Strategie & Management

Unternehmen in der Kostenfalle

Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Regelungen

07.12.2022 - Die Inflation ist kein Strohfeuer. Für 2023 erwartet die Europäische Kommission eine durchschnittlichen Inflationsrate von 4,3 %.

Die Inflation ist zurück, und dies mit Macht: Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union betrug die Gesamtteuerungsrate im Euroraum im August 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat 9,1 %. Die Preissteigerung für Energie lag mit 38,3 % noch deutlich höher. Für 2023 rechnet die Europäische Kommission im Euroraum mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 4,3 %. Unternehmen müssen sich dauerhaft auf hohe Teuerungsraten einstellen. Vorausschauende Vertragsgestaltung und einseitige Gestaltungsrechte können dabei helfen.

Die starke Inflation wird bleiben, solange ihre Ursachen fortbestehen. Voraussichtlich nicht von Dauer sein werden der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Covid-19-Restriktionen in China mit der Folge gestörter Lieferketten. Andauern werden Fundamentalfaktoren wie das von den Notenbanken (zu) lange zur Verfügung gestellte billige Geld, das u. a. zu der starken Abwertung des Euro beiträgt. Hierzu zählen auch politische Preistreiber wie immer neue Bürokratiekosten, steigende Steuern und Abgaben (z. B. die CO2-Bepreisung) oder auch die starke Anhebung des Mindestlohns sowie der demografische Wandel mit der Folge einer Verknappung von Arbeitskräften.

Herausforderungen für Unternehmen

Die Leidtragenden sind die Unternehmen, vor allem aus energieintensiven Branchen wie der Chemie- und Pharmaindustrie. Können sie die gestiegenen Kosten nicht an ihre Kunden weiterreichen, sinkt die Profitabilität. Im schlimmsten Fall drohen die Betriebsaufgabe oder die Insolvenz. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform geht von einer Zunahme von Unternehmensinsolvenzen aus. Eine mittel- bis langfristige Alternative kann die Verlagerung von Prozessen in Staaten mit günstigeren Rahmenbedingungen sein.

Kurzfristig stehen Unternehmen auf der Anbieterseite vor zwei Herausforderungen: In bestehenden Geschäftsbeziehungen geht es darum, die Preise auf ein profitables Niveau anzuheben oder – falls dies nicht möglich ist – die Geschäftsbeziehung schnellstmöglich zu beenden. Der Vertragsbruch als theoretisch denkbare Alternative birgt das Risiko von Schadensersatzforderungen. Im Neugeschäft geht es darum, die Geschäftsbedingungen so zu gestalten, dass sie künftigen Preissteigerungen von Anfang an Rechnung tragen. In beiden Konstellationen ist für den Erfolg entscheidend, ob ein Unternehmen gegenüber dem Geschäftspartner über ausreichende Preissetzungsmacht verfügt.

Vorsorgende Vertragsgestaltung

Der Königsweg besteht darin, eine vertragliche Einigung zwischen den Geschäftspartnern herbeizuführen. Sie vermeidet Streit und bildet die Grundlage für eine langfristige, vertrauensvolle Geschäftsbeziehung. In bestehenden Geschäftsbeziehungen kann durch eine Anpassung der bestehenden Verträge eine für beide Seiten befriedigende Lösung erreicht werden. Beim Neuabschluss von Verträgen kann der künftigen Preisentwicklung direkt Rechnung getragen werden. In beiden Varianten kommt es darauf an, die preisrelevanten Bestandteile des Vertrags flexibel zu gestalten. Dazu stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Staffelklauseln legen fest, dass sich der Preis für eine Leistung zu einem zukünftigen Zeitpunkt um einen bestimmten Prozentsatz oder um einen bestimmten Betrag erhöht. Staffelklauseln sind grundsätzlich zulässig, im Gewerbemietrecht sind einige Besonderheiten zu beachten.
  • Indexklauseln bewirken ebenfalls eine automatische Preisanpassung, orientieren sich dabei aber an einem Index, bspw. dem Verbraucherpreisindex. Indexklauseln sind nach dem Preisklauselgesetz grundsätzlich verboten. Das Gesetz enthält aber zahlreiche Ausnahmen, etwa für langfristige Verträge.  
  • Sprechklauseln sehen vor, dass die Parteien sich regelmäßig über die Anpassung der Preise austauschen. Sie führen nicht automatisch zu einer Preisanpassung und bieten deshalb keinen sicheren Schutz vor hohen Teuerungsraten. Gerade in langjährigen Geschäftspartnerschaften kann aber ein hoher faktischer Druck entstehen, sich den berechtigten Forderungen des Geschäftspartners nicht zu verschließen. Sprechklauseln können das Mittel der Wahl sein, wenn das bestehende Vertrauen in einer Geschäftsbeziehung nicht durch harte rechtliche Absicherungen gefährdet werden soll.


Einseitige Gestaltungsrechte

In einer bestehenden Vertragsbeziehung kann jeder Vertragspartner auf Erfüllung des Vertrags bestehen, und zwar auch dann, wenn dies bei der anderen Partei zu einem Verlust führt. Kommt eine Partei ihrer Pflicht zur Vertragserfüllung nicht nach, kann eine Schadensersatzpflicht die Folge sein. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht für die Partei eines unprofitablen Vertrags aber die Möglichkeit, sich einseitig vom Vertrag zu lösen:

  • Force-Majeure-Klauseln gewähren ein Kündigungs- oder Leistungsverweigerungsrecht, wenn höhere Gewalt die Vertragsbeziehung beeinträchtigt. Was zwischen den Parteien als höhere Gewalt gilt und welche Rechte sich daraus ergeben, richtet sich nach den konkreten Regelungen im Vertrag und ist deshalb eine Frage des Einzelfalls. Üblicherweise werden kriegerische Handlungen als höhere Gewalt definiert – meistens aber nur insoweit als die Staaten, in denen die Vertragsparteien ihren Sitz haben, selbst als Kriegspartei involviert sind. Das ist bei Deutschland bzw. den NATO-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine derzeit nicht der Fall.
  • Der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt eine Partei, Anpassung des Vertrags zu verlangen oder ihn zu kündigen. Dazu müssen sich nach dem Vertragsschluss die Umstände, welche die Parteien dem Vertrag zugrunde gelegt haben, schwerwiegend verändert haben. Die Parteien dürfen diese Änderung außerdem nicht vorhergesehen haben und es muss feststehen, dass die Parteien den Vertrag nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen geschlossen hätten, wenn sie die Änderung der Umstände bei Vertragsschluss vorhergesehen hätten. Ein jüngeres Beispiel für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage sind die staatlich angeordneten Geschäftsschließungen während der Covid-19-Pandemie. Mieter der Ladenlokale reduzierten auf dieser Grundlage die Miete oder stellten die Zahlung ganz ein. Teilweise mit Erfolg: Nach der Rechtsprechung bilden staatliche verordnete Geschäftsschließungen zwar nicht automatisch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Gewerbemietverträgen, im Einzelfall ist dies aber sehr wohl möglich.
  • Ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund kann bei Dauerschuldverhältnissen bestehen, z. B. langlaufenden Lieferverträgen. Eine vertragliche Regelung ist dafür keine Voraussetzung. Allerdings sind die Anforderungen hoch: Ein wichtiger Grund liegt nur vor, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und nach Abwägung der beiderseitigen Interessen dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrags bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Ist im Vertrag eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer bestimmten Frist vereinbart, sollte die fristlose Kündigung vorsorglich mit einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung kombiniert werden.
  • Die Einrede der Unmöglichkeit befreit von der Pflicht zur Leistungserbringung. Sie setzt voraus, dass die Erbringung der vertraglichen Leistung nicht möglich oder unzumutbar ist. Das kann bspw. der Fall sein, wenn Vorprodukte aufgrund gestörter Lieferketten nicht verfügbar sind und eine Lieferung zu einem späteren Zeitpunkt nicht möglich ist. Aber: Der Vertragspartner kann Schadensersatz verlangen, wenn derjenige, der sich auf die Unmöglichkeit beruft, diese schuldhaft herbeigeführt hat. Hat ein Unternehmen es bspw. versäumt, rechtzeitig seine Lieferketten zu diversifizieren oder Vorräte anzulegen, kann dies zu Schadensersatz­ansprüchen des Kunden führen, wenn der Vertrag wegen Unmöglichkeit nicht erfüllt wird.  

Autor: Gerrit Forst, Partner, Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare, Essen

ZUR PERSON
Gerrit Forst ist Rechtsanwalt und Partner bei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare in Essen. Er berät Unternehmen, ihre Organe und Gesellschafter aus der chemischen Industrie, insbesondere zu vertragsrechtlichen und ESG/CSR-Themen. An der Universität Bonn engagiert sich der Anwalt als außerplanmäßiger Professor ehrenamtlich in der Lehre. Er besitzt zudem einen Master of Laws der University of Cambridge (UK) und ein Executive Diploma in Law and Management der Universität St. Gallen.

Downloads

Kontakt

Kümmerlein, Simon & Partner Rechtsanwälte mbB

Messeallee 2
45131 Essen
Deutschland

+49 (0)201 17 56 600