Chemie & Life Sciences

In jeder Branche zu Hause

Deutscher Chemiehandel meistert Krise mit Angebotsvielfalt

27.04.2010 -

Im März 2010 hat der Verband Chemiehandel (VCH) in einem Round-Table-Gespräch mit dem Verbandsvorstand für das vergangene Jahr Bilanz gezogen. „Das Jahr 2009 war kein einfaches Jahr für den Chemiehandel!" und „Wir haben keine Angst vor der Zukunft!" waren die Anfangs- und Schlussworte des Verbandspräsidenten Uwe Klass (CG Chemikalien). Diese Zitate geben einen ersten Eindruck, welche Stimmung derzeit im deutschen Chemikalien-Groß- und Außenhandel vorherrscht. Dr. Birgit Megges berichtet in einer Zusammenfassung des Gesprächs über die wirtschaftliche Situation der Branche und die Themen, die den Chemiehandel bewegen. Teilnehmer der Gesprächsrunde neben Uwe Klass waren Birger Kuck (Biesterfeld), Jens Raehse (Rabochem), Uwe Schültke (Brenntag GmbH), Robert Späth (CSC Jäklechemie), Axel Lenz (CVM Chemie-Vertrieb Magdeburg) und vom VCH direkt Peter Steinbach, geschäftsführendes Vorstandsmitglied, und Geschäftsführer Ralph Alberti; nicht teilnehmen konnten die Vorstandsmitglieder Volker Seebeck (Helm) und Thorsten Harke (Harke Group).

Wie bereits in CHEManager 07/2010 berichtet, konnte sich der deutsche Chemikalien-Groß- und Außenhandel trotz der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise bisher gut behaupten. Die Umsatzeinbußen für den gesamten Chemiehandel lagen mit etwa 22% im Jahr 2009 im Vergleich zum Vorjahr erwartungsgemäß im zweistelligen Bereich. Die abgesetzten Mengen gingen um ca. 13% zurück. Nach einem gewaltigen Einbruch im 4. Quartal 2008 kam es Anfang des 2. Quartals 2009 zu einer Stagnation. Ab dem 3. Quartal 2009 konnte zumindest der Binnenhandel einen leichten Aufwärtstrend verspüren, der sich aber nach Aussagen von Uwe Klass im „homöopathischen Bereich" bewegte.
Birger Kuck, VCH-Vorstandsmitglied, differenziert für den Spezialitätenhandel: „Es sind die Bereiche wie Lacke, Farben und Baustoffe, die massiv gelitten haben, während Pharma und Life Sciences, wie beispielsweise die Kosmetiksparte, im letzten Jahr sogar Wachstumsraten in einigen Märkten verzeichnen konnten. Insofern muss man sehr stark nach unterschiedlichen Märkten differenzieren." Selbst die Automobilzulieferer können nicht alle über einen Kamm geschoren werden, hat sich die Abwrackprämie doch in einigen Bereichen positiv ausgewirkt.

Auch das Lösemittelrecycling hat laut Jens Raehse, Vorsitzender der VCH-Fachabteilung Chemiehandel und Recycling, das Jahr 2009 nicht in guter Erinnerung. Der wirtschaftliche Einbruch führte zu einem erheblichen Mengenrückgang der recyclingfähigen gebrauchten Lösemittel. Der Preisverfall der Lösemittel verstärkte diesen Negativeffekt auf den Umsatz nochmals. Nachdem ein starker Preisanstieg zu Beginn des Jahres 2010 einen „Schein"-Aufschwung angedeutet hatte, stieß eine steigende Anfrage nach regenerierten Lösemitteln auf noch leere Lager. Raehse bringt auch noch einen weiteren Aspekt zur Sprache: „Die Zahlungsmoral der Kunden hat sich weiter verschlechtert. Wie zu befürchten war, haben die Banken und Kreditversicherer entsprechend den Zahlen von 2009 unseren Kunden die Kreditlimits gekürzt. In der Hoffnung, dass nicht allzu viele lösemittelabhängigen Unternehmen aus den verschiedensten Gründen ihre Produktion ins Ausland verlegen, sind wir zuversichtlich für 2010."

Gesunkene Investitionsquote

Auf Grund der wirtschaftlichen Situation ist die durchschnittliche Investitionsquote mit 1,9% des Umsatzes im Jahr 2009 gegenüber dem Vorjahr, in dem es noch 3,3% waren, deutlich gesunken. Der Hauptanteil des Investitionsvolumens von 59 Mio. € entfiel auf Ersatz und Modernisierung. Der Rückgang der Investitionsquote ist für die Branche nicht dramatisch, weil in den Vorjahren großzügig investiert wurde und somit kein Nachholbedarf besteht. Des Weiteren betont Uwe Schültke, VCH-Vorstandsmitglied, dass auf jeden Fall alle sicherheitsrelevanten Investitionen getätigt worden sind.

Anpassung an Marktgegebenheiten

Der gesamte Chemikalienhandel musste 2009 auf ein sich änderndes Bestellverhalten der Kunden reagieren. Die Kunden arbeiten nicht mehr mit einem konstanten Warenlager, sondern bestellen zeitnah nach Bedarf. „Wir versuchen, die Bestellungen entsprechend auszuführen und stellen uns damit den Marktgegebenheiten und -anforderungen. So stehen wir vor der neuen Herausforderung, mehr Leistung für weniger Tonnage erbringen zu müssen", so Klass.
Dies war auch im Hinblick auf die Arbeitszeiten des Personals eine organisatorische Herausforderung. Die Tatsache, dass Kurzarbeit in einigen Firmen als Instrument eingesetzt werden musste, kam erschwerend hinzu. Robert Späth, stellvertretender VCH-Präsident und Schatzmeister, erläutert: „Die Kurzarbeit im letzten Jahr war ein Novum im Chemiehandel. Die Kurzarbeitsmodelle wurden hauptsächlich aus dem Grund in Anspruch genommen, weil es für uns ganz wichtig ist, das Know-how der langjährigen Mitarbeiter zu halten. Den Versuch war es wert und wir haben ihn erfolgreich gemeistert."

In der Krise gut behauptet

Insgesamt konnte sich die Handelsbranche nach eigenen Aussagen in der Krise gut behaupten. Über die Faktoren, die dazu geführt haben, sind sich alle einig: „Die Chemiehändler haben ein sehr vielschichtiges Kundenportfolio und eine breite Streuung, was die Aktivitäten betrifft", erklärt Axel Lenz, Vorsitzender der VCH-Fachabteilung Binnenhandel. „Im Grunde genommen sind wir in jeder Branche vertreten. Es herrscht in den Geschäften eine gute Ausgewogenheit und wir können mit verschiedenen Dienstleistungen unsere Geschäftsfelder erweitern", so Lenz weiter.
Klass geht sogar so weit, dass er die Ware nur noch als einen Teil des Angebotes sieht, das ein Chemiehändler zur Verfügung stellen muss. Im Binnenhandel sei es seiner Einschätzung nach ein Anteil von 70 bis 75%, den die Ware selbst einnimmt. Der Rest besteht aus zusätzlichen Dienstleistungen. Dabei muss es sich nicht immer um die klassischen Dienstleistungen wie das Abfüllen oder das Anfertigen von Formulierungen handeln, es können auch die Beratung und Services rund um Logistikkonzepte oder neue gesetzliche Regelungen wie REACh oder GHS sein.

Erheblicher Aufwand durch REACh

Um die Frage, was REACh für den Chemikalienhandel bedeutet, abschließend zu beantworten, ist es noch einige Jahre zu früh, da erst 2018 die dritte der vorgegebenen Registrierungsfristen abläuft . Allerdings hat allein die Auseinandersetzung mit der Verordnung bereits jetzt schon einen hohen Aufwand in den einzelnen Unternehmen verursacht. Das Registrierungsdatum 1. Dezember 2010 wird den Chemiehandel noch nicht zentral berühren, weil in der 1. Runde vor allem die Stoffe, die in Mengen über 1.000 t hergestellt bzw. importiert werden, registriert werden müssen. „Wir gehen davon aus, dass der Chemiehandel europaweit vielleicht 100 bis 200 Stoffe registrieren wird. Die derzeitige Schätzung der Europäischen Chemikalienagentur in Hinblick auf die Gesamtzahl der Stoffe, die in diesem Jahr registriert werden müssen, liegt ganz aktuell bei 9.000, d.h., dass der weit größte Teil von der chemischen Industrie registriert werden wird", so Peter Steinbach.
Der Handel hat im Zusammenhang mit REACh zwei andere Themen, die im Fokus stehen: Zum einen die „Kommunikation in der Lieferkette", zum anderen die „Zulassungsverfahren-Kandidatenliste". Die REACh-Verordnung sieht vor, dass der Registrant die Verwendungen des Stoffes erfasst, bewertet, ein Dossier schreibt und ein Sicherheitsdatenblatt für den Anwender erstellt. Das ist leicht gesagt, praktisch aber extrem aufwendig. Die Firmen sind seit Jahren in die Überlegungen eingebunden, wie ihre Kommunikation strukturiert, wie sie IT-technisch abgewickelt und wie die Inhalte gestaltet werden können. Steinbach ist zuversichtlich: „Hier gibt es keinen Königsweg, aber wir sind ganz optimistisch, dass man letztendlich zu pragmatischen Lösungsansätzen kommen wird."
Über die Registrierung von Stoffen hinaus sollen zukünftig die besonders gefährlichen Stoffe einem Zulassungsverfahren unterworfen werden. Vorstufe zu diesem Zulassungsverfahren ist, dass die Stoffe auf eine Kandidatenliste kommen. Dieses Instrument gewinnt nicht nur in der Politik zunehmend an Bedeutung, sondern auch für den Chemikalienhandel. Der Grund ist, dass Stoffe in die Diskussion gebracht wurden, die für den Handel wirtschaftlich und für die Verwender produktionstechnisch wichtig sind, Beispiele stellen Borsäure, Trichlorethylen oder verschiedene Chromate dar. Sollten diese Stoffe tatsächlich ins Zulassungsverfahren kommen, besteht das Risiko, dass sie bzw. ihre aus Sicht der Wirtschaft sicheren Anwendungsbereiche vom Markt in Frage gestellt und der Verbrauch abnehmen bzw. Herstellung und Import eingestellt werden.

GHS: Komplexer als erwartet

GHS wurde im letzten Jahr zu REACh „on the top" eingeführt, d.h. die Unternehmen waren gezwungen, sich mit beiden Themen parallel auseinanderzusetzen. Der Verband hat dem Rechnung getragen, indem er zum einen eine Kundeninformation herausgebracht und zum anderen im letzten Jahr eine Workshop-Reihe zu GHS angeboten hat. Ziel war es, die Firmen bei dem zu unterstützen, was im Jahr 2010 in Bezug auf die neue Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe abgearbeitet werden muss. Gestartet wird gerade die 2. Runde mit dem Fokus auf Zubereitungen, für die es eine deutlich längere Übergangsfrist bis Juni 2015 gibt. Der VCH weist allerdings darauf hin, dass die Unternehmen ihre Systeme auf die neue Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe jetzt umstellen müssen, und sie diesen Aufwand nicht zwei Jahre später nochmals für die Zubereitungen treiben wollen. „Insofern sind Übergangsfristen letztendlich auch nur bedingt hilfreich", so Steinbach.
Ein weiteres Problem, das GHS aufwirft, ist, dass es mit der neuen Einstufung und Kennzeichnung nicht alleine getan ist. Es muss darüber hinaus alles angepasst werden, was sich im sog. „nachgelagerten Recht" auf die Einstufungen und Kennzeichnungen stützt. Es gibt eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, nicht nur aus dem Chemikalienrecht, sondern auch aus dem Anlagenrecht, z.B. der Störfall-Verordnung, sowie dem Arbeitsschutz, die sich auf die Einstufung und Kennzeichnung beziehen. Insoweit muss zusätzlich abgearbeitet werden, welche Konsequenzen die Einstufung nach GHS in diesen nachgelagerten Rechtsgebieten hat. Alleine das ist ein unerwartet komplexes Thema, das den Chemikalienhandel in den kommenden Jahren beschäftigen wird.

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