Anlagenbau & Prozesstechnik

Legionellen aus Kühltürmen – die lange unterschätze Gefahr

Tatort Verdunstungskühlanlage

05.04.2018 -

Die Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar der VDI-Betriebsingenieure informierte sich bei Evonik in Hanau über die Hygieneanforderungen für Verdunstungskühlanlagen.

In vielen Bereichen des alltäglichen Lebens besteht ein wichtiger Zusammenhang zwischen Hygiene und Technik, der VDI blickt dazu auf eine lange Tradition zurück. So wurden bereits in den 1990er Jahren die Richtlinien VDI 6022 „Hygiene-Anforderungen an RLT-Anlagen“ und VDI 6023 „Hygiene in der Trinkwasser-Installation“ mit Förderung des Bundesministeriums für Gesundheit erarbeitet und liegen inzwischen in der vierten überarbeiteten Fassung vor. 2016 legte der VDI in seiner Agenda „Technik mit Hygienerelevanz“ ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung der Verdunstungskühlanlagen als Verursacher der gefährlichen Legionellose und forderte u. a. eine Meldepflicht für Verdunstungskühlanlagen. Diese Forderungen und die Vorgaben der Richtlinie VDI 2047 sind inzwischen in die neue 42. BImSchV eingeflossen. Sie ist seit August 2017 in Kraft und legt erstmals die Anforderungen an Aufbau, Betrieb und Überwachung der über 30.000 Anlagen in Deutschland rechtlich fest. Dazu zählen auch eine Vielzahl von Anlagen der chemischen Industrie, sodass neue Herausforderungen auf die Betriebsingenieure zu kommen. Der VDI bietet dafür Schulungen nach VDI 2047 an.

Erschreckende Bilanz in Deutschland
Fünf Tote und 59 Schwerkranke hat der Legio­nellen-Ausbruch 2010 in Ulm gefordert. Beim Legionellen-Ausbruch in Warstein 2013 kam es zu einem gehäuften Auftreten untypischer, schwerer Lungenentzündungen. Dabei wurden insgesamt 165 Erkrankungs- und Verdachtsfälle bekannt, drei Patienten starben. In zwei Ausbruchswellen in Bremen im November 2015 waren insgesamt 45 Menschen erkrankt, drei Patienten verstarben. Das ist die traurige Bilanz der großen Legionellose-Ausbrüche der letzten Jahre in Deutschland. Nach Aussagen von Prof. Martin Exner vom Institut für Hygiene der Uni Bonn, erkranken alleine in Deutschland jährlich etwa 20.000 – 30.000 Menschen an einer durch Legionellen hervorgerufenen Lungenentzündung, 6 bis 7 % davon verlaufen tödlich. Die Dunkelziffer ist groß, denn die meisten Fälle werden nicht richtig diagnostiziert und nur bei gehäuftem Auftreten wie in Ulm, Warstein und Bremen werden die Ursachen korrekt identifiziert.

Historie
Legionellen wurden erstmals im Juli 1976 im Bellevue-Stratford Hotel in Philadelphia, USA entdeckt. Dort erkrankten beim Veteranenkongress der Amerikanischen Legion über 200 Menschen an der schweren Lungenentzündung. Die Krankheit forderte mehr als 30 Todesopfer und die tödlichen Bakterien bekamen ihren bis heute gültigen Namen. Damals kamen die tödlichen Bakterien aus den Duschköpfen der Hotelzimmer. Ursache können aber auch die Warmwasserversorgungen in Wohn-, Geschäfts- oder Krankenhäusern sein oder der fein versprühte Wassernebel aus sogenannten Rückkühlanlagen, die mit versprühtem Wasser die Wärme aus Gebäuden oder Fabrikhallen ableiten und so die Erreger verbreiten können. Legionellen werden gefährlich, wenn sie als Aerosole eingeatmet werden – und je nach Wetterlage können sich diese Aerosole über mehrere Kilometer hinweg ausbreiten, was die Quellensuche extrem erschwert.

Überführte Täter: Verdunstungskühlanlagen
Verdunstungskühlanlagen, wie sie in großer Zahl verwendet werden, um überschüssige Wärme aus Prozessen jeglicher Art abzuführen, sind mögliche Quellen der Legionellen-Infektionen. Nach intensiven Untersuchungen konnten in Ulm, Warstein und Bremen Verdunstungskühlanlagen als Ursachen der Legionellen-Emissionen identifiziert werden. Bei der aufwändigen Quellensuche kamen auch Hubschrauber zum Einsatz, um die zahlreichen Verdunstungskühlanlagen aus der Luft zu erfassen, denn ein Kataster, in dem diese registriert sind, existiert nicht. Die Zahl der in Deutschland installierten Anlagen ist unbekannt, doch ist davon auszugehen, dass eine große Anzahl von Anlagen aller möglichen Größen in Deutschland – gerade auch in dicht besiedelten Gebieten – betrieben werden.

Neue gesetzliche Regelungen: 42. BImSchV
Die Verordnung über Verdunstungskühlanlagen, Kühltürme und Nassabscheider (42. BImSchV) ist am 20. August 2017 in Kraft getreten. Damit werden Anforderungen an Aufbau, Betrieb und Überwachung der über 30.000 Anlagen in Deutschland erstmals rechtlich festgelegt. Das betrifft auch zahlreiche Anlagen der chemischen Industrie. Die DIHK hat dazu ein übersichtliches Merkblatt verfasst, das u. a. folgende Fragen beantwortet:

Welche Anlagen sind ­betroffen?
Verdunstungskühlanlagen werden meist als offene Rückkühlwerke von Kälte-, Klima- oder Energieerzeugungsanlagen betrieben. Sie werden sowohl in der Industrie und Energiewirtschaft als auch im Handel, der Gastronomie sowie an Hotel- oder Bürogebäuden genutzt. Betroffen sind nur Rückkühlwerke, die durch Verdunstung von Wasser Wärme an die Umgebungsluft abführen. Daneben regelt die Verordnung auch den Betrieb von Nassabscheidern, die in der Industrie zur Abluftreinigung eingesetzt werden.

Welche Anlagen sind NICHT betroffen?
Rückkühlwerke im Trockenbetrieb und weitere Systeme, von denen keine Gefahr erwartet wird, nimmt die Verordnung aus. Dazu gehören u. a.: Raumlufttechnische Anlagen, die Wasser zur adiabaten Kühlung verdunsten; Anlagen in Hallen; Anlagen mit konstanter Temperatur von 60 °C oder mehr; Anlagen mit Kaltwassersätzen, bei denen eine Taupunktunterschreitung möglich ist und Anlagen, in denen das Nutzwasser dauerhaft eine Salzkonzentra­tion von mehr als 100 g Halogenide je Liter aufweist.
Ausgenommen sind weiterhin Nassabscheider, in denen das Nutzwasser dauerhaft einen pH-Wert 4 oder weniger bzw. 10 oder mehr aufweist; bei denen das Abgas für mindestens 10 Sekunden auf mindestens 72 °C erhitzt wird oder die ausschließlich mit Frischwasser im Durchlaufbetrieb betrieben werden.

Welche Pflichten gelten zukünftig?

  • Anzeige: Die Anzeigepflicht nach § 13 gilt ab dem 19. Juli 2018. Dann müssen alle Anlagen der zuständigen Behörde innerhalb eines Monats angezeigt werden, bestehende bis 19. August 2018. Das gilt auch für die Änderung, Stilllegung von Anlagen oder bei einem Betreiberwechsel.
  • Betriebstagebuch: In einem Betriebstagebuch sind alle wichtigen Informationen zur Anlage, die Ergebnisse der betriebsinternen und Laborprüfungen sowie ggf. ergriffene Maßnahmen (Untersuchung, Desinfektion, Reparatur) zu dokumentieren. In der Anlage 4 der Verordnung ist eine Liste der zu dokumentierenden Inhalte aufgeführt. Das Betriebstagebuch ist 5 Jahre aufzubewahren.
  • Betriebsinterne Überprüfung des Nutzwassers: Das Nutzwasser der Anlage muss betriebs­intern alle zwei Wochen auf chemische, physikalische oder mikrobiologische Kenngrößen (z. B. Dip-Slide-Tests) untersucht werden.
  • Laboruntersuchung des Nutzwassers: Alle drei Monate müssen akkreditierte Labore Proben des Nutzwassers entnehmen und die Parameter allgemeine Koloniezahl und Legionellen bestimmen. Wurden bisher keine Untersuchungen durchgeführt, muss dies erstmals bis zum 16. September 2017 erfolgen. Die Legionellen-Prüfung kann alle sechs Monate erfolgen, wenn die Prüfwerte (100 KBE Legionella spp. je 100 ml) in zwei Jahren hintereinander nicht überschritten wurden. Mindestens eine Untersuchung davon muss in den besonders kritischen Monaten, d. h. zwischen dem 1. Juni und dem 31. August erfolgen.
  • Ermittlung des Referenzwerts: Der Referenz­wert des Nutzwassers wird aus den ersten sechs aufeinanderfolgenden Laboruntersuchungen ermittelt.
  • Maßnahmen bei Anstieg oder Überschreiten von Prüf- und Maßnahmenwerten: Wird bei der Laboruntersuchung ein Anstieg der Konzen­tration der allgemeinen Koloniezahl um den Faktor 100 zum Referenzwert festgestellt, müssen Betreiber die Ursachen ermitteln (z.B. Wasseraufbereitung kontrollieren) und ggf. Sofortmaßnahmen (bspw. Desinfektion) ergreifen. Stellt eine Untersuchung auf Legionellen Überschreitungen von Prüfwerten fest, werden Maßnahmen erst nach erneuter Laboruntersuchung notwendig. Bei Überschreiten des Maßnahmenwerts (10.000 KBE Legionella spp je 100 ml) muss dagegen sofort gehandelt werden.
  • Prüfung durch Sachverständige oder Inspektionsstelle: Alle fünf Jahre müssen Anlagen von öffentlich bestellten Sachverständigen oder Inspektionsstellen des Typs A überprüft werden. Für bestehende Anlagen gelten Übergangsbestimmungen abhängig vom Alter der Anlage.
  • Wiederinbetriebnahme: Wird eine Anlage so verändert, dass sich dies auf die Vermehrung von Legionellen auswirken kann oder der Nutzwasserkreislauf für mehr als eine Woche unterbrochen bzw. trockengelegt wird, muss sie vor Wiederinbetriebnahme von einer hygienisch fachkundigen Person (nach VDI 2047, VDI 6022 oder vergleichbar) untersucht werden. Dabei muss eine Checkliste gemäß Anlage 2 der Verordnung abgearbeitet und dokumentiert werden.


Was gilt zusätzlich?
Wird eine Anlage erstmals in Betrieb genommen oder Anlagenteile so verändert, dass dies Auswirkungen auf die Ausbreitung von Legionellen nehmen kann, sind eine Reihe zusätzlicher Vorschriften zu beachten:

  • Bauliche Anforderungen: In den Anlagen müssen geeignete Werk- und Betriebsstoffe eingesetzt und Tropfenabscheider installiert werden und soweit wie möglich dürfen keine Totzonen entstehen. Außerdem müssen sie Vorrichtungen für Entleerung, Bioziddosierung und Probenahme besitzen. Insgesamt sollen sie dem Stand der Technik entsprechen (d. h. Verwendung fortschrittlicher Einrichtungen und Betriebsweisen, die sich in der Praxis bewährt haben). Ob diese Anforderungen erfüllt werden, sollten Unternehmen vor der Inbetriebnahme vom Hersteller oder Installateur in Erfahrung bringen.
  • Gefährdungsbeurteilung: Vor der (Wieder-)Inbetriebnahme muss unter Beteiligung einer hygienisch fachkundigen Person eine Gefährdungsbeurteilung mit Risikoanalyse und Risikobewertung durchgeführt werden. Das Vorgehen wird in der Richtlinie VDI 2047-2 beschrieben und richtet sich nach gängigen Methoden der Gefährdungsbeurteilung (z. B. TRBS und TRGS 400).
  • Untersuchungen und Anzeige: Vor Inbetriebnahme muss eine hygienefachliche Untersuchung (siehe oben) durchgeführt werden. Die oben beschriebenen Laboruntersuchungen und die Anzeige bei der Behörde müssen innerhalb der ersten vier Wochen nach (Wieder-)Inbetriebnahme erfolgen.


Resumee
Die Bedeutung der Verdunstungskühlanlagen als Ursache der gefährlichen Legionellose ist unbestritten. Die Erfassung der Anlagen in einem Meldekataster ist eine wichtige Maßnahme und eine angemessene Kontrolle des bestimmungsgemäßen Betriebs erforderlich. Die neuen Anforderungen an den Betrieb von Verdunstungsanlagen, insbesondere die häufigen mikrobiologischen Untersuchungen stellen die Betriebsingenieure vor Herausforderungen, die nun gemeistert werden müssen.