Strategie & Management

Wettbewerbsvorteile sichern durch organisatorische Veränderungen

Die Coronakrise zwingt Unternehmen förmlich in eine Transformation vom Heute in das Morgen

13.03.2021 - Die Reduzierung von Komplexität ist das Ziel vieler Unternehmen, denn sie sind erfolgreicher, wenn sie bestehende, komplizierte Strukturen vereinfachen. Unternehmensorganisation ist eines der Kernthemen von Maexpartners.

Die Unternehmens- und Strategieberatung unterstützt Klienten – von multinationalen Chemiekonzernen bis zu kleinen und mittelständischen Unternehmen – bei ihren Transformationsprojekten, sei es Prozessoptimierung, die Verkürzung von Durchlaufzeiten und Anlagenstillständen, Kosteneffizienz oder Digitalisierung. Michael Reubold sprach mit Christian Gutsche, Partner und Transformationsexperte für Chemie & Life Sciences bei Maexpartners, über aktuelle Beispiele.

CHEManager: Herr Gutsche, die Coronakrise beschleunigt die ohnehin überfällige Transformation der chemischen Industrie. Wie oft haben Sie diese Aussage in den letzten Monaten gehört, und was hat die Coronakrise, was frühere Krisen nicht hatten?

Christian Gutsche: Die Dauer und Nachhaltigkeit der Krise zwingt die Unternehmen, ihre Strategie zu überdenken, die Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und Abläufe anzupassen. Schon während der Krise wird deutlich, dass die Anforderungen der Kunden und Märkte danach anders sein werden. Kunden haben sich beispielsweise während der Coronakrise an die Verwendung von digitalen Kanälen in allen Bereichen gewöhnt und werden diese der Einfachheit halber weiter nutzen. Hier gilt es, die richtigen Antworten auf die globalen Trends Klimawandel und Digitalisierung zu finden. Das zwingt Unternehmen förmlich in eine Transformation vom Heute in das Morgen.

Wer oder was sind die Treiber für derartige Optimierungsprojekte?

C. Gutsche: Motiviert sind derartige Projekte durch unterschiedliche Treiber, die einzeln oder in Kombinationen auftreten. Im Wesentlichen sind es ineffiziente Abläufe und intransparente Entscheidungsprozesse, sich verändernde Märkte, neue oder geänderte Geschäftsmodelle, M&A sowie digitale Herausforderungen.
Wer bisher in klassischen Vertriebskanälen unterwegs war und nun zusätzlich über digitale Plattformen gehen möchte, der ist gezwungen, dies über neue und angepasste Prozesse und Verantwortlichkeiten abzubilden.
Ein anderes Beispiel für Treiber von Optimierungsprojekten liefert ein Unternehmen aus dem Anlagenbau, dass sein Geschäftsmodell vom Systemhersteller und Lieferant hin zu einem EPC-Player verändern möchte. Um das zu erreichen, muss das Unternehmen auch die gesamten internen Abläufe und die Organisation neu ausrichten.

Wie sind Chemieunternehmen heute meist organisiert und wo erkennen Sie Verbesserungspotenzial?

C. Gutsche: Global agierende Chemieunternehmen sind traditionell in Segmenten organisiert und verfügen – wie am Beispiel der 2019 gestarteten Reorganisation von BASF zu sehen – über eine schlanke Corporate-Struktur und globale Service Units wie Global Procurement. Die Zentralisierung im Corporate-Bereich ist getrieben durch die Schaffung einheitlicher Prozesse, Synergien und Kosteneffizienz. Eine dezentrale Organisation der Chemieunternehmen findet sich im Operations-Bereich der einzelnen Produktionsstandorte. Hier ist mitunter ein transparentes Ressourcenmanagement und eine Ressourcenanalyse über den Produktzyklus hinweg sinnvoll.
Zunehmend organisieren Chemieunternehmen ihre Produktsegmente so, dass eine möglichst hohe Kundenbindung erreicht wird, beispielsweise durch Investments und Reorganisationen im Bereich Spezialchemikalien weg vom Massenchemiegeschäft. Evonik hat zum Beispiel mit dem Zukauf des Spezialadditiv­geschäfts von Air Products seine Division Perfomance Materials neu aufgestellt und seine Marktdominanz ausgebaut. Auch Lanxess hat bereits eine Neuausrichtung hinter sich, nachdem sich das Unternehmen 2018 von seinem früheren Kerngeschäft, der Produktion von Kautschuk, verabschiedet hat und sich jetzt auf Spezialchemikalien fokussiert.
 

„Unter Unsicherheit
die richtigen Entscheidungen zu treffen,
wird von herausragender Bedeutung sein.“



Bei welchen Themen sehen Sie aus Ihrer Beratererfahrung derzeit den größten Handlungsbedarf?

C. Gutsche: Aus unserer Sicht steht agiles Arbeiten in einer sich sehr schnell verändernden Welt und damit verbunden die Etablierung einer passenden Führungskultur an erster Stelle. Unter Unsicherheit die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird von herausragender Bedeutung sein. „Enabling People“, sprich das Befähigen von Menschen sich selbstständig Veränderungen anzupassen, ist damit eine fundamentale Voraussetzung. Nebenbei gesagt ist dies auch ein wichtiges Fundament unseres Beratungsansatzes.
Ganz klar sind das Neudenken von Lieferketten und das damit einhergehende Sourcing Aufgabenstellungen, die im Fokus stehen.

Was sind die häufigsten Transformationsprojekte, bei denen Sie Unternehmen derzeit unterstützen?

C. Gutsche: Kostensenkung gehört sicherlich nach wie vor zu unserem Kerngeschäft. Damit diese Effizienzsteigerung aber nachhaltig im Unternehmen verankert wird, bedarf es mehr als einer „10 % geht immer“-Mentalität, insbesondere, wenn es sich um signifikante Steigerungen handelt. Dann sind neben produkt- und dienstleistungsbezogenen Handlungsfeldern nämlich auch die nachgelagerten Themen Abläufe, Prozesse und Verantwortlichkeiten auf dem Tisch. Prozessoptimierung mit Fokus auf Unternehmenskernprozesse gehört deshalb ebenso dazu.
Darüber hinaus kombinieren wir aktuell bei vielen Projekten agile Werkzeuge und Methoden mit eher klassischen, effizienzorientierten Optimierungen entlang der Wertschöpfungskette. Dabei erzielen wir in der Regel signifikante Vorteile wie Transparenz, Verlässlichkeit in Bezug auf Zeit, Kosten und Qualität sowie gesteigerte Fokussierung auf die Erreichung gesetzter Ziele. Nebenbei gelingt es auch, einen Kulturwandel einzuleiten, Silos aufzubrechen und den Mindset der Beteiligten mehr in Richtung eigenverantwortlicher Arbeit zu verändern.
Kennzeichnend für unseren Ansatz ist dabei, dass wir individuell vorgehen. Es ist keinesfalls unser Ziel, einer Organisation einen feststehenden Standard überzustülpen. Stattdessen passen wir die einzuführenden Methoden zielgerichtet auf die konkrete Situation unseres Klienten an – allerdings ohne ihre wesentlichen Elemente zu verwässern. So erreichen wir eine spürbare Veränderung innerhalb bestehender Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Zieldefinitions- und Berichtssystemen – OKR, kurz für Objectives and Key Results, ist da beispielsweise derzeit gefragt. Dieses Vorgehen ist eine wesentliche Voraussetzung für Nachhaltigkeit.

Was sind die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Transformationsveränderung?

C. Gutsche: Zuallererst ist das Kommittent der Top-Führungskräfte für die gesamte Dauer der Transformation zu nennen. Dann sind es Klarheit und Eindeutigkeit in den Design-Prinzipien der neuen Organisation sowie eine transparente und regelmäßige Kommunikation. Ganz wichtig ist es bei Transformationsprojekten, die richtige Geschwindigkeit zu finden, Dinge zu Ende zu bringen, die Menschen nicht zu überfordern. Ein weiterer Erfolgsfaktor für Transformationsprojekte ist sich mit Feingewühl in die Lage aller Beteiligten hineinzuversetzen. Mitarbeiter können beispielsweise viel effizienter arbeiten, wenn ihre Ziele auf eindeutige und konkrete Aufgaben heruntergebrochen werden. Dies steigert ganz nebenbei auch noch die Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit.

Gibt es bei der Unternehmensorganisation einen One-size-fits-all-Ansatz?

C. Gutsche: Den gibt es aus unserer Sicht nicht. Für den Berater wäre dies sehr hilfreich, hätte er doch damit ein Medikament, mit dem die Veränderungsschmerzen der Unternehmen gelindert werden könnten. Wir setzen stets bei der Situation des Unternehmens an, spiegeln die Markt- und Kundenanforderungen daran und machen die Fähigkeiten des Unternehmens transparent. Daraus leiten wir die erforderliche Transformation ab.

Erfordern Prozessoptimierungen immer auch eine Organisationsänderung?

C. Gutsche: Prozessoptimierungen sind ja im Kern Veränderungen der Abläufe in den Unternehmen. Einerseits getrieben durch Optimierungen, andererseits aber auch um Abläufe für neue Geschäftsmodelle zu schaffen. Typischerweise schaut man sich bei Prozessoptimierungen die Abläufe, die Rollen und Verantwortlichkeiten und die Schnittstellen an. Somit sind auch immer organisatorische Fragestellungen zu beantworten. Dies bedeutet nicht immer zwingenderweise eine Veränderung der Aufbauorganisation beispielsweise bei der Ausrichtung auf eine prozessorientierte Organisation, erfordert aber eine klare Benennung der Prozessverantwortlichen.

Geht es immer nur um Verschlankung im Sinne von Hierarchieabbau und Kosteneinsparungen oder ist auch manchmal eine gegensätzliche Lösung sinnvoll?

C. Gutsche: Den klassischen Treiber zur Veränderung wie Abbau von Kosten und Beschleunigung von Entscheidungen gibt es natürlich nach wie vor. In den meisten Fällen ist aber die Motivation hinter der Transformation, die Organisation auf die neuen Anforderungen auszurichten und insbesondere auch agiler in dem stetigen Wandel zu werden. Wurde der Änderungszyklus früher in Zeiträumen wie halben Dekaden oder Dekaden gemessen, so sind es heute eher wenige Jahre.

Inwieweit triggern Marktveränderungen auch neue Geschäftsmodelle in der Chemieindustrie?

C. Gutsche: Die Chemieindustrie wird geplagt von einer Konjunkturschwäche in ihren Abnehmerindustrien und einem zunehmenden Preisdruck durch Überkapazitäten im Basischemikaliengeschäft. Daraus und aufgrund einer fortschreitenden Digitalisierung zeichnen sich drei neue Geschäftsmodelle (Plattform, Wirtschaftsökosystem und Kreislaufwirtschaft) ab, welche bereits von einigen Chemieunternehmen verfolgt werden. So sind zum Beispiel BASF und Evonik mit eigenen Plattformen am Markt – BASF: ­Maglis, Evonik: C4Connect –, und Evonik hat kürzlich weitere Investitionen in die Metasuchmaschine Chembid getätigt.
Wir erkennen also: Unternehmen reagieren bereits und erweitern ihr Geschäftsmodell von einem produktzentrierten hin zu einem nutzen­zentrierten Ansatz. Die Integration existierender Produkte in solch neuen Plattformen benötigt eine klare Kommunikation, strategische Wandlungsfähigkeit und Agilität der Führungskräfte sowie eine Kultur des Vertrauens, und natürlich auch Mitarbeiter, die diese neuen Lösungen mitgestalten und mittragen.
Im Gegensatz zu klassischen Entwicklungszyklen in der chemischen F&E ist es bei der Entwicklung und Weiterentwicklung von Plattformen notwendig, diese innerhalb von Wochen voran zu treiben, um wettbewerbsfähig zu sein. Zudem sind Plattformen stärker von Wettbewerb betroffen, da sie branchen- und standortunabhängig sind.

Das Interview mit Christian Gutsche, Partner bei Maexpartners, führte Michael Reubold.

ZUR PERSON
Christian Gutsche ist seit 2015 als Partner bei der Unternehmensberatung Maexpartners. In seiner 20-jährigen Tätigkeit als Berater, die er 2001 bei Management Engineers begann, hat er zahlreiche internationale Transformationsprojekte in der Chemie- und Life-Sciences-Industrie umgesetzt. Zuvor hatte er Führungspositionen in der Industrie in den Bereichern Beschaffung, Produktion und Entwicklung inne. Gutsche studierte an der TU Berlin Produktionstechnologie und promovierte 1992 in Produktionsstrategie.

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