Anlagenbau & Prozesstechnik

Prolist wird eClass

Merkmalleistenlexikon Prolist optimiert Lebenszyklus-Workflow

04.12.2012 -

„Ich kann kein CAD-System einführen, ich muss mein Projekt fertigbekommen." sagte der Planer und arbeitete weiter an seinem Reißbrett. Ich fand den Satz von Prof. Ahrens, meinem Vorgängers im Amt des Prolist-Geschäftsführers, kabarettreif und gleichzeitig wirklichkeitsnah. Ob es mit der Anwendung der Prolist-Merkmalleisten derzeit ähnlich läuft?

Für die heutigen Ingenieure ist das Reißbrett undenkbar, sie kennen nur die Arbeit am Bildschirm. Die überragenden Vorteile des CAD-Systems sind bekannt. Wahrscheinlich sind die Vorteile der Prolist-Merkmalleisten ähnlich signifikant. Allerdings ist das Thema wesentlich komplexer, geht es doch um die Unterstützung der Arbeitsläufe im Lebenslauf einer prozesstechnischen Anlage: Von der Planung mit der Spezifikation der Geräte über die Lieferung und Installation für die Prozessleittechnik bis zu Inbetriebnahme. Im Betrieb kommen dann die Instandhaltung und die Beschaffung passender Ersatzgeräte noch weit über zehn Jahre nach der Inbetriebnahme hinzu. Und dazwischen werden Änderungen und Erweiterungen geplant und durchgeführt.

Schnittstelle für den elektronischen Datenaustausch

Verschiedene Gewerke und eine Vielzahl von Funktionen arbeiten in diesen unterschiedlichen Phasen zusammen. In den einzelnen Funktionsbereichen sind die Arbeitsabläufe optimiert. Natürlich arbeitet der Planer längst mit einem leistungsfähigen CAE-System. Der Hersteller beantwortet die technischen Anfragen mittels seines Vertriebssystems, das an die objektorientierte Produktdatenbank andockt. Aber dazwischen ist Kopf- und leider auch Handarbeit angesagt. Die Maschinen der verschiedenen Funktionen verstehen einander nicht. Natürlich sollen die Maschinen nicht die Entscheidung treffen, welche Geräte zu welcher Anlage passen, aber sie können sie automatisiert vorbereiten.

Der Planer erarbeitet die Spezifikation rechnergestützt. Könnte sie vom System des Herstellers verstanden werden, hätte der beratende Vertriebsmann auf Anhieb mehrere Gerätetypen für die Technische Anfrage zur Auswahl auf seinem Bildschirm. Umgekehrt würde das CAE-System dem Planer sofort die positiven und auch negativen Abweichungen zu seiner technischen Anfrage sichtbar machen. Damit das funktioniert, bedarf es einer Schnittstelle für den elektronischen Datenaustausch (das XML-Format ist dazu geeignet), aber auch einer gemeinsamen „Sprache", damit sich die Maschinen untereinander verstehen. Für die Geräte der Prozessleittechnik hat Prolist International ein maschinenlesbares Merkmalleistenlexikon geschaffen, das über 90% der Gerätetypen für die Prozessleittechnik erfasst. Es gibt Vorschläge für gemeinsame Workflows zwischen den Gewerken.

Markteinführung „Top Down"

Aber auch eine „Enabling Technology" selbst hat ihre Lebenszyklusphasen. Wie war das wohl mit der Einführung des CAD-Systems? Es gab Leute, die die Technologie besaßen und denen, die damit arbeiten sollten, das Wissen über die Technologie vermittelten. Es gab die Leute, die überzeugt waren, dass die neue Technologie für ihre Arbeit deutlichen Nutzen bringen würde, z.B. mehr und exaktere Zeichnungen in wesentlich kürzerer Zeit und weniger Fehlerquellen bei der Arbeit.

Die direkten Nutznießer konnten die Technologie jedoch oft nicht einsetzen, weil sie weder über das Geld für die Investition noch vor allem über die notwendige Zeit zur Einführung verfügten. Es brauchte also weitsichtige Chefs, die den Mitarbeitern top-down die notwendigen Freiräume als Investition für die zukünftigen Arbeitsabläufe einräumten. So scheint es auch bei der Merkmalleistentechnologie zu sein. Dort, wo sie (tatsächlich top-down) eingeführt und von den Mitarbeitern angenommen wurde, trägt sie Früchte in einer Weise, dass eine Abkehr vom neuen Vorgehen nicht mehr möglich erscheint. Andere Firmen werden vermutlich durch die Macht des Faktischen ebenfalls gezwungen sein, die Hürde der Einführung zu nehmen. Dabei sind alle Partner im Workflow betroffen: Planer, Hersteller, Instandhalter u.a.m.

Change Management

Im Laufe Jahre haben sich auch die Herausforderungen für die Macher von Prolist verändert; Anpassungen der Technologie und der Organisation sind die Folge. Aus dem ursprünglichen NAMUR-Arbeitskreis 1.2 „Merkmale" ging eine intensive Zusammenarbeit mit dem Herstellerverband ZVEI hervor. Gemeinsam wurde das umfangreiche Merkmalleistenlexikon für die Geräte der Prozessleittechnik geschaffen. 2008 wurde Prolist International als eingetragener Verein gegründet, der sich um die Konsolidierung dieser Arbeiten und die internationale Normung innerhalb der IEC 61987 kümmerte. Die ersten Anwendungen standen an, angepasste Workflows wurden kreiert. Zur möglichst flächendeckenden Verbreitung wurde das Merkmalleistenlexikon in eClass im Rahmen eines vom BmWi geförderten Projekts harmonisiert. Die weitere Zukunft wird im Wesentlichen durch die Förderung der Anwendungen geprägt sein. Pflege und Ergänzungen des Merkmalleistenlexikons werden notwendig sein. Die Vielzahl der Daten machen ein automatisiertes, Änderungsmanagement auf hohem Qualitätsniveau notwendig. Deshalb hat Prolist International 2012 eine Übertragung der Aktivitäten auf das etwa viermal größere Unternehmen eClass beschlossen.

Prolist wird eClass

Für die Änderung und Weiterentwicklung von Stammdaten besitzt eClass eine hochwertige und effiziente Content Development Platform, die bereits für die Harmonisierung genutzt wurde. Die absolute Stärke von eClass ist das breit angelegte Klassifizierungssystem für eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Produkte. Dazu gehören z.B. auch Klassen wie „27-20 Messtechnik, Prozessmesstechnik". Beschaffung und Lieferanten sind die Nutzer der Klassen, die durch Merkmalleisten ergänzt werden. Diese sind ohne weitere Struktur aufgelistet und haben einen überschaubaren Umfang. Neuerdings nennt sie eClass „Basic-Merkmalleisten". Für eine Gerätespezifikation im Rahmen einer Planung sind sie nicht ausreichend, weshalb sie durch „Advanced Merkmalleisten" ergänzt wurden. Für Geräte der Prozessleittechnik sind dies die harmonisierten Prolist -Merkmalleisten mit ihrer ausgeprägten Blockstruktur. Für die internationale Verbreitung der Klassen und Merkmalleisten wird eClass seine Normungsarbeit intensivieren und die Erfahrung von Prolist nutzen.

Die Arbeit wird von den Fachleuten innerhalb der eClass-Expert Groups geleistet. Branchenorientiert für die Prolist Geräte werden die Arbeiten durch die sachgruppenübergreifende Cross Expert Group Prozessleittechnik / Prolist koordiniert. Der Prolist Vorstand hat seinen Vorsitzenden in den eClass Vorstand entsendet. Die Mitglieder von Prolist International beabsichtigen, dem eClass beizutreten. Die Prolist-typischen Arbeiten werden durch eine freiwillige Umlage finanziert.

Zukunftsorientiert

Die Pflege der Merkmalleisten und deren Weiterentwicklung finden ausschließlich auf der Basis des eClass-Contents ab Version 7.0 statt. Die Innovationen fließen mit zeitlichem Versatz in die IEC-Normung ein. Die Merkmalleisten der bestehenden Prolist Version 3.2 können von den bisherigen Anwendern weiterhin genutzt werden. Ein künftiges quasi automatisiertes Umsteigen von dieser Version auf eClass 8.0 und höhere wird durch ein Migrationstool möglich. Mit der Übertragung zu eClass hat Prolist International den soliden Grundstein für die künftige Nutzung und die weitere Verbreitung der Merkmalleisten-Technologie gelegt. Kreative Ideen zur Anwendung der maschinenlesbaren Merkmalleisten für weitere Aufgaben und in verwandten Branchen gibt es bereits.