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Zukunftsbild nachhaltiger Industrieparks

Sprout-Consulting sieht für Deutschlands Chemieparks attraktive Chancen zur Neupositionierung

14.06.2023 - Die Aussicht auf eine Deindustrialisierung Deutschlands setzt das Geschäftsmodell Industriepark zunehmend unter Druck. Dabei ließe sich Zukunft auch ganz anders denken.

Stellen Sie sich die Industrieparks als lebendige Knotenpunkte inmitten der globalen Netzwerke von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vor. Mit ihrer außergewöhnlichen Konzentration von Fähigkeiten, Wissen und Innovationskraft ziehen sie Unternehmen, Investoren und Fachkräfte aus aller Welt an. Hier werden in gewinnbringenden Kooperationen Produkte, Verfahren und Dienstleistungen entwickelt, die einen signifikanten Beitrag zur Lösung transformativer Herausforderungen bieten und zentrale Funktionen in den neu entstandenen globalen Wertschöpfungsketten einnehmen.

Auch regional sind die Chemieparks dank ihrer moderierenden Rolle zwischen den unterschiedlichen Anspruchsgruppen gefragte Partner des nachhaltigen Wandels. Mit ihren effizienten Energie- und Wertstoffkreisläufen tragen sie entscheidend zur Erreichung der Klimaziele von Städten, Ländern und Kommunen bei und auch im Wettbewerb um Arbeitskräfte und Einwohner kommt ihnen als fortschrittlicher grüner Arbeitsstandort eine entscheidende Rolle zu. Die Industrieparks in Deutschland gelten weltweit als Vorbild für die ökonomisch erfolgreiche, nachhaltige Transformation des Chemiesektors und als Aushängeschild von Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit. Sie fragen sich, wie wir das hätten schaffen können?

Die Zukunft wird anders – ob wir wollen oder nicht

Seit die EU 2019 mit dem European Green Deal ihren Aktionsplan zur massiven Senkung des europäischen C02-Ausstoßes verabschiedet hat, nimmt der Wandlungsdruck, insbesondere auf die energieintensive chemische Industrie beständig zu. Programme, Richtlinien und Verordnungen, die entwickelt wurden, um das gesetzte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, werden immer weiter ergänzt und verschärft.

Zugleich wächst auf der ganzen Welt das Bewusstsein, dass unsere Wirtschafts- und Lebensweise nicht nur den Klimawandel, sondern eine Menge weiterer existentieller Krisen wie die Verknappung entscheidender Ressourcen, die Zerstörung unseres Lebensraums, den Verlust substantieller Naturleistungen, und die Bedrohung unserer eigenen Gesundheit verursacht hat. Dieses Wissen findet weltweit Eingang in immer mehr politische Initiativen und Entscheidungen. Man kann also davon ausgehen, dass der Transformationsdruck, nicht nur für die chemische Industrie, deutlich ansteigen wird.

Dass die Chemieparks diesen sich verändernden Anforderungen mit ihrem aktuellen Geschäftsmodell gerecht werden können, scheint ausgeschlossen. Schon jetzt führen hohe Energiekosten, Inflation und Sorgen um die Energiesicherheit dazu, dass die Parks im globalen Standortwettbewerb an Attraktivität verlieren und immer mehr Unternehmen mit Abwanderung, z. B. in die durch den Inflation Reduction Act vermeintlich attraktiv gewordenen USA drohen.

Wandel braucht Zukunftsbilder

Dass unter diesen Umständen häufig von einer bevorstehenden Deindu­s­trialisierung Deutschlands die Rede ist, mag nachvollziehbar sein. Die Gefahr, die mit dem beständigen Heraufbeschwören dieses Gespensts für die chemische Industrie und ihre Standorte in Deutschland einhergeht, ist allerdings immens. Denn während der globale Wettbewerb in Innovation und Transformation investiert und die bestehenden Gestaltungsspielräume und Positionierungsmöglichkeiten im Wettlauf grüner Technologien beständig kleiner werden, droht die Aussicht auf den nahen Untergang zur Self-fulfilling Prophecy des Industriestandorts Deutschland zu werden.

Unternehmen, die glauben, in einem sich wandelnden Deutschland keine Chancen zu haben, werden diese Chancen weder suchen noch finden. Eine Gesellschaft, die überzeugt ist, dass die chemische Industrie in Deutschlands Zukunft keinen Platz mehr hat, wird sie weder fördern noch unterstützen wollen. Fachkräfte, Investoren, Forschungsgelder und die Aufmerksamkeit der globalen Öffentlichkeit werden sich dorthin richten, wo Innovationskraft und Zuversicht eine neue Zukunft versprechen und nicht, wo Angst und Ohnmachtsgefühl herrschen.

Dabei gibt es auch in Deutschland etliche Unternehmen, die im Wandel zur Nachhaltigkeit nicht den Anlass zum Exodus, sondern vor allem eine attraktive Chance zur Neupositionierung und Mehrwertgenerierung erkennen. Und gerade Unternehmen und Investoren, die sich die Chancen der grünen Transformation aktiv und gezielt zu Nutze machen wollen, bieten die Industrieparks mit ihrer vielschichtigen Infrastruktur, der einzigartigen Dichte an Wissen, Fähigkeiten und Synergiepotenzialen und der Vielfalt an Materialströmen und Nebenprodukten, eine Menge Potenziale und Wettbewerbsvorteile. Die Zukunft liegt darin, diese zu erkennen, gezielt auszubauen, und möglichst vielen Anspruchsgruppen auf ihrem Weg in eine grüne Zukunft verfügbar zu machen.

Teil der grünen Wertschöpfungskette werden

Die große Chance und Herausforderung eines solchen Vorhabens ist die Vielfalt beteiligter Gruppen, deren Bedürfnisse und Anforderungen im Industriepark zum Teil konkurrierend aufeinander treffen, – und deren diverse Fähigkeiten, Ressourcen und Perspektiven eine erfolgreiche Transformation des Standorts signifikant vereinfachen und beschleunigen können.

Ein erster Schritt muss deshalb sein, die verschiedenen Anspruchsgruppen an einen Tisch zu bringen und gemeinsam ein möglichst umfassendes und klares Bild der bestehenden Sorgen, Bedürfnisse und Herausforderungen zu entwickeln. An Standorten, wo für ein solches Format wenig Offenheit besteht, kann eine neutrale Moderation helfen, die notwendige Transparenz und konstruktiven Austausch zu initiieren.

Auf Basis dieser ganzheitlichen Ist-Betrachtung kann dann ein Zielbild entwickelt werden, das allen Beteiligten echten Mehrwert verspricht und für das es sich lohnt, die Hürden und Investitionen auf dem Weg zur Zielerreichung aktiv anzugehen. Auch hier ist die Einbindung der verschiedenen Stakeholder erfolgsentscheidend. Denn nur, wenn deren individuellen Wünsche und Vorstellungen transparent und vorurteilsfrei kommuniziert werden, können Zielkonflikte und widersprüchliche Interessen frühzeitig erkannt und gelöst werden.

Wenn es gelingt für den Standort ein glaubhaftes Zielbild zu entwickeln und den bevorstehenden Wandel zu einem gemeinsamen Anliegen aller Anspruchsgruppen zu machen, eröffnet das eine Menge neue, lukrative Chancen und Handlungsoptionen, die die Attraktivität des Standorts für alle Beteiligten signifikant erhöht.

Im dritten Schritt gilt es dann, die Handlungsfelder und Themen zu identifizieren, die standortübergreifend eine hohe Motivations- und Strahlkraft besitzen, und für die es entsprechend einfach ist, die benötigten Ressourcen und Fähigkeiten zu mobilisieren. Mit dem richtigen Thema kann ein kleiner Kreis von Mitstreitern die Glaubhaftigkeit und Machbarkeit des Vorhabens unter Beweis stellen und Fortschritte bewirken, mit denen sich weitere Stake­holder gewinnen und aktivieren lassen.

Auf diese Weise wird die Erreichung des gemeinsamen Zielbilds zum Gemeinschaftsprojekt, das schon in der Umsetzungsphase neue langfristige Kooperationen und Partnerschaften befördert, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Standort erhöht und Formen der Zusammenarbeit und Problemlösung etabliert, die die Zukunftsfähigkeit des Chemieparks nachhaltig steigert.

Es liegt an uns, die Zukunft positiv zu gestalten

Das Zukunftsbild von Industrieparks als zentralen Plattformen nachhaltiger Wertschöpfung ist keine Utopie, sondern eine realisierbare und erfolgversprechende Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Die Voraussetzungen sind ideal, die ersten Schritte weder besonders aufwendig noch riskant und je früher mit diesen Schritten begonnen wird, umso schneller und größer wird der Erfolg sein. Worauf also warten?

Womöglich liegt die größte He­rausforderung für die chemische Industrie darin, neben Regulierungsdruck und hohen Energiepreisen, die großen Chancen, die die Transformation bietet, rechtzeitig zu erkennen und wahrzunehmen. Sich den Untergangsprophezeiungen zu verweigern, und stattdessen eigene, positive Zukunftsbilder zu entwickeln wäre ein erster wichtiger Schritt – und mit gemeinsamen, kooperativen Lösungsansätzen das vorhandene Potenzial zum Wohle aller zu realisieren, der Anfang einer ökonomisch erfolgreichen und gelungenen Transformation der chemischen Industrie in Deutschland.


Autoren:
Rike Bosselmann, Geschäftsführerin
Thomas W. Büttner, Industrie-Experte, Sprout-Consulting

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