Anlagenbau & Prozesstechnik

Deponiegasfackeln per Internet überwachen

SCADA-System verbindet Prozessvisualisierung und Emissionsrechtehandel

19.04.2013 -

Emissionsrechtehandel und Prozessvisualisierung in einem Atemzug zu nennen, erscheint auf den ersten Blick etwas befremdlich. Dass zwischen beiden durchaus ein Zusammenhang bestehen kann, zeigt eine Anwendung in Kolumbien: Hier werden aus Klima- und Umweltschutzgründen Deponiegase abgefackelt, um dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken. Die Fackeln werden übers Internet ferngesteuert, überwacht und die Verbrennungsdaten protokolliert. Ein webbasiertes SCADA-System (Supervisory Control and Data Acquisition) bietet hierfür ideale Voraussetzungen.

Der Europäische Emissionsrechtehandel ist sicherlich ein komplexes und manchmal auch kontrovers diskutiertes Thema; die wichtigsten Grundlagen sind jedoch einfach zu verstehen: Für alle großen CO2-emittierenden Anlagen innerhalb der EU muss der Betreiber am Anfang des Folgejahres für jede Tonne CO2-Emission eine Emissionsberechtigung nachweisen. Neben Europäischen Emissionsberechtigungen (EUA = European Union Allowance) können bis zu einer definierten Obergrenze auch Einheiten aus Emissionsreduktionsprojekten (CDM = Clean Development Mechanism) in Entwicklungs- und Schwellenländern eingesetzt werden. Die offizielle Bezeichnung für diese zertifizierten Emissionsgutschriften nach Artikel 12 des gerade verlängerten Kyoto-Protokolls lautet CER (Certified Emission Reduction). Sie werden international gehandelt, was den Entwicklungsländern bei der Finanzierung und dem Know-how-Transfer von Emissionsreduktionsprojekten wie z.B. erneuerbare Energien hilft, gleichzeitig aber auch dem globalen Klimaschutz zugutekommt. Schließlich ist der Treibhauseffekt keine nationale Angelegenheit.

Methangasverbrennung entlastet die Umwelt

Dieses Szenario liefert den Hintergrund für die Zusammenarbeit der EnBW Energie Baden-Württemberg mit der CarbonBW, einer Unternehmensgruppe, die sich auf die Entwicklung, die technische Umsetzung, den Betrieb sowie Kontrolle und Management solcher Projekte spezialisiert hat, u.a. auch in Kolumbien. Hier werden durch das Verbrennen von Methangas, das auf den Deponien der Großstädte anfällt, CO2-Zertifikate erworben, die CarbonBW dann an die EnBW weitergibt. Das ist ökologisch sinnvoll, denn das Deponiegas Methan würde je Tonne 21-mal stärker zum Treibhauseffekt beitragen, als das bei seiner Verbrennung freiwerdende CO2. Derzeit sind bereits vier Fackeln in Betrieb: in Armenia, Monteria, Tunja und Cartagenia.

Für den Monitoring- und Verifizierungsprozess der Emissionsreduktionen ist es erforderlich, die Prozessdaten aller Fackeln zu sammeln und zu protokollieren, um eine genaue Abrechnung zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen die Fackeln aus der Ferne überwacht und bedient werden, da sich ein Personaleinsatz vor Ort nicht rechnen würde. Gesucht wurde deshalb eine Lösung, die den notwendigen Leistungsumfang bietet und gleichzeitig ein komfortables Engineering und einfache Bedienbarkeit ermöglicht. Ende 2010 wurde das Projekt ausgeschrieben und im Frühjahr 2011 an WEBfactory vergeben. Schon Mitte 2011 gingen dann die ersten Fackeln in Armenia und Monteria in Betrieb, und die anderen folgten sukzessive.

Für die Auswahl der Prozessvisualisierung sprachen gleich mehrere Gründe: Die auf allen Microsoft-Plattformen einsetzbare SCADA/HMI-Software-Suite zur webbasierten Visualisierung, Steuerung und Überwachung von Maschinen und Anlagen lässt sich durch ihre modulare Struktur und den durchgängigen Einsatz von Standardkomponenten sehr einfach für unterschiedliche Projekte konfigurieren; nachträgliche Erweiterungen sind einfach realisierbar. Dies ist z.B. von Bedeutung, wenn in einer zweiten Projektstufe eine Verstromung des Deponiegases umgesetzt wird. Diese Features kombiniert mit modernen und verbreiteten Programmiersprachen in der Entwicklungsumgebung helfen, das Engineering sehr effizient zu gestalten.

Bedienen, Protokollieren und Alarmieren

Für die Benutzerakzeptanz ist eine einfache und komfortable Bedienung wichtig. Dank vollständig vektorbasierter Grafiken auf Basis von Microsoft Silverlight lässt sich die Visualisierung verlustfrei an jede Bildschirmgröße anpassen, zur Darstellung eignet sich jeder übliche Browser. Außerdem ist jederzeit ein Fernzugriff übers Internet möglich. Dabei ist die Visualisierung identisch mit der Anzeige vor Ort. Die Bedienstationen am Standort der Fackeln sind autark und können auch ohne Internetverbindung arbeiten. In Kolumbien sind die Internetverbindungen nicht immer unterbrechungsfrei. Besteht eine Verbindung, werden die Daten automatisch mit dem Zentralrechner in Bogota synchronisiert. Insgesamt fallen Daten von ca. 200 Messstellen an. Zehn dieser Werte sind für die Zertifikate relevant; die anderen dienen dazu, die Anlagen optimal zu betreiben. Den Anlagenbetrieb steuert eine Beckhoff SPS. Die Anbindung stellt eine native Schnittstelle der Visualisierungssoftware sicher. Eine reibungslose Kommunikation mit der Steuerung der Deponiegasfackel ist damit gewährleistet. Die für den Monitoring- und Verifizierungsprozess relevanten Daten werden nicht nur im Zentralrechner aufgezeichnet, sondern auch parallel dazu über so genannte Auditfiles protokolliert. Eine Manipulation der aufgezeichneten Daten ist im Nachhinein nicht möglich bzw. wäre über diese Protokolle nachweisbar.

Am Zentralrechner können die Analysen und Auswertungen ebenfalls ohne ständige Internetverbindung zu den Vor-Ort-Stationen über den gespiegelten Datenbestand gefahren werden. Bei bestehender Onlineverbindung zu den Unterstationen lassen sich von hier und von zwei weiteren Bedienstationen aus der Ferne alle aktuellen Daten in Echtzeit beobachten. Ebenso erlaubt das System eine Fernbedienung der Fackeln mit den entsprechenden Benutzerrechten, und das weltweit. Die übersichtliche Darstellung ermöglicht es dem Bedienpersonal, den kompletten Betrieb ganz einfach und intuitiv zu steuern und zu überwachen. So können sich alle Berechtigten jederzeit über den Zustand der Anlagen informieren. Außerdem sind alle für den jeweiligen Benutzer relevanten Daten als Wochenberichte abonniert. Sie werden von WEBfactory automatisch generiert und verschickt.

Schnelle Reaktion im Störfall

Sollte es bei den Fackeln zu einer Störung kommen, ist auch das kein Problem. Denn das SCADA/HMI-System meldet Störungen sofort per Email an das technische Personal. Reagiert der angeschriebene Mitarbeiter auf die Meldung nicht innerhalb einer definierten Wartezeit, werden über eine Eskalationstabelle im Bereitschaftsplan weitere Personen benachrichtigt. Die Visualisierungssoftware hat damit ihre Leistungsfähigkeit und den hohen Praxisnutzen auch in einer ungewöhnlichen Anwendung unter Beweis gestellt und wieder einmal gezeigt, in welch unterschiedlichen Bereichen sich heute von webbasierten SCADA/HMI-Systemen profitieren lässt. Schließlich reicht das Spektrum der modular aufgebauten Software von der Gebäudeautomatisierung bis hin zu komplexen Industrieanlagen.

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