Anlagenbau & Prozesstechnik

Energiekonzepte in der Entwicklungsplanung

An Pharmastandorten rückt Energieeffizienz stärker in den Vordergrund

19.04.2012 -

ReinRaumTechnik - Pharmazeutische Produzenten geraten zunehmend unter Druck: die Voraussetzungen für die Zulassung und Produktion Ihrer Produkte verschärfen sich immer stärker. Gleichzeitig steigt der Kostendruck durch die Gesetzeslage in Deutschland (Amnog) und vergleichbarer Rabattierungssysteme in anderen Ländern zunehmend. Hinzu kommt die globale gesellschaftliche Diskussion um den Klimaschutz.

Die jüngste Vergangenheit um den Untergang der Ölbohrplattform „Deep-Water Horizon", oder die katastrophalen Ereignisse in Fukushima haben diese Diskussion zusätzlich derart angeheizt, dass Politik und Märkte inzwischen hochsensibel auf das Thema reagieren.
Wer in diesem Spannungsfeld bestehen und auch zukünftig effizient produzieren will kommt am Thema Energieeffizienz nicht vorbei. Es müssen Energiekonzepte entworfen werden, die die Abhängigkeit von den volatilen Energiemärkten optimieren und langfristig den Weg zu erneuerbaren Energien möglich machen.
Dabei sind es gerade Industriestandorte an denen enorme Energieeinsparpotenziale gehoben werden können. Doch oft fehlen die Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklungskonzepte. Ein Weg diese zu schaffen soll hier an Hand der Entwicklungsplanung des Pharma- und Biotech-Standortes Behringwerke in Marburg aufgezeigt werden.
Pharmaserv ist Standortbetreiber und Eigentümer der Behringwerke in Marburg (ca. 150 Gebäuden mit ca. 250.000 m² Nutzfläche auf einem Werksareal von ca. 65 ha). Hier arbeiten rund 4.500 Menschen, global operierenden Unternehmen, die u. a. Blutplasma, Impfstoffe und Diagnostika produzieren. Der Standort Behringwerke verfügt über eine maßgeschneiderte Infrastruktur für pharmazeutische, biotechnologische, medizintechnische und artverwandte Aktivitäten. Dazu gehören neben einer hochverfügbaren Energie- und Medienversorgung, auch die breite Palette an Infrastruktur- und Dienstleistungen, die passgenau zur Verfügung gestellt werden. Anders als in den üblichen Industrieparkkonzepten ist die Standortbetreibergesellschaft nicht im Eigentum der Kunden, sondern ein mittelständisches, eigentümergeführtes Unternehmen. Es ist also das ureigene Interesse des Standortbetreibers, die Flächen und Gebäude am Standort möglichst attraktiv zu entwickeln, um auch zukünftig eine gute Auslastung zu gewährleisten.

Site-Master-Plan als Rahmenplan für Energiekonzepte an Produktionsstandorten
Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es vielfältiger Optimierungsschritte. Frühzeitig wurde deshalb eine Rahmenplanung für eine zielgerichtete, perspektivische Standortentwicklung angestoßen (vergleichbar einem städtebaulichen Entwicklungsplan). Zusammen mit Eigentümer, Nutzer, Behörden und der Öffentlichkeit wurden Entwicklungs- und Erweiterungspotentiale festgestellt und in einem Site-Master-Plan (SMP) zusammengefasst. Das Ergebnis ist eine abgestimmte informelle Planung als Basis für weitere Planungsschritte im Rahmen der Landes- und Regionalplanung sowie der kommunalen Bauleitplanung (FNP, B-Plan). Neben vielen Vorteilen für alle Beteiligten wie Planungssicherheit, überschaubare Genehmigungszeiten und erhöhter Investitionssicherheit ergeben sich aus dieser Planung gerade für die Konzeption von Gebäude- und Energiekonzepten erhebliche Vorteile. Beispielsweise konnte die Lage für ein neu zu errichtendes Kesselhaus (Dampfbedarf am Standort ca. 112.500 MWh) auf Basis des SMP hinsichtlich der möglichen Trassenführung und Nähe zu den Verbrauchsschwerpunkten optimiert werden. Gleichzeitig wurde das Genehmigungsprozedere (gem. Bundes-Immissionsschutzgesetz) signifikant unterstützt und verkürzt. Aber auch strategische Entscheidungen, wie z. B. perspektivisch klassische Winterverbraucher wie Büro und Lagergebäude von der Dampfversorgung abzukoppeln beruhen letztlich auf der durch den SMP geschaffene Klarheit über die Struktur des Standortes. Die klare Festlegung welche Flächen, in welcher Art und Weise entwickelt und bebaut werden bedeutet eine wesentliche Voraussetzung, um für diese Bereiche entsprechende Energiekonzepte zu entwickeln.
Geht es um die energetische Entwicklung eines Werksareals ist eine Vielzahl von Einzel- und Verbundlösungen denkbar. Wichtig ist die Optionen zu kennen und Mythen sowie Vorurteile von den Fakten abzugrenzen. Oft werden beispielsweise bauliche Maßnahmen an Gebäuden wegen ihrer absoluten Summen gescheut. Gerade hier aber sind erhebliche Energieeinsparpotenziale zu heben. Nach Betrachtung verschiedener Sanierungsmaßnahmen am Standort hat Pharmaserv ermittelt, dass Maßnahmen zur Sanierung von Gebäudehüllen durchaus bis zu 12 kWh/Jahr und investiertem Euro einsparen können.
Wer dahingegen glaubt, dass Kraft-Wärme-Kopplung mittels BHKWs in jedem Fall (wirtschaftlich) Sinn macht liegt falsch: betrachtet man den Aufwand für Betrieb der Anlagen, wie den Umgang mit Gefahrstoffen, Contracting in der sich ständig ändernden Gesetzeslage, steuerliche Fragestellungen, Aufwand Betriebspersonal und -organisation, Energieeinkauf, usw. können wirtschaftliche Vorteile schnell dahinschmelzen. Hinzu kommt nicht selten eine signifikante Erhöhung der Emissionen, oder sogar eine absolute Erhöhung der Energieverbräuche am Standort. Nicht zuletzt droht vielen dieser Projekte der „Eisentod", wenn der Rohrleitungsbau unverhältnismäßig zum Nutzen einer solchen Anlage wird. Die möglichen Einsparungen von bis zu 7 kWh/Jahr und investiertem Euro machen eine genaue Betrachtung solcher Lösung jedoch in jeden Fall lohnenswert. Gerade, wenn konstante Wärmesenken vorhanden sind und Strom für z. B. Kühlprozesse benötigt wird ergibt sich eine sehr interessante Konstellation. Doch gerade Kälteanforderungen werden oft in Energiekonzepten vernachlässigt.
Photovoltaik bzw. Solarthermieanlagen wird ebenfalls nachgesagt, dass sie sich „rechnen". Betrachtet man dies jedoch nüchtern, so ist festzustellen, dass die energetischen Bilanzen solcher Anlagen oftmals fragwürdig sind. Die von uns berechneten und durchgeführten Projekte dazu zeigen eine Steigerung der Primärenergieeffizienz < 1 kWh/Jahr und investiertem Euro. Dazu kommt, dass in dieser Bilanz die Energie zur Herstellung der Panels keine Rolle spielt. Trotzdem machen solche Lösungen Sinn, wo beispielsweise nicht Wärme, sondern Kälte der führende Parameter ist. Beispielsweise wurde ein Pharma-Lager (Kühllager) mit einer solchen Anlage ausgerüstet. Hier erfolgen Energieumwandlung (photovoltaische Stromproduktion) und Nutzung (Kompressionskälte) periodengleich. Ein besonderes Augenmerk bei der Beschaffung ist auf die Umweltschutzstandards bei der Herstellung der Panels zu legen, da diese in den Herstellungsländern oft keineswegs so selbstverständlich sind wie in Europa.
Zuletzt scheint der zurzeit boomende Markt der Wärmepumpentechnik ein Indiz dafür zu sein, dass mit dieser Technologie ein Allheilmittel gefunden wurde. Doch die Zusatzkosten für die Nutzung von beispielsweise Erdwärme sind signifikant (Fläche, Erdsonden, Bohrungen), die wirtschaftlich erreichbaren Energieniveaus nicht für alle Nutzungen geeignet und wie beim BHKW ist auch das Rohrleitungsnetz oft problematisch. Bei unseren Projekten haben wir festgestellt, dass die gute Skalierbarkeit und die Nutzung insbesondere der „Erdkälte" oft sowohl energetisch, als auch wirtschaftlich den positiven Ausschlag für Wärmepumpentechnik gibt (Steigerung der Primärenergieeffizienz bis > 20 kWh/Jahr und investiertem Euro).

Energiekonzepte am Standort Behringwerke
Die folgenden Beispiele zeigen welche Handlungsmöglichkeiten sich in aktuellen Projekten auf Basis des SMP und jeweils unter der Betrachtung aller sinnvoller Energieträger ergeben haben.
Unser erstes Beispiel befasst sich darum mit dem Neubau eines Laborgebäudes mit 1.850 m² BGF (L2, S3** und Klimasimulations­kammer). Hier sind neben raumlufttechnischen Einrichtungen extreme Wärmelasten auf Grund der Nutzung zu erwarten. Es kommt eine geothermische Heizung- / Kühlung zum Einsatz (Flächenheizung/-kühlung kombiniert mit lokalen Umluftkühlgeräten). Auf Grund der Nutzung kann keine Balance von Wärme und Kälte hergestellt werden. Deswegen wurde die Wärmepumpe als aktive Einheit ausgelegt, die auch eine klassische Nutzung als Kältemaschine ermöglicht. Um dieses Feature so wenig wie möglich zu nutzen wurde das Sondenfeld mittels geohydraulischer 3D-Simulation für die Aufnahme von Wärme optimiert. Zusätzlich wurde die Möglichkeit geschaffen überschüssige Wärme bei Bedarf an angrenzenden Gebäuden in Form von Heizenergie zur Verfügung zu stellen. Da auf dem Blockfeld keine Dampf bzw. Gasversorgung vorhanden war fielen die Mehrkosten für diese filigrane Lösung minimal aus. Der Nutzen jedoch ist hoch: eine Einsparung von ca. 200.000 kWh/Jahr (Primärenergie) wird realisiert werden, was ca. 50 % der zu erwartenden Verbräuche entspricht.
Unser zweites Beispiel beschäftigt sich mit einem ganzen Werksteil (mit ca. 23.000 MWh Wärme/Strom/Kälteverbrauch). Auf Basis des SMP wurde die Entscheidung getroffen mit der Inbetriebnahme des neuen Kesselhauses ein komplettes Areal zukünftig nicht mehr mit Dampf zu versorgen (Forschungs-, Lager- und Verwaltungsgebäude). Dadurch werden erhebliche Energietransportverluste eingespart. Bei der Konzeption der Energieversorgung wurden verschiedene Alternativen betrachtet. Diese reichten von einfachen Lösungen zentraler und dezentraler Art (Gasbrennwerttechnik) bis hin zu einer komplexen Verknüpfung von Abwärmenutzung, Geothermie und BHKWs. Die energetisch optimale Lösung zeigte sich nach der simulierten Optimierung des Gebäudebestandes von 5,5 MW auf 3 MW Anschlussleistung. Dann nämlich ist die Wärme und Kälte zu 75% aus Geothermiefeldern in einem nicht bebaubaren Teil bzw. auf den nahe gelegenen Flächenparkplätzen für die Mitarbeiter zu schöpfen. Die Erdwärme würde in diesem Fall bis zu 1 km weit in die Energiezentrale im betreffenden Werksteil geleitet werden. Die Verluste dabei wären nahe „0", denn die Temperatur des Mediums ist gleich der Erdtemperatur. In der Energiezentrale würde mittels Wärmepumpe das Temperaturniveau bedarfsgerecht erhöht und in einen „Heiß- bzw. Kaltwasserring" eingespeist. Die übrigen 25 % der Wärme würden über eine Wärmenutzung aus einer Abwasserneutralisationsanlage gewonnen, die in diesem Werksteil vorhanden ist. Hier laufen jährlich ca. 600.000 m³ Abwasser zur Behandlung zusammen und werden in 2 Becken vor der endgültigen Einleitung neutralisiert. Die Mindesttemperatur des dort befindlichen Wassers liegt langfristigen Messungen nach bei ca. 21°C. Auf diesem Temperaturniveau abgegriffen kann das Medium zu einem nahegelegenen Labor-/Verwaltungsgebäude geleitet werden, wo es wiederum mit Wärmepumpentechnik ebenfalls eine Einspeisung in den „Heiß- bzw. Kaltwasserring" gibt. Die verbleibenden Sterilisationsprozesse in den Forschungsgebäuden würden in diesem Konzept durch Schnelldampferzeuger bedient. Dieses Gesamtkonzept bietet die Möglichkeit zu einer Primärenergiereduktion von ca. 70 % gegenüber konventioneller Technik. Gleichwohl bedeutet eine solche Lösung neben den erheblichen Investitionen zur Optimierung der Bedarfssituation der Gebäude eine signifikante Investition in Energieinfrastruktur.
Dennoch können Teilprojekte daraus bereits heute wirtschaftlich umgesetzt werden. Die Wärmenutzung aus Abwasser beispielsweise lässt sich singulär betrachten und umsetzen. Hier würden spezielle Wärmetauscherplatten zum Einsatz kommen, die bis zu 600 kW Wärmeleistung erbringen könnten. Eine Versuchsanordnung hat bereits die Verwendungsfähigkeit des Materials unter Beweis gestellt. In der Planung wird die Neutralisationsleistung des Beckens noch weiter optimiert werden, da eine Verzögerung der Neutralisation durch die Wärmetauscher verhindert werden soll. Selbst wenn die Abwassertemperatur in der Zukunft durch Maßnahmen in den Gebäude sinkt (Abwasser mit normaler Temperatur von ca. 10 - 12 °C) ist die Wärmeleistung der Anlage immer noch so hoch, dass die Investition lohnt, weil die ganzjährige Abnahme über die angrenzenden Gebäude sicher­gestellt ist (Primärenergieeffizienz 8 - 10 kWh/Jahr und investiertem Euro). Ein weiterer Vorteil ist die vollständige Klimaneutralität dieser Abwärmenutzung.

Fazit
Unsere Beispiele stellen eine kleine Auswahl der am Standort Behringwerke konzipierten bzw. umgesetzten Lösungen dar. Zusammenfassend für alle Aktivitäten rund um Energiekonzepte kann festgestellt werden:

  • Bedarfsreduzierung durch die Ausnutzung der vorgegebenen Spielräume im Betrieb insbesondere der Reinraumtechnik bilden die Grundlage für den Einsatz effizienter Technik.
  • Die Möglichkeiten des Eingriffs in pharma­zeutische Herstellungsprozesse sind eingeschränkt. Damit kommt dem Standort und seinen Netzen eine wesentliche Rolle für die effiziente Energiebereitstellung zu.
  • Kältebedarfe müssen stärker mit anderen energetischen Aspekten zusammen betrachtet werden.
  • Energie in Trassenkörpern, Abwasser und die „Bodenschätze" Wärme bzw. Kälte sind derzeit noch stark unterrepräsentiert.

Durch den Bezug auf den vorliegenden SMP als Referenzrahmen für die generelle bauliche Entwicklung des Werksareals gelingt es wesentliche Eckpunkte auch für infrastrukturelle Entwicklungsprojekte festzulegen. Erst mit dieser Bedarfsfestlegung werden nachhaltige Energiekonzepte und damit die Umsetzung von Maßnahmen zur Energiewende möglich.