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Dow: Bananenbauern lassen Chemiewerke pfänden

Farmer aus Nicaragua verklagen den US-Konzern, weil Pestizide sie impotent gemacht haben sollen.

10.12.2019 -

Das ist ein Präzedenzfall in der deutschen Industrie: Im Rechtsstreit zwischen dem US-Konzern Dow Chemical und nicaraguanischen Landarbeitern über Entschädigungszahlungen sind jetzt auch Dow-Tochtergesellschaften in Sachsen und Sachsen-Anhalt betroffen. Wie das zuständige Amtsgericht Merseburg mitteilte, sind Anteile des US-Konzerns an der Dow Olefinverbund GmbH gepfändet worden.

Am 9. Oktober 2019 stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür der Dow-Tochter und stellte einen entsprechenden Beschluss zu. Eine Dow-Sprecherin bestätigt das, der Konzern hält das Vorgehen aber für nicht rechtmäßig.   „Ab den 1960er Jahren belieferten der US-Konzern Dow die
Bananenplantagen mit den Pestiziden Fumazone und Nemagon."
  Ostdeutschlands größtes Chemieunternehmen mit 1.700 Mitarbeitern ist in eine jahrzehntelange juristische Auseinandersetzung verwickelt worden. Bananenbauern aus Nicaragua fordern von dem US-Unternehmen Schadenersatz für Pestizidschäden. Die deutsche Tochtergesellschaft ist lediglich Drittschuldner – hat mit der Pestizidproduktion selbst nichts zu tun. Bei der Klage geht es um 945 Mio. USD (umgerechnet 860 Mio. EUR). Ab den 1960er Jahren belieferten der US-Konzern Dow und andere Chemiefirmen die Bananenplantagen mit den Pestiziden Fumazone und Nemagon. Das Wurmgift mit dem Wirkstoff Dibromchlorpropan (DBCP) wurde eingesetzt, um Fadenwürmer im Wurzelbereich der Pflanzen zu bekämpfen. Nach verschiedenen Medienberichten aus den vergangenen Jahrzehnten wurde das Gift von den Bauern teilweise per Hand ausgebracht. Die Pestizide stehen im Verdacht Krebs auszulösen. Fumazone gilt als sog. „Spermienkiller“. Zumindest werfen tausende Plantagenarbeiter Dow vor, durch den Kontakt mit DBPC unfruchtbar geworden zu sein. Viele Bauern klagten gegen Dow in unterschiedlichen Verfahren und gewannen die Prozesse teilweise. „Doch das nützte vielfach nichts, weil US-Gerichte die Urteile aus Mittelamerika nicht anerkannten“, sagt der Berliner Anwalt Christoph Partsch. Gemeinsam mit seiner Kollegin Jana-Maria Wernitzki versucht er nun, die Ansprüche von 1.245 Bananenbauern in Europa durchzusetzen. Nach seinen Angaben hat ein Gericht in Paris die Klage angenommen und eine einstweilige Verfügung erlassen, nach der die Forderung von 945 Mio. USD vorläufig beschlagnahmt werden kann. Partsch und sein Team schauten sich anschießend in Europa nach passenden Vermögenswerten um und wurden bei dem Kunststoffhersteller Dow Olefinverbund mit Sitz in Schkopau fündig. „An dem Werk in Schkopau ist die US-Mutter zu 20 % direkt beteiligt“, sagt der Anwalt. 80 % gehörten einer Dow-Tochter in den Niederlanden. Vor dem Amtsgericht Merseburg erwirkte der Anwalt einen sog. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss für die direkte Beteiligung. Damit seien etwa 100 Mio. EUR abgesichert, erklärt Partsch. Da es sich um einen Firmenanteil handelt, klebt auch kein Pfändungssiegel auf den Anlagen oder den Maschinen. Das Amtsgericht Merseburg prüfte den Fall nach Angaben eines Gerichtssprechers nicht erneut. Eine EU-Vereinbarung sieht eine gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen vor. Entschieden ist in der Sache allerdings noch nichts, die Hauptverhandlung in Frankreich läuft erst noch.   Die deutsche Tochtergesellschaft ist lediglich Drittschuldner
 – hat mit der Pestizidproduktion selbst nichts zu tun."   Nach Angaben des Unternehmens versuchen „Anwälte, ein vor über zehn Jahren in Nicaragua ergangenes Urteil gegen die The Dow Chemical Company in Frankreich zu vollstrecken.“ Dow ist der Ansicht, dass sowohl die französische Vollstreckbarkeitsbescheinigung als auch der Pfändungsbeschluss, die nur vorläufige Maßnahmen sind, aufgehoben werden „Beide verstoßen eindeutig gegen französisches und EU-Recht“, teilte das Unternehmen mit. Gegen die Kläger erhebt Dow seinerseits schwere Vorwürfe. Gegenüber CHEManager äußerte das Unternehmen: „Das im französischen Verfahren in Rede stehende Urteil ist das Ergebnis eines betrügerischen Plans in Nicaragua. Wie ein US-Gericht feststellte, beinhaltete dies die Rekrutierung von Personen als Kläger, die nie auf Bananenplantagen gearbeitet hatten, deren Anleitung zu Falschaussagen, die Fälschung von Sterilitätsansprüchen durch Einreichung gefälschter Laborberichte, das Verschweigen von Kindern, die von Klägern gezeugt wurden, sowie die Beeinflussung von Zeugen und Ermittlern durch Drohungen, Einschüchterungen und Manipulationen.“ Dow ist daher zuversichtlich, „dass auch das französische Gericht dieses nicaraguanische Urteil nicht anerkennen wird“. Nach Worten der Juristin Caroline Meller-Hannich von der Universität Halle ist der Fall Neuland im europäischen Recht. Es gebe für Gerichte die rechtliche Möglichkeit, Verfahren aus anderen Staaten aufzugreifen, wenn die Fälle einen Bezug zum eigenen Land hätten, sagt die Professorin, die auch internationales Zivilprozessrecht unterrichtet. Juristen sprechen gern „vom langen Arm“. In europäischen Staaten wurde das bisher kaum angewendet. In den USA gab es dagegen schon mehrere solcher Verfahren etwa gegen Schweizer Banken oder Mitglieder des Weltfußballverbandes FIFA. Laut Meller-Hannich hat die juristische Auseinandersetzung keine unmittelbare Auswirkung auf das deutsche Dow-Werk. „Doch eine solche Pfändung schafft Unsicherheit bei Kunden sowie Zulieferern und ist daher nicht zu unterschätzen“, meint die Juristin. Klägeranwalt Partsch sagt: „Wir wollen weder dem Werk noch den Mitarbeitern schaden.“ Eine Konsequenz der Pfändung ist jedoch, dass die Tochterfirma keine Gewinnbeteiligung an Dow abführen dürfe, so das Amtsgericht Merseburg. Auch ein Verkauf der Anteile sei nicht möglich. Sollte das französische Gericht der Klage stattgeben und es zu einer Verurteilung kommen, so müsste laut Meller-Hannich die US-Mutter die Zahlungen leisten. Eine reale Gefahr für Pfändungen im ostdeutschen Werk sieht sie daher nicht. 

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