardenhöhe stehen. Das heißt, wenn wir nicht liefern, ist das zwar für uns sicher nicht gut, für unsere Kunden ist es aber ungleich schlimmer, weil ihnen dadurch hunderte Millionen oder gar Milliarden Euro an Umsatz verloren gingen. 

Da sich solche Risiken vertraglich kaum abbilden lassen, läuft es für ein Pharmaunternehmen letztlich auf die einfache Frage hinaus: Vertraue ich diesem Unternehmen? Vertraue ich diesen Leuten und darauf, dass sie aufstehen und liefern, was sie versprochen haben? Dieses Vertrauen mit Taten und durch konsistente Leistung zu unterfüttern, ist entscheidend, wenn Sie ein strategischer Partner sein und erfolgreich in den attraktivsten Segmenten des CDMO-Markts agieren wollen.

 

„Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, im Top-Segment des CDMO-Markts mitzuspielen.“
 

Wie stellen Sie dieses Vertrauen her?

W. Wienand: Unter anderem durch eine immer wieder nachgewiesene Erfolgsbilanz und durch kritische Größe. Letztere sorgt dafür, dass wir auf der finanziellen Seite über ein hohes Maß an Stabilität verfügen und nicht beim ersten Windstoß umfallen. Von Vorteil ist außerdem unsere globale Präsenz, um Kunden in allen relevanten Märkten versorgen und begleiten zu können. Da wir mehrere gleichwertige Standorte haben, sind wir in der Lage, innerhalb des Siegfried-Netzwerks Dual Sourcing anzubieten, also die Herstellung eines Produktes an zwei oder mehr unterschiedlichen Standorten sicherzustellen. Damit bieten wir Redundanzen im Netzwerk und verfügen über Flexibilität auf der Kapazitätsseite.

Mit einem Jahresumsatz von 1,2 Mrd. CHF und Standorten in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Spanien und Malta sowie den USA und China haben Sie diese kritische Größe offenbar erreicht. Welche anderen Faktoren spielen eine Rolle? 

W. Wienand: Vertrauen ist von fundamentaler Bedeutung, reicht aber natürlich allein nicht aus, wenn man im attraktivsten CDMO-Segment mitspielen will. Deshalb gibt es eine ganze Reihe weiterer wichtiger Faktoren. Dazu gehört eine breite Technologiepalette, also die Fähigkeit, dem Kunden für all seine Probleme eine Lösung anbieten zu können, welches auch immer das sein mag. Als CDMO muss man in der Lage sein, die gesamte Klaviatur chemischer Technologien zu beherrschen. Andernfalls hat der Kunde am Ende eine fragmentierte Lieferkette, bei der eine CDMO nur einen oder zwei Schritte ausführt, ehe eine andere CDMO weitere Aufgaben übernehmen muss.

Welchen Stellenwert haben die Aspekte Qualität und Kosten? 

W. Wienand: Preis ist in unserem Markt nicht alles. Natürlich will der Kunde zu wettbewerbsfähigen Preisen beliefert werden. Preis ist aber ein relativer Wert, Qualität hingegen ist absolut. Man muss über Jahrzehnte nachgewiesen haben, dass man die Herstellung sicherer und qualitativ hochwertiger Wirkstoffe oder Arzneimittel wirklich beherrscht. Die Herausforderung, die nur die wenigsten führenden CDMOs meistern, besteht darin, alle diese Kriterien zu erfüllen, nicht nur ein paar. Dann, und nur dann, qualifizieren sie sich als vertrauenswürdiger, strategischer Partner, dem die Pharma­industrie ihre wertvollsten Innova­tionen zur Herstellung anvertrauen.

Sie sind einer der wenigen Zulieferer, die sowohl die Produktion von Wirkstoffen als auch von Fertigarzneimitteln unter einem Dach anbieten. Welchen Vorteil bietet das Ihren Kunden?

W. Wienand: Die Synergien zwischen diesen beiden Segmenten in Bezug auf Anlagen, Technologie und Qualifikationen des Personals sind begrenzt. Dagegen ist die Integration dieser Aktivitäten in den Händen eines einzigen Anbieters für unsere Kunden ein sehr attraktives Angebot. Indem wir einen solch großen Teil der Wertschöpfung für unsere Kunden übernehmen, reduzieren wir die Komplexität der Supply Chain auf der Kundenseite enorm. Das beinhaltet nicht nur die Herstellung von Wirkstoffen und fertigen Darreichungsformen für unsere Kunden, sondern auch das Management der Lieferkette und ein einheitliches Qualitätsmanagementsystem. 

Ist die Kombination aus Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln das CDMO-Modell für die Zukunft? 

W. Wienand: Davon sind wir überzeugt. Im Grunde nehmen wir mit unserem integrierten Ansatz das künftige Modell unserer Industrie, wie wir es in der Zukunft erwarten, vorweg. Wir glauben, dass große CDMO-­Unternehmen wie Siegfried für die Pharmakunden in fünf bis zehn Jahren einen noch größeren Teil der pharmazeutischen Wertschöpfung übernommen haben werden. Das wird sowohl die Entwicklung und Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe als auch fertiger Darreichungsformen umfassen. Wir wollen und werden unsere Kunden bei der Lösung möglichst vieler Aufgaben unterstützen.

 

„Vertrauen ist von fundamentaler Bedeutung.“
 

Die Herausforderungen für CDMOs sind groß: Intensiver Wettbewerb, Kostendruck, ständige technologische Fortschritte, Konsolidierung – wie reagieren Sie auf dieses anspruchsvolle Umfeld?

W. Wienand: Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, im Top-Segment des CDMO-Markts mitzuspielen. Dort sehen wir die größte Chance, uns zu differenzieren und die nötigen Returns zu erwirtschaften. Das war und ist unser strategisches Ziel. Das haben wir im vergangenen Jahrzehnt Schritt für Schritt über organisches Wachstum und Akquisitionen geschafft und sind jetzt die Nummer fünf oder sechs in unserem Markt. 

Und Sie wollen noch weiter wachsen. Welche Rolle wird Siegfried in den kommenden Jahren bei der Konsolidierung der CDMO-Branche einnehmen? 

W. Wienand: Wir wollen in der Spitzengruppe bleiben. Und weiter aufsteigen. Wir wollen ein großer Fisch sein und konsolidieren, nicht ein kleiner Fisch sein und konsolidiert werden. Das ist unser Anspruch, darauf ist unsere Strategie ausgerichtet. Um dies zu erreichen, haben wir den nötigen Willen, die Ideen, das Know-how und die notwendigen finanziellen Mittel.

Wieviel Geld können Sie dafür aufbringen? 

W. Wienand: Ohne das Kapital erhöhen zu müssen, ungefähr eine halbe Milliarde Franken. 

Sie sind stark im Bereich Small Molecules unterwegs und betonen immer wieder, wie wichtig diese für Sie sind. Werden Sie Akquisitionen dazu nutzen, sich zu diversifizieren und beispielsweise mehr Gewicht auf Biologics zu legen? 

W. Wienand: Im Bereich Mergers & Acquisitions wie auch bei organischen Investitionen gehen wir in drei Richtungen vor. Zum einen ist es Teil unserer Strategie, uns dort weiter zu stärken, wo wir bereits stark sind, sei es organisch oder durch Akquisitionen. Zum anderen werden wir unser breites Technologieportfolio weiter ergänzen. Ich denke hier an Partikeltechnologien wie Mikronisierung, Lyophilisierung oder Sprühtrocknung. Gleiches gilt für Drug Delivery-Plattformen im Bereich der pharmazeutischen Formulierung. 

Das dritte Handlungsfeld betrifft den Eintritt in CDMO-Marktsegmente, in denen wir heute noch nicht tätig sind. Es ist gut vorstellbar, dass wir in den Bereich der biologischen Wirkstoffe wie Proteine oder Antikörper einsteigen. Das würden wir aber höchstwahrscheinlich nicht organisch aufbauen, sondern durch eine Akquisition. Hinzu kommt die Zell- und Gentherapie, also die vorderste Front medizinischer Therapien. Auch hier können wir uns eine Investition vorstellen, weil wir glauben, dass dieses Segment für Siegfried sehr attraktiv sein kann.

Sind Sie zuversichtlich, dass die Pharmaindustrie die Dienste der CDMOs auch in Zukunft weiterhin braucht? Oder ist es möglich, dass der Trend wieder zu mehr interner Produktion bei Big Pharma gehen könnte? 

W. Wienand: Ich halte die grundlegende ökonomische Logik des CDMO-­Modells für sehr schlüssig und überzeugend. Sie beruht auf der Tatsache, dass Pharmaunternehmen ihr Geld in Innovationen und neue Therapien und nicht in Maschinen und Gebäude investieren wollen. Solange sie also einen zuverlässigen, fähigen und qualitativ hochwertigen Partner finden und der Herstellungsprozess ausreichend gut beschrieben, spezifiziert und kontrolliert werden kann, besteht für Pharmaunternehmen ein starker Anreiz, nicht in eigene Kapazitäten zu investieren, sondern auszulagern. Das erwarten im Übrigen auch die Investoren von Pharmafirmen. 

Darüber hinaus können wir als große CDMO unter dem Gesichtspunkt der Diversifizierung etwas tun, was selbst Big Pharma nicht kann: Pharmaunternehmen können ihre Produktionsanlagen im Wesentlichen nur für ihre eigenen Produkte nutzen. Damit ist das Produktionsportfolio selbst für große Pharmafirmen begrenzt. Das hat ein erhebliches Risiko der Unterauslastung oder sogar der Abschreibung teurer Anlagen zur Folge, wenn ein wichtiges Produkt ausfällt und die Mengen verschwinden. 

Wir als große CDMO hingegen können zu jedem Pharmaunternehmen der Welt gehen und so bei uns ein sehr viel größeres Portfolio an Projekten und Produkten aufbauen. Diese sind jedes für sich natürlich auch risikobehaftet, aber die einzelnen Risiken sind in unserem sehr viel größeren Portfolio sehr viel besser diversifiziert, was ein deutlich geringeres Risiko von Unterauslastung und Leerkosten zur Folge hat. Letztlich führt dies zu einer höheren Kapitaleffizienz beim CDMO im Vergleich zur Eigenproduktion beim Pharmaunternehmen. Dieser wirtschaftliche Nutzen ist für unsere Kunden greifbar und real. Deshalb bin ich so zuversichtlich, dass das CDMO-Geschäftsmodell mit seiner robusten ökonomischen Logik weiterhin florieren wird.

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Zur Person

Wolfgang Wienand (51) ist seit 2010 für die Siegfried-Gruppe tätig, seit 1. Januar 2019 ist er Vorstandsvorsitzender (CEO). Vor seinem Wechsel zu Siegfried arbeitete er in leitenden Positionen bei Evonik. Wienand studierte Chemie an der Universität Bonn und promovierte an der Universität Köln. Darüber hinaus hat er einen Executive Master in International Finance der École des Hautes Études Commerciales (HEC), Paris. 

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