Logistik & Supply Chain

Logistikverträge – Schnittstellen und Haftungsübergänge

Klare vertragliche Regelungen helfen, Unklarheiten, Risiken und Konflikte zu verhindern

13.10.2021 - Bei der Gestaltung von Logistikverträgen ist eine Vielzahl von Risikofaktoren zu berücksichtigen, die sowohl im Interesse der Auftraggeber, als auch der Logistikdienstleister möglichst klar und umfassend geregelt werden sollten, um Unklarheiten, Risiken und Konflikte während der Vertragslaufzeit zu vermeiden.

Neben dem gerade in der Pharma- und Chemielogistik besonders wichtigen Thema der Haftung und Haftungsbegrenzung, sowie auch den Faktoren Vergütung, Laufzeit-/Kündigungsregeln usw. können sich Risiken und Konfliktpotenzial in vielfältiger Form insbesondere auch im Zusammenhang mit der Festlegung des Leistungsumfangs und der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten der Parteien ergeben.

Abgrenzung der Verantwortlichkeiten

In der Pharma- und Chemielogistik spielt die Gestaltung der Haftung und Haftungsbegrenzung eine wesentliche Rolle, da Logistikleistungen allgemein schadensgeneigt und insbesondere pharmazeutische Produkte in der Regel sensibel und wertvoll sind.

Wesentliche Voraussetzung für eine Haftung ist allerdings zunächst überhaupt die Zuordnung einer Verantwortlichkeit für ein schädigendes Ereignis. Im deutschen Recht ist die Haftung für Güterschäden bzw. -verluste bei Transport- und Lagerdienstleistungen grundsätzlich als sogenannte Obhutshaftung gestaltet. Gehaftet wird dabei für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von dessen Übernahme zur Beförderung/Lagerung bis zur Auslieferung entsteht. Der gesonderte Nachweis eines schuldhaften Verhaltens des Frachtführers bzw. Lagerhalters ist dabei nicht erforderlich, ein Verschulden wird vielmehr vermutet.

Der oben dargestellte Obhutszeitraum ergibt sich allgemein aus den einschlägigen Regelungen der §§ 425 und 475 des Handelsgesetzbuchs (HGB) und das HGB enthält in § 412 auch Standardregelungen zu den Verpflichtungen bei der Be- und Entladung.

Das Gesetz hält allerdings naturgemäß keine weitergehenden detaillierten Definitionen bereit, welche die unterschiedlichsten Situationen in der Praxis abbilden könnten. Generell erforderlich ist deshalb eine klare vertragliche Festlegung der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten und damit der Haftungsübergänge im Hinblick auf die jeweiligen konkreten Anforderungen.

Haftungsübergang und Prüfungspflichten bei Übernahme der Güter

In der Praxis hängt der Übergang der Verantwortung wesentlich davon ab, in welcher Form das Gut zum Transport bzw. zur Lagerung übergeben wird und bei der Übernahme durch den Dienstleister durch diesen auch tatsächlich geprüft werden kann und soll. Generell möglich und zu fordern ist eine Prüfung der jeweiligen Transport- bzw. Lagereinheiten (Packstück, Palette, Container usw.) auf äußerlich erkennbare Schäden und Verluste und eine Übernahme der Verantwortung durch den Dienstleister hierfür mittels entsprechender Übernahmequittierung.

Bei (verplombten) Trailern, Containern und in der Regel auch bei Paletten stellen diese jeweils eine Transport- bzw. Lagereinheit dar. Faktisch ist in diesen Fällen in der Regel keine Prüfung der Anzahl und äußerlichen Unversehrtheit auf Packstückebene möglich, sondern vielmehr nur in Bezug auf die jeweilige Einheit.

Anders aber stellt sich die Situation bei sogenannten Transporthilfsmitteln dar, welche keine eigenen Transporteinheiten darstellen, die unverändert den Transport durchlaufen bzw. in dieser Form eingelagert werden, sondern welche nach Übernahme durch den Dienstleister entpackt und die darauf befindlichen Transport- bzw. Lagereinheiten (Packstücke u.ä.) dann als solche im weiteren Transportablauf bzw. in der Einlagerung eigenständig behandelt werden. Beispiele hierfür sind sogenannte Mischpaletten, Corletten, Rollcontainer usw.

Schon diese operativ bedingten Unterscheidungen haben naturgemäß erhebliche Auswirkungen auf die Frage, wann und in welchem Umfang ein beauftragter Dienstleister Obhut an den Gütern erlangt und durch entsprechende Übernahmebestätigungen (Quittierungen) dies rechtswirksam dokumentieren kann und damit auch insoweit die Haftung auf ihn übergeht.

 

„Die Gestaltung der Haftung und Haftungsbegrenzung spielt eine wesentliche Rolle.“

 

Prüfung der „Individualität“ der Transport- bzw. Lagereinheiten

Über die Prüfung der Anzahl und äußerlich erkennbaren Unversehrtheit der Transport- bzw. Lager­einheiten hinaus wird in der Regel auch eine darüber hinaus gehende Überprüfung der Einheiten auf deren Individualität in Form eines Abgleichs der auf den Einheiten befindlichen Informationen (Label) mit den parallel von dem Auftraggeber übersandten Sendungsdaten erfolgen. In der Praxis wird dies als Sendungsdatenabgleich bezeichnet. Nur in dieser Form ist prüfbar und ermittelbar, ob die physisch übergebenen Transport- bzw. Lagereinheiten auch tatsächlich identisch sind mit den Einheiten, die laut Systemdaten des Auftraggebers übergeben worden sein sollen.

Unstimmigkeiten und Differenzen kommen hierbei in der Praxis regelmäßig vor. Ohne vertragliche Regelungen zur Maßgeblichkeit der wechselseitig vorliegenden Informationen, zu Klärungsmechanismen und zur Haftungsverteilung bei verbleibenden Unklarheiten bestünde dann insoweit ein vermeidbares Regelungsvakuum, das dann zu belastenden und zeitaufwendigen Diskussionen und Konflikten führen kann.

Optionen weitergehender Prüfung, Dokumentation und Rückbestätigung

Eine noch weitergehende Stufe der operativen Leistungsanforderung und der sich hieraus ergebenden Verantwortung und Haftung stellt die Anforderung an Lagerdienstleister dar, Transporteinheiten zu entpacken und darin befindliche Einzelprodukte (ggf. in deren Verkaufsverpackung) einzulagern. Insbesondere im Bereich der Pharmalogistik ist dies praxisrelevant.

Naturgemäß verlagert sich die Verantwortlichkeit der Lagerdienstleister hinsichtlich der Prüfung, Dokumentation und Rückbestätigung dann auf die Einzelproduktebene mit den oben bereits dargestellten Risiken und Regelungsnotwendigkeiten.

Art und Umfang der operativen Verantwortlichkeiten der Logistikdienstleister orientiert sich in der Praxis an den spezifischen Anforderungen der Auftraggeber sowie den operativ/technischen Möglichkeiten der Dienstleister und deren Risikoabwägung. Die notwendige vertragsrechtliche Umsetzung muss dann anhand der spezifischen Praxisanforderungen erfolgen, entsprechend dem Grundsatz „form follows function“.

Fazit

Bei Logistikverträgen reicht es im Rahmen einer ausgewogenen Haftungsgestaltung nicht aus, sich nur auf die Haftungsregelungen selbst (s. hierzu Beitrag des Autors in CHEManager 2/2020) zu beschränken bzw. zu verlassen. Wesentliche Grundlage für die Haftungsregelungen ist die vorgeschaltete vertragliche Festlegung und Abgrenzung der Verantwortlichkeiten der Parteien. Erst hieraus ergibt sich, ob ggf. von einem Auftraggeber gegenüber einem Logistikdienstleister eine Verantwortlichkeit/Haftung entgegengehalten und Ansprüche erfolgversprechend geltend gemacht werden können.

Es handelt sich dabei um primär operative Festlegungen, die allerdings erhebliche rechtliche Auswirkung haben und daher in der Beratungspraxis des Autors gerade im Bereich der Pharma- und Chemielogistik von besonderer Wichtigkeit sind.
Pauschallösungen funktionieren dabei nur bedingt. Wichtig ist aus juristischer Perspektive, die vertraglichen Regelungen an den jeweiligen spezifischen Anforderungen zu orientieren und dabei gegebenenfalls auch regelnd in die Gestaltung der operativen Festlegungen einzugreifen. Ziel sollte generell die Vereinbarung praxisgeeigneter und ausgewogener Regelungen sein, bei denen die wesentlichen Rahmenbedingungen und wechselseitigen Verantwortlichkeiten klar festgelegt sind, um zeitaufwendige Einzelfalldiskussionen und potentielle Konflikte in der Zusammenarbeit der Parteien möglichst zu vermeiden.

Autor

 

Zur Person

Andreas Fuchs ist seit 2014 als spezialisierter Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Transport- und Logistikrechts für die Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein tätig. Einer der besonderen Schwerpunkte der Anwaltskanzlei sind die Bereiche Transport, Aviation, Logistik und maritime Wirtschaft. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit ist Fuchs mehrere Jahre Syndikus eines großen auf temperaturgeführte Transporte und die Pharmalogistik spezialisierten Logistikunternehmens gewesen und kennt die Praxis daher auch aus dieser Perspektive. Mit einem besonderen Fokus auf die Pharmalogistik berät Rechtsanwalt Fuchs sowohl in- und ausländische Logistikunternehmen, als auch die Auftraggeberseite.

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Arnecke Sibeth Dabelstein<Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsges.mbH

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