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Fachkräftemangel - Herausforderung für die Zukunft

04.10.2011 -

Fachkräftemangel - Herausforderung für die Zukunft

Der Fachkräftemangel gehört zu den ebenso grotesken wie viel diskutierten Problemen unseres Landes. Während die Zahl der Arbeitslosen nur langsam ab- und die Beschäftigung im Billiglohn- Sektor stetig zunimmt, ist die Nachfrage nach hoch qualifizierten und gut bezahlten Arbeitskräften bedeutend größer als das Angebot. Dass diese Problematik auch zu einem schwerwiegenden Handicap für die Unternehmen der Chemie-, Pharma-, Biotechnologie- und Medizintechnikbranche werden kann, erfahren die Experten der auf die Life-Science- Branche spezialisierten internationalen Personal- und Unternehmensberatung RSVP Group bei ihrer täglichen Arbeit. Fazit: Der Fachkräftemangel ist eine der großen Herausforderungen der Branche. Die Personalberater haben sich mit der Frage beschäftigt, welche Ursachen diese Entwicklung hat und welche Maßnahmen ergriffen werden könnten – gesellschaftspolitisch wie von den Unternehmen selbst.

Die aktuelle Bestandsaufnahme ist alarmierend. Laut RSVP sind alle Industriebereiche vom Fachkräftemangel betroffen. Vorstand Michael Klingler: „Unser Branchen-Monitoring hat ergeben, dass sich die Problematik durch das gesamte Spektrum der Life-Science- Branche, von Chemie über Pharma bis hin zu Biotech und Medizintechnik, zieht und die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen betrifft.“

Gesucht werden Toxikologen, Spezialisten im Bereich Regulatory Affairs und Drug Safety, Mediziner, Produktionsingenieure, Verfahrenstechniker, aber auch Marketingprofis mit Therapiegebietserfahrung. Besonders hoch sei dabei die Nachfrage nach Young Professionals mit zwei bis drei Jahren Berufserfahrung. Ohne Innovation keine Zukunft – einzelne Disziplinen würden laut RSVP zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt von Entwicklungen und damit zum Nadelöhr wirtschaftlichen Erfolgs.

Die große Gefahr für die Branche ist deshalb, dass durch den Mangel an qualifizierten Fachkräften sowohl Innovationskraft als auch Produktivität leiden könnten. Klingler: „Aufgrund der steigenden Weltbevölkerung und der Industrialisierung in den Schwellenländern sind die Pharma- und die Chemiebranche heute und in Zukunft Schlüsselindustrien. Der Fachkräftemangel kann für ein nachwuchsarmes Land wie Deutschland, das vom Know-how lebt, ganz klar zur Wachstumsbremse werden.“

Ursachen der Entwicklung

Wie konnte es so weit kommen? Laut RSVP haben sich im Laufe der Zeit viele Faktoren zu einem Problemkomplex verdichtet, der schon länger besteht, aber erst jetzt öffentlich diskutiert wird.Vorstand Dr. Martin Scholl: „Ein Grund ist, dass gerade die großen Aktiengesellschaften in Quartalszahlen denken. Eingestellt wird nur nach Budget, damit die Bilanz stimmt. Dabei wurde vernachlässigt, dass der Bedarf an Spezialisten und Ingenieuren konstant zugenommen hat. Mit dem plötzlichen Wirtschaftsaufschwung stieg die Nachfrage sprunghaft an, mit der Folge, dass ein großes Arbeitskräftevakuum entstanden ist, das sich nun kaum füllen lässt.“

Verstärkt werde diese Entwicklung durch eine starre und nicht bedarfsgerechte Aus- und Weiterbildungspolitik vieler Unternehmen. Mit dem Altersteilzeitgesetz habe die Politik außerdem ein Werkzeug geschaffen, welches das Problem zunächst einmal aktuell durch das frühzeitige Wegbrechen von wichtigen Knowledge-Trägern verschärft.Hier empfehlen die Experten von RSVP, interne Mentorship- Programme einzuführen, um einen Wissenstransfer von scheidenden Mitarbeitern zu Neueinsteigern vorzunehmen.

Doch das Gesetz birgt weitere Gefahren. Dr. Martin Scholl: „Die letzten Arbeitnehmer in Altersteilzeit scheiden 2009 aus den Unternehmen aus. Wer nach 1954 geboren wurde, kann seinen Ruhestand frühestens mit 63 Jahren antreten. Ab dem Jahr 2013 wird es deshalb mehrere Jahre einen altersbedingten Austritts-Stau und entsprechend weniger neu zu besetzende Stellen geben. Wenn diese Jahrgänge dann im rentenfähigen Alter sind und die Unternehmen verlassen, entsteht plötzlich ein neues Vakuum, das von den jetzigen Schülern – den Arbeitskräften der Zukunft – aufgefangen werden muss.“

Angebot und Nachfrage bestimmt „War of Talent“

Die Folge: Der „War of Talent“ wird zunehmen. Michael Klingler: „Unternehmen stehen bereits jetzt und in Zukunft noch viel stärker im direkten Konkurrenzkampf um Nachwuchskräfte.“ Wie wichtig diese für die Industrie sind, zeigen aktuelle Einstiegsgehälter für Ingenieure wie Naturwissenschaftler – 50.000 Euro und mehr, exklusive Bonuszahlungen. Klingler: „Für erfahrene Spezialisten sind auch 100.000 Euro keine Seltenheit. Angebot und Nachfrage bestimmen hier ganz klar den Preis.“

Da es aber schwer sein wird, den Bedarf an Kräften überhaupt zu decken, müssten Unternehmen künftig verstärkt Forschungspartnerschaften mit anderen Unternehmen eingehen und Kompetenzzentren gründen. So teile man sich die Spezialisten und trete der schwindenden Innovationskraft entgegen.

Ausbildung in Deutschland muss reformiert werden

Doch welche Maßnahmen können noch ergriffen werden, um das Problem Fachkräftemangel grundsätzlich in den Griff zu bekommen. Und: Ist das überhaupt möglich? Dr. Martin Scholl: „Zunächst müsste man das Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland reformieren. Schon die Schulen sollten stärker vermitteln, welche beruflichen Möglichkeiten sich jungen Menschen überhaupt bieten. Dann müssten die Studienzeiten verkürzt werden, um Berufe in der Branche interessanter zu machen. Beispiel: Ein promovierter Chemiker ist 30 Jahre, wenn er in den Beruf einsteigt – viel zu alt.“

Darüber hinaus sind universitäre Studiengänge im internationalen Vergleich zu theorielastig. Nach einem relativ verschulten Grundstudium müsste das Hauptstudium technischer Studiengänge Studenten gezielt auf die Anforderungen und Arbeitsgebiete der Industrie vorbereiten. Scholl: „Außerdem ist die Vernetzung von Schulen, Hochschulen und Unternehmen bei uns nicht optimal. Hier müssen bereits frühzeitig Korridore für Schüler und Studenten in die Unternehmen geschaffen werden – Firmen könnten z. B. Studenten-Patenschaften übernehmen oder Werkstudenten frühzeitig an das Unternehmen binden. So werden Kandidaten von Anfang an qualifiziert und emotional an das Unternehmen gebunden.“

Professionelles HR-Management

Überhaupt werde das Thema Personalmarketing künftig eine große Rolle im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte spielen. Für diesen Bereich prognostiziert Klingler noch eine enorme Professionalisierung in den nächsten Jahren. Eine Disziplin, welche die großen Player der Branchen, die im Wettbewerb um die raren Arbeitskräfte ohnehin begünstigt sind, bereits heute beherrschen.

Klingler: „Konzerne mit großen Namen haben natürlich einen gewaltigen Image-Vorteil und sind für die Top Performer meist die erste Adresse.“ In vielen Fällen herrschen dort, zusätzlich zum hohen Gehaltsniveau, auch sonst die attraktivsten Arbeitsbedingungen. Neben dem frühzeitigen Rekrutieren des Nachwuchses nehme heute angesichts des Fachkräftemangels vor allem die Reduzierung der Fluktuation eine wichtige Rolle ein. Dr. Martin Scholl: „Retention Management, also das Binden von Know-how-Trägern an das Unternehmen, ist die Königsdisziplin des modernen Personalmanagements. Nur zufriedene Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen erhalten.“

Hier sei in erster Linie Fingerspitzengefühl gefragt. Nur wer die Bedürfnisse und Wünsche seiner Mitarbeiter kenne, könne sie langfristig halten. Vor allem skandinavische Ländern üben hier laut RSVP geradezu eine Vorbildfunktion aus. Dort habe man frühzeitig erkannt, dass der Mensch die wichtigste Ressource im Gebilde Unternehmen ist.

Dr. Martin Scholl: „Gute Entwicklungsmöglichkeiten im fachlichen Bereich als auch hinsichtlich Karriere und Social Benefits sind neben einem adäquaten Gehalt die wichtigsten Argumente für Mitarbeiter, zu bleiben. Hier ist jedes Unternehmen für sich selbst verantwortlich und muss sich im Wettbewerb um Arbeitskräfte bestmöglich aufstellen. Wichtig ist generell der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Mitarbeiter und dem Unternehmen bzw. dessen Management.“ Außerdem sollten Unternehmen künftig verstärkt ihre Einstellungspolitik überdenken. Klingler: „Unternehmen müssen unabhängig von offenen Stellen im Rahmen eines permanenten Scouting-Prozesses die besten Kräfte des Marktes identifizieren und gegebenenfalls auch einstellen, um für die Zukunft bestmöglich aufgestellt zu sein.“

Der Gewinner des Fachkräftemangels ist der Nachwuchs. Michael Klingler: „Die Branche bietet mittel- und langfristig beste Jobaussichten. Ingenieur- und naturwissenschaftliche Studiengänge wie Pharmazie, Chemie, Biologie, Medizin, aber auch Gesundheitsökonomie oder -politik und Marketing können wir uneingeschränkt empfehlen. Wichtig ist aber auch, dass Naturwissenschaftler wie Ingenieure ihre Ausbildung international ausrichten und auch ihr Profil im betriebswirtschaftlichen Bereich schärfen.“