Strategie & Management

Gut beraten in der Chemie

Frank-Uwe Hess von T.A. Cook über Entwicklungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

24.09.2014 -

T.A. Cook Consultants hat sich als Beratungsgesellschaft für strategisches Asset Management einen Namen gemacht. Frank-Uwe Hess blickt zurück - und voraus.

CHEManager: Herr Hess, Sie beobachten die Prozessindustrie seit 20 Jahren intensiv. Welche Entwicklungen haben Sie in dieser Zeit registrieren können?

F-U. Hess: Als ich um 1990 herum das erste Mal als Berater in einem Chemieunternehmen tätig wurde, in dem rund 10.000 Menschen arbeiteten, ertönte gegen 16:00 Uhr die Sirene und kündigte das Schichtende an. Anschließend öffneten sich die Werkstore für die Mitarbeiter, die gerade ihre Schicht beendet hatten. Wenn bereits gegen 15:45 Uhr eine große Traube von Mitarbeitern vor dem Tor auf das Sirenensignal wartete, so kam es schon mal vor, dass der Vorstandsvorsitzende persönlich herauskam und sehr energisch dafür sorgte, dass keiner seine Arbeitszeit vorzeitig beendete. Damals kannten wir keine Chemieparks, Business Units, Commodities und auch kein Portfolio-Management. Die Unternehmen waren monolithisch und nicht flexibel aufgestellt. Dafür gab es viele Direktoren mit persönlichen Chauffeuren und mit deutlich mehr Macht, Status und Einfluss als mancher Vorstand heute hat.

Was sind die wichtigsten Trends, auf die die Chemie/Petrochemie heute reagieren muss?

F-U. Hess: Die Antwort hängt stark vom Markt, der Region und den spezifischen Produkten ab. Aktuell haben wir in Europa und insbesondere in Deutschland mit extrem hohen Energiekosten zu kämpfen. Hinzu kommt ein massiver Preiswettbewerb, dem wir überwiegend nur durch innovative Produkte und Herstellungsverfahren oder eine hohe Zuverlässigkeit der Anlagenverfügbarkeiten begegnen können. Dafür braucht es intensive Forschung, Produktionsverlagerungen, die Optimierung des Produktportfolios, intelligente Produktverbunde und sicher auch vielfältige Effizienzsteigerungsprogramme zur Kostensenkung.

Vieles davon wird ja bereits in den meisten Unternehmen umgesetzt. Warum sehen sich so viele trotzdem zu Optimierungen in der Instandhaltung veranlasst?

F-U. Hess: Deutschland ist in der Außensicht das Land der Ingenieure und genießt weltweit einen exzellenten Ruf. Deutsche Produkte, Unternehmen und Experten sind überall gefragt; ihr Rat ist sehr willkommen. Warum? Wir sind in der Lage, durch eine schrittweise Anlagen- und Verfahrensoptimierung deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen, als die meisten unserer Mitbewerber. Viele chemische und petrochemische Anlagen laufen in der Regel 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Jedes Prozent mehr an Verfügbarkeit hat einen direkten Einfluss auf das Ergebnis. Ein Tag weniger Anlagenstillstand bedeutet durchaus mehrere Hunderttausend oder Millionen Euro mehr Gewinn. Eine hohe Anlagenverfügbarkeit bedeutet zu dem auch eine extrem hohe Lieferzuverlässigkeit. Beides ist das Ergebnis eines guten Anlagenmanagements.

Haben sich Maßnahmen geändert oder dreht man seit 20 Jahren an den gleichen Stellschrauben?

F-U. Hess: Ja und nein. Die grundlegenden Instandhaltungsstrategien sind heute die gleichen wie damals. Auch aus Sicht eines Schichtmitarbeiters, der eine Anlage aus den 1980er Jahren oder älter betreibt und diese genau kennt, hat sich technisch grundsätzlich wenig geändert. Die Verfahren sind optimiert und einzelne Equipments mit der Zeit technisch verbessert worden. Verändert hat sich vorwiegend der Automatisierungsgrad- und die damit verbundene Prozessüberwachung und -steuerung. Jedoch vor allem aus Managementsicht hat sich vieles geändert: Die Instandhaltungsmethoden und -verfahren sind deutlich agiler und adaptiver geworden. Die Organisation der Instandhaltung ist flexibler, die Produktivität höher und die Kosten sind viel niedriger als damals. Heute ist die Instandhaltung nicht mehr nur der „Hausmeister" im Betrieb, sondern ein ernstzunehmender Wertschöpfungs-Partner. Das ist ein Fakt.

Sehr deutlich wird dies, wenn man etwas zurück schaut. Einer unserer Chemiekunden, der in NRW mehre Produktionsbetriebe managt, hatte Ende der 1990er Jahre an jedem Standort ein lokales, schichtorientiertes Instandhaltungsteam im Einsatz. Pro Betrieb gab es eine Warte mit einer lokalen Betriebsmannschaft. Wenige Jahre später werden mehrere Produktionsbetriebe von einer Zentralwarte aus gesteuert. Vor Ort existiert kein festes Team für die Instandhaltung, sondern diese ist zentral organisiert und wird bedarfsorientiert lokal tätig.

Wie beurteilen Sie die Wahrnehmung dieser Fragen beim Management? Hat sich die Einstellung mit der Zeit verändert?

F-U. Hess: Das Produkt „hochzuverlässige Anlagenverfügbarkeit" ist für das Management heute weniger eine technische als eher eine organisatorische Herausforderung. Gute Manager sind sich dessen voll bewusst. Wir setzen heutzutage sehr komplizierte Produktionstechniken und -verfahren ein. Die zunehmende Automatisierung verstärkt diesen Trend. Das direkte, menschliche Einwirken nimmt gegenüber reinen Überwachungsfunktionen immer mehr ab. Wir beherrschen die Technik und Verfahren exzellent. Sie wird immer sicherer und umweltfreundlicher. Effizienzverluste, in unserem Falle geringe Anlagenverfügbarkeiten, sind vorwiegend ein Produkt eines fehlerhaften, menschlichen Zusammenwirkens. Es herrschen teils zu komplexe Organisationsstrukturen, fragmentierte Verantwortlichkeiten oder gegenläufige Zielsetzungen - da liegen die Probleme. Die Verfügbarkeit geht nicht im Engineering der Anlage oder in einer mangelhaften Instandsetzung verloren. Sie wird in der Interaktion zwischen Marketing, Produktionsplanung, Procurement, Instandhaltung und Engineering vernichtet oder verbessert. Das kann ein neuer preisgünstiger Dienstleiser sein, der nicht die erforderliche Qualität liefert oder eine kurzfristige Lieferzusage an einen wichtigen Kunden, welche unerwartet negative Effekte erzeugt.

Nehmen Sie bei manchen Unternehmen eine Veränderungsresistenz wahr oder herrscht in der Regel eine hohe Innovationsbereitschaft in der Branche?

F-U. Hess: Im Punkt Veränderungsbereitschaft sind wir meiner Ansicht nach sehr schwach in Deutschland. Jede Stärke ist gleichzeitig auch eine Schwäche. Unsere Engineering-Erfolge in der Vergangenheit sind manchmal ein schlechter Ratgeber für die Zukunft. Sie machen uns zu selbstsicher. Ich habe das Thema Veränderungsbereitschaft am deutlichsten wahrgenommen, als ich zum ersten Mal für ein deutsches Chemieunternehmen in China tätig wurde. Die Menschen saugen Wissen und Ratschläge regelrecht auf und beginnen umgehend mit der Umsetzung. Kurze Zeit später werden bereits Verbesserungen diskutiert. Das Arbeitsklima ist positiv und inspirierend. Überall spürt man Veränderung. In Deutschland geht es zu oft um Besitzstanderhaltung. Veränderung wird als negativ wahrgenommen. „Warum sollten wir uns verändern, wir sind doch der Marktführer?". Wenn das Management eine Entscheidung trifft, beginnt eine Diskussion über Sinn und Machbarkeit. Widerstände bauen sich auf. Aus diesem Grund gibt es vor der „Veröffentlichung" von Entscheidungen lange Konsensrunden. Das macht uns langsam, es macht uns schwach, wir werden angreifbar.

Wie wird sich die anlagenintensive Industrie in den kommenden Jahren entwickeln, welche Bedeutung erfährt z. B. das Thema Asset Performance Management?

F-U. Hess: Wenn wir davon ausgehen, dass die Märkte immer volatiler werden und Nachfrageschwankungen ein normales Marktverhalten sind, so erfordert dies eine sehr hohe Flexibilität. Dies führt zu kleinen, lokalen und flexiblen Einheiten, konfektionierbaren Produkten und veränderten Wertschöpfungsnetzwerken, aber auch zu einer anderen Beziehung von Produzent und Zulieferer. Zwangsläufig wird der feste Mitarbeiterstamm gegenüber externen, variablen Dienstleistern noch weiter abnehmen. Dabei müssen die Betreiber von Chemieanlagen darauf achten, weiterhin die Beurteilungskompetenz im Hause zu behalten und weiterzuentwickeln, damit sie wechselnde Instandhaltungs- und Engineering-Dienstleister effektiv steuern und einsetzen können. Das Contractor Management auf Grundlage neuer Procurement-Modelle spielt dabei künftig eine ganz wesentliche Rolle. Asset Performance Management wird zunehmend zu einer strategischen Aufgabenstellung eines spezialisierten Managementteams, welches ausschließlich bedarfsorientiert, externe Ressourcen managt. Wir nennen dieses Modell „Demand Based  Maintenance".

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