Logistik & Supply Chain

Viel bestellt, wenig geliefert

Binnenwasserstraßen und Schiene: Genehmigungsverfahren für Infrastruktur weiter beschleunigen

18.10.2022 - Nach zweieinhalb Jahren Pandemie legt sich ein Long-Covid-Schleier über die industrielle Logistik.

Die Diagnose gibt einen entsprechenden Befund: Weltweit gibt es Probleme in den Lieferketten. Die verladenden Unternehmen und ihre Dienstleister stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Hinzu kommt: Vor allem in Deutschland fehlt eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Brücken sind baufällig, das Schienennetz völlig überlastet, die Schleusen im Kanalnetz sind marode, und Engstellen im Rhein erschweren bei Niedrigwasser den Transport. Die Logistik wird ausgebremst.

Die chemisch-pharmazeutische Industrie wickelt den größten Teil ihrer Transporte mit dem Lkw ab; auf die Bahn entfallen 16 und auf das Binnenschiff 11 %. Die geringeren Prozentsätze täuschen aber darüber hinweg, dass diese beiden Verkehrsträger essenziell für die Logistik unserer Branche sind. Denn auf ihnen werden vor allem Rohstoffe und Zwischenprodukte in großen Volumina transportiert. Ohne diese Rohstoffe steht die Produktion still.

2019 hatte der VCI den Handlungsbedarf für den beschleunigten Ausbau strategisch wichtiger Schienenkorridore und Wasserstraßen analysiert. Jetzt ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was konnte erreicht werden? Gab es Fortschritte bei der Sanierung der Verkehrswege? Hat der Staat geliefert?

Sanierung des Schienenverkehrs kommt nur langsam voran

Stichwort Bahn: Es fehlen dringend benötigte Kapazitäten, weil die strategische Ausbauplanung im Schienennetz auf einem Bummelzug verladen scheint. Das gilt bspw. für den Ausbau der Strecke Emmerich-Oberhausen, Nordrhein-Westfalen, auf vier anstelle der aktuell laufenden Erweiterung auf nur drei Gleise. Auf grün steht allenfalls das Signal für eine Machbarkeitsstudie, die das Mittelrheintal entlasten und mehr Kapazität für den Güterverkehr schaffen soll: In Kürze will das Bundesverkehrsministerium immerhin diese Studie veröffentlichen. Im Gegensatz zur Machbarkeitsstudie favorisiert der VCI den linksrheinischen Streckenverlauf. Ein Vorteil wäre bspw., dass mehrere hochbelastete Bahnknoten umfahren werden können. Wir hoffen, dass diese Studie eine Perspektive für den Ausbau dieses wichtigen Abschnitts des Schienengüterverkehrskorridors Rhein-Alpen eröffnet. Die Realisierung dürfte eine lange Zeit in Anspruch nehmen.

Aber auch kurzfristige Probleme drücken die Branche sehr: Die umfangreichen Bauarbeiten zur Sanierung des bestehenden Schienennetzes stellen die Industrie insgesamt vor bislang nicht gekannte Probleme. Es fehlt an einem adäquaten Baustellenmanagement der Deutschen Bahn für diese wichtigen Sanierungsmaßnahmen. Die Bahn muss daher bei ihrem Baustellenmanagement darauf achten, für den Güterverkehr zu jeder Zeit ausreichende Kapazitäten vorzuhalten. Dies gilt vor allem für den ab 2024 geplanten Aufbau eines Hochleistungsnetzes. Hierfür sollen die wichtigen Hauptstrecken kernsaniert werden, indem alle in den nächsten Jahren anstehenden Maßnahmen gebündelt werden und die Leistungsfähigkeit durch zusätzliche Signale und Weichen erhöht wird. Dass nun erstmals die Kapazitäten im Bestandsnetz erhöht werden, ist zu begrüßen. Allerdings können leistungsfähigere Bestandsstrecken nur ein Zwischenschritt zu einem echten Kapazitätsaufbau durch Neubau sein.

Kurzfristig bedeutet dies allerdings neues Ungemach: Für den Aufbau dieses Hochleistungsnetzes will die Bahn die besonders stark ausgelasteten Hauptstrecken über Monate hinweg komplett sperren. Dies ist für die Verlader nur dann akzeptabel, wenn die DB Netz Umleitungsstrecken mit ausreichender Kapazität für den Güterverkehr einrichtet. Auch muss die DB Netz sicherstellen, dass bei den baubedingten Streckensperrungen Lösungen für solche Unternehmen gefunden werden, die an diese Strecken angebunden sind. Es darf nicht sein, dass Betriebe über Monate hinweg den Zugang zum Schienennetz verlieren und ihre Produkte nur noch mit dem Lkw befördern können. Eine Lösung wäre bspw., trotz Baustellen Zeitfenster für den Gütertransport einzuführen.

 

„Es fehlt an einem adäquaten Baustellenmanagement der Deutschen Bahn.“

 

Fortschritte beim westdeutschen Kanalnetz – aber Zeithorizont ist noch zu lang

In die Ertüchtigung des westdeutschen Kanalnetzes kommt Bewegung. Der VCI-Landesverband Nordrhein-Westfalen hat gegenüber der Landes- und Bundespolitik deutlich formuliert, wie dringlich die Sanierung der Schleusen und Kanäle ist. Erfolgreich hat er sich auch für eine bessere Personalausstattung der zuständigen Ämter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) eingesetzt.

Mittlerweile hat die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt ihren Aktionsplan „Westdeutsche Kanäle – Nordrhein-Westfalen“ vorgelegt. Er steckt den Kurs für die strukturierte Planung aller Bauprojekte für Erhaltungs-, Ersatz- und Ausbaumaßnahmen. Die zeitlichen Perspektiven für die Ertüchtigung etwa des für die chemische Indus­trie besonders wichtigen Wesel-Datteln-Kanals reichen jedoch teils bis jenseits 2040. Diese Zeiträume passen keinesfalls zur Geschwindigkeit, die wir brauchen, um eine Verkehrswende zu realisieren und den Industriestandort Deutschland dauerhaft sicher zu versorgen. Um die notwendigen Maßnahmen zuverlässig und schneller durchführen zu können, ist jetzt Folgendes notwendig:

  • Es bedarf langfristig stabiler und hinreichender personeller sowie finanzieller Ressourcen für die NRW-Wasserstraßen. Der aktuelle Entwurf für den Bundeshaushalt 2023 sieht dagegen sinkende Finanzmittel für die Wasserstraße vor.
  • Wir brauchen Offenheit gegenüber allen alternativen Ansätzen im Wasserbau, die Beschleunigungspotenzial versprechen; gute Ansätze dafür sind etwa „Partnerschafts-“ oder „Kooperationsmodelle“, bei denen Projektbeteiligte, also etwa Bauunternehmen, früher einbezogen werden. So können Planungs- und Umsetzungsschritte teils parallel erfolgen und Herausforderungen frühzeitig gemeinsam diskutiert werden. Denkbar ist auch eine Kombination mit einer langfristigen Instandhaltungsvereinbarung.
  • Als Pilotprojekt schlagen wir den Wesel-Datteln-Kanal vor.

Fortschritte im Kanalnetz, Verzögerungen beim Rhein. Er ist für die chemische Industrie die wichtigste Wasserstraße. Sie verbindet zahlreiche Chemiestandorte untereinander sowie mit den Westhäfen Antwerpen und Rotterdam. Das Niedrigwasser dieses Sommers stellte unsere Branche nach dem Niedrigwasser 2018 erneut vor große logistische Herausforderungen, weil die Schiffe nur noch teilweise beladen werden oder gar nicht mehr fahren konnten. Entscheidend dafür, wie viel Ladung die Schiffe auf dem Rhein bei geringen Pegelständen noch befördern können, sind wenige Engstellen an Mittel- und Niederrhein. Vorrangiges Ziel des Aktionsplans „Nie­drigwasser Rhein“ von 2019 ist es, deren Beseitigung zu beschleunigen. Vertreter der Wirtschaft, u.a. der chemischen Industrie, und des Binnenschifffahrtsgewerbes haben den Aktionsplan mit dem Bundesverkehrsministerium vereinbart und arbeiten gemeinsam an der Umsetzung. Zu unserem Bedauern hat sich seither die geplante Fertigstellung der sog. Abladeoptimierung am Mittelrhein von ursprünglich 2030 auf 2033 verschoben, die Engstellen im Niederrhein können nach derzeitigem Stand nicht vor 2037 beseitigt werden. Die Gründe liegen nicht nur in den langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die bei allen In­frastrukturprojekten in Deutschland die Umsetzung bremsen. Fehlendes Personal, wie in vielen Branchen, bei der WSV des Bundes kommt hinzu.

Positiv stimmt die in einem Spit­zengespräch der Unterzeichner des Aktionsplans mit Bundesverkehrsminister Wissing Ende August vereinbarte Einrichtung einer Beschleunigungskommision Mittelrhein.

Auf die Bundesregierung warten noch viele Aufgaben

Einiges befindet sich schon in Zustellung; anderes wartet noch im Lager. Mit Blick auf die aktuellen Krisen und absehbaren Haushaltsengpässe muss die Bundesregierung die Finanzierung der Sanierung und des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur vorrangig sicherstellen. Zugleich muss sie die personelle Ausstattung der Behörden verbessern und zusätzliche Personalressourcen aufbauen, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren ohne Verzug abwickeln zu können. Nicht zuletzt muss die Politik weiter an der Verkürzung und Vereinfachung der Planungs- und Genehmigungsverfahren arbeiten. Dazu wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzesänderungen umgesetzt, allerdings sind die Effekte bisher gering.

Autor: Tillmann Benzing, VCI

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