Anlagenbau & Prozesstechnik

Digitalisiertes Management der funktionalen Sicherheit

Potenziale des digitalen Sicherheitszyklus nutzen

11.03.2024 - Anlagenbetreiber stehen vor vielfältigen Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Internationalisierung, Betriebserlaubnis und Druck zur Produktivitäts- und Effizienzsteigerung. Ein neuer und ganzheitlicher Ansatz zur Digitalisierung des Sicherheitslebenszyklus eröffnet jetzt neue Potenziale und hilft dabei, die Herausforderungen zu meistern.

In Unternehmen der Prozessindustrie werden die Risiken, die von einem Prozess für Mensch und Umwelt ausgehen in einer Risikobetrachtung ermittelt und das Sicherheitskonzept regelmäßig überprüft. Sicherheitseinrichtungen sorgen dafür, dass die Anlage unter allen Bedingungen in einen sicheren Zustand gebracht werden kann – man spricht hier von der funktionalen Sicherheit, sofern diese Funktionen gesteuert ablaufen. Zu den Pflichten der Betreiber von Anlagen in der Prozessindustrie gehört es sicherzustellen, dass die einschlägigen Vorschriften für den Betrieb von Sicherheitseinrichtungen jederzeit eingehalten werden. Denn die Konformität mit dem Regelwerk bildet die Voraussetzung für die Betriebsgenehmigung einer Anlage. Doch das Regelwerk ist inzwischen enorm umfangreich und die geforderten Prozesse für Prüfung, Nachweis und Dokumentation sind komplex. Ein neuer digitaler Ansatz hilft dabei, den Aufwand für Planung, Betrieb und Lebenszyklusmanagement der Sicherheitssysteme im Rahmen zu halten.

Traditionelle Vorgehensweise führt zu einem hohen Aufwand

Dass dies so ist, liegt an der Art und Weise, wie funktionale Sicherheit bisher gemanagt wird: Zunächst legen Experten die Standards für Abläufe, Tools und Templates fest. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Trainingskonzept, mit dem das Know-how zur funktionalen Sicherheit und zu den festgelegten Standards in die Organisation getragen wird. In großen Unternehmen werden diese in allen Betrieben und Werken auf der Welt möglichst gleichermaßen etabliert. Im Zuge dessen wird schließlich auch festgelegt, wer für die Umsetzung der standardisierten Abläufe im Rahmen der funktionalen Sicherheit verantwortlich ist und das Management der funktionalen Sicherheit wird von lokalen Gruppen in den Betrieben angewendet: Das beginnt bei der Risikobewertung einer Anlage über die Auslegung der Sicherheitskreise bis hin zu regelmäßigen Prüfungen und der Dokumentation. Der Informationsfluss zwischen all diesen Schritten wird in der Regel manuell organisiert.

Diese Vorgehensweise hat eine ganze Reihe an Nachteilen: Einerseits ist sie enorm aufwendig, andererseits bleibt unklar, inwieweit die festgelegten Standards und Abläufe in der Betriebs­praxis auch tatsächlich umgesetzt werden. Weil Daten und Erfahrungen aus den Betrieben dabei manuell gesammelt werden und auch der Informationsfluss zwischen Umsetzungsteams und Experten meist nur zufällig geschieht, lassen sich die Prozesse zur funktionalen Sicherheit nur schwer pflegen und verbessern. Dadurch riskieren Betreiber latent die Konformität zu den einschlägigen Regelwerken, insbesondere den Vorgaben der IEC 61511. Und das kann gravierende Konsequenzen haben: 80 % der Ursachen für Unfälle in Betrieben der Prozessindustrie lassen sich auf menschliche Faktoren zurückführen. Um die Sicherheit in diesen Anlagen zu gewährleisten, ist es deshalb notwendig, sich auf die Supportprozesse zu fokussieren. Nur so lässt sich vermeiden, dass durch Fahrlässigkeit oder gar grobe Fahrlässigkeit Fehler entstehen, welche die Gesundheit von Menschen, die Umwelt und die Anlage beeinträchtigen können. Das Management der funktionalen Sicherheit und die Dokumentation der Maßnahmen dient nicht zuletzt auch dazu, strafrechtliche Konsequenzen für Mitarbeitende und Management zu vermeiden.

 

© HIMA
Management der funktionalen Sicherheit auf traditionelle Weise (oben) und digitalisiert (unten). © HIMA

 

Betriebssystem für digitales Management der funktionalen Sicherheit

Einen Ausweg aus dem Dilemma Norm-konforme funktionale Sicherheit mit vertretbarem Aufwand zu erreichen, bietet die Digitalisierung. Die Hima SLD-Lösungen (Safety Lifecycle Digitalization) für den gesamten Sicherheitslebenszyklus kombinieren unterschiedliche Bausteine, um die Implementierung digitaler Workflows zu ermöglichen. Dabei werden Daten aus den Produktionseinheiten gesammelt und mit den Auslegungsdaten der jeweiligen Einheit verglichen. Auf diese Weise wird die Gültigkeitsgrundlage der Betriebsgenehmigung automatisch überwacht. Dieses Vorgehen erschließt weiterführende Verbesserungspotenziale zur Steigerung der Sicherheitsperformance und der Produktivität. Dabei liefert die Digitalisierung der funktionalen Sicherheit einen Mehrwert und die Umsetzung wird als ganzheitlicher Prozess gesehen: vom Engineering über den Betrieb bis hin zu Erweiterungen und Änderungen. Digitalisierung bietet so die Chance, das Handling der Sicherheitstechnik für die Anlagenbetreiber effizienter zu gestalten und deutlich zu vereinfachen.

Im Vergleich zur oben beschriebenen traditionellen Vorgehensweise basiert der Ablauf des Managements der funktionalen Sicherheit bei Hima SLD auf einer digitalen Arbeitsumgebung, die den gesamten Lebenszyklus umfasst. Bereits die Auslegung der Sicherheitsmaßnahmen und -kreise geschieht in einem digitalen Functional Safety Workspace. Der ganzheitliche Ansatz reicht dann über eine digitale Trainingsumgebung, das Ausrollen digitalisierter Prozesse bis hin zu den verantwortlichen Personen und Gruppen in den Betrieben. Arbeitsabläufe bei regelmäßigen Aufgaben im Betrieb – bspw. Wiederholungsprüfungen  –  werden genauso digitalisiert, d.h. die Arbeitsschritte laufen nach dem manuellen Start der Prüfungen automatisch ab und werden dokumentiert. In der digitalen Arbeitsumgebung wird völlig transparent, wer in der Organisation welche Arbeiten und Entscheidungen genehmigt, wer welche Trainings absolviert hat und wo noch Trainingsbedarf besteht. Und weil die Daten lückenlos in beiden Richtungen  –  von den Experten und Verantwortlichen hin zu Betriebs- und Wartungspersonal als auch zurück fließen, lassen sich diese nicht nur rechtssicher dokumentieren, sondern auch für Optimierungsprojekte nutzen. Mehrwert aus der Digitalisierung entsteht dabei in allen vier wesentlichen Bereichen:

  1. In der Kombination aus Safety und Security (Safety and Security),
  2. einem stets regelwerkskonformen Betrieb (Enduring Compliance),
  3. einem vereinfachten Engineering (Streamline Engineering),
  4. einem wirksamen Änderungsmanagement (Effective Managment of Change).

 

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Das Betriebssystem für digitalisiertes Safety Lifecycle Management erstreckt sich über alle Facetten der funktionalen Sicherheit. © HIMA


Digitalisierte Prüfabläufe führen zu signifikanten Einsparungen

Wie groß der Nutzen für den regelwerkskonformen Betrieb ist, verdeutlicht das Beispiel der wiederkehrenden Prüfung von Sicherheitseinrichtungen. Durch sie wird in der Praxis getestet, ob eine Sicherheitseinrichtung im Anforderungsfall auch tatsächlich funktioniert. Traditionell nehmen Anlagenbetreiber dafür die As Built-Dokumentation zur Hand. Aus dieser geht hervor, wo und welche Prüfungen durchgeführt werden müssen. Im Wartungsmanagementsystem werden dann Arbeitsaufträge erstellt, die vom Fachpersonal in der Anlage durchgeführt werden. Dabei werden bspw. Sicherheitseinrichtungen überbrückt, die Verkabelung von Messkreisen gelöst und die Funktion der Sicherheitseinrichtungen auf Niveau der Einzelkomponenten überprüft. Anlagenkomponenten wie Rohre, -verbindungen und Ventile werden auf Korrosion oder Undichtigkeiten geprüft. Für alle Vorgänge werden Testberichte erstellt und danach meist manuell von Safety-Experten bewertet und Handlungen abgeleitet. Auch hier sind die Fehlermöglichkeiten vielfältig und Informationsverluste vorprogrammiert.

Digitalisierte Abläufe bis hin zu automatischen Tests tragen nicht nur dazu bei, Fehler und Informationsverluste zu eliminieren, sondern sorgen aufgrund stringenter Abläufe für mehr Sicherheit. Darüber hinaus entfallen Eingriffe in die Verdrahtung der Anlagen, da die notwendigen Tests zum Bestandteil der SIS Funktionalität werden. Auf diese Weise kann bspw. automatisch überwacht werden, ob das zu Online-Prüfzwecken notwendige Überbrücken von Sicherheitseinrichtungen wieder rückgängig gemacht wurde. Durch die automatisierte Erfassung und Dokumentation der Testergebnisse sinkt der Aufwand für die wiederkehrende Prüfung erheblich. Der digitale Ablauf ermöglich zudem neue Analyse- und Optimierungsmöglichkeiten  –  bspw. indem Kennzahlen (sogenannte Prozess-KPIs) automatisch dargestellt werden  –  und stellt sicher, dass eine funktionierende Feedback-Schleife vom Betrieb zu den Sicherheitsexperten entstehen kann. In der Praxis berichten Anwender von Einsparungen von bis zu 70 %. Weil der digitalisierte Ablauf komplett nachvollziehbar ist, honorieren Versicherungen teilweise sogar das Plus an Sicherheit mit niedrigeren Versicherungsprämien.

Der nächste logische Schritt sind vollautomatische Prüfungen, wie sie sich mit dem Smart Safety Test von Hima realisieren lassen. So ist es bspw. möglich, mit regelmäßigen Teilhubtests Prüfzyklen für Armaturen mit Sicherheitsfunktion, die einen Anlagenstillstand erfordern, deutlich zu verlängern  –  und weniger Stillstand bedeutet mehr Produktivität. So ist es z.B. Evonik gelungen, mit dem Smart Safety Test die Zyklen zwischen Anlagenstillständen einer Propen-Destillationsanlage von einem auf drei Jahre zu verlängern.

Die Digitalisierung hilft Anlagenplanern und -betreibern dabei, den Aufwand für Maßnahmen der funktionalen Sicherheit zu senken und gleichzeitig die Sicherheit zu erhöhen. Die Hima Safety Lifecycle Digitalization ist eine Gesamtlösung für eine ganzheitlich digitalisierte Sicherheitsumgebung. Darüber hinaus eignet sich der modulare Ansatz für individuelle anwendungsspezifische Lösungen, um Schwachstellen zu eliminieren oder neue Möglichkeiten zu nutzen. 

Autoren:

Peter Sieber © Hima   Peter Sieber, Vice President of Strategic Marketing, Hima Group

Marco Turdo © Hima   Marco Turdo,Global Lead Consultant in Digital Safety, Hima Group

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