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Chemiekonjunktur – das globale Chemiegeschäft wird schwieriger

Die weltweite Chemie- und Pharmaproduktion verlor Ende 2018 an Schwung

11.02.2019 -

Im zweiten Halbjahr 2018 verlor die globale Konjunktur zunehmend an Fahrt. Die Unterschiede in der konjunkturellen Dynamik zwischen den Ländern nahmen zu. In den USA gewann der Aufschwung wegen des starken Impulses seitens der Finanzpolitik noch einmal an Dynamik, und auch in China legte die Produktion gemäß den offiziellen Zahlen zunächst noch zu. In Europa dagegen verlor die Konjunktur deutlich an Fahrt und auch viele Schwellenländer waren im Krisenmodus.

„Die Zuversicht in der Industrie
und auch bei vielen
Chemieunternehmen schwindet.“

Das langsamere Wachstum betraf nicht nur die Gesamtwirtschaft. Insbesondere die Industrieproduktion büßte deutlich an Dynamik ein. Protektionismus und Handelskonflikte bremsten den Warenhandel. Durch die schwächere Nach­frage der industriellen Kunden verlor auch die globale Chemie- und Pharmaproduktion gegen Ende 2018 an Schwung – auch wenn im Vorjahresvergleich noch eine hohe Wachstumsrate verbucht werden konnte (Grafik 1).
Das Tempo der weltweiten Expansion dürfte auch im Jahresverlauf 2019 nur moderat ausfallen. Der Hochpunkt der Wachstums­dynamik ist überschritten. Die Zuversicht in der Industrie und auch bei vielen Chemieunternehmen schwindet.

Europa: Klima für die Chemie wird rauer
Die Wachstumsdynamik in der Euro­päischen Union verlangsamte sich merklich. Und auch das Wirtschaftsvertrauen trübte sich ein. Dies gilt sowohl für die Industrie als auch für die Konsumenten und Dienstleister. In den Stimmungsindikatoren spiegeln sich die zahlreichen Unsicherheitsfaktoren wie zunehmender Protektionismus, der Handelskonflikt mit den USA, die Rohstoffpreisschwankungen, aber vor allem der immer wahrscheinlicher werdende harte Brexit wider.

Die Unternehmen der ­chemischen Industrie bekamen die nachlassende Nachfrage der industriellen Kunden früh zu spüren. Die Hersteller von Basischemikalien mussten ihre Produktion im Jahr 2018 drosseln. Das Vorjahr wurde deutlich verfehlt. Die Produktion von Fein- und Spezial­chemikalien stagnierte. Nur die Konsumchemikalien konnten noch ein Plus verbuchen. Insgesamt verfehlte die Chemieproduktion (ohne Pharma) 2018 ihren Vorjahreswert. Dank einer stark steigenden Produktion von Pharmazeutika konnte allerdings die Chemie- und Pharmaproduktion insgesamt gegenüber Vorjahr ein Plus von rund 2 % verbuchen. Damit kam einmal mehr die Dynamik der Branche vor allem aus der Pharmaindustrie (Grafik 2).

Amerika: In den USA boomt die Chemie
Das Wachstum in den USA fiel im vergangenen Jahr noch einmal sehr kräftig aus. Eine Zunahme der Beschäftigung und steigende Einkommen stützten den Konsum und die steuerlichen Anreize sowie gut ausgelastete Kapazitäten befeuerten die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Dementsprechend positiv entwickelte sich auch die Chemie- und Pharmaindustrie (Grafik 3). Die Produktion wies einen robusten Aufwärtstrend aus. Nahezu alle Sparten konnten deutliche Produktionsausweitungen im Vergleich zum Vorjahr verbuchen. Nur die Produktion von Anorganika stagnierte. Hohe ­Mengen und steigende Preise bescherten den Unternehmen deutliche Umsatzsteigerungen. Allerdings befindet sich der Aufschwung in den USA bereits im zehnten Jahr. ­Weitere positive Effekte sind nicht in Sicht und die Handelsstreitigkeiten mit China drohen darüber hinaus zum Belastungsfaktor zu werden. Damit dürfte auch in den USA die weitere Expansion sowohl in der Gesamtwirtschaft als auch in der Chemie moderater ausfallen.

Im restlichen Amerika sah die wirtschaftliche Entwicklung weniger rosig aus. Viele Länder Lateinamerikas befanden sich 2018 noch in der Krise. Die Wirtschaft des Schwergewichts Brasiliens wies zwar eine Erholung auf, aber die Dynamik blieb aufgrund der Streiks im zweiten Quartal und der Unsicherheiten rund um die Präsidentenwahl schwach. Dementsprechend verhalten war das Wachstum in der Industrie und auch die Dynamik in der Chemie- und Pharma­industrie blieb hinter den Erwartungen zurück. Die neue brasilianische Regierung verspricht nun einen erneuten Reformschub. Allerdings dürfte die Umsetzung aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament schwierig bleiben.

Asien: Chinas Chemie mit langsamerer Gangart
Die asiatischen Länder konnten 2018 auch nicht mehr als Wachstumslokomotiven fungieren. In der chinesischen Wirtschaft ging die Dynamik zurück. Dies ist zum Teil auch dem Bestreben der Regierung geschuldet, die Wirtschaft umzubauen und die hohe Verschuldung sowie die Überhitzungserscheinungen im Immobiliensektor einzudämmen. Die Regierung hat als mittelfristiges Wachstumsziel für die Jahre bis 2020 eine Rate von 6,5 % festgelegt. Ein deutliches Unterschreiten dieses Ziels ist nicht zu erwarten. Der sich verschärfende Handelskonflikt mit den USA birgt allerdings das Risiko einer deutlicheren Wachstumsverlangsamung. In Japan liefen die positiven Effekte vorausgegangener Konjunkturprogramme langsam aus. Das Wachstum blieb 2018 – ebenso wie in Indien und Südkorea – aber robust. Die Entwicklung in der Industrie fiel zwischen den Ländern deutlich heterogener aus. Während in China und Südkorea die Indus­trieproduktion im Jahresverlauf stetig anstieg – wenngleich mit abnehmender Geschwindigkeit, erlebten Indien und Japan ein Auf und Ab.

Die Produktion konnte aber in allen Ländern ihr Vorjahr übertreffen. Auch in der Chemie- und Pharma­industrie konnten alle Länder ein Plus verbuchen – wenngleich auch hier die Dynamik im Jahresverlauf nachließ bzw. stark schwankte. In Indien und China lag der Zuwachs der Chemie- und Pharmaindustrie deutlich unter der Industrie insgesamt (Grafik 4). Die chinesische Chemie- und Pharmaproduktion hatte auch in 2018 mit Überkapazitäten zu kämpfen. Zudem wurden stark umweltverschmutzende Anlagen stillgelegt. Dies verlangsamte das Produktionswachstum in den Chemiesparten deutlich. Dagegen ­konnte die Pharmaproduktion kräftig zulegen.

Ausblick: Nachlassendes Tempo bei steigenden Risiken
Das Tempo der globalen Expansion dürfte auch in den nächsten Monaten weiter nachlassen. 2017 wird wohl den Hochpunkt der Wachstumsdynamik markiert haben. Die robuste Beschäftigungsentwicklung mit historisch niedrigen Arbeitslosenquoten stützt aber weiterhin das Wachstum des privaten Konsums. Daneben bleiben Geld- und Fiskalpolitik expansiv ausgerichtet. In vielen Ländern dürfte der Aufschwung aber schon weit fortgeschritten sein. Dafür sprechen nicht zuletzt die anziehende Preis- und Lohndynamik. Insbesondere in wichtigen Volkswirtschaften ist mit einer Annäherung an die niedrigeren Potenzialwachstumsraten zu rechnen.

Insgesamt sind die Risiken hoch: Zum einen droht nach wie vor eine Zuspitzung des Handelskonflikts zwischen den USA und China – mit negativen Auswirkungen auf das Welthandelssystem und, aufgrund der starken Verflechtung der Wertschöpfungsketten, mit höheren Produktionskosten nahezu überall auf der Welt. Auch die handelspolitischen Spannungen zwischen den USA und der EU sind noch nicht ausgeräumt. Ebenso haben die Krisen in der Türkei und Argentinien aufgrund ihrer möglichen Ausstrahlung auf andere Schwellenländer das Potenzial, das globale Wachstum zu bremsen. Für Europa kommen dann noch hausgemachte Risiken wie der Brexit und eine neue Schuldenfalle hinzu.
Für das Wachstum der globalen Chemie- und Pharmaproduktion geht der Verband der Chemischen Industrie (VCI) für 2019 aufgrund der geringeren weltwirtschaftlichen Dynamik in den Kundenindustrien von niedrigeren Wachstumsraten als im Vorjahr aus. Gestützt wird die Entwicklung der Branche in vielen Ländern von einem weiterhin dynamischen Pharmamarkt. Alle wichtigen Länder dürften ein Plus im Vergleich zum Vorjahr verbuchen (Tabelle 1).
 

Zur Person
Henrik Meincke
ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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