Anlagenbau & Prozesstechnik

Neue Perspektiven für den Explosionsschutz

Innovative Energieversorgungskonzepte erschließen neue Anwendungsgebiete

08.12.2009 -

Durch die Hardwarelösungen Power-i oder DART (Dynamic Arc Recognition and Termination) lässt sich das Zündverhalten elektrischer Stromkreise stark beeinflussen. Damit sind eigensichere Wirkleistungsumsätze von bis zu 50 W ohne Reduzierung der Sicherheit möglich. Diese Stromkreise reagieren im Störungsfall (z. B. Funken) mit einem genau definierten dynamischen Verhalten. Dieser Beitrag stellt das Sicherheitskonzept der dort angewendeten Technologie vor. Es basiert auf einer dynamischen Erkennung und Beherrschung aller sicherheitstechnisch kritischen Zustände im System. Die mit dieser Technologie verbundene Wirkleistungssteigerung ermöglicht eine deutliche Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Zündschutzart Eigensicherheit „i". Da eine Prüfung und Zertifizierung dieser Technologie auf internationaler Ebene zurzeit nur bedingt möglich ist, wird angestrebt, die sicherheitsrelevanten Vorgaben in die Internationale Normung (z. B. IEC 60079-11/60079-25 oder eine Technical Specification) einfließen zu lassen. Die PTB strebt deshalb gemeinsam mit international agierenden Herstellerfirmen und Prüfstellen einen internationalen Standard an, der weltweite Interoperabiliät ermöglicht und die Führung des Nachweises der Eigensicherheit auf möglichst einfachem Weg realisiert.

Warum eine neue Technologie und was bringt diese?

In der Prozessautomation kommt der Zündschutzart Eigensicherheit „i" wegen der zahlreichen Vorteile wie z. B. weltweite Akzeptanz, Möglichkeit des Arbeitens ohne Heißarbeitserlaubnis und einfache Gehäuseanforderungen große Bedeutung zu. Allerdings schränkt der äußerst geringe Wirkleistungsumsatz von nur ca. 2 W (für Gruppe IIC nach IEC 60079-11) die industrielle Anwendungsvielfalt der Eigensicherheit stark ein. Bei höherem Leistungsbedarf muss - obwohl vielfach klare Nachteile entstehen - auf andere Zündschutzarten ausgewichen werden.
Die Möglichkeit einer deutlichen Wirkleistungserhöhung - bei gleichzeitiger Wahrung aller Vorteile der Eigensicherheit - eröffnet neue Perspektiven.
Dazu gehören z. B.:

  • Anschluss leistungsstärkerer Betriebsmittel (z. B. als Ersatz für teurere Zündschutzarten)
  • Erhöhung der Geräteanzahl oder Teilnehmeranzahl bei Feldbusanwendungen
  • Anwendung leistungsfähigerer Datenübertragungskonzepte (z. B. mit höheren Übertragungsraten und höherem Leistungsbedarf) ...

Diese Zielstellung lässt sich mithilfe dynamisch wirkender Stromkreise erreichen. Das Wirkprinzip beruht auf einer gezielten Einflussnahme auf jegliche Form der Funkenentstehung im System Quelle, Leitung und Verbraucher. Stromkreise, die diese Funktionalität besitzen, werden nachfolgend als Power-i-Stromkreise bezeichnet. Eine konkrete Ausführungsform, der viele Jahre intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit vorausgingen und die aus Sicht der PTB alle sicherheitstechnischen Vorgaben erfüllt, ist die DART- Technologie von Pepperl + Fuchs. Leider ist die Prüfung und Zertifizierung der wirtschaftlichen Vorteile versprechenden Technologie auf internationaler Ebene momentan nur bedingt möglich, da (noch) keine allgemein anwendbare Prüfvorschrift zur sicherheitstechnischen Bewertung existiert. Dadurch wird der weltweite Marktzugang erschwert. Dieser Aufsatz beschreibt das sicherheitstechnische Konzept von Power-i aus Anwendersicht und erläutert die vorgesehene Verfahrensweise zur Implementierung dieser Technologie in die internationale Normung.

Der Unterschied zur konventionellen Betrachtungsweise der Eigensicherheit?

Die prinzipielle Wirkungsweise der Eigensicherheit ist aus Abbildung 1 (Basis: Anhang A der IEC 60079-11: 2006 Figure A.1) für U = 24 VDC ersichtlich. Während konventionell für die Explosionsgruppe IIC nur eine eigensichere Wirkleistung von P ≈ 1 W zulässig ist (s. Punkt 1), kann sich dieser Wert durch Anwendung von Power-i auf z. B. P ≈ 22 W erhöhen (s. Punkt  2). Der Bereich vom Punkt 1 zum Punkt 2 befindet sich außerhalb des „konventionell" eigensicheren Bereiches und wird nur im störungsfreien Power-i-Normalbetrieb eingenommen. Im Punkt 2 ist hier der maximale Leistungsumsatz möglich. Eine Störung führt zum sofortigen Übergang in den sicheren Bereich unterhalb von Punkt 1, z. B. zum Punkt 3. Daraus ist erkennbar, dass die Power-i-Technologie eine deutliche Erhöhung des eigensicher zulässigen Stromes ermöglicht. Die exakte Festlegung des höchstzulässigen Stromwertes hängt von den dynamischen Eigenschaften des Gesamtsystems Quelle, Leitung und Verbraucher (s. Abb. 3) ab. Da es sich bei Power-i um eine elektronisch begrenzte Quelle mit Rechteckcharakteristik handelt (Ri der Quelle ≈ 0 Ω), steht hier im Gegensatz zur linear begrenzten Quelle die volle Leistung am Verbraucher zur Verfügung!

Das steckt dahinter

Bei der konventionellen eigensicheren Betrachtungsweise kann ein Funke im ohmschen Kreis während der gesamten Funkendauer Zünd-Energie aus der Quelle beziehen. Eine Begrenzung dieser erfolgt hier ausschließlich durch die statische Begrenzung des Maximalstromes in der Quelle und durch die Funkendauer, bedingt durch die Bewegung von Draht und Scheibe im Funkenprüfgerät. Power-i basiert dagegen auf einem komplexeren Ansatz: Bei Power-i handelt es sich um eine Schnellabschaltung, die einen Störzustand im elektrischen System bereits im Moment des Entstehens erkennt und daraus eine sofortige Überführung in einen sicheren Zustand erwirkt - noch bevor ein kritischer Zustand überhaupt entstehen kann. Die signifikant höheren elektrischen Anschlusswerte sind allein durch die wirkungsvolle Begrenzung der Funkenenergie möglich. Ausgenutzt wird hierbei die Tatsache, dass in ohmschen Kreisen jeglicher sicherheitstechnisch kritische Zustand (Funken) unmittelbar mit einer - wenn auch geringen - Stromänderung (s.  Abb. 2 - ­Initial Step) verbunden ist. Diese lässt sich sicher durch dynamisch wirkende Stromsensoren detektieren und bewirkt eine unmittelbare systemabhängige Überführung in einen sicheren Zustand - z. B. durch Abschaltung.
Während die Zündfähigkeit klassischer ohmscher Funken durch die äußerst variable Funkendauer von ca. 20 µs bis 2 ms charakterisiert ist, basiert ­Power-i auf einer definierten Begrenzung (Verkürzung) der Funkendauer. Diese ist systemabhängig und ergibt sich aus der maximalen berechenbaren Abschaltzeit des Gesamtsystems - d. h. der Hardwarereaktionszeit und der doppelten Leitungslaufzeit. So ergibt sich z. B. für ein Power-i-System nach Abbildung 3 mit einer 1.000 m langen Leitung die maximale Abschaltzeit zu ca. 14 µs. Den Plot eines derartig definiert verkürzten Funkens zeigt Abbildung 2. Hier wird die mögliche Funkendauer auf die o. g. maximale Abschaltzeit begrenzt. Somit ist die Zündfähigkeit dieser Funken in definierter Weise stark eingeschränkt.
Grundsätzlich darf die Information über eine sicherheitstechnisch relevante Störung unter keinen Umständen durch andere Systemkomponenten (Leitung u./o. Verbraucher) dahin gehend negativ beeinflusst werden, dass eine Detektion mit nachfolgender Reaktion der Quelle be- bzw. verhindert wird. Die Erkennung der Stromänderung ist deshalb sicherheitstechnisch exakt zu bewerten. Das Hardwarekonzept einer Power-i-Quelle mit den zuvor beschriebenen sicherheitsrelevanten Eigenschaften zeigt Abbildung 4. Kernstücke sind die di/dt-Detektoren zur Erkennung von Stromsprüngen und der elektronische Umschalter S1. Dieser ist nur im störungsfreien Normalbetrieb geschlossen, während er im Anfahrmoment und im Störfall offen ist.
Der Innenwiderstand RStart gewährleistet bei geöffnetem S1, dass nur ein geringer konventionell eigensicherer Strom in den Lastkreis fließen kann (siehe Punkt 3 in Abb. 1). Die beiden wichtigsten von einer Power-i-Quelle zu gewährleistenden sicherheitsrelevanten Eigenschaften Störfallerkennung und Abschaltung werden maßgeblich von der Anschlussleitung und dem/den Verbraucher(n) beeinflusst.

Anforderungen an den Verbraucher

Während der Leitungseinfluss in erster Linie durch Laufzeit und Leitungslänge geprägt wird, sind die Anforderungen an die Verbraucher deutlich vielfältiger - wie z. B.:

  • Realisierung eines definierten Anfahrverhaltens;
  • Gewährleistung eines definierten di/dt-Sprungs bei Leitungsöffnung;
  • keine Beeinflussung sicherheitsrelevanter Informationen über Stromsprünge auf der Leitung;
  • einfache Systemintegration.

Dieses definierte Verbraucherverhalten lässt sich für eine große Anzahl von Verbrauchern durch eine relativ einfach auszuführende Eingangsbeschaltung zur Lastentkopplung realisieren. Abbildung 5 zeigt eine derartige Ausführungsform für nahezu beliebige Lasten. Dabei kann die Lastentkopplung als separate Entkopplungseinheit, d. h. ein Entkopplungsmodul für mehrere Lasten, oder in den Verbraucher integriert ausgeführt sein.

Welche Parameter sind mit Power-i erreichbar?

Detaillierte Informationen sind aus Abbildung 6 ersichtlich. Hier wurde die eigensicher verfügbare Wirkleistung in Abhängigkeit von der Abschaltzeit (d. h. der System-Reaktionszeit) und der Leitungslänge für zwei Ausgangsspannungswerte aufgetragen. Die abgebildeten Zündgrenzkurven basieren auf praktischen Messungen mit dem Funkenprüfgerät nach IEC 60079-11, wobei der Sicherheitsfaktor von 1,5 in das Gasgemisch gelegt wurde. Gut
erkennbar ist hierbei die er­forderliche starke Leistungsreduzierung bei der Verwendung von langen Leitungen.

Neue Perspektiven für die Eigensicherheit "i"

Die sich durch Power-i ergebende breite Anwendungspalette soll hier nur beispielhaft angerissen werden wie z. B.:

  • Ventilinseln und Magnetventile erfordern einen erhöhten Strom beim Schalten;
  • Durchflussmesstechnik durch erhöhte zur Verfügung stehende Leistung wird die Messung genauer;
  • Beleuchtung und optische Warngeber (u. a. Leuchten, LED-Technik), aber mindestens die Verbindungstechnik - einfacher Austausch möglich;
  • Analysentechnik, z. B. in der Biochemie lösbare „i"-Verbindungen bei fahrbaren Containern.

Weitere Applikationen sind in Diskussion.

Neues PTB-Projekt

Zahlreiche Firmen, wie Bartec, BC-Systemtechnik, Bürkert, Dräger Safety, Ecom Engineering, Endress+Hauser, Gönnheimer, IFM Electronic, Knick, Pepperl+Fuchs, Phoenix Contact und R. Stahl Schaltgeräte arbeiten an der Zukunftsfähigkeit der Power-i-Technologie mit und haben sich darauf verständigt, die Schaffung eines offenen Standards für die Interoperabilität von Versorgung und Verbrauchern auf internationaler Ebene voranzutreiben. Durch ihre finanzielle Unterstützung konnte Mitte 2009 unter Leitung der PTB das Projekt „Mehr eigensichere Wirkleistung durch dynamisch wirkende Stromkreise - Realisierung, Implementierung, Prüfung und Inverkehrbringen" mit der Kurzbezeichnung Power-i starten. Die Bearbeitung gliedert sich in folgende Schwerpunktthemen:
Entwicklung eines für ­Power-i-Stromkreise bzw. -Systeme geeigneten Prüfverfahrens zur Bewertung des Zündvermögens. Perspektivisch soll dieses in die internationale Normung einfließen. Als erster Schritt ist dazu die Erstellung einer Technical Specification (TS) bei IEC vorgesehen. (Eine Technical Specification kann nach den IEC-Verfahrensregeln publiziert werden, wenn die Technologie noch in der Entwicklung ist oder wenn aus anderen Gründen zukünftig die Möglichkeit besteht, eine Einigung zu erzielen, um eine internationale Norm zu veröffentlichen.)
Erarbeitung und Vorgabe der für Power-i erforderlichen sicherheitsrelevanten Parameter, die zur Konzeption und Dimensionierung des Systems Quelle, Leitung und Verbraucher erforderlich sind. Aus Anwendersicht ist hierbei auf die Gewährleistung der Interoperabilität von Quellen und Verbrauchern sowie auf die Möglichkeit der Realisierung einer Plug&Play-Lösung zu achten.

Zusammenfassung

Mit Power-i steht dem zukunftsorientiert denkenden Anwender ein Lösungskonzept zur Verfügung, das den Einsatzbereich der Zündschutzart Eigensicherheit „i" deutlich erweitert. Hiermit lassen sich Wirkleistungsumsätze von bis zu 50 W erzielen. Zur sicherheitstechnischen Bewertung sind hierbei allerdings alle Systemkomponenten heranzuziehen.
Eine Prüfung auf Basis der zurzeit gültigen IEC 60079-11 ist nur bedingt möglich, da kein international anerkanntes Nachweisverfahren existiert. Deshalb werden im Rahmen eines industriefinanzierten PTB-Projektes Vorbereitungen zur Implementierung aller dazu erforderlichen Angaben in die internationale Normung getroffen.