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Entwicklung zur Klimaneutralität

Zukunftsperspektiven im ChemCoast Park Brunsbüttel

12.09.2022 - Um die Gasversorgung gewährleisten zu können, hat die Bundesregierung entschieden, ein Import- und Distributionsterminal für Liquefied Natural Gas (LNG) in Brunsbüttel zu errichten.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat auf erschreckende Weise verdeutlicht, wie entscheidend eine Diversifizierung der Energiebezugsquellen hierzulande ist. Die in Gefahr geratene Versorgungssicherheit und steigende Energiepreise betreffen private Haushalte ebenso wie die energieintensive Industrie, welche Erdgas als Energieträger und Grundstoff für ihre Produktion einsetzt, wie es auch im ChemCoast Park Brunsbüttel der Fall ist.  

Um die Gasversorgung für Haushalte und Industrie schnellstmöglich gewährleisten zu können, hat die Bundesregierung entschieden, ein Import- und Distributionsterminal für Liquefied Natural Gas (LNG) in Brunsbüttel zu errichten. Die Planungen gehen von einer jährlichen Durchsatzkapazität von 8 Mrd. m³ (Erdgas) aus, welche noch auf 10 Mrd. m³ erweitert werden kann. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 importierte Deutschland insgesamt rund 80 Mrd. m³ Erdgas.

Das Terminal wird u.a. aus zwei Tanks à 165.000 m³ für die Zwischenspeicherung von Flüssigerdgas, einer Jetty (Landungsbrücke) mit zwei Anlegemöglichkeiten für LNG-Carrier, Regasifizierungsanlagen sowie Anlagen zur Verladung für die Distribution bestehen. Unter heutigen Voraussetzungen ist es realistisch, mit einer Fertigstellung des Terminals 2026 zu rechnen. Alle Projektpartner (darunter Gasunie) arbeiten jedoch daran, das Projekt erheblich zu beschleunigen.

LNG wird in Zukunft schrittweise klimafreundlicher werden durch höhere Beimischungen von synthetischen und/oder biogenen Stoffen. Der Terminal wird vom ersten Tag der Inbetriebnahme an ohne technische Umrüstungen für die Lagerung und Weiterverteilung von klimafreundlichem „Bio-LNG“ nutzbar sein. Als Zwischenlösung bis zur Fertigstellung des Terminals ist die Nutzung einer FSRU (Floating Storage and Regasification Unit) als schwimmendes LNG-Terminal am Brunsbütteler Elbehafen vorgesehen – an der Realisierung wird mit Hochdruck gearbeitet, damit es bereits in der kommenden Wintersaison zur Versorgungssicherheit in der Metropolregion Hamburg beitragen kann.

Über diese neue Infrastruktur für Energieimporte sollen auch klimaneutrale grüne Energieträger importiert werden. Welche Strahlkraft die strategische Entscheidung für Brunsbüttel als Energieimport-­Hub entfaltet, unterstreichen auch die Pläne von RWE für die Errichtung eines Importterminals für grünes Ammoniak am Elbehafen in Kooperation mit Brunsbüttel Ports. Grünes Ammoniak ist in diesem Kontext ein Trägermedium für klima­freundlichen Wasserstoff, mit dem Erdgas substituiert werden soll und die chemische Industrie ihre Produktion weiter dekarbonisieren kann – darüber hinaus können damit sog. E-Fuels etwa für die Con­tainerschifffahrt hergestellt werden. Da die inländische Produktion von grünem Wasserstoff nicht ausreichen wird, um den zukünftig hohen Wasserstoffbedarf von Industrie und Verkehr decken zu können, stellt ein solcher Importterminal für grünes Ammo­niak einen wichtigen Standortvorteil für die Industrie in der Metropolregion Hamburg dar.

 

„Es wird eine neue Welle der grünen Industrialisierung geben.“

Yves Bauwens,  Werksleiter Yara Brunsbüttel

 

Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch Energie­importe ist ein wichtiges Signal für ein energieintensiv produzierendes Unternehmen wie Yara, das am Standort Brunsbüttel große Mengen Erdgas für die Produktion von Ammoniak benötigt, welches insbesondere der Herstellung von Düngemitteln sowie von AdBlue dient. Das Unternehmen beabsichtigt, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern bereits bis Mitte dieses Jahrzehnts deutlich zu reduzieren, wobei grüner Wasserstoff eine entscheidende Rolle spielen wird. Das vorrangige Ziel ist eine 25%ige Dekarbonisierung und würde konkret eine Einsparung von rund 300.000 t/a CO2 bedeuten. Als weiterer Schritt wird eine 50%ige Dekarbonisierung inoch in diesem Jahrzehnt angestrebt. Das Unternehmen investiert für dieses Vorhaben mehrere hundert Millionen Euro. „Für diese Ziele benötigen wir eine enorme Menge an grünem Wasserstoff“, so Werkleiter Yves Bauwens. „Wir sprechen bei unserer Elektrolyse von einer 250-MW-Anlage. Das gibt es derzeit nicht auf der Welt.“

 

Verläuft dieser erste ambitionierte Entwicklungsschritt erfolgreich, hätte es eine Vorbildfunktion weit über die Region hinaus: „Ammoniak ist die am meisten hergestellte Chemikalie weltweit mit der längsten Industriehistorie. Wenn wir es jetzt als großes Werk schaffen, einen signifikant hohen Anteil aus grünem Wasserstoff zu implementieren, dann ist es industriell ein Meilenstein – nicht nur deutschlandweit. Ammoniakwerke rund um den Globus werden dies beobachten. Es wird Nachahmer und eine neue Welle der grünen Indus­trialisierung geben.“

Auch Sasol Germany, das in Bruns­büttel rund 800 Mitarbeitende beschäftigt und vor allem Fettalkohole sowie anorganische Spezialchemikalien herstellt, arbeitet mit einem strategischen Fahrplan daran, den eigenen CO2-Fußabdruck weiter zu verringern. „Sasol bekennt sich klar zum Pariser Klimaschutzabkommen, unsere Marschroute steht fest: Wir wollen weg von fossilen Brennstoffen“, unterstreicht Peter Högenauer, Werksleitung.

Für die Strom- und Wärmeerzeugung setzt das Unternehmen dabei auf erneuerbare Energien. Im Januar 2022 erfolgte die Umstellung auf 100 % grünen Fremdstrom, wodurch allein in 2022 rund 4.000 t CO2 eingespart werden. Zudem kooperiert das Unternehmen mit den Hamburger Energiewerken, um zukünftig in etwa die Hälfte des Dampfverbrauchs durch grünen Dampf zu decken. Auch für die Stadt Brunsbüttel leistet Sasol einen wichtigen Beitrag. Die Prozessabwärme des Werks wird in das Fernwärmesystem der Stadt eingespeist, wodurch das Unternehmen zunächst öffentliche Einrichtungen, wie etwa das örtliche Schwimmbad sowie Theater, mit Wärme versorgt. Weitere Maßnahmen für verschiedene Werksbereiche, die auch im Zusammenhang mit der Nutzung von grünem Wasserstoff stehen, werden aktuell geprüft.
Covestro will am Standort die klimaneutrale Zukunft der Chemiewirtschaft als „First Mover“ ebenfalls aktiv mitgestalten.

Der Kunststoffhersteller richtet sich strategisch auf eine Kreislaufwirtschaft aus – Ziel ist es, langfristig 100 % alternative Rohstoffe und 100 % erneuerbare Energie in der Produktion zu nutzen. Dafür braucht es klimafreundliche Technologien. In Brunsbüttel zeigt das Chemieunternehmen bereits, wie die grüne Transformation konkret aussehen kann. Erst kürzlich konnte der Standort einen Durchbruch bei der MDI-Produktion feiern: In einer Pilotanlage spart Covestro mithilfe der innovativen AdiP-Technologie seit 2020 bis zu 40 % Wasserdampf und 25 % Strom an Energieeinsatz pro Tonne produziertem MDI ein. Dadurch lässt sich der CO2-Ausstoß um bis zu 35 % verringern. Weitere Dekarbonisierungsschritte sind geplant. Konkret wird das Unternehmen innerhalb der nächsten zehn Jahre rund 1 Mrd. EUR in nachhaltige Projekte investieren.

Dank der Küstennähe und der hohen Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien kann sich der ChemCoast Park zu einem Zentrum für grüne Innovationen in der chemischen Industrie entwickeln. Eine große Chance liegt darin, wichtige Basis­chemikalien klimaneutral zu produzieren – etwa mit Hilfe von grünem Methanol. Ein entsprechendes Projekt wird aktuell von dem Start-up Vivevo Energy vorangebracht, das sich hierfür ein Grundstück im Park gesichert hat und deutlich über 100 Mio. EUR investiert. Aktuell wird die Errichtung einer Anlage mittels einer mit Grünstrom betriebenen Wasserstoffelektrolyse und einer Leistung von rund 60 MW geplant. „Industrielle Punktquellen für CO2, eine leistungsfähige Strom­infrastruktur, die vorteilhafte Lage in direkter Nachbarschaft der chemischen Industriebetriebe, der Windparks, nahe der Elbmündung sowie direkt am Nord-Ostsee-Kanal machen diesen Standort ideal für unsere Produktionsanlage. In Kooperation mit einem weiteren Ansiedlungsvorhaben durch das Unternehmen HH2E ergeben sich zudem Synergieeffekte in Bezug auf Stabilisierung des lokalen Strom­netzes sowie einer zusätzlichen Absicherung der Wasserstoffversorgung für unsere grüne Methanolsynthese,“ erklärt Gerold Neumann, CEO von Vivevo Energy.

Auch die Logistik spielt eine wichtige Rolle im größten Industriegebiet Schleswig-Holsteins. Ein Beispiel hierfür ist die Internationale Spedition Friedrich A. Kruse jun., die für viele der oben genannten Chemieunternehmen mit rund 40.000 Hochregallagerstellplätzen, weitläufigen Blocklagerflächen und einem großen Fuhrpark reibungslos funktionierende Lieferketten ermöglicht. Die sich innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelten Kraftstoffkosten stellten natürlich eine große Herausforderung dar, die man bisher aber bewältigen konnte.  Seit Jahren setzt man bspw. für Containertransporte einen sog. Lang-Lkw ein. Dieses Fahrzeug verfügt über eine 50 % höhere Transportkapazität bei lediglich minimalem Mehrverbrauch gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen. Auch das Thema regenerative Antriebe hat bei der Spedition hohe Priorität: Noch in diesem Jahr soll die erste Wasserstoff-Brennstoffzellen-Zugmaschine in den Fuhrpark einziehen, für Anfang 2023 werden drei batterieelektrische Fahrzeuge erwartet. Zudem wird der Transport über die Schiene wieder zu einer wichtigeren Alternative, um den hohen Kraftstoffpreisen und der Fahrerknappheit entgegenzuwirken.

Eine Tankstelle, an der Kraftfahrzeuge grünen Wasserstoff tanken können, der aus einer mit Windkraft betriebenen Elektrolyse kommt, ist übrigens bereits seit 2019 im ChemCoast Park in Betrieb. Das stellt nur eine von vielen Wegmarken der Entwicklung hin zur Klimaneutralität dar, welche die Industrie an der schleswig-holsteinischen Westküste mit konkreten Schritten so schnell wie möglich erreichen will.


Autor: Jesko Dahlmann,Wirtschaftsförderer, Entwicklungsgesellschaft Westholstein mbH, Brunsbüttel

 

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