Anlagenbau & Prozesstechnik

Reinraum-Verbrauchsmaterial

Kontaminationsquelle im reinen Fertigungsprozess?

02.10.2015 -

Das Fraunhofer Institut IPA lud 2014 zur Gründung eines „Industrie-Verbund Reinraum-Verbrauchsmaterial” ein. Im Vorfeld der Einladung erschien vom gleichen Institut ein Aufsatz [1], in dem die Autoren behaupten, dass die Verbrauchsmaterialien eine „immense” Auswirkung auf die Rein­heit der Produktions-Umgebung hätten und es bisher für das Material keine einheitlichen Prüfungs- und Bewertungs-Verfahren gäbe. Der vorliegende Aufsatz versteht sich als Kommentar zu den überrasch­enden Feststellungen des Fraunhofer-IPA-Instituts.

Zum Reinraum-Verbrauchs-Material gehören:
Einweg- und Mehrweg-Bekleidung, Reinraum-Handschuhe, Reinraumtücher- und Stäbchen, Reinraum-Papier und Notizbücher, Einweg-Atem-Masken, Reinraum-Schuhe, Mopp-Systeme und reines Verpackungsmaterial.
Fertigungsprozesse, die in Reinräumen stattfinden, erfordern auch reines Reinraum-Verbrauchs-Material – so die gültige Lehrmeinung. Wie rein, ist eine bisher unbeantwortete Frage. Wegen dieser Unsicherheit wird ein Großteil des Reinraum-Verbrauchsmaterials fertigungsgemäß hochgradig dekontaminiert. Aber auch danach finden sich an dessen Oberflächen noch Spuren von Kontamination. Sie könnten in die sensiblen Kernbereiche des Prozess-Geschehens gelangen und die Prozess-Ausbeute mindern. Die folgenden drei Beispiele aus der Praxis verdeutlichen den Zusammenhang.

  • Wenn sich in den Werken von Armbanduhren Staubpartikel befinden, kommt es zu einer Laufhemmung, und die Uhren bleiben stehen.
  • Wenn sich auf den Linsen von Kamera-Objektiven, insbesondere aber auf den lichtempfindlichen Oberflächen der Bildsensoren, Partikel oder Fettschichten befinden, leidet die Bildqualität.
  • Wenn auf die Oberflächen von Wafern während ihrer Fertigung Partikel, Keime und andere Fremdstoffe gelangen, kann es nach Fertigstellung der Chips bei der Steuerung von Flugzeugen, Kraftfahrzeugen oder medizinischen Geräten zu prekären Ausfall-Situationen kommen.

Allgemeine Qualitäts-Einschätzung des Reinraum-Verbrauchsmaterials
Wenn wir die Qualität des aktuell eingesetzten Reinraum-Verbrauchsmaterials ohne Zuhilfenahme messtechnischer Einrichtungen beurteilen müssten, dann fielen uns drei Argumente ein, die für die bestehende Qualität des Materials sprechen:

  • Die Halbleiter-Industrie hat sich im vergangenen Viertel-Jahrhundert, begleitet vom jeweiligen Reinraum-Verbrauchs-Material, eindrucksvoll entwickelt. Dies ist der beste Beweis für die nachhaltige allgemeine Reinheits- und Gebrauchs-Tauglichkeit des Reinraum-Verbrauchs-Materials.
  • HiTech-Industrien setzen prinzipiell kein Verbrauchs-Material ein, das die Prozess-Ausbeute mindern könnte. Dies würde vom Defect Engineering System oder den Benchmarking-Teams zwangsläufig bemerkt und abgestellt [2, 3].
  • Es wird eine ausreichende Auswahl minder- oder höherwertiger Verbrauchsmaterial-Produkte angeboten (Abb. 1), so dass auf die Prozess-Qualität auch mit dem Mittel der Prozess-angepassten Material-Auswahl eingewirkt werden kann. Tim Schärff hat dies in seinem Beitrag [4, 5] sehr genau beschrieben.


Kontamination und ihre Ausbreitung
Die Prozess-Reinheit PR ist gekennzeichnet durch das Maß an Kontamination KM ges., bei dessen Überschreiten die Funktionalität eines Systems beeinträchtigt wird [8]. Daraus ergibt sich auch die individuelle Prozess-Bezogenheit aller Reinheits-Systeme. Diese Hypothese enthält, auf unser Thema bezogen, die folgenden Variablen:

  • Gesamt-Kontaminations-Menge im Prozess      KM ges.
  • Verbrauchsmaterial-Produktbezogene Kontaminations-Menge    KM spez. (siehe auch Graphik)
  • Prozess-Ausbeute      PA ges.
  • Produkt-bezogene Ausbeute-Minderung    AM spez.

Dabei ist die Prozess-Ausbeute PA ges. eine Funktion der wirksamen Kontaminationsmenge KM ges. Weil sich die Gesamt-Kontaminations-Menge KM ges. aber aus unterschiedlichen Einzel-Kontaminationen konstituiert, sind uns von den o.  a. Variablen, messtechnisch gesehen, bestenfalls die Kontaminations-Menge KM spez. und die Prozess-Ausbeute PA ges. zugänglich.
Reinigung, turnusmäßige Reinhaltung und Reinheits-Überwachung haben in einer Fertigung unter Reinraum-Bedingungen den einzigen Zweck, die optimale Prozess-Ausbeute zu gewährleisten. Daher könnte man zu dem voreiligen Schluss gelangen: Je reiner das Verbrauchs-Material, desto anteilig höher die Prozess-Ausbeute. Ein Zusammenhang zwischen Verbrauchsmaterial-Reinheit und Prozess-Ausbeute wurde bisher jedoch nicht beschrieben. Wahrscheinlich ist lediglich, dass mit zunehmender Verbrauchs-Material-Kontamination die Prozess-Ausbeute abnimmt. Es ist zudem vorstellbar, dass diese Funktion an einen Prozess-spezifischen Schwellenwert gebunden ist (Abb. 2).
Erschwerend bei der Etablierung eines integralen Reinheits-Systems kommt hinzu, dass die Verbreitungswege von Kontamination in den Fertigungsumfeldern der HiTech-Industrien schwer nachvollziehbar sind. Dies gilt auch für die chemische (ACC) und die molekulare (AMC) Kontamination [6]. Sie sind wesentlich von fluktuierenden elektrischen Feldern, Feuchtebedingungen, forcierten Luft-Strömungen, wechselnden temporären Ruheorten der Partikel sowie von deren Oberflächen-Beschaffenheit und ggf. vom Operator-handling bestimmt. Aus all dem ergibt sich, dass eine Zuordnung von Verbrauchsmaterial-bezogener Kontaminationsmenge zur Prozess-Ausbeute-Minderung aus prinzipiellen Gründen nicht getroffen werden kann, (siehe Abb. 2).

Der Prozess als kybernetisches System
Betrachten wir beispielsweise den Halbleiter-Fertigungsprozess als flexibles kybernetisches System, so definieren wir mit der Prozessbeschreibung eine bestimmte Anzahl von Materialien, Verfahrensschritten und Sollwerten, welche alle an einem Prozessziel orientiert sind: der kontinuierlichen Fertigung von Wafern mit einer Ausbeute von > 98 % auf der Basis bestimmter “cost-per-wafer“-Vorgaben.
Die Wahl der Hilfsstoffe, der Prozess-Schritte und die Bestimmung der Sollwerte basieren auf der Prozesserfahrung mit gleichen oder ähnlichen Prozessen. Sie sind orientiert am jeweiligen technischen Stand der Systeme Materialien und Hilfsstoffe. Weist ein Verbrauchsmaterial also eine bestimmte reguläre Kontaminationsmenge auf, so ist diese prozesstechnisch gesehen bereits berücksichtigt. Das Prozessziel ist durch die reguläre Kontamination des Verbrauchsmaterials nicht gefährdet. Das Gefahrenpotential für die Prozess-Kontinuität geht vielmehr von potentiellen katastrophischen Ereignissen aus, welche die effektive Kontamination an manchen Prozessorten drastisch erhöhen können, z. B. wenn ein Handschuh-Hersteller aus Versehen gepuderte anstelle von Reinraum-Handschuhen liefert und dies unbemerkt bleibt. Dann kommt es in der Fertigung schon einmal zu Kontaminationsspitzen, die dann Prozess-relevant werden können. Solche Vorkommnisse sind jedoch selten und lassen sich auch kaum verhindern. Sie ließen sich lediglich durch automatisierte Schnell-Messsysteme beeinflussen, deren Einsatz jedoch, ökonomisch gesehen, dem relativ geringen Bedrohungspotential nicht angemessen ist. Ist einmal ein prozesstechnisch eingespieltes „Material-Team“ etabliert, so muss der Prozessführer in ökonomisch balancierter Abwägung entscheiden, ob sich etwa die Beibehaltung des bestehenden Produkte-Mix oder aber der Wechsel zu einem noch preiswerteren Verbrauchsmaterial auf die Kosten pro Wafer potentiell günstiger auswirken.

Nur ein Teil der Kontamination im ­Fertigungsumfeld ist prozessrelevant
Tatsache ist, dass jedes Reinraum-Verbrauchsmaterial – auch das dekontaminierte – im Anlieferungszustand noch Reste von Partikeln und filmartiger Kontamination aufweist. Diese Verunreinigungen sind jedoch viel geringer als angenommen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Prozessrelevant ist lediglich diejenige Kontamination, die vom Verbrauchs-Material über das Fertigungs-Umfeld zum Fertigungs-Produkt hin gelangt und dort zur Minderung der Prozessausbeute beiträgt.

  • Seit dem Jahr 1985 ist Fortschritt-bedingt der Anteil der Reinraum-generierten Kontamination auf Wafern von 20 % auf 2,5 % gesunken [7]. Dies mindert naturgemäß auch die Gefahr Verbrauchsmaterial-induzierter Kontamination (Abb. 3).
  • Auf dem Weg von den Reinraum-Verbrauchsmaterial-Oberflächen bis hin zu den Ausbeute-sensiblen Kern-Bereichen des Prozesses wird die mögliche Partikel-Ausbreitung durch die Prozessspezifische Kontaminations-Barriere begrenzt, [3, 5]. Wirkungsaktive Faktoren der Prozess-spezifischen Kontaminations-Barriere sind im Halbleiter-Fertigungs-Prozess beispielsweise die hermetische Isolation des Prozess-Geschehens (SMIF), der laminare Luftstrom sowie die Anzahl und Dauer von Spül- und Ätzvorgängen im Prozess und die turnusmäßige Reinhaltung der Reinraum-Oberflächen. Auch die sphärische Ausbreitung der vor­handenen Partikelhäufungen führt zur ­Minderung der Kontaminationsdichte.
  • Dies trifft insbesondere für die Zunahme der räumlichen Entfernung zwischen Fertigungs-Umfeld und Kernbereich zu.

Komparative Qualitäts-Beurteilung
Weil eine Beziehung zwischen Verbrauchs-Material-Kontamination und Prozess-Ausbeute bisher nicht beschrieben ist, bleibt uns lediglich die Methode der vergleichenden Qualitäts-Beurteilung, um die Unbedenklichkeit des Einsatzes bestimmter Reinraum-Verbrauchs-Materialien festzustellen. Dazu wird die Oberflächen-Kontamination von Verbrauchs-Material, das bekanntermaßen problemlos in Prozessen mit optimierter Fertigungsausbeute eingesetzt wird, analytisch bestimmt. Die so ermittelten Kontaminationsdaten gelten dann als Richtwerte für vergleichbare bzw. neu zu entwickelnde Produkte.

Zwei Methoden der Partikel-Messung haben, das Reinraum-Verbrauchsmaterial betreffend, in den vergangenen Jahrzehnten Akzeptanz erlangt:
Der modifizierte Gelboflex-Test nach DIN EN ISO 9073-10 [8] ist eine Haftkräfte-neutrale Prüfmethode zur Erfassung von Bewegungs-induzierter Partikelabgabe bei Reinraum-Tüchern und -Folien. Haftkräfte-neutrale Partikelfreisetzung bedeutet: Es werden jene Partikel erfasst, die beim Einsatz eines Verbrauchs-Materials naturgemäß in die Umgebung hinein gestreut werden. Die Methode ist jedoch ungeeignet für die Simulation sehr geringer Werte mechanischer Arbeit wie sie etwa beim 2-maligen Falten eines Reinraum-Tuchs geleistet wird.

  • Die in der Praxis überwiegend spezifizierte und eingesetzte Methode zur Bestimmung von Partikeln in Reinraum-Tüchern IEST-RP-CC 4.3 funktioniert hingegen durch Tauchen des Verbrauchs-Materials in ein Flüssigkeits-Bad. Diese Haftkräfte-lösende Methode wurde bereits vor langer Zeit konzipiert. Dabei werden falsch-hohe Partikelzahlen generiert, die bis zum 10000-fachen der im Rahmen von Haftkräfte-neutralen Prüfmethoden in die Umgebung gestreuten Partikelmenge betragen können. Existierende Prüfmethoden für die Partikel-Freisetzung von Reinraum-Verbrauchsmaterial wie diejenigen nach IEST sind zumeist vom Haftkräfte-lösenden Typ. Dies bedeutet: Die Partikel werden z. B. von der Oberfläche eines Reinraum-Verbrauchsmaterials mittels DI-Wasser abgespült. Die van der Wals-Haftkräfte werden aufgehoben, ein Teil der Partikel wird freigesetzt und gezählt.

Wir haben im Zusammenhang mit der aktuellen Prüfmethoden-Diskussion bisher vor allem über Prüfungen für Reinraum-Tücher gesprochen. ”Recommended Practices” des IEST – Institute ­of Environmental Sciences and Technology (USA) gibt es jedoch seit vielen Jahren für andere Reinraum-Verbrauchs-Materialien [2]:

  • IEST-RP-CC003 Garment Systems (Helmke)
  • IEST-RP-CC004 Wiping Materials
  • IEST-RP-CC005 Gloves and Finger Cots
  • IEST-RP-CC025 Swabs

Diese Methoden werden sowohl von den Verbrauchsmaterial-Herstellern als auch den Abnehmern als Grundlage der vereinbarten Lieferqualität angeführt. Außerdem existiert eine US-Spezifikation A-A-59323 A (CID) für Reinraumtücher zum Einsatz bei der US-Navy und anderen US Federal Agencies [16].

Wir befinden uns hier in einem Dilemma:
Die Haftkräfte-lösende physikalische Grundlage mancher IEST-Prüfmethoden produziert unrealistisch hohe Partikelzahlen. Insofern müssten sie sicherlich überarbeitet werden. Für die IEST- Methoden spricht hingegen, dass sie mit relativ einfachen und preiswerten Mitteln anwendbar sind. Die Befürworter ihrer Beibehaltung argumentieren, dass, wenn sich auch neu entwickelte Geräte und Methoden nicht auf den Parameter Prozess-Ausbeute beziehen ließen, eine Änderung der bestehenden Prüfmethoden nicht vertretbar sei.

Methoden und Ergebnis – Vergleich
Verglichen werden nachstehend Partikel-Frei­setz­ungs-Daten bei der Anwendung zweier Prüfmethoden unterschiedlicher Art:

Bei der Tauch-Prüfung nach IEST-RP-CC 4.3 für Reinraumtücher werden aus dem gesamten Volumen eines Reinraumtuchs der Größe 23 x 23 cm aus Polyester-Zellstoff-Gemisch 6,5 Mio. Partikel der Größe 0,5 – 5 µm extrahiert. Die Anzahl vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck, Reinraum-Tücher seien „die Kontaminationsquellen in den reinen Produktions-Bereichen” (Fraunhofer IPA).

Bei der Prüfung der Partikelstreuung in der reinen Arbeitsbank haben wir aus Vergleichsgründen die tatsächliche Luftpartikel-Streuung gemessen, die von einem Standard-Reinraumtuch ausgeht. Dann ergibt sich ein völlig anderes Bild: Wir ermittelten für den Vorgang der Packungs-Entnahme 64 luftgetragene Partikel der Größe 0,5 –10 µm und für den Vorgang des 2-maligen Faltens nochmals 5 Partikel. Selbst wenn bei dieser Methode aus Gründen der Mess-Geometrie nicht alle gestreuten Partikel in die Sonde des Zählers gelangt sein können, so lässt sich aus den deutlichen Unterschieden der freigesetzten Partikelzahlen schließen, dass eine Überarbeitung der Prüfmethoden für das Reinraum-Verbrauchsmaterial nicht abwegig ist. (Abb. 4)

Die Simulation der mechanischen Arbeit durch die Prüfgeräte
Wir müssen uns bei der Entwicklung oder der Auswahl von Prüfgeräten und Methoden stets vergegenwärtigen, zu welch zweifelhaften Prüfergebnissen (siehe oben) es kommen kann, wenn die gerätetechnisch simulierte mechanische Arbeit nicht dem Gebrauchsstress des Verbrauchs-Materials entspricht. Dies ist nicht nur bei der Methode IEST-RP-CC 4.3 (Tücher) der Fall [10], sondern im Prinzip auch bei der ASTM F51-68 (Bekleidung) und der IEST-RP-CC-005.3/4 (Handschuhe).
Die Unsicherheiten in der Qualitäts-Wahrnehmung von Reinraum-Verbrauchsmaterial erwachsen oftmals aus falsch-positiven Prüf-Ergebnissen aufgrund ungeeigneter Prüfmethoden. Zum Erhalt realistischer Kontaminationsdaten durch simulierten Gebrauchsstress muss zunächst die der Gebrauchsbelastung äquivalente mechanische Prüfarbeit ermittelt werden. Der Leitgedanke muss dabei sein, mit einem Prüfgerät die mechanische Arbeit bei der praktischen Verbrauchsmaterial-Anwendung mit einem hohen Maß an Simulationstreue nachzubilden [10, 11].
Wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, lassen sich beim Verbrauchsmaterial-Hersteller auch die Fertigungsfehler des Verbrauchsmaterials nicht auf das erforderliche Niveau reduzieren.
Es muss zudem bei der Simulation von Partikel-Streuung unbedingt auch die Identität von Prüfmedium und Freisetzungsmedium gewährleistet sein. Sonst kann es, wie bei der Methode IEST-RP-CC 4.3 geschehen, dass die Partikelstreuung des trockenen Tuchs in die Umgebung hinein durch die Partikelfreisetzung des nassen Tuchs ins DI-Wasser hinein falsch simuliert wird.

Der Verbrauchsmaterial – Markt in Zahlen
Um im Vorwege die Möglichkeit abzuschätzen, überarbeitete Prüfmethoden auch international durchzusetzen, lohnt sich ein Blick auf die geografische Verteilung der führenden Technologiemärkte. Wenn diese keine neuen Methoden wollen, dann werden sie sich kaum durchsetzen lassen. Die Bedarfsmengen-Steigerung beim Reinraum-Verbrauchsmaterial hat im vergangenen Jahrzehnt im Wesentlichen in Asien stattgefunden [12]. Bis Ende 2015 wird der asiatische Verbrauchsmaterial-Bedarf von 3,7 (2011) auf max. $ 4,6 Mrd. gewachsen sein. Nachdem für den europäischen und den US-Bedarf zum gleichen Zeitpunkt nur jeweilig $ 1,5 Mrd. prognostiziert wurden, ist kaum zu erwarten, dass die Asiaten ihre Qualität-Sicherungs-Systeme auf Basis der IEST-Recommended Practices etwaigen europäischen Vorstellungen opfern. Dafür müsste es einen triftigen Grund geben, zumal die Ausbeuten in Asien bekanntermaßen oft nahe 100 % liegen.

VDI 2083 Blatt 9.2 – ein didaktisches Werk
Die neue VDI-Richtlinie ist ein wertvoller Beitrag zu den Techniken des Reinen Arbeitens. Es ist Carsten Moschners [13] Eloquenz geschuldet, seiner unübertroffenen diplomatischen Begabung, aber vor allem auch den erfahrenen Mitarbeitern des VDI-Richtlinien-Ausschuss, dass ein Werk in diesem Umfang zustande gekommen ist. Indes: Die Themen Messtechnik und Prüfvorschriften blieben ausgespart, und die eine oder andere Formulierung in der Einleitung lässt es bisher noch an Eindeutigkeit fehlen.
Es scheint nun sinnvoll, die noch im Entwurfs- Stadium befindliche Richtlinie zunächst einmal eine Zeit lang zu verinnerlichen und anzuwenden. Die Richtlinie ist lehrreich für alle, die sich als Studierende oder beruflich mit Reinraum-Verbrauchsmaterial beschäftigen. Wer das darin zusammengetragene Wissen auf reintechnische Aufgabenstellungen anwendet, der kann die Zusammenhänge besser verstehen und die aus der betrieblichen Praxis erwachsenden Aufgaben relativ mühelos bewältigen.
Es ist also wahrscheinlich, dass es gar keiner weiteren Regelwerke bedarf, wenn wir einmal davon ausgehen, dass der Einsatz von Reinraum-Verbrauchsmaterial ohnehin Prozess-spezifisch geplant werden muss. Es genügt vielleicht ein Anhang „Messen und Prüfen“ zu der bestehenden Richtlinie mit allgemeinen Empfehlungen.

Unterschiedliche Reinraum-Betreiber – Halbleiter vs. Pharma
Neben der Halbleiter-Industrie ist die Pharma-Industrie bedeutender Anwender von Reinraum-Verbrauchsmaterial. [9] Werden im Halbleiter-Fertigungsprozess durch die dort vorhandene Prozess-relevante Kontamination im wesentlichen Zuverlässigkeit und Prozess-Ökonomie beeinträchtigt, so haben insbesondere die mikrobiellen Kontaminationen in den Fertigungsumfeldern der Pharma-Industrie potentiell Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Von vielen Staaten wurden Gesetze und Vorschriften erlassen, die dieser Tatsache Rechnung tragen. Das deutsche Arzneimittelrecht befasst sich mit der Herstellung, der Abgabe und der klinischen Prüfung von Arzneimitteln. Die Arzneimittel-Herstellung etwa ist durch die umfangreiche GMP – Good Manufacturing Practice (gute Herstellungspraxis) gesetzlich geregelt. Dabei handelt es sich um Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und -umgebung bei der Produktion von Arzneimitteln, Wirkstoffen, Kosmetika, Lebens- und Futtermitteln.

Die diversen Pharmakopöen gingen bisher kaum auf das einzusetzende Reinraum-Verbrauchs­material ein:

In der Ausgabe 2008 der US-amerikanischen Pharmacopeia (USP Rev Bull 797) heisst es nun jedoch: ”Alle Reinigungs-Materialien wie Reinigungstücher, Schwämme und Mopps müssen frei von Partikelstreuung sein...“. Dort ist nicht erläutert, aus welchen Gründen die Autoren diese Vorgabe gemacht haben. Mussten sie doch wissen, dass es prinzipiell keine Wischmittel gibt, die ”non shedding“, also frei von Partikelstreuung sind, es sei denn im Lösungsmittel-getränkten Zustand.
Wie dem auch sei: In der Mai/Juni-Ausgabe 2015 der US-Zeitschrift ”Controlled Environments“ berichtet die Autorin Jan Eudy – vormals Präsidentin des IEST –, dass in den USA kürzlich Auditoren Validierungs-Dokumente verlangt hätten, aus denen hervorgeht, dass die eingesetzten Reinraumtücher in Übereinstimmung mit USP Rev. Bull. 797 frei von Partikelstreuung und zudem fusselfrei sind. Als Nachweis wären die vom Hersteller den Reinigungstüchern beigegebenen Analysenzertifikate verlangt worden. Es gibt unseres Wissens bisher keine allgemein anerkannte Applikations-Stress-simulierende Prüfmethode zur Bestimmung der Partikel- und Faserfragment-Streuung von Reinraumtüchern, wenngleich in der Literatur eine solche beschrieben ist. Diese erfüllt bisher jedoch nicht das Attribut „allgemein anerkannt“ [12], Abb. 5.

Das zuständige Gremium des IEST – working group 4 – sei (Juli 2015) mit der Angelegenheit befasst und werde bis zum Herbst dieses Jahres eine geänderte ”Recommended Practice“ für Reinraumtücher vorlegen, in der die Forderungen der Auditoren berücksichtigt seien. Man wird sorgfältig beobachten, welchen Einfluss diese Angelegenheit auf die Entwicklung des Reinraum-Verbrauchsmaterials der Pharma-Industrie hat und ob die Autoren in Zukunft noch weiter gehende Qualitäts-Anforderungen für das Reinraum-Verbrauchsmaterial spezifizieren werden.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Pharma-Industrie in ein engmaschig überwachtes Regelwerk eingebunden und die Kontaminations-Ausbreitung in den Fertigungs-Umfeldern der Pharma-Industrieabsollut unter Kontrolle ist und keiner zusätzlichen Regelung bedarf.

Zusammenfassung
Wir stellen fest, dass weder die Ruheorte noch die Ausbreitungswege partikulärer Kontamination in den Fertigungs-Umfeldern erhöhter Umgebungsreinheit regelhaft prognostizierbar oder nachvollziehbar sind. Unter diesen Umständen muss jede mögliche Kontaminations-Auswirkung auf die Prozessausbeute als ”Prozess-spezifisch” eingeordnet werden. Diese Annahme gilt auch für die chemische, molekulare und ionische Kontamination.
Wir konnten eine kausale Beziehung zwischen Verbrauchsmaterial-bezogener Kontamination und Prozess-Ausbeute weder erkennen noch aus der Literatur herleiten. Somit ist nach dem gegenwärtigen technischen Stand eine generalisierte Festschreibung Produkt-spezifischer Kontaminations-Grenzwerte für Reinraum-Verbrauchs-Material nicht angezeigt.
Die Festschreibung von Prüfmethoden und Kontaminations-Grenzwerten für das Reinraum-Verbrauchsmaterial ist dennoch mit Methoden der vergleichenden Qualitätsbeurteilung möglich. Aber selbst die komparativen Methoden sind nur praktikabel, wenn eine Haftkräfte-neutrale Prüfmethodik Anwendung findet und zudem in den Prüfgeräten diejenige mechanische Arbeit simuliert wird, die der Gebrauchsbelastung des Reinraum-Verbrauchsmaterials äquivalent ist.
Wir führen den Begriff Prozess-spezifische Kontaminations-Barriere ein. Mit diesem Begriff kennzeichnen wir die versinnbildlichte effektive Hemmung aller wirkungs-aktiven Faktoren gegenüber der Prozess-spezifischen Kontaminations-Ausbreitung. Dazu gehören [8] die hermetische Isolation des Prozess-Geschehens (SMIF), der laminare Luftstrom, das geschulte Operator-handling, die Anzahl und Dauer von Ätzvorgängen, die turnusmäßige Reinhaltung der Reinraumflächen, die Kontaminationsdichte-Minderung durch die lineare oder sphärische Kontaminations-Ausbreitung und die räumliche Entfernung zwischen Fertigungs-Umfeld und Kernbereich.
Ein Teil der Rohmaterialien für die Herstellung des Reinraum-Verbrauchsmaterials wie Vliesstoffe und Garne werden in großtechnischen Anlagen als ”roll goods“ gefertigt. Verbrauchsmaterial-Hersteller haben zwar bei Auftragserteilung die Möglichkeit, Basis-Parameter wie Fasermix, Dicke, Höchstzugkraft und Fläche-bezogene Masse zu bestimmen, nicht jedoch reintechnische Parameter wie Partikelstreuung, Ionenbestand und Ausgasungsparameter. Daraus erklärt sich möglicherweise das Erstaunen des Autors Moschner [13], der jüngst, vom Ergebnis einer durch ihn veranlassten Untersuchungsreihe diverser Reinigungstücher überrascht, feststellen musste, dass gleiche Ausgangsmaterialien signifikante Unterschiede in der Partikelfreisetzung aufweisen können. Diese sind jedoch normalerweise nicht durch den Verbrauchsmaterial-Hersteller verursacht, sondern vor allem durch den Rohmaterial-Prozess und oftmals auch durch die unterschiedlichen Messtechniken.
Im kybernetisch aufgefassten Prozess-System entspricht jedem Verbrauchsmaterial eine potentiell Prozess-relevante Kontamination. Diese wird jedoch durch prozesstechnische Maßnahmen so weit reduziert, dass zumindest die reguläre Kontamination des Verbrauchsmaterials nicht Prozess-relevant sondern vielmehr System-immanent ist. Potentiell Prozess-relevant im Sinne von kontraproduktiv ist lediglich die seltene katastrophische Kontamination, die wiederum mit den normalen Mitteln der Prozesstechnik nicht beherrschbar ist und deren Beseitigung Sondermaßnahmen erfordert.

Beispiele Verbrauchsmaterial-Hersteller-basierter und anderer Prüfkonzepte
In der Literatur gibt es Ansätze für reelle Prüfmethoden. Nachstehend werden einige davon kurz beschrieben:

  • Body Box (modifiziert) von Moschner und von Kahlden, Messung Bewegungs-induzierter Partikel-Streuung aus Reinraum-Bekleidung [14]
  • CCI-Blasluft-Sonde mit Streulicht-Zähler  – Messung der durch Oberflächen-gerichteten Blasluftstrom aufgewirbelten Partikelmenge
  • Part-Sens Partikelzähler nach Klumpp – Streiflicht-Partikelzähler für die Erfassung von Partikeln auf Oberflächen (Cleanroom.de)
  • Labuda-Walksimulator Mark 1 (Clear/Clean) – zur Messung der Partikelstreuung durch die Biegebelastung poröser Flächengebilde [11]
  • CCI-Partikel-Visualisieruns-Lampe – zur Sichtbarmachung von Partikelbelägen im Streiflicht
  • Labuda-Indikatorplatte (Clear/Clean) – Iridium-beschichtete Platte zur Sichtbarmachung dünner Filme und partikulärer Verunreinigungen [15]
  • Labuda-Part-Lift Kollektor (Clear/Clean) – Kollektor zur flächigen Aufnahme von Materialteilchen auf Oberflächen

    Literatur:
    [1]    ”Mehr Sicherheit beim Einsatz von Verbrauchsmaterialien in der reinen Produktion”, Bürger, Gommel, Brückner, Käfer – Fraunhofer Institut IPA, Stuttgart, CHEManager, 6.10.2014, Wiley VCH-Verlag Weinheim.
    [2]    ”Clustering Ensemble for Identifying Defective Wafer Bin Map in Semiconductor Manufacturing”, Chia-Yu Hsu, Dept. of Information Management and Innovation Center for Big Data and Digital Convergence, Yuan Ze University, Chungli, Taoyuan 32003, Taiwan.
    [3]    ”Contamination Monitoring and Analysis in Semiconductor Manufacturing”,  Jean Luc Baltzinger, Bruno Delahaye, Altis Semiconductor France page 59, table 1: ”Description of Contamination Source and Wafer Effects”, ”Semiconductor Technologies”, Ed. Jan Grym, ISBN 978-953-307-080-3 Publisher: in Tech.
    [4]    ”Anforderungen an Verbrauchsmaterialien im Produktionsbereich von Boehringer Ingelheim”, Firmenschrift und Vortrag, Tim Schärff am 20.11.2014 beim Fraunhofer Institut IPA in Stuttgart.
    [5]    ”Reinheit als Systemparameter”, Win Labuda, ReinRaumTechnik 3/2002 GIT Verlag Darmstadt.
    [6]    ”Luftgetragene molekulare Verunreinigungen (ACC): Aktuelle Forschungsergebnisse“, Markus Keller, Stefanie Weisser, Fraunhofer IPA, Präsentation, Lounges 2014, Stuttgart, 40 Folien, Netzpublikation.
    [7]    ”The chip collection”, Smithonian Institution, Internet publication by Integrated Circuit Engineering Corporation, Chapter 3 ”Yield and Yield Management“, Page 3/2.
    [8]    Deutsche Norm: Textilien – Prüfverfahren für Vliesstoffe Teil 10: Analyse von Faser-fragmenten und anderen Partikeln im trockenen Zustand (ISO 9073-10:2003); Deutsche Fassung EN ISO 9073-10:2004.
    [9]    ”A Brief History of IEST”, An Internet-publication by IEST-Institute of Environmental Sciences and Technology, Arlington Heights, Ill., USA.
    [10]    “Evaluating wiping materials used in cleanrooms and other controlled environments.”, T. Textor, T. Bahners, E. Schollmeyer, 41st International Detergency Conference, WFK Krefeld.
    [11]    Partikelfreisetzung von Reinraum-Tüchern: Der neue Labuda-Walksimulator Mk 1, ReinRaumTechnik 4/2013 Wiley VCH-Verlag Weinheim. (deutsch und englisch)
    [12]    ”Cleanroom Spending dominated by Asia for forseeable future”, Mc Ilvane Cleanrooms, August 25, 2011; Solid State Technology-Magazin.
    [13]    „Mein Tuch das hat vier Ecken, vier Ecken...“, Carsten Moschner, ReinRaumTechnik 2/2015, Wiley VCH-Verlag Weinheim, S. 40.
    [14]    ”Body-Box-Test – eine Testmethode auf dem Prüfstand”, Carsten Moschner, ReinRaumTechnik 2/2004 GIT Verlag Darmstadt, S. 38/39.
    [15]    ”Substrat zur Sichtbarmachung von daran angelagerten Partikeln und/oder Materialschichten”, Patentschrift DE 10 16 832 C2, Win und Yuko Labuda, 20.6.2002.
    [16] Commercial item description (CID) A-A-59232 A Type 1, 24 March 2005, Superseding A-A-59323
        Type 1, 30 June 1999 - CLOTHS, CLEANING, LOW-LINT (for all federal agencies like US-Army, US-Navy).

 

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