Chemie & Life Sciences

Wolfram – in vielen Schlüsselindustrien und Anwendungen unverzichtbar

Interview mit Hady Seyeda, H.C. Starck Tungsten Powders

09.06.2021 - Zukunftsmärkte für Wolfram sind z.B. die Batterietechnologie, wo es zu schnelleren Ladezyklen beitragen kann, und das weite Feld der additiven Fertigung.

H.C. Starck Tungsten Powders gehört seit 2020 zur vietnamesischen Masan High-Tech Materials-Gruppe und ist mit Standorten in Goslar, Deutschland, sowie China und Kanada ein weltweit führender Anbieter von Wolframprodukten. Gestützt auf 100 Jahre Erfahrung entwickelt die Sparte des ehemaligen Bayer-Tochterunternehmens, das 2007 an Investoren verkauft und anschließend aufgespalten wurde, hochleistungsfähige Pulver des Technologiemetalls Wolfram und seiner Verbindungen. Hady Seyeda (55) ist CEO des Wolfram-Spezialisten und wurde im April auch zum stellvertretenden CEO des Mutterkonzerns ernannt. Michael Reubold befragte ihn über die Situation auf den Rohstoffmärkten und seine Pläne zur Entwicklung des Unternehmens.

CHEManager: Herr Seyeda, H.C.  Starck Tungsten Powders ist ein führender Anbieter von Wolfram und seinen Verbindungen. Welche Bedeutung besitzt das Metall für industrielle Anwendungen?

Hady Seyeda: Wolfram hat mit 3.422  °C den höchsten Schmelzpunkt aller Metalle, eine eineinhalbmal höhere Dichte als Blei und kommt als Wolframcarbid dem Härtegrad von Diamant nahe. Wolframcarbid wird deshalb in Werkzeugen eingesetzt, die besondere Härte und Hitzebeständigkeit bei hoher Präzision erfordern, wie Hartmetallbohrer für Platinen oder zur Tunnel- und Gesteinsbearbeitung. Die hohe Dichte kommt unter anderem bei der Röntgen- und Strahlenabschirmung zum Tragen. Zukunftsmärkte sind zum Beispiel die Batterietechnologie, wo Wolfram zu schnelleren Ladezyklen beitragen kann, und das weite Feld der additiven Fertigung.

Welche Perspektiven sehen Sie für Wolfram und seine Verbindungen mit Blick auf diese Anwendungen und die genannten Zukunftsmärkte?

H. Seyeda: Einige unserer traditionellen Zielmärkte werden absehbar schrumpfen. Zur Herstellung von Elektrofahrzeugen statt Verbrennern benötigt man zum Beispiel weniger Wolframcarbid-Werkzeuge. Ähnliches gilt für die Öl- und Gas­industrie angesichts des Vormarsches erneuerbarer Energien.
Andererseits sehen wir spannende neue Möglichkeiten wie den 3D-Druck. Hier bietet das schrittweise Auftragen hauchdünner Materialschichten ganz neue Einsatzmöglichkeiten für unsere Produkte insbesondere in Hochtechnologiebranchen. 
Die Zukunftstrends Elektromobilität und erneuerbare Energien bieten ebenfalls Chancen, weil zum Aufbau der notwendigen Infrastruktur wieder entsprechende Werkzeuge benötigt werden oder etwa für Schnellladebatterien wolframbasierte Bauteile benötigt werden.
Zu unseren Stärken gehört die Fähigkeit, gemeinsam mit Kunden innovative Anwendungen und Produktlösungen zu entwickeln. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass Wolfram mit seinen einzigartigen Eigenschaften auch langfristig unverzichtbar sein wird.

Sie verarbeiten nicht nur Primärrohstoffe, sondern gewinnen einen Großteil durch das Recycling wolframhaltiger Wertstoffe. Wie stellen sich die Beschaffungsmärkte dar?

H. Seyeda: Bei der Beschaffung von Wolframschrotten muss man zwischen Hart- und Weichschrotten unterscheiden. Hartschrotte lassen sich als Stückgut auf vielfältige Weise recyceln, während es sich bei Weichschrotten meist um Produk­tionsabfälle handelt, die mit Stoffen wie Cellulose oder Schmierölen verunreinigt sind und häufig auch Gefahrgut darstellen. 
Der Recyclingkreislauf verläuft entweder als geschlossenes System, indem wir den Schrott unserer Kunden direkt umarbeiten, oder über Sammelsysteme, wo Schrotthändler die Abfälle geeigneten Wiederverwertern anbieten. Wir können aufgrund unserer hochentwickelten Technologie eine große Bandbreite an Schrotten verarbeiten und erweitern dieses Spektrum laufend. Das kommt nicht nur der Umwelt zugute, sondern trägt auch generell zur Versorgung mit nachhaltigen Rohstoffen bei.

„Wolfram wird mit seinen einzigartigen Eigenschaften langfristig unverzichtbar sein.“

Hat die Coronakrise Einfluss auf Ihre Lieferketten?

H. Seyeda: Oh ja, durchaus. Auf der Rohstoffseite kamen, als 2020 die industrielle Produktion zum Beispiel im Automobilsektor einbrach, viel weniger Schrotte in den Kreislauf. Stark fallenden Rohstoffpreisen standen plötzlich relativ kon­stante Schrottpreise gegenüber, was die Wirtschaftlichkeit des Recyclings beeinträchtigt. Diese Effekte werden uns noch eine Weile begleiten. Parallel dazu kämpften die Anbieter um die verbliebenen Abnahmemengen von Wolframcarbid im Markt, was zu einem immensen Preisdruck auf der Verkaufsseite führte.
Last but not least haben die Verwerfungen auf der Logistikseite die Lieferzeiten verlängert und die Transportkosten massiv belastet. Auch damit werden wir auf absehbare Zeit leben müssen.

Sie betreiben drei Produktionsstätten, neben Goslar noch Sarnia in Ontario, Kanada, und Ganzhou in der Provinz Jiangxi in China. Wo stellen Sie Wolfram und die Wolframderivate her?

H. Seyeda: In Ihrer Aufzählung fehlt noch die Wolframoxidproduktion unseres Mutterkonzerns in Vietnam, die ebenfalls zu unserem ganzheitlichen Geschäftsmodell gehört. Dort werden sowohl recycelte Rohstoffe als auch Primärrohstoffe aus der eigenen Mine verarbeitet.
Was H.C. Starck Tungsten betrifft, ist unser Hauptsitz Goslar auch der größte Produktionsstandort, einschließlich der globalen Forschung & Entwicklung und der gebündelten Recyclingkompetenz. Etwa die Hälfte der Produktionsmengen hier machen Wolfram und Wolframcarbid aus. Die andere Hälfte sind Derivate wie Ammoniumparawolframat, Blaues und Gelbes Wolframoxid sowie Chemikalien wie Natriumwolframat, Wolframsäure und Ammoniummetawolframat.
Der kanadische Standort begann 1997 mit der Produktion von Wolframmetall-, Wolframcarbid- und Wolframschmelzcarbidpulvern. Von dort aus beliefern wir vor allem die amerikanische Hartmetall- und Öl- und Gasindustrie mit Hightech-Pulvern. 
Ganzhou wird oft als „Welthauptstadt des Wolframs“ bezeichnet, weil hier große natürliche Vorkommen lagern. Dort stellen wir in einem Joint Venture Wolframmetall- und Wolframcarbidpulver für den chinesischen Highend-Markt her.

„Die große Bandbreite an Technologien im Konzern in Kombination mit Rohstoffen aus einer eigenen Mine eröffnet viel Raum für innovative Ansätze.“

Wie entwickelt sich Ihr Unternehmen unter dem neuen Eigentümer Masan? Welche Vorteile und Synergien erwarten Sie aufgrund der Zugehörigkeit zur Masan-Gruppe?

H. Seyeda: Im April hat Masan High-Tech Materials den ersten Geschäftsbericht präsentiert, der beide Unternehmen konsolidiert – und dort zeigen sich die Vorteile und Synergien bereits ganz deutlich. H.C. Starck Tungsten hat einhundert Jahre Erfahrung in der Wolframverarbeitung und umfassende Kompetenz im Recycling. Ergänzend dazu verfügt unsere Mutter über die größten Reserven an Wolfram-Primärrohstoff außerhalb Chinas und jahrelange Erfahrung im Rohstoffsektor. Aus dieser Kombination ergeben sich für unseren Kunden Optionen, die Wettbewerber nicht unbedingt anbieten können, wie unterschiedliche Liefermodelle, Anpassungen der Produktspezifikationen oder die Zusammenarbeit in der Produktentwicklung
Im Ergebnis haben wir im zweiten Halbjahr 2020, während viele Branchen noch unter der Covid-19-Pandemie ächzten, unseren Marktanteil bei Wolfram und Wolframpulver in allen Regionen gesteigert – bei guter Profitabilität. 


Umgekehrt gefragt: Welche Ziele verfolgt Masan mit der Akquisition von H.C. Starck Tungsten Powders?

H. Seyeda: Entscheidend ist die Frage, wie wir uns als ein Unternehmen ausrichten. Ich bin seit April als stellvertretender CEO im Vorstand der Masan High-Tech Materials vertreten, und nach der erfolgreichen Integration verstehen wir uns als eine gemeinsame Organisation. Deutlich wird dies an unserem neuen Unternehmensleitbild, das vom globalen Managementteam gemeinsam entwickelt wurde. Als Vision haben wir formuliert: Wir wollen der führende integrierte Anbieter fortschrittlicher Hightech-Werkstoffe, die weltweit für Innovationen erfolgskritisch sind, werden.

Sehen Sie Chancen für eine Weiterentwicklung Ihres Portfolios im Rahmen der übergreifenden Strategie?

H. Seyeda: Absolut! In einem ersten Projekt entwickeln wir ein innovatives Verfahren zum Recycling von Kobalt. In etwa zwei Jahren soll ein Pilotprozess stehen, den wir anschließend in einen größeren Maßstab überführen.
Elemente wie Kupfer und Bismut, oder auch Kalziumfluorit, in der eigenen Mine bieten weitere Optionen. Hinzu kommt die große Bandbreite an Technologien im Konzern. Diese Kombination eröffnet viel Raum für innovative Ansätze.

Es ist nicht alltäglich, dass ein Deutscher zum stellvertretenden CEO eines asiatischen Konzerns berufen wird. Wie verläuft die Integration und welche kulturellen Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen? 

H. Seyeda: Die spürbarste Herausforderung ist die Zeitverschiebung, die mir Besprechungstermine um vier Uhr morgens verschafft… Aber Spaß beiseite: H.C. Starck ist ja schon seit Jahrzenten international und multikulturell aufgestellt. Davon kann Masan profitieren. Umgekehrt kann H. C. Starck Tungsten auf diese Weise ein besseres Verständnis für die Denkweise und Erwartungen unseres neuen Eigentümers entwickeln. 

Wo sehen Sie Herausforderungen für die Zusammenarbeit, aber auch Chancen aus der Kombina­tion beider Unternehmenskulturen?

H. Seyeda: Als wirkliche Herausforderung empfinde ich zurzeit die Reisebeschränkungen. Ein persönlicher Austausch zwischen beiden Teams wäre hilfreich und wünschenswert, aber leider müssen wir uns derzeit auf virtuelle Möglichkeiten beschränken.

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H.C. Starck Tungsten GmbH

Im Schleeke 78–91
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