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Chemische Industrie Mittel- und Osteuropas im Wandel

14.03.2011 -

Chemische Industrie Mittel- und Osteuropas im Wandel
Von: Dr. Volker Fitzner, PricewaterhouseCoopers (PwC), Frankfurt
Die Europäische Union (EU) hat bisherige Erweiterungen problemlos verkraftet – dennoch stellt die Integration der vor knapp anderthalb Jahren neu beigetretenen Länder Mittelund Osteuropas nicht zuletzt durch die vorhandene wirtschaftliche Kluft zu den ehemaligen EU-15-Staaten nach wie vor eine enorme Herausforderung dar. Die Aussichten für die chemische Industrie in Osteuropa sind je nach Segment stark unterschiedlich. Bei Produkten aus der Petrochemie und Polymeren handelt es sich um Commodities, die sich auf gesättigten Märkten bewegen und eine entsprechend hohe Preissensitivität aufweisen. Für viele Cracker in Mittel- und Osteuropa besteht zusätzlich noch der Nachteil, dass sie häufig unter einer Knappheit an Naphta leiden. Bei der Polymerproduktion fällt auf, dass die Qualität der Produktionsstätten viel stärker variiert als in den ehemaligen EU-15-Ländern. Dennoch können die meisten Produzenten dank des niedrigen Lohnniveaus auf den heimischen Märkten gegen Importe aus westeuropäischen Staaten bestehen.

Günstige Aussichten für Waschmittel und Farben
Insgesamt günstiger erscheinen die Aussichten für konsumentennahe Produkte aus den Bereichen Waschmittel und Farben. In der Waschmittelindustrie haben internationale Konsumgüterhersteller durch hohe Investitionen in den neuen Mitgliedsstaaten bereits signifikante Marktanteile erreicht. Es wird ihnen jedoch kaum gelingen, die größten heimischen Unternehmen zu verdrängen, die über eine starke Wettbewerbsposition verfügen und von Kostenvorteilen profitieren. Auch in der Farbindustrie brachten große internationale Investoren viel Kapital in die neuen Mitgliedsstaaten, da insbesondere der Baubranche hohes Wachstum vorhergesagt wird. Dabei können heimische Hersteller in einigen Ländern, wie z.B. Polen, insbesondere die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Farben nicht befriedigen, so dass ein Großteil importiert werden muss.

Feinchemie interessant für Investitionen
In der Feinchemie, der durch die Auflösung der Sowjetunion ein wichtiger Markt verloren gegangen ist, haben sich dagegen bisher nur wenige ausländische Investoren eingefunden. Niedrige Lohnkosten bei gleichzeitig vorhandenem qualifiziertem Personal lassen sie damit zukünftig für einige der großen internationalen Produzenten attraktiv erscheinen. Auch bei Performance Chemicals besteht Handlungsbedarf. Hier verfügen die etablierten Hersteller zumeist über zu geringe Kapazitäten – somit müssen sie Wege finden, um ihre Kosten zu reduzieren oder ein besser differenziertes Produktspektrum anbieten zu können, damit sie weiterhin erfolgreich sind.

Herausforderungen und Chancen
Die meisten mittelfristig ausgerichteten ökonomischen Vorhersagen gehen im Allgemeinen davon aus, dass die Wirtschaft in den neuen EU-Mitgliedsländern wesentlich schneller wachsen wird als in den EU-15-Staaten. Dies wiederum bedeutet, dass die Märkte für Konsumprodukte, wie z.B. Farben oder Kosmetika, relativ schnell wachsen und neue Markteintritte entweder direkt durch die Eröffnung von Produktionsstätten oder indirekt durch eine Ausweitung von Importen erfolgen werden. Grundsätzlich erscheint es ratsam, dafür zu sorgen, dass die Produktivität auch weiterhin schneller wächst als die Löhne. Die Unternehmen sollten Investitionen in größere und effizientere Produktionsanlagen vornehmen und sich rechtzeitig weiter in der Wertschöpfungskette vorarbeiten, um zu verhindern, dass sie in der Produktion von wenig rentablen Erzeugnissen wie Basischemikalien ‘hängen bleiben’. Dass es besonders schwierig sein wird, diese Herausforderung zu meistern, haben Unternehmen in den EU- 15-Staaten und den USA bereits erfahren. Lokale Produzenten können erwarten, von westlichen Investoren zu profitieren, die die günstige langfristige ökonomische Perspektive durch Technologie- und Kapitaltransfer für sich nutzen möchten. Anders gesagt: Wenn sich die Unternehmen in den neuen Mitgliedsstaaten der EU weiterhin darauf verlassen, in Zukunft Wettbewerbsvorteile durch ein niedriges Lohnniveau zu erhalten, werden sie unter den Vorzeichen einer weitergehenden Globalisierung zunehmend in die Konkurrenz von Produzenten geraten, die in anderen Ländern, vor allem im asiatischen Raum, mit noch geringeren Löhnen operieren. Somit ergeben sich auch zukünftig Herausforderungen und Chancen für Produzenten und Investoren. Sektor Ausblick Petrochemie Schwierigkeiten bei der Rohstoffbeschaffung; lediglich in Ungarn befinden sich wettbewerbsfähige Unternehmen. Polymere Trotz kleiner Produktionseinheiten Wettbewerbsfähigkeit aufgrund niedriger Lohnkosten. Düngemittel Seit dem Zusammenbruch der osteuropäischen Agrarwirtschaft herrscht immer noch eine geringe Nachfrage. Für die Zukunft wird ein Abbau von Kapazitäten erwartet. Kunstfasern Um im Wettbewerb mit Asien und Westeuropa mithalten zu können, sind Modernisierungsinvestitionen notwendig. Waschmittel Multinationale Konzerne konnten bereits hohe Marktanteile gewinnen, wobei größere einheimische Wettbewerber weiterhin mithalten können. Farben Konsolidierungsprozess wurde bereits durchlaufen. Wie die erwartete gesteigerte Nachfrage gedeckt werden wird – durch etablierte Produzenten oder neue Markteintritte – bleibt offen. Feinchemie Attraktive Investmentchancen, da bisher wenig ausländische Investitionen erfolgten und gleichzeitig günstige Arbeitskräfte mit guter Ausbildung vorhanden sind. Performance Chemicals Kleine, aber bereits gut etablierte Unternehmen müssen Wege finden, um Kosten zu reduzieren oder ihr Produktspektrum auszuweiten.