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Wohin steuert die deutsche Wirtschaft?

16.01.2012 -

Deutschland hängt seine europäischen Nachbarn ab - trotz der Krise floriert die Wirtschaft. Vor allem kauflustige Verbraucher und kräftige Bauinvestitionen sorgten im zweiten Jahr in Folge beim realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) für eine Drei vor dem Komma: 3,0 % Prozent Wachstum errechnete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden anhand vorläufiger Daten. Auf dem Erfolg ausruhen sollten sich Politik und Unternehmen aber nicht. Zum Jahresende gab es den ersten Dämpfer seit langem.

Wie erklärt sich das starke Ergebnis der deutschen Wirtschaft?

Die Exportnation Deutschland hat kräftig von der Erholung der Weltwirtschaft profitiert und ist mit Schwung ins abgelaufene Jahr gestartet. Viele Unternehmen hatten zudem die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 genutzt, um sich besser aufzustellen: Kapitalpolster wurden dicker, die Produktpalette überarbeitet. Die Verbraucher in Deutschland kauften 2011 kräftig ein: Wegen der Turbulenzen um den Euro steckten viele ihr Geld lieber in Immobilien, die Renovierung der eigenen vier Wände, ein neues Auto oder einen neuen Flachbildfernseher. Extrem niedrige Sparzinsen befeuerten den Trend: Es lohnte schlicht nicht, Geld auf die hohe Kante zu legen.

Warum läuft es in Deutschland besser als in anderen EU-Staaten?

Know-how «Made in Germany» ist weltweit gefragt: Fahrzeuge, Präzisionsmaschinen, Spezialchemikalien. Deutschland hat früher als andere Nationen seine Hausaufgaben gemacht. Lange galt Deutschland als «kranker Mann Europas». Volkswirte sehen die vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorangetriebene «Agenda 2010» als Ausgangspunkt der Trendwende: Das Maßnahmenpaket half, die Sozialsysteme zu sanieren, Lohnnebenkosten zu senken, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und die Staatsfinanzen zu konsolidieren.

Was haben die Reformen gebracht?

Europas größte Volkswirtschaft schafft trotz eines turbulenten Umfelds einen Exportrekord: 2011 wurden erstmals Waren im Wert von mehr als 1 Bill. €  ins Ausland verkauft. Auch bei den
Arbeits- und Lohnstückkosten braucht Deutschland den Vergleich mit Wettbewerbern nicht zu scheuen. Zwar ist Arbeit hierzulande immer noch relativ teuer: Im Schnitt 29,20 € je geleistete Arbeitsstunde bezahlten private Arbeitgeber nach den jüngsten Jahreszahlen des Statistischen Bundesamtes (Stand 2010). Das waren 32 % mehr als im EU-Durchschnitt, aber 12 % weniger als in Frankreich.

Profitiert Deutschland von der europäische Krise?

Zumindest teilweise. Der vergleichsweise schwache Euro macht deutsche Produkte außerhalb des gemeinsamen Währungsraumes günstiger und damit wettbewerbsfähiger. Zu Beginn dieser Woche fiel der Euro wegen der Sorgen über eine Eskalation der Schuldenkrise auf den tiefsten Stand seit September 2010 und notierte bei 1,26 US-$ . Dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf das Rekordtief von 1,0 % senkte, verbilligt zudem tendenziell Kredite für Unternehmen und Verbraucher. Dennoch: «Per Saldo ist der Effekt der Euro-Schuldenkrise sicher nicht positiv», sagt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Rund 40 % der deutschen Exporte gehen nach wie vor in die Euro-Länder, ganz abkoppeln von den Turbulenzen kann sich Deutschland nicht.

Wie sind die Aussichten für dieses Jahr?

Die größte Sorge ist, dass es den Europäern nicht gelingt, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen und damit Spekulationen über die Zukunft des Euro ein für allemal zu beenden. «Die von der Staatsschuldenkrise ausgehende Unsicherheit legt sich zunehmend wie Mehltau auf die Konjunktur», prognostizierte Commerzbank- Chefvolkswirt Jörg Krämer schon im November. Das nährt auch die Verunsicherung von Verbrauchern und professionellen Investoren. Bereits im 4. Qu. 2011 ist die deutsche Wirtschaft nach Schätzungen des Bundesamtes leicht geschrumpft.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die rohstoffarme deutsche Industrie: Wie entwickeln sich die Rohstoffpreise? Sollte der Iran seine Drohung wahr machen und die für den Ölhandel wichtige Straße von Hormus blockieren, könnte der Ölpreis massiv nach oben schnellen.

Was spricht gegen einen Wirtschaftsabsturz 2012?

Der warme Winter in Deutschland hilft unter anderem der Baubranche und könnte so zu Jahresbeginn für bessere Wirtschaftsdaten sorgen als erwartet. Auch in den USA lief es zuletzt besser als prognostiziert, die Gefahr einer Rezession des Wirtschaftsriesen mit Negativfolgen weltweit halten Experten für vorerst gebannt. Zwar stellen sich Autobauer - zumindest in Europa - und Chemieindustrie auf schwierige Zeiten ein, noch aber ist die Stimmung in vielen Unternehmen gut.
Mancher Maschinenbauer kann noch bis weit ins Jahr 2012 von vollen Auftragsbüchern zehren. Trotz aller Befürchtungen kommen Firmen nach wie vor an Kredite für Investitionen. Die Sparkassen etwa reichten nach Angaben ihres Dachverbandes DSGV bis Ende November vergangenen Jahres in der Summe mehr Kredite aus als im Vorjahreszeitraum: 52,5 Mrd. € bedeuteten ein Plus von 3,4 Mrd. €.