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Lean Innovation

Voraussetzungen für nachhaltige Kosteneffizienz und zukunftsgerichtetes Innovationsdenken

26.05.2010 -

Viele Chemieunternehmen haben die Nachfragekrise im vergangenen Jahr mit Hilfe erfolgreich umgesetzter Maßnahmen zur Verschlankung und Optimierung ihrer Prozesse überstanden. Diese so entwickelte kostenfokussierte „Lean-Kultur" gilt es nun auf die Zukunft auszurichten und mit einem weitsichtigen Innovationsdenken zu verbinden. "Lean Innovation" ist dafür ein Schlagwort. Celerant Consulting zählt zu den führenden Managementberatungen und ist spezialisiert auf nachhaltige Veränderungen betrieblicher Prozesse. Prof. Dr. Rudolf Jerrentrup, Senior Advisor Chemicals/Pharma bei Celerant Consulting Deutschland, rät Unternehmen, die kurzfristig ergriffenen Maßnahmen in langfristige Verhaltensänderungen zu überführen und sie zu einem Leitmotiv der Unternehmenskultur zu machen, um so die Voraussetzungen für nachhaltige Kosteneffizienz zu schaffen. Dr. Michael Reubold sprach mit Prof. Jerrentrup über die Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Aufgabe.

CHEManager: Herr Prof. Jerrentrup, die meisten Chemieunternehmen haben nach dem Krisenjahr 2009 im ersten Quartal 2010 erfreuliche Zahlen präsentiert und sprechen inzwischen von einer nachhaltigen Konjunkturerholung und Nachfragebelebung. Unterstützen Sie diesen Eindruck?

Prof. R. Jerrentrup: Ich denke auch, dass die Reise wieder nach oben geht. In der Chemieindustrie wird wieder Wachstum erwartet. Allerdings ist doch zu beobachten, dass auch immer noch eine gewisse Verhaltenheit in Bezug auf die zukünftige Entwicklung herrscht.

Viele Chemieunternehmen haben die Krise dazu genutzt, um sich besser aufzustellen. Wie beurteilen Sie die ergriffenen Maßnahmen?

Prof. R. Jerrentrup: In der Tat haben viele Unternehmen die Situation genutzt, um hinsichtlich der Optimierung und Flexibilisierung der Kostenstruktur und der Minimierung des Cash-outs radikal kurzfristig machbare Maßnahmen zu ergreifen. Man hat also mit klassischen Einsparmaßnahmen auf die Nachfragekrise reagiert. Dabei stand allerdings nicht unbedingt eine durchgängige konsequente Umsetzung dieser Veränderungen hinsichtlich nachhaltiger Stabilität und Schaffung einer Basis für zukünftiges Wachstum im Vordergrund. Die wichtigste Frage für die Unternehmen ist deshalb jetzt, wie man sich aufstellt, um auch langfristig erfolgreich zu sein.

Was sollten die Unternehmen jetzt tun, um sich für langfristigen Erfolg zu positionieren?

Prof. R. Jerrentrup: Dem Thema Change-Management kommt jetzt eine große Bedeutung zu. Es geht also nun darum, die langfristige Stabilität der eingeleiteten Veränderungen sicherzustellen. Wir spüren eine wachsende Nachfrage nach solchen Change-Programmen, um das, was man kurzfristig gemacht hat, jetzt auch dauerhaft zu implementieren und mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu stabilisieren.

Wie gehen Sie bei Chemie- und Pharmakunden vor, um diese Langfristigkeit in der Planung zu implementieren?

Prof. R. Jerrentrup: Wir greifen da auf die klassischen Ansätze zur Prozessoptimierung zurück, wie Six Sigma, Lean Management, letztendlich auch die Kaizen-Ansätze, die wir allerdings dann kundenspezifisch einsetzen und anpassen. Daneben nutzen wir funktional orientierte Tools und untersuchen über sehr strukturierte Analysen mit Hilfe von Beobachtungen vor Ort, wo Verbesserungsansätze vorhanden sind. Unsere Arbeitsweise ist sehr stark Bottom-Up aufgebaut und nimmt den Mitarbeiter auf der operativen Ebene mit, um ihn in den Veränderungsprozess einzubinden. Sehr eng mit den Mitarbeitern vor Ort zu arbeiten ist unser wesentlicher Ansatz, der auch mit dem Wort "Close Work" beschrieben wird und der ganz entscheidend ist, um nach einer Top-Down getriebenen Optimierung den Prozess jetzt auf den Weg zu bringen.

Wie lässt sich denn gewährleisten, dass die nun verschlankten Unternehmen in punkto Innovationsfähigkeit auch weiterhin schlagkräftig bleiben?

Prof. R. Jerrentrup: Das ist ein gewisser Konflikt, der letztendlich auch auf der Verhaltensseite liegt. Auf der einen Seite gilt es, die konsequente Kostenorientierung beizubehalten, auf der anderen Seite aber gleichzeitig die Orientierung in Richtung Wachstum, auf neue Märkte und neue Produkte, zu lenken. Viele Unternehmen, gerade im deutschsprachigen Raum, haben auch in der Krise versucht, das Innovationsdenken aufrechtzuerhalten und nicht bei Forschung und Entwicklung zu sparen. Dennoch leidet natürlich der Fokus auf die Innovation, wenn man eine starke Kostenorientierung hat. Hier ist es wichtig, dass man die Akzeptanz, dass Innovation jetzt wieder in den Vordergrund rückt, durch entsprechende Maßnahmen unterstützt, und dass man die entsprechenden Ressourcen stärkt. Wichtig ist, dass man diesen Innovationsgedanken Top-Down, also vom Management getragen, kommuniziert.

Es gibt Beispiele, wie solche Verbesserungsprozesse trotzdem scheitern können. Was sind die Ursachen dafür?

Prof. R. Jerrentrup: Wenn man substantielle Verbesserungsprozesse in der Organisation implementieren will, dann ist ein ganz klares Commitment des Managements erforderlich. Die Unternehmensführung muss diesen Prozess unterstützen und das auch glaubhaft in die Organisation kommunizieren. Die Zusammenhänge zwischen den mit der Veränderung der Prozesse verbunden Zielen und der Strategie des Unternehmens oder der Geschäftseinheit müssen eindeutig und verständlich dargestellt werden. Nur wenn die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, dies zu verstehen und nachzuvollziehen, können sie auch ihren konkreten Beitrag dazu leisten. Das ist wichtig. Meistens hapert es schon daran, dass das Commitment des Managements fehlt oder dass Initiativen aufgesetzt werden, die inhaltlich nur den Methodencharakter transportieren - z.B. ein Six-Sigma-Training ohne den Bezug zu konkreten Projekten, die wesentlich zur Ergebnisverbesserung beitragen, macht keinen Sinn. Um dies zu verhindern, sind Six Sigma-Projekte bei uns immer ganz entscheidend mit der Auswahl der Projekte und der Mitarbeiter verknüpft.

Welche Rolle spielt denn Innovation im weiteren Sinne der kontinuierlichen Verbesserung, Stichwort "Continuous Improvement"?

Prof. R. Jerrentrup: Hier muss man zwischen Innovation im engeren Sinn und Innovation im weiteren Sinn unterscheiden. Innovation im engeren Sinn wäre z.B. der Vorstoß eines Unternehmens in neue Produktbereiche oder neue Services, d.h. ein mehr strategischer Gedanke. Wenn man Innovation im weiteren Sinn versteht, also im Sinn der Prozesse, der Arbeits- und Aufbauorganisation, so dass über kleine Elemente stufenweise das Bewusstsein in der Organisation geschaffen wird, diese Veränderungsprozesse immer wieder anzustoßen, dann kommt man automatisch wieder zurück zur kontinuierlichen Verbesserung. Das Verständnis von Innovation im Sinn von kontinuierlicher Verbesserung sehe ich neben der strategischen Innovation als ganz wichtig zur Unterstützung des Wachstums an.

Welche Erfahrungen hinsichtlich der Implementierung von Verbesserungsprozessen haben Sie mit den unterschiedlichen Eigentümerstrukturen von Chemie- und Pharmaunternehmen gemacht?

Prof. R. Jerrentrup: Grundsätzlich haben Unternehmen, die von einem langfristig denkenden und planenden Investor oder auch einer Familie gesteuert werden, Vorteile hinsichtlich der konsequenten Umsetzung der Maßnahmen. Sie können - auch in einer Krise - zu Instrumenten greifen, die andere Unternehmen, die kurzfristige Ergebnisse darstellen müssen und einem gewissen Liquiditätsdruck unterliegen, nicht haben.

Unternehmen, die langfristig aufgestellt sind, können z.B. selbst in einer Krise bei Akquisitionsgelegenheiten leichter zugreifen und in eine Expansion investieren. Das scheint sich auch bei Private Equity zu ändern, so dass die kurzfristige Perspektive, die man allgemein mit Private Equity verbindet, stärker in den Hintergrund tritt. Es gibt Beispiele, wo der Investor unter dem Aspekt des langfristigen Erfolgs durchaus auch bereit ist, ein Risiko einzugehen. Sicherlich ist das auch durch den gegenwärtigen M&A-Markt bedingt, weil im Moment die Möglichkeiten für Firmenverkäufe sicherlich nicht so gegeben sind. Auf der anderen Seite hat man aber auch erkannt, dass längerfristiges, kontinuierliches Investment doch wesentlich die Rendite trägt, so dass die Wertsteigerung über die Zeit mehr im Vordergrund steht als die kurzfristige Liquiditäts- oder Cash-Optimierung. Die Grundvoraussetzungen haben sich nicht geändert, aber man rückt die längerfristige Perspektive doch zunehmend stärker in den Vordergrund.

Sehen Sie denn für die Chemie- und Pharmaindustrie in Westeuropa unter Berücksichtigung der angesprochenen Punkte eine positive Zukunft?

Prof. R. Jerrentrup: Ich glaube der Globalisierungsdruck wird grundsätzlich nicht nachlassen. Firmen aus dem asiatischen Raum werden stärker werden und auch verstärkt nach Europa kommen, sich hier nach geeigneten Investmentmöglichkeiten umsehen, um ihr Portfolio zu erweitern und um die Märkte zu bedienen. Auch der Nahe Osten wird weiter an Bedeutung gewinnen, insbesondere die Vereinigten Emirate. Ich glaube aber trotzdem, dass die Zukunft in der westeuropäischen Chemieindustrie liegt, wenn sie sich den Herausforderungen wie breite regionale Präsenz, größere Wertschöpfungstiefe, IP, lokale Produktion usw. stellt.

Wenn sich die Unternehmen konsequent dem Thema Innovation im weiteren Sinne, d.h. mehr Produktservices etc., aber auch kontinuierliche Prozessverbesserung, immer wieder stellen, glaube ich, dass Chemie auch im westeuropäischen Raum eine Zukunft hat. Es wird weiter Konsolidierungen geben, es wird weiter Spezialisierungen geben. Der Trend zur Größe, gerade im Commodity Business ist einfach ein Naturtrend und wird deshalb weitergehen. Es wird auch aufgrund des Trends zur Konzentration auf das Kerngeschäft immer wieder Abspaltungen und Auslagerungen geben. Insofern wird es weiter spannend bleiben, aber ich blicke durchaus positiv in die Zukunft.

Es wird also darauf ankommen, sich kosteneffizient aufzustellen, aber trotzdem die Innovationsfähigkeit zu behalten, um mit innovativen Technologien erfolgreich zu bleiben.

Prof. R. Jerrentrup: Richtig. Und um mit innovativen Technologien zu wachsen. Denn Wachstum ist sicherlich ganz entscheidend, damit sich Innovation auch finanzieren lässt.