Märkte & Unternehmen

CBAM – droht das administrative K. O.?

Holpriger Start des Carbon Border Adjustment Mechanism

17.04.2024 - Zu schnell, zu ungenau und mit handwerklichen Fehlern behaftet, so lautet die Kritik von Unternehmen zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU.

Zu schnell, zu ungenau und mit handwerklichen Fehlern behaftet, ­lautet die Kritik. Der neue CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), Teil des „Fit for 55“-Klimaschutzpakets der Europäischen Union, läuft nach ­seinem Start alles andere als rund. Bis sich das am grünen Tisch Erdachte im ­grauen Alltag auszahlt, bedarf es noch einiger Anstrengungen – sowohl auf ­Behördenseite als auch in den Unternehmen.

Verschmutzungsrechte in der Europäischen Union (EU) kosten Geld, in vielen Ländern außerhalb der EU aber nicht. Die Folge war nicht nur eine Verlagerung von emissionsintensiver Produktion ins Ausland. Günstigere Importe setzten Unternehmen, die weiterhin hierzulande produzieren, unter einen enormen Wettbewerbsdruck. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) soll sicherstellen, dass für Importe die gleichen Emissionspreise anfallen wie für Erzeugnisse, die in der EU produziert wurden. Er gilt seit Oktober vergangenen Jahres für Aluminium, Eisen und Stahl, Düngemittel, Zement, Strom und Wasserstoff.
Grundlage ist ein auf dem CBAM-Portal der EU einzureichender Bericht, in dem die Unternehmen aufschlüsseln müssen, welche Emissionen mit den von ihnen eingeführten Waren im zurückliegenden Quartal verbunden waren. Dies erst einmal zu „Übungszwecken“ kostenfrei und anhand von Standardwerten. Ernst wird es 2026. Dann dürfen nur noch zugelassene CBAM-Anmelder die betreffenden Waren in die EU COund es muss ein CO2-Preis in Form von Zertifikaten entrichtet werden. Die Importeure sollen schrittweise für das eingebettete COzahlen, und zwar in dem Maße, wie die europäischen Produzenten für die zurzeit noch überwiegend kostenlosen Zertifikate ebenfalls zu zahlen beginnen. Im Jahr 2026 werden zunächst nur 2,5 % der Zertifikate kostenpflichtig. Die Kurve steigt exponentiell, bis es 2034 keine kostenfreien Zertifikate mehr geben wird. 

Glatter Fehlstart
Gut gedacht ist aber nicht automatisch gut gemacht. Viele Unternehmen konnten schon den ersten Bericht nicht fristgerecht zu Ende Januar 2024 einreichen. Es hakte bei der EDV. „Viele IT-Tools sind noch fehlerhaft, oftmals ist auch der Umgang damit noch unklar“, resümiert Matthias Blum, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft im Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die EU-Kommission sei sich der Schwierigkeiten bewusst, heißt es in einer Verlautbarung der Deutschen Emissionshandelsstelle, die als nachgeordnete Behörde des Umweltbundesamts für die CBAM-Umsetzung in Deutschland zuständig ist. Es werden „Software-Probleme und technische Schwierigkeiten bei der elektronischen Übermittlung“ eingeräumt. Unternehmen haben die Möglichkeit, auf dem CBAM-Portal unter der Schaltfläche „Request delayed submission“ eine verspätete Einreichung ihres Berichts zu beantragen. Nach Antragstellung haben sie dafür 30 Tage Zeit, in der Hoffnung, dass dann alles funktioniert.

„Zu schnell, zu ungenau und mit handwerklichen Fehlern behaftet, lautet die Kritik der Unternehmen am CO2-Grenzausgleichsmechnismus.“

 

Es war ein Fehlstart mit Ansage. Man habe das Konzept von Anfang an skeptisch gesehen, sagt Blum. Die Einführung sei überstürzt und mit unrealistischen Zeitplänen für Behörden und Unternehmen erfolgt. Zudem gebe es noch viele offene Fragen. Potenziert würden die Probleme durch eine viel zu niedrige Schwelle, ab welchem Wert Produktlieferungen in die Berichte aufgenommen werden müssten. So kritisiert die Deutsche Industrie- und Handelskammer, dass auch für „Allerweltswaren“ ab einem Wert von 150 EUR jedes Quartal fast 300 Datenfelder auszufüllen seien. Eine weitere Sorge sei der hohe Aufwand bei der Datenbeschaffung. Zahlreiche Verbände, darunter der VCI, bemängeln, dass den Unternehmen nicht genug Zeit für die Vorbereitung auf die Meldepflichten zur Verfügung gestanden habe. Sie warnen vor einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohe Regiekosten, einer Überforderung der Organisation und schließlich durch die Kosten der Zertifikate. Droht der administrative Knock-out?

Strategische Aufgabe
„Es kommt darauf an, die Übergangszeit intensiv zu nutzen. Acht Berichtszyklen sollten ausreichend Raum dafür bieten, effiziente Prozesse zu etablieren und zu justieren“, so Lars-Peter Häfele, Geschäftsführer von Inverto am Standort München, der auf Einkauf und Supply-Chain-Management spezialisierten Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group, dies vor allem in enger Zusammenarbeit mit den Nicht-EU-Lieferanten. Eine Harmonisierung der Systeme zur Datenerhebung und -verarbeitung und schließlich auch zur Abbildung im Finanzmanagement sei essenziell. Mit Excel allein sei das Ganze nicht mehr zu bewältigen.
Denn das „Ganze“ besteht nicht nur in der Anforderung und Zusammenstellung von Daten darüber, welche unter den Geltungsbereich der CBAM fallenden Waren und deren Mengen von Nicht-EU-Herstellern importiert werden. Darauf basierend sollten bereits jetzt anhand der Standardwerte vorläufige finanzielle Folgenabschätzungen der CBAM-Verordnung mit Blick auf die Einführung ab 2026 erfolgen. Da immer mehr lieferantenspezifische Emissionsdaten erhoben werden, können Unternehmen die Folgenabschätzung schrittweise verfeinern und auf dieser Grundlage eine Strategie entwickeln, die auf den finanziellen Auswirkungen der CBAM-Verordnung basiert. „Eine Strategie könnte darin bestehen, Lieferanten zu CO2-ärmerer Produktion aufzufordern. Die in CBAM-Waren eingebetteten Emissionen würden verringert und die Ausgleichszahlungen gesenkt. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn der Kunde eine wichtige Rolle für den Lieferanten spielt. Ist das nicht der Fall, können Unternehmen zu Lieferanten innerhalb oder außerhalb der EU wechseln, die geringere Emissionen anbieten“, erklärt Häfele.
Zurück zum Ausgangspunkt: „Größere Unternehmen konnten in den letzten Monaten Strukturen aufbauen, mit denen die CBAM-Anforderungen einigermaßen bewältigt werden können – unter hohem Aufwand und mit den beschriebenen Problemen“, so Blum vom VCI. Mittelständische Unternehmen dürften noch größere Umsetzungsschwierigkeiten haben. Der CBAM sei ein Beispiel dafür, dass bei Gesetzgebungen nicht ausreichend auf die Umsetzbarkeit auch in kleinen Betrieben geachtet werde, sagt Freya Lemcke, Leiterin der DIHK-Vertretung bei der EU. Indes dürfe der CBAM nicht isoliert als reine „Zollangelegenheit“ betrachtet werden, sagt Häfele. Die Dokumentation von CO2-Footprints sei eines der wichtigsten Elemente der Dekarbonisierung, etwa bei den zu erbringenden Reports zu Scope-3-Emissionen, und Lieferkettentransparenz damit in jeder Beziehung erfolgskritisch. Schließlich will die gesamte EU ab 2045 CO2-neutral sein.

Manfred Godek, freier Finanzjournalist, Monheim

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