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Leittechnik und Engineering wachsen zusammen

Pilotprojekt zur Integration von Comos und Simatic PCS 7 bei Sanofi-Aventis

05.05.2010 -

Sanofi-Aventis führte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Siemens die erste Anwendung eines integrierten Engineerings von prozessleittechnischen und verfahrenstechnischen Funktionen an einem 3.000 L fassenden Ansatzkessel für die pharmazeutische Herstellung in H600 im Industriepark Frankfurt-Höchst durch. Diese Anlage ist einerseits kompakt und überschaubar, beinhaltet aber gleichzeitig viele typische Aggregate und Abläufe, sodass sie für einen Proof of Concept des integrierten Engineerings gut geeignet war. Der Ansatzkessel beinhaltet insgesamt 10 Equipment-Module. Die Funktionen werden über das Prozessleitsystem Simatic PCS 7 gesteuert. Als Hardware kommt ein Simatic PCS 7 Box RTX-System zum Einsatz, das über Profibus mit den dezentralen Peripheriesystemen Simatic ET 200M, Simocode Motorsteuerung und Simovert Frequenzumrichter kommuniziert. Die Messstellen der Anlage sind überwiegend über Profibus PA angebunden.

Vom Typical zur Funktionskette

Basis des Engineerings waren die entsprechenden Sanofi-Aventis Comos Typicals. Diese Typicals wurden in die entsprechenden CFC Typicals in Simatic PCS 7 portiert. Dabei verwendete das Projektteam die Plan-in-Plan-Methode: Jedes Typical ist sowohl in Comos als auch in PCS 7 gleich bezeichnet und besitzt die gleichen Ein- und Ausgänge. So ist es in jeder Darstellung auch unmittelbar als Sanofi-Aventis Typical erkennbar - wichtig für eine gute Akzeptanz. Im Pilotprojekt erforderte dieser Schritt noch einige manuelle Eingriffe. Parallel wurden aber auch Daten bereits automatisch über die Simatic PCS 7 VXM-basierte Schnittstelle übertragen. Darüber hinaus wurden während der Inbetriebnahme vor Ort Änderungen in PCS 7 nachgepflegt, die sich aus dem Projektverlauf ergaben, und anschließend in umgekehrte Richtung an Comos übermittelt. Während der Arbeiten an der realen Anlage in Frankfurt arbeitete ein Team bei Siemens in Karlsruhe an einer Schattenanlage, um die Funktionalitäten für den bidirektionalen Datentransfer von Engineeringdaten zwischen Comos und und PCS 7 weiterzuentwickeln.

Vom Konzept zur Anlage

Das gesamte Projekt wurde von den Projektteams in Karlsruhe und Frankfurt realisiert. Zunächst wurden die Sanofi-Aventis Comos PT Typicals von Siemens in PCS 7 übertragen und der Systemstruktur aus der Comos PT-Umgebung Tool-gestützt in die entsprechende Hardware-Konfiguration in Simatic PCS 7 überführt. Nahezu zeitgleich wurden die Messstelleninstanzen aus Comos PT Tool-gestützt in Simatic PCS 7 CFC-Instanzen umgewandelt und die in Comos PT angelegten Equipment-Module teils mithilfe eines automatischen Tools, teils manuell, in PCS 7 SFC-Instanzen umgewandelt und die Applikationssoftware für die Anlagenbedienung erstellt. Ende Juli 2009 wurde die Software bei Siemens getestet, Anfang August fand der Factory Acceptance Test der Software bei Sanofi-Aventis statt. Mitte August wurden die Systeme in Frankfurt installiert, sodass mit der Inbetriebnahme und der Validierung begonnen werden konnte.
Dank der teilweise automatischen Datenübertragung konnte das Softwareengineering deutlich schneller durchgeführt werden als erwartet. Mittlerweile wurde auch die Funktionalität der Schnittstelle zwischen Comos PT und PCS 7 weiterentwickelt, sodass Folgeprojekte von den Erfahrungen, die im Zuge dieses „Proof of Concept" gemacht wurden, profitieren werden.




„Wir sind auf einem guten Weg"
"Und es ist gut, dass der Anfang gemacht ist", so Dr. Thomas Tauchnitz, Leiter Engineering der Prozessgruppe Technologie in der Site Frankfurt Pharma bei Sanofi-Aventis Deutschland, über das erste Pilotprojekt zur Integration von Comos und Simatic PCS 7. Wir sprachen mit ihm über Ergebnisse und seine Erwartungen.

CHEManager: Herr Dr. Tauchnitz, Sie haben bereits 2005 einen Artikel veröffentlicht, der das Konzept eines integrierten Engineerings für Verfahrenstechnik und Automatisierung propagierte. Der Artikel endet mit dem Verweis auf Tools, die bereits zum damaligen Zeitpunkt eine solche Integration nahe legten, aber mit denen sie noch nicht verwirklicht war. Was wollten Sie damals erreichen?

Dr. T. Tauchnitz: Der Anlass war sicher die konkrete Situation, die wir in unserem Betrieb hier in Frankfurt vor gut 5 Jahren hatten: Zwischen der verfahrenstechnischen Funktionsklärung und der Implementierung im Leitsystem gab es, wenn man so will, unüberbrückbare Differenzen - obwohl ich schon damals der Ansicht war, dass beide Welten eigentlich gut miteinander verheiratet werden können. Daher wollte ich diesen Artikel auch als Aufruf an unsere Partner auf der Seite der Systemlieferanten verstanden wissen, sich mit dieser Problematik zu befassen. Wir waren auch mit einigen Anbietern im Gespräch. Dann akquirierte Siemens die Firma Innotec, deren Engineering-Software Comos wir seit Jahren einsetzen. Das war für mich ein Signal: Jetzt könnte aus unserer Idee etwas werden.

Wie ging es dann weiter?

Dr. T. Tauchnitz: Mitte 2009 fiel der Startschuss für ein erstes Pilotprojekt. Wir hatten uns dazu eine kleine, aber insgesamt typische Anlage für die pharmazeutische Herstellung ausgesucht. Mit diesem Pilotprojekt wollten wir einen ersten Schritt in Richtung Integration machen - und der ist uns auch geglückt. Wobei ich betone, dass wir auch nach Abschluss dieses ersten Pilotprojekts bei Weitem noch nicht am Ziel sind.
Uns war klar, dass wir einen weiten Weg vor uns hatten. Jetzt entwickeln sowohl wir als auch Siemens die Integration weiter. Wir arbeiten an wichtigen Punkten, die momentan noch nicht realisiert sind: das automatische Anlegen der Equipment-Module für die PCS 7 und die Bidirektionalität des automatischen Datenaustauschs. Gerade der letzte Punkt ist wichtig für uns als Betreiber. Gleichzeitig haben wir auch wichtige Erkenntnisse gewonnen, weshalb sich die Verfahrenstechniker und die Leittechnikspezialisten teilweise so schlecht verstehen - und dieses Wissen werden wir weiter nutzen.

Wie wird die Zusammenarbeit fortgesetzt?

Dr. T. Tauchnitz: Wir werden beim nächsten Projekt bereits bei der verfahrenstechnischen Funktionsplanung die Anlage so strukturieren, dass eine Wiederverwendbarkeit der Software erleichtert wird. Siemens wiederum hat aus meiner Sicht gelernt, dass eine firmenweite Standardisierung der Equipment-Module in der Verfahrenstechnik nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist. Dies wird sicher in die weitere Entwicklung der Schnittstellen und Funktionen einfließen. Für ein Unternehmen wie Siemens, das auf die Wünsche seiner Kunden achtet, ist so ein Projekt auch eine tolle Chance, die Anforderungen seiner Kunden noch besser zu verstehen.

Begeben Sie sich durch diese enge Zusammenarbeit nicht in eine Abhängigkeit von einem Lieferanten?

Dr. T. Tauchnitz: Abhängigkeit ist sehr negativ besetzt. Bei uns ist Comos ganz klar als Engineering-Software für die Funktionsplanung gesetzt. Insofern ist das keine Abhängigkeit, sondern eine Standardisierung. Bei der Leittechnik werden wir auch in Zukunft das System wählen, das unsere Anforderungen am besten erfüllt. Da das Engineering in Comos herstellerneutral ist, sehe ich auch keine grundsätzlichen technischen Probleme.

Wie beurteilen Sie die Pläne von Siemens, eine entsprechende Schnittstelle für den Austausch von Engineeringdaten in Simatic PCS 7 und Comos zu integrieren?

Dr. T. Tauchnitz: Diese Integration ist wichtig, denn meiner Meinung nach wird die Schnittstelle nur dann gepflegt. Wir werden in 5 oder 20 Jahren mit Sicherheit eine andere Comos-Version und eine andere Version von PCS 7 haben. Dann muss es immer noch möglich sein, Änderungen an der Anlage in beiden Systemen durchzuführen und einen einheitlichen Stand der Dokumentation herzustellen. Dafür ist eine integrierte Schnittstelle wichtig - und aus Sicht eines Pharmaunternehmens würde ich mir natürlich wünschen, dass diese Schnittstelle auch validiert ist.

Was halten Sie von Aussagen, dass Einsparungen von bis zu 20 % des Engineerings möglich sind?

Dr. T. Tauchnitz: 20 % Einsparung sind für den Bereich Funktionsplanung und Automatisierungs-Softwareerstellung sogar noch untertrieben, da wird immer noch ganz viel „handgestrickt". Aber aus meiner Sicht ist auch das wiederum nur ein Bruchteil des Nutzens.

Wo sehen Sie denn weiteren Nutzen?

Dr. T. Tauchnitz: Wir sehen das Potenzial für enorme Verbesserungen in folgenden vier Bereichen:
Erstens wird sich die Projektdauer erheblich reduzieren. Aktuell sprechen wir von vier Monaten für die Systemprogrammierung zwischen der Funktionsklärung und der Inbetriebsetzung - diese Zeit wird zukünftig eher im Bereich von zwei Wochen liegen. Im Idealfall benötigen wir dann eigentlich nur noch die Laufzeit für den Compiler, also de facto nur wenige Stunden.
Zweitens wird die Qualifizierung einfacher. Eine qualifizierte Schnittstelle, die Daten zwischen Systemen überträgt, macht keine Fehler. Ich muss also nur noch sicherstellen, dass meine Vorgaben korrekt waren.
Einen dritten Punkt hatte ich schon angedeutet, und das ist die Systemdokumentation. Im Moment ist es schon schwierig genug, am Ende der Inbetriebsetzung eine Vorgabedokumentation zu haben, die dem tatsächlichen Anlagenzustand entspricht. Glauben Sie mir: Nach 20 Jahren Anlagenleben stimmt die Dokumentation dann sicherlich nie mehr mit der Wirklichkeit überein. Diese Lifecycle-Aspekte sind gerade in der Pharmaindustrie enorm wichtig - da können wir noch viel besser werden.
Und viertens eröffnet uns ein solches System die Chance, eine lernende Organisation zu werden. Wenn wir für einen Ansatzkessel die entsprechenden Funktionen einmal im System angelegt haben, können wir sie weiter nutzen. Gewisse Änderungen sind immer nötig, aber wir beginnen dann nicht mehr mit einem weißen Papier. Insgesamt sind diese Vorteile viel entscheidender als die angesprochenen 20 % Engineeringleistung im Softwarebereich, die ich im Einkauf spare.

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