Anlagenbau & Prozesstechnik

Attraktive Alternative

Drehzahlgeregelte Drehkolbengebläse für den Einsatz in Kläranlagen

25.11.2010 -

Als wesentliches Kriterium für die Kosten der Sauerstoff-Versorgung eines Klärwerks zählt der Energie-Verbrauch der Sauerstoff-Erzeuger. Diese kontinuierlichen Kosten sind - bezogen auf die Lebensdauer der Aggregate - deutlich höher als deren einmalige Investitionskosten. Deshalb amortisieren sich energiesparende Gebläse sehr schnell über die eingesparten Energie-Kosten. Wie eine Pilot-Anwendung in einer Bad Reichenhaller Kläranlage eindrucksvoll unterstreicht, gilt dies ganz besonders für den neuen Drehkolbenverdichter Delta Hybrid von Aerzen: Er benötigt bis zu 15 % weniger Strom als die Vorgängermodelle.

Nur eine optimale Sauerstoff-Versorgung garantiert den einwandfreien Betrieb einer Kläranlage. In Bad Reichenhall wurde der Sauerstoff zunächst mit zwei Turboverdichtern erzeugt, die 1999 aus Altersgründen und wegen eines geänderten Belüftungskonzeptes durch zwei frequenzgeregelte Aerzener Drehkolbengebläse ersetzt wurden. Dadurch wurde erstmalig eine bedarfsabhängige Versorgung möglich. Die optimale Lösung wurde jedoch erst 2009 mit einem innovativen drehzahlgeregelten Drehkolbenverdichter aus der neuen Aerzener Baureihe Delta Hybrid erzielt. Diese in mehrjährigen Feldversuchen auch unter Extrembedingungen bewährte Baureihe bietet als Synergie aus Gebläse und Verdichter die Vorteile beider Systeme.
Delta Hybrid-Aggregate ermöglichen durch ihr breites Druck- und Liefermengen-Spektrum völlig neue Möglichkeiten der Unter- und Überdruck-Erzeugung, benötigen bis 15 % weniger Energie, sind wartungsarm und haben eine längere Lebensdauer als bisher bekannte Gebläse-Systeme. Außerdem sind sie eine attraktive Alternative zu Turboverdichtern. Mit diesen drei drehzahlgeregelten Aerzener Aggregaten erzeugt die Kläranlage in Bad Reichenhall den benötigten Sauerstoff jetzt immer bedarfsabhängig und deshalb besonders wirtschaftlich: in Schwachlastzeiten mit den kleinen Aggregaten von 1999 wechselseitig oder gemeinsam, in Starklastzeiten mit dem großen Delta Hybrid-Drehkolbenverdichter.
Die 1981 in Betrieb genommene Kläranlage Bad Reichenhall wurde für 58.000 Einwohnergleichwerte ausgelegt und arbeitet nach dem mechanisch-biologisch-chemischen Verfahren mit gezielter Nitrifikation, biologischer Phospaht-Elimination und chemischer Phosphat-Fällung. In einem dreistufigen Klärverfahren werden zunächst alle Grobstoffe ausgefiltert, Sande, Kies und Splitt abgefangen und alle Stoffe, die schwerer sind als Wasser, sowie alle an der Oberfläche angesammelten Fette aus dem Abwasser entfernt. Die eigentliche biologische Reinigung erfolgt dann in der zweiten Stufe, in den sog. Belebungsbecken. Hier erfüllen Mikroorganismen eine optimale Reinigungsfunktion der Abwässer, indem sie die hierin enthaltenen Stoffe als Nahrung zur Energiegewinnung und zur Fortpflanzung nutzen. Damit diese Organismen in den Belebungsbecken optimale Bedingungen vorfinden, ist ein hoher technischer Aufwand erforderlich, der dann allerdings die biologische Reinigung des Abwassers von mehreren Wochen auf wenige Stunden verkürzt. Die Natur könnte diese Abwässer des Menschen ohne technische Unterstützung aus eigener Kraft nicht reinigen. Deshalb werden die Belebungsbecken durch den Eintrag von Sauerstoff gezielt belüftet.

Von Turbo-Verdichtern zu Aerzener Drehkolbengebläsen und -verdichtern
Dieser Sauerstoff wurde zunächst von zwei Turbo-Verdichtern erzeugt und über Keramikkerzen kontinuierlich in das Belüftungsbecken eingeblasen. Ein 1994 zusätzlich für eine bessere Steuerung der Sauerstoff-Erzeugung angeschafftes drehzahlgeregeltes Drehkolbengebläse eines Drittanbieters hat die in das Aggregat gesetzten Hoffnungen jedoch nicht erfüllt und wurde bis 1995 nur als Redundanzanlage vorgehalten. Mit dem Umbau der Kläranlage 1995 auf Nitrifikations- und Denitrifikationsbecken änderten sich auch die Anforderungen an die Belüftung mit Sauerstoff. Sie durfte jetzt nicht mehr kontinuierlich, sondern mußte bedarfsabhängig diskontinuierlich erfolgen. Außerdem wurde der Sauerstoff nicht mehr über Keramikkerzen sondern über Belüftermembranen in das Belüftungsbecken eingetragen. „Mit dieser Änderung des Belüftungsverfahrens mußten wir auch die Technik der Sauerstoff-Erzeugung und -Versorgung entscheidend ändern", erläutert Betriebsleiter Markus Schmied.
Deshalb wurden die zwei Turbo-Verdichter von 1981 zunächst gegen zwei baugleiche, vor allem aber frequenzgeregelte Drehkolbengebläse der Aerzener Maschinenfabrik ausgewechselt. Das Gebläse eines anderen Herstellers von 1994 ‚überlebte‘ als Redundanzanlage noch bis 2009. Die neuen Aerzener Gebläse sind noch immer in Betrieb und arbeiten mit einer Leistungsbandbreite von 1.200 bis 2.500 m3/h (20 bis ca. 42 m3/min). „Wir benötigten nach dem Umbau für unser neues Konzept nicht nur eine bedarfsabhängige Sauerstoff-Versorgung unserer Belebungsbecken. Sie mußte auch mit einem breiten Leistungsspektrum zur Verfügung stehen. Diese Vorgabe erreichten wir erstmalig mit den 1999 installierten frequenzgeregelten Aerzener Gebläsen", betont der Betriebsleiter.
Das Belebungsbecken der Kläranlage Bad Reichenhall wird über ein Leitsystem vollautomatisch durch mehrere elektrisch betätigte Schieber unterteilt, so daß Teilbereiche entsprechend dem aktuellen Ammonium- oder Nitratwert über Belüfterplatten am Beckenboden mit Sauerstoff versorgt oder von der Versorgung ausgenommen werden können. Da die Belüfterplatten nur mit einem genau definierten Maximaldruck beaufschlagt werden dürfen, kann die in den einzelnen Beckenbereichen benötigte Sauerstoffmenge nur über eine Veränderung der Belüftungsfläche und/oder der Belüftungszeit variiert werden. Deshalb muß die zu produzierende Sauerstoffmenge kontinuierlich an den Bedarf angepaßt werden. Das geschah ab dem Jahr 1999 zunächst durch die zwei damals neu installierten, bedarfsabhängig über Frequenzumrichter gefahrenen Drehkolbengebläse der Aerzener Maschinenfabrik (Lieferbandbreite je 1.200 bis 2.500 m3/h). In Schwachlastzeiten mit geringem Klärwassereintrag erledigte ein Aggregat diese Aufgabe alleine, bei höherem Klärwasseranfall wurde das zweite Aggregat automatisch zugeschaltet. Dann arbeiteten beide Aggregate gemeinsam mit paralleler Leistung. Inzwischen haben diese riemengetriebenen Aggregate ca. 30.000 Bh absolviert (Stand Mai 2010) und arbeiten nach Auskunft von Markus Schmied seit ihrer Inbetriebnahme absolut problemlos. Bis 2009 war auch noch das bereits 1994 installierte Gebläse als Redundanz vorhanden. Dieses Aggregat hat die Erwartungen der Betreiber aber nie erfüllt, verursachte inzwischen erhebliche Wartungskosten und wurde deshalb 2009 durch einen innovativen drehzahlgeregelten Drehkolbenverdichter aus der neuen Aerzener Baureihe Delta Hybrid, einer weltweit einmaligen Neukonzeption, ersetzt.

Delta Hybrid - eine weltweite Neuheit
Mit herkömmlichen Drehkolbengebläsen ließen sich bisher nur Drücke bis 1 bar erzielen. Darüber mußten Schraubenkompressoren eingesetzt werden, die einstufig aber für deutlich höhere Drücke von 2 bzw. 3,5 bar ausgelegt sind. Sie sind damit für sehr niedrige Drücke bauartbedingt „viel zu schade" und deshalb in der Investition zu teuer. Hier hat die Aerzener Maschinenfabrik erfolgreich den Hebel angesetzt. Das Unternehmen baut seit 1868 Drehkolbengebläse und seit 1943 Schraubenverdichter. Mit den neuen ölfrei verdichtenden Aggregaten der Baureihe Delta Hybrid wurden die Vorteile beider Systeme in idealer Weise vereinigt. Dabei tendieren die Anlagen für niedrigere Drücke eher zu einem Gebläse, für höhere Drücke eher zu einem Schraubenverdichter.
Die neuen Delta Hybrid-Anlagen wurden für alle Einsatzfälle geschaffen, bei denen Luft und neutrale Gase im Druckbereich bis 1,5 bar gefördert werden müssen, wie z. B. in Kläranlagen, in der chemischen Industrie, der Kraftwerkstechnik oder zum Transport und zum Entladen staubförmiger Güter. Diese neue Drehkolbenverdichter-Baureihe wurde bereits seit drei Jahren in einem groß angelegten Feldversuch in verschiedensten Branchen bei Aerzener Kunden mit Neubedarf unter härtesten Praxisbedingungen erfolgreich getestet und zur Marktreife entwickelt. Alle Feldtest-Anlagen wurden über die Aerzener Fernüberwachung RAT detailliert und kontinuierlich überwacht. Die neuen Delta Hybrid-Anlagen stehen in folgenden Leistungsbereichen zur Verfügung:
- Volumenströme: 10 bis 70 m3/min (600 bis 4.200 m3/h)
- Einsatzbereiche: für Luft- Über- und Unterdruck
- Druckbereich: 0 bis 1,5 bar
- Saugbereich: bis -0,7 bar

Die neue Delta Hybrid-Baureihe ist absolut vergleichbar mit Turboverdichtern, bietet aber durch ihr maßgeschneidertes Konstruktionsprinzip gegenüber der Turbo-Technik die gravierenden Vorteile einer Drehkolbenmaschine:
- besonders günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich unter den Investitions-, Energie- und Wartungskosten für einen vergleichbaren Turbo- oder Schraubenkompressor;
- gegenüber einem Turboverdichter nur unwesentliche Leistungsschwankungen auch bei unterschiedlichen Eingangstemperaturen (Sommer-/Winterbetrieb) oder bei Druckschwankungen;
- signifikant verbesserte Energie-Effizienz durch Energie-Einsparungen bis zu 15 % gegenüber herkömmlichen Anlagen;
- niedrige Wartungs- und Servicekosten;
- robuste Lagerkonstruktion (Lebensdauer 60.000 Bh auch bei maximaler Belastung);
- niedrige Druckluft-Austrittstemperaturen dank hervorragender thermischer Haushalte, kompakte Bauweise, Riemenantrieb, Riemenspannung durch Motorwippe, Side-by-Side-Aufstellung, Frontseitenbedienung, Ölkontrolle und Nachfüllen im Betrieb, niedriger Schallpegel, optionale Steuerung AS300 AERtronic, für Außenaufstellung geeignet;
- sehr hoher Regelbereich (25 - 100 %), einfach zu bedienen und zu warten.

Bedarfsabhängige Sauerstoff-Erzeugung
Dieses neue Delta Hybrid-Aggregat ist seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2009 über ein selbst entwickeltes Leitsystem in die Sauerstoff-Versorgung der Kläranlage Bad Reichenhall integriert.
Durch seine besonders große Leistungsbandbreite von 1.200 bis 5.000 m3/h in der Spitze ist dessen Maximalleistung doppelt so groß wie die jeder 1999 installierten Aerzener Einzelanlagen. Allerdings wird dieses Aggregat nur bis zu einer Leistung von 4.000 m3/h, dem maximal möglichen Durchsatz der Belüfterplatten, gefahren. Seitdem wird bei großem Sauerstoff-Bedarf ausschließlich das neue Delta Hybrid-Aggregat betrieben. Bei kleinerem Bedarf arbeitet ein kleines Aggregat mit der reduzierten Bandbreite von 1.200 bis 2.500 m3/h - ggfs. auch im Verbund mit der zweiten kleinen Anlage. „Durch eine bedarfsgerechte Zuschaltung erreichen wir jetzt immer eine optimale Sauerstoff-Versorgung unseres Belebungsbeckens. Und jedes Aggregat arbeitet in seinem idealen Leistungsbereich mit optimaler Energieumsetzung und deshalb mit höchstmöglicher Wirtschaftlichkeit. Außerdem benötigen die neuen Delta Hybrid-Aggregate bei gleicher Leistung nicht nur bis zu 15 % weniger elektrische Energie. Wir gehen auch davon aus, daß die Gesamt-Wartungsintervalle bei diesen Aggregaten bei durchschnittlich ca. 16.000 Bh liegen - gegenüber 5.000 Bh bei den zwei kleineren Aggregaten von 1999, wodurch wir zusätzlich Wartungskosten sparen. Mit diesem neuen Drehkolbenverdichter der Baureihe Delta Hybrid verfügen wir jetzt auch im Wartungsfall immer über eine ausreichende Versorgung", betont Markus Schmied.
Das bereits grob vorgereinigte Abwasser durchfließt das Belebungsbecken (s. Schema), in dem die eigentliche Klärung durch Bakterien und Mikroorganismen stattfindet. Dieses Becken ist in mehrere Teilabschnitte eingeteilt, in die Sauerstoff entweder überhaupt nicht, nur bei Bedarf oder dauerhaft eingeleitet wird. Sauerstoff-Sonden ermitteln den aktuellen Zustand, wonach die Intensität der Sauerstoff-Produktion dann vollautomatisch mit einem konstanten Druck von 0,7 bar gesteuert wird:
Bei einer aktuell ausreichenden Versorgung mit Sauerstoff arbeitet nur ein kleines drehzahlgeregeltes Aerzener Gebläse von 1999 im Dauerbetrieb.
Bei einem zu niedrigen Sauerstoff-Gehalt werden bisher nicht versorgte Beckenbereiche zugeschaltet und die dauerbelüfteten Abschnitte intensiver mit Sauerstoff versorgt. Dazu wird das 2009 installierte Delta Hybrid-Aggregat im Normalfall als Alleinversorger aktiviert (alternativ könnte der Mehrbedarf auch durch Zuschaltung des zweiten kleinen Aggregates von 1999 gedeckt werden).
Durch die erhöhte Sauerstoff-Lieferung durch das Delta Hybrid-Aggregat steigt der Sollwert im Belebungsbecken wieder auf den Idealwert. Der drehzahlgeregelte Verdichter hält diesen Sollwert jetzt mit bedarfsparalleler Leistung zunächst konstant. Da die Belüfterplatten im Belebungsbecken nur mit einem vordefinierten Maximaldruck beaufschlagt werden dürfen, schaltet das Aggregat in dem Augenblick vollautomatisch ab, sobald der nur intermittierend mit Sauerstoff versorgte Bereich nach Erreichen der optimalen Werte wieder vom Netz genommen werden kann. Dann übernimmt wieder ein kleines Aggregat die alleinige Sauerstoff-Erzeugung.

Höchstmögliche Wirtschaftlichkeit
Die blaue Kurve in der Abbildung 6 zeigt den Arbeitsverlauf des neuen Delta Hybrid-Drehkolbenverdichters für die Zeit vom 28.04. bis 06.05.2010. Sie beweist die hohe bedarfsabhängige Flexibilität des innovativen Aggregates als Voraussetzung für eine mit höchstmöglicher Wirtschaftlichkeit realisierte Sauerstoff-Produktion in der Kläranlage Bad Reichenhall. Das Delta Hybrid-Aggregat kann zwischen 25 Hz und 50 Hz, entsprechend 2.300 bzw. 4.700 m3/h, betrieben werden. Aktuell wird die Leistung jedoch bei 40 Hz und einer Maximalleistung von 3.700 m3/h gedeckelt. Die blaue Kurve zeigt auch die unterschiedlich langen Aktivzeiten von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen, die nur von wenigen unterschiedlich langen Pausen unterbrochen werden. In diesen aktiven Phasen fährt der Drehkolbenverdichter zum Teil ‚am Strich‘ mit der auf 3.700 begrenzten Spitzenleistung. Andererseits zeigt das Diagramm, daß der Delta Hybrid dank bedarfsabhängiger Frequenzregelung auch über unterschiedlich lange Phasen von teilweise mehreren Stunden im bedarfsabhängigen Teillastbereich gefahren wird.