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Auf dem Weg in die Bio-Ökonomie

Biotechnologie erschließt neue Kohlenstoffquellen und verbessert CO2-Bilanz, Teil 1

29.03.2011 -

Der deutsche Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat am 15. Juli 2010 gemeinsam mit dem französischen Forschungsminister und dem englischen Energieminister gefordert, bis 2020 die CO2-Emissionen in Europa um 30 % zu senken. Ein vergleichbares Ziel hat die neue Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (NRW) in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: Bis 2020 sollen in NRW 25 % weniger CO2 ausgestoßen werden. Einen wesentlichen Beitrag dazu kann die Chemieindustrie durch den verminderten Verbrauch fossiler Kohlenstoffquellen leisten. Die Erschließung CO2-neutraler, nachwachsender Rohstoffe und die Entwicklung von Verfahren, die auf Minimierung der CO2-Emission hin optimiert sind, müssen deshalb verstärkt werden.

Status Quo

In Deutschland werden heute ca. 13 % (13 Mio. t) der gesamten deutschen Ölimporte von der Chemieindustrie zur Herstellung von Pharmazeutika, Fein- und Spezialchemikalien, Polymeren, Detergentien, Körperpflegeprodukten und anderen Chemikalien auf Erdölbasis verwendet. Öl bzw. dessen erste Destillatstufe Naphta ist zu 72 % die dominante Kohlenstoffbasis für die Chemie. Unter den fossilen Quellen folgen Erdgas mit 14 % und Kohle mit 1 %. Nachwachsende Agrarprodukte wie pflanzliche Ölsäuren und tierische Fette, Cellulose, Stärke und Zucker tragen mit 13 % (2,7 Mio. t) zur organischen Chemie bei. Ihr Anteil stieg seit 2003 um 3 %. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass die heutige Chemieindustrie einerseits ganz überwiegend von fossilen Kohlenstoffquellen als Rohstoff und Energiebasis abhängt, dass sich andererseits aber der Anteil nachwachsender Rohstoffe erhöht hat.

Diese einseitige Abhängigkeit von fossilen Kohlenstoffquellen, insbesondere von Öl, ist aus mehreren Gründen unbefriedigend und birgt Risiken: Weil global 96 % der fossilen Kohlenstoffquellen u.a. in die Energie-, die Stahl- und die Zementwirtschaft gehen, ist die Chemieindustrie mit 4 % ein eher unbedeutender Abnehmer. Für Öl alleine ist der Anteil sogar noch kleiner: Nur 2 % (80 Mio. t von weltweit 4 Mrd. t) werden in Chemieverfahren verbraucht. Damit ist der Energiemarkt für die Preisbildung bestimmend. Zudem wird die Förderung von Öl lange vor der von Gas und Kohle abnehmen. Zunehmende Förderkosten, wachsender Wettbewerb mit anderen ölverbrauchenden Industrien und höhere Einkaufspreise werden die Folge sein. Gerade die letzten Wochen und Monate haben die Volatilität des Ölpreises vor Augen geführt: Von 144 $/bl im Juli 2008 ist er auf 40$/bl im Februar 2009 gesunken, schwankte seit Oktober 2009 um die 80 $/bl und steht aktuell wieder bei deutlich über 100$/bl. Schon allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ist deshalb eine geringere Abhängigkeit von fossilen Kohlenstoffquellen anzustreben.
Die Suche nach Alternativen zum Öl wird zudem durch die Herausforderung des Klimawandels und die eingangs erwähnten politischen Forderungen forciert.

Produktionsverfahren mit vermindertem CO2-Ausstoß sind gefordert und Unternehmen der Chemie werden in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend daran gemessen, wie sie zum Klimaschutz beitragen. Deshalb wird die Chemieproduktion bereits seit Jahren auf energiesparende und emissionsreduzierte Verfahren umgestellt. Seit 1990 hat die chemische Industrie in Deutschland die Produktion um 58 % gesteigert, aber trotzdem ihren Energieverbrauch um 18 % sowie die Emission von Treibhausgasen um 37 % gesenkt. Diese Strategie wird konsequent fortgeführt und erst kürzlich hat EuropaBio das ehrgeizige Ziel formuliert, den Anteil nachwachsender Rohstoffe bis 2020 auf 20 % zu steigern.

Landwirtschaftliche Kohlenstoffquellen

Landwirtschaftliche und zu einem kleineren Teil auch forstwirtschaftliche Kohlenstoffquellen sind als Rohstoff der Chemie seit langem etabliert (Abb. 1). Sie sind eine wesentliche Basis für die Produktion von Tensiden, Polymeren, Lacken, Farben und Schmierstoffen. Dabei gewinnen sie an Bedeutung, weil die industrielle Biotechnologie ihnen ein wesentliches Verwertungspotential eröffnet: Biotechnische Produkte stellen 85 % des Chemieumsatzes auf Basis landwirtschaftlicher Rohstoffe (Abb. 2). So wie Naphta eine überschaubare Gruppe einfacher Verbindungen wie z.B. Ethen, Propen, 1,3-Butadien und Benzol liefert, die chemisch zu dem Produktspektrum der organischen Chemie umgesetzt werden, können nachwachsende Rohstoffe ebenfalls zu wenigen sogenannten Plattformchemikalien wie Glycerin, Sorbitol oder Bernsteinsäure transformiert werden, die eine alternative Grundlage für die heutige Produktvielfalt sein können. Als Ausgangsstoffe kommen vor allem Zucker (aus Zuckerrohr, Zuckerrübe, Mais-, Kartoffel-, Roggen-Stärke) und pflanzliche Fettsäuren (Soja-, Raps- und Palmöl) in Frage. Einen Überblick über laufende und zukünftige Verfahren gibt Tab. 1.

Die dahinter stehende Technologie ist die industrielle Biotechnologie und neuerdings ihre Kombination mit der chemischen Synthese. Beide Verfahren eröffnen zusammen die Option zur Herstellung von neuen wettbewerbsfähigen Produkten und beleben damit den Innovationszyklus. Ein Beispiel dafür sind Polymere: Die Anzahl neu entwickelter petrochemischer Polymere hat in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt überschritten und ist bis etwa 1990 praktisch auf Null gesunken. Erst mit der zunehmenden Etablierung der Biotechnologie sind eine ganze Reihe innovativer Polymere, die auf landwirtschaftlichen Rohstoffen basieren, in Entwicklung oder bereits auf dem Markt. Dies ist nur ein Beispiel für das aufscheinende Potential eines die gesamte Industrie umfassenden neuen Produktionssystems: Es ist die Vision einer vornehmlich auf nachwachsenden Rohstoffen basierten Industrie, die Neben- und Endprodukte rezykliert. Ein Kernelement dieser von der EU als wissensbasierte Bio-Wirtschaft (Knowledge-based Bio-Economy, KBBE) oder von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag als Bio-Ökonomie vereinbarten Vision ist die industrielle Biotechnologie.

Erschließungsverfahren

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die zukünftige Bio-Ökonomie wesentlich auf Agrarpflanzen basieren kann. Der zu erwartende Flächen- und Preiswettbewerb mit dem Lebensmittelmarkt wird in der Öffentlichkeit bereits heute kritisch wahrgenommen. Dieser Wettbewerb kann die Akzeptanz einer wachsenden industriellen Verwendung von Agrarkohlenstoffquellen, die in Deutschland bereits 2 Mio. ha oder 17 % der landwirtschaftlichen Fläche beanspruchen (Tab. 2), beeinträchtigen.

Die Züchtung hochproduktiver Pflanzensysteme für industrielle Anwendungen kann ein Teil der Lösung sein. Dabei wird die Koppelnutzung der Verwendung der Frucht als Lebensmittel und der Restbiomasse für die stoffliche Umsetzung und der Energieerzeugung angestrebt. Um derartiges Pflanzenmaterial für industrielle Zwecke nutzen zu können, wird intensiv an dessen chemischer und biotechnologischer Erschließung als Kohlenstoffquelle gearbeitet. Lignocellulose in Form von Getreide- und Maisstroh oder Mais- und Reisspelzen fällt jährlich im Millionen Tonnen Maßstab an. Mit dem Aufschluss der Lignocellulose werden die Hexosen der Cellulose freigesetzt, die etwa 40 % der Biomasse ausmachen und das Substrat für die meisten Fermentationsprozesse bilden.

Die mit 30 % der Biomasse anfallenden Pentosen der Hemicellulose sind für etablierte biotechnische Verfahren nicht geeignet, doch bietet die moderne Optimierung von Biokatalysatoren auch hier die Möglichkeit, diese Substrate zu verwerten. So hat Lanxess erst kürzlich in das Start-up Gevo investiert, das ein biotechnisches Verfahren zur Produktion von Isobutanol auf Basis von Mais-Biomasse entwickelt, und in Deutschland forscht die Universität Frankfurt an der Biosynthese von Butanol auf Basis derartiger Substrate. Mit einem kostengünstigen Aufschlussverfahren kann Agrarbiomasse also eine geeignete Kohlenstoffquelle bieten. Allerdings stehen einer wirtschaftlichen Verwertung neben den Aufschlusskosten der erhebliche Logistikaufwand von Ernte, Transport und Lagerung entgegen.

Eine Pilotanlage für die Transformation derartiger Rohstoffe zu Chemievorstufen wird derzeit am Chemiestandort Leuna im Chemisch-Biotechnologischen Prozesszentrum errichtet. An diesem Projekt ist auch Evonik beteiligt. Bioethanol aus Stroh ist dagegen das Zielprodukt der deutschlandweit größten Pilotanlage der Süd-Chemie, für die am 21. Juli 2010 in Straubing der Startschuss gegeben wurde.

Quellen und Referenzen sind bei den Autoren erhältlich.

Teil 2 erscheint in CHEManager 9-10/2011 am 19. Mai und befasst sich mit forstwirtschaftlichen Kohlenstoffquellen, Synthesegas-Erzeugung aus Biomasse und Rauchgas-Nutzung.

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