Anlagenbau & Prozesstechnik

CE-Koordinierung für verfahrenstechnische Anlagen

Wertvolle Unterstützung

08.04.2021 - Manfred Schulte von Horst Weyer und Partner stellt die möglichen Aufgaben eines CE-Koordinators anhand eines Praxisbeispiels für eine Rührwerksanlage dar.

Die Richtlinie 2006/42/EG für Maschinen (MRL) regelt das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Maschinen, unvollständigen Maschinen und den Maschinen gleichgestellten Produkten (z.B. Sicherheitsbauteile und Lastaufnahmemittel) im Europäischen Wirtschaftsraum.

Gesamtheit von Maschinen

Als „Inverkehrbringen“ wird die erstmalige Bereitstellung einer Maschine oder einer unvollständigen Maschine auf dem Markt im Hinblick auf ihren Vertrieb oder ihre Benutzung bezeichnet, während unter „Inbetriebnahme“ die erstmalige bestimmungsgemäße Verwendung einer Maschine für den eigenen Gebrauch verstanden wird („Eigenherstellung“).

In der MRL wird unter dem weit gefassten Begriff „Maschine“ auch eine so genannte „Gesamtheit von Maschinen“ geregelt. Um eine „Gesamtheit von Maschinen“ zu bilden, müssen nach der nationalen Auslegung im Interpretationspapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) Maschinen und/oder unvollständige Maschinen produktions- und sicherheitstechnisch (z.B. durch Rohrleitungen, Materialübergabestellen, Steuerungs-/Sicherheitstechnik) miteinander verkettet sein.

In der praktischen Anwendung des Begriffs der „Gesamtheit von Maschinen“ stellt sich bei industriellen Großanlagen (z.B. Hüttenwerken, Kraftwerken oder Anlagen der chemischen Industrie) häufig die Frage, inwieweit solche Anlagen als „Gesamtheit von Maschinen“ den Anforderungen der MRL unterliegen.

Bei industriellen Großanlagen kann zwar häufig der produktionstechnische Zusammenhang bejaht werden, i.d.R. aber nicht der sicherheitstechnische Zusammenhang. In diesem Fall unterliegen solche Anlagen als Gesamtheit nicht den Anforderungen der MRL.

Auf den Sachverhalt hinsichtlich der Anwendung der MRL auf Industrieanlagen bezieht sich der „Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG der Europäischen Kommission, der hierzu feststellt, dass die Begriffsbestimmung „Gesamtheit von Maschinen“ nicht notwendigerweise auf eine vollständige Industrieanlage in ihrer Gesamtheit angewendet werden muss.

Es wird aber darauf verwiesen, dass die meisten Industrieanlagen gewöhnlich in einzelne Gesamtheiten von Maschinen im Sinne von homogenen Funktionseinheiten unterteilbar sind, für die jeweils die Anforderungen der MRL anzuwenden sind.

Beispiele: Rohmaterialentladung und -zuführung, Abfüll-, Verarbeitungs-, Verpackungs- und Beladeeinheiten.

Der Eigenhersteller

Die Regelung des „Eigenherstellers“ betrifft insofern oftmals Betreiber, die Maschinen, unvollständige Maschinen und Ausrüstungen (z.B. Schaltanlagen, Steuerungs- und Sicherheitstechnik) von unterschiedlichen Lieferanten beschaffen und zu einer verwendungsfertigen Maschine komplettieren oder prozess- und sicherheitstechnisch zu einer „Gesamtheit von Maschinen“ miteinander verketten.

Der Betreiber wird dann nach der MRL zum „Eigenhersteller“ und ist damit verpflichtet, das Konformitätsbewertungsverfahren zum Nachweis der Übereinstimmung der Maschine bzw. der „Gesamtheit von Maschinen“ mit den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen.

Im Rahmen des erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren zur CE-Kennzeichnung für verwendungsfertige Maschinen sind insbesondere technische Unterlagen zu erstellen, u.a. die Dokumente Risikobeurteilung, EG-/EU-Konformitätserklärung und Betriebsanleitung.

Im Zusammenhang mit der CE-Kennzeichnung einer Gesamtheit von Maschinen, die für den Eigengebrauch hergestellt wird, stellt sich oftmals die Frage, wie die rechtlichen Anforderungen der MRL eingehalten sowie damit verbundene Kosten reduziert und Haftungsrisiken minimiert werden können. Hierbei kann im Konformitätsbewertungsverfahren zur CE-Kennzeichnung ein ausgebildeter CE-Koordinator (CEKO), der als „fachkundige Person“ eingesetzt wird, wertvolle Unterstützung leisten. Die möglichen Aufgaben eines CE-Koordinators werden im nachfolgenden Praxisbeispiel für eine Rührwerksanlage dargestellt.

Praxisbeispiel einer neuen Rührwerksanlage

Ein Betreiber plant eine neue Rührwerksanlage für den Eigengebrauch, bestehend aus einem Rührwerksbehälter, Pumpe, kraftbetätigten Armaturen, Rohrleitungen, Steuerung inkl. MSR-Technik und einem Lagerbehälter. Die Baugruppen werden bei verschiedenen Lieferanten beschafft und in Verantwortung des Betreibers miteinander verkettet.

Der CEKO sollte bereits in der Planungs-/Beschaffungsphase der Rührwerksanlage zur Klärung folgender Fragestellungen eingebunden werden:

  • Werden die unvollständigen Maschinen mit dem Lagerbehälter, den Rohrleitungen und der Steuerung inkl. MSR-Technik produktions- und sicherheitstechnisch verkettet?
  • Welche Anforderungen ergeben sich daraus an das Bewertungsverfahren nach der MRL und ist in diesem Zusammenhang eine CE-Kennzeichnung erforderlich?
  • Sind über die MRL hinaus weitere EU-Richtlinien, z.B. für Druckgeräte 2014/68/EU, Geräte in explosionsgefährdeten Bereichen 2014/34/ EU und zur elektromagnetischen Verträglichkeit 2014/30/ EU anzuwenden?
  • Welche Dokumente müssen in diesem Zusammenhang für die „Rührwerksanlage in ihrer Gesamtheit bzw. für die Einzelmaschinen erstellt werden?
  • Welche CE-relevanten Aspekte sind im Beschaffungsprozess gegenüber den Lieferanten für die Baugruppen vertraglich zu Regeln (z.B. hinsichtlich der Verantwortlichkeiten, Schnittstellenbetrachtungen und der beizustellenden Dokumentation)?
  • Wurde vor der erstmaligen Inbetriebnahme die von den Lieferanten beigestellte Dokumentation auf die Einhaltung der formalen gesetzlichen Anforderungen geprüft (Plausibilitätsprüfung)?

Bei der Planung der Rührwerksanlage sind darüber hinaus noch weitere praktische Aspekte zu berücksichtigen, z.B.:

  • Die Betrachtung der Schnittstellen und Wechselwirkungen sollte auch bereits in der Planungsphase der Anlage begonnen werden, z.B. hinsichtlich Maßnahmen zum Explosionsschutz (Ex-Schutzkonzept) als Grundlage für das Explosionsschutzdokument nach der Gefahrstoffverordnung und der Festlegung von Sicherheitsfunktionen mit Einstufung des erforderlichen Performance Level (PL) bzw. Sicherheitsintegritätslevel (SIL) zur Ausführung der steuerungstechnischen Wirkungskette Sensorik-Logik-Aktorik.
  • Um sicherzustellen, dass in der Risikobeurteilung eine Vielzahl von Gefährdungen erkannt werden, sollte bei prozess- und verfahrenstechnischen Anlagen die Risiko­beurteilung unter Berücksichtigung der Schutzziele aus dem Anhang I der MRL mit einer systematischen Betrachtung zu Aspekten der Verfahrenssicherheit in Form einer HAZOP-Studie (PAAG-Methode) ergänzt werden.
  • Die nach MRL erstellte Risikobeurteilung kann vom Betreiber als Arbeitgeber u.a. zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen zur Arbeitssicherheit als Bestandteil der arbeitsmittelbezogenen Gefährdungsbeurteilung nach § 3 Betriebssicherheitsverordnung verwendet werden.

Fazit

Oftmals werden von einem Betreiber Maschinen, unvollständige Maschinen und Ausrüstungen (z.B. Schaltanlagen, Steuerungs- und Sicherheitstechnik) von unterschiedlichen Lieferanten beschafft und zu einer verwendungsfertigen Maschine bzw. „Gesamtheit von Maschinen“ komplettiert bzw. verkettet. Der Betreiber wird ohne vertragliche Regelungen nach MRL zum Hersteller für den Eigengebrauch und ist damit für die CE-Kennzeichnung sowie die Erstellung der erforderlichen technischen Unterlagen verantwortlich.

Damit der Betreiber die vielfältigen Anforderungen zur CE-Kennzeichnung effizient bewältigen kann, ist die Einbindung eines CEKO als „fachkundige Person“ bereits in der Planungsphase zu empfehlen. Durch den CEKO wird gewährleistet, dass die rechtlichen Anforderungen der MRL eingehalten sowie Fehler im Beschaffungsprozess verhindert und Haftungsrisiken minimiert werden.

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