Chemie & Life Sciences

Aktuelle Herausforderungen für Wirkstoffhersteller, Teil 1

Vor allem europäische und US-amerikanische API-Hersteller stehen unter Druck

10.09.2015 -

Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat der Markt für die Herstellung (generischer) pharmazeutischer Wirkstoffe (APIs) einen drastischen Wandel erlebt. Als Stichworte seien der rapide Preisverfall, die zunehmende Ausschreibung von „Tendern“ und stetig steigende regulatorische Anforderungen genannt. Als Lösungen aus diesem Dilemma werden u.a. Investition in Spitzentechnologien, die Konzentration auf strategische Partnerschaften und/oder die permanente Erneuerung des Produktportfolios genannt. Der folgende Artikel ist eine Erweiterung und Ergänzung der bereits in der jährlichen englischen Ausgabe des CPhI Expert Panel Reports erschienenen Ausführungen.

Zunächst ist es erforderlich, noch einmal auf eine grundlegende Ungerechtigkeit im System zu sprechen zu kommen, die Produzenten in den „klassischen“ Herstellerländern dieser Welt, insbesondere aber in Europa und den USA, betrifft. Diese „klassischen“ Hersteller generischer APIs sind nach wie vor durch das aktuelle Patentrecht im Nachteil, da sie bis zum Ablauf des Patents lediglich Forschungsmengen, jedoch keine Launchmengen eines neuen generischen Wirkstoffes auf den Markt bringen dürfen. Das liegt daran, dass die „Roche-Bolar-Regelung“ in diesen Ländern nie konsequent umgesetzt wurde. Dadurch fehlt ein „Level Playing Field“, um im internationalen Wettbewerb mit z.B. indischen oder chinesischen Herstellern auf Augenhöhe mithalten zu können.

Abwanderung nach Asien

Das führt u.a. zu der Situation, dass die „klassischen“ generischen API-Hersteller von der Substanz leben, sprich ihr Portfolio so gut wie möglich gegen den Wettbewerb verteidigen und bei generischen Neuprodukten in der preislich interessanten Phase der Markteinführung nicht mit von der Partie sind. Hersteller aus Staaten ohne wirksamen Patentschutz profilieren sich daher als Marktführer neuer generischer Wirkstoffe, denn diese Hersteller können mit der Produktion von Generikaversionen patentierter Arzneimittel (Launchmengen) ja bereits vor dem Patentablauf beginnen und am Tag X den Markt bedienen. Darüber hinaus findet eine beachtliche Vorwärts- und Rückwärtsintegration dieser Hersteller statt und somit kann die gesamte Wertschöpfungskette angeboten werden. Ohne den lästigen Patentschutz, versteht sich. Das alles führt dazu, dass es zu einer massiven Abwanderung von Know-how, Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit aus Europa und Amerika nach Asien gekommen ist und weiterhin kommt.

Asien dominiert Generikamarkt

Die beschriebene Situation führt dazu, dass heute Hersteller aus Indien oder China den weltweiten Markt für generische pharmazeutische Wirkstoffe dominieren. Diese Hersteller können ihre Produkte nicht nur zu günstigeren Preisen anbieten, sondern sie verfügen auch über teilweise neuere Fertigungsanlagen mit wirtschaftlich rentabler Technologie. Angesichts der Stärke dieser Konkurrenten liegt die Idee nahe, Standorte in Europa oder den USA gleich ganz zu schließen und die gesamte Fertigung nach Asien zu verlagern. Kurzfristig mag das durchaus eine interessante Lösung sein, jedoch stellt sich die Frage: Was passiert, wenn es zu einer politischen Krise oder einem Boykott/Embargo kommt? In einem solchen Fall wäre die ausreichende Versorgung der Patienten, gerade mit Schlüsselprodukten wie Antibiotika, antiviralen Medikamenten und simplen Herz-Kreislaufmedikamenten nicht mehr gewährleistet. In einigen deutschen Städten haben Apotheker in der Vergangenheit ja bereits Engpässe bei der Lieferung von solchen Arzneimitteln erlebt und können aus eigener Erfahrung über die Auswirkungen berichten.

Qualitätsbewusstsein nicht garantiert

In der Problematik der Konformität asiatischer API-Hersteller mit den cGMP-Richtlinien zur Gewährleistung guter Herstellungspraxis besteht ebenfalls weiterhin Handlungsbedarf. Allen

Verlautbarungen in den vergangenen Jahren zum Trotz, scheint sich in der Praxis nichts getan zu haben, wie die jüngsten „Warningletter“ der US-FDA an indische und chinesische Wirkstoffhersteller gezeigt haben. Dass die notwendigen Veränderungen ausbleiben, ist meiner Meinung nach auf die nach wie vor mangelhafte Verinnerlichung des Qualitätsgedankens bei diesen Herstellern zurückzuführen. Man macht halt das, was die anderen hören und sehen wollen. Ein tiefgreifendes Qualitätsbewusstsein ist damit aber nicht garantiert und das Risiko trägt am Ende der Patient.

Druck lastet auf Branche

Der Druck auf die Branche wird nicht nachlassen. Daher ist es erforderlich, eine breite Diskussion über den Wert von Arzneimitteln anzustoßen. Wenn sich nichts ändert, und genau das ist meine Befürchtung, dann wird der Preisdruck die Branche zerstören, Qualitäts- und GMP-Probleme werden zunehmen und die Patientensicherheit massiv gefährdet. Mangels einer eindeutigen und sofortigen Lösung stehen die europäischen und amerikanischen API-Hersteller weiterhin mit dem Rücken zur Wand. Trotz alledem versorgen sie weiterhin den Markt. Warum?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zunächst müssen wir dazu die Struktur der API-Hersteller betrachten. Bei der Mehrheit der europäischen (und einer gewissen Anzahl der amerikanischen) API-Hersteller handelt es sich um kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), die sich zumeist im Privatbesitz befinden. Entsprechend haben die meisten dieser API-Hersteller ein starkes Interesse daran, ihr Geschäft an längerfristigen Planungen zu orientieren und sind trotz ihrer Internationalen Geschäfte lokal verwurzelt. Häufig sind diese Unternehmen bereits seit 50 Jahren oder länger im Geschäft und haben viel Know-how und Technologie akkumuliert. Hinzu kommt, dass die Gesellschafter dieser Unternehmen in der Regel Privatpersonen oder Stiftungen sind, die langfristig denken.

Motivation und Strategie

Laut Aussage des Geschäftsführers eines solchen Privatunternehmens läge die Motivation, in dieser Branche tätig zu sein, in der Liebe zur Chemie sowie im leidenschaftlichen Bemühen, den Kunden die richtige Lösung anzubieten. Mehr noch als den Preis wüssten die Kunden die Flexibilität des Unternehmens und die extrem kurzen Vorlauf- und Reaktionszeiten zu schätzen. Weder Profitmaximierung noch Wachstum bildeten den Hauptschwerpunkt der Unternehmensstrategie. Wichtig sei es, seine Kunden persönlich zu kennen und sich zu bemühen, langfristige Beziehungen aufzubauen und sich mit ihren Anforderungen im Detail vertraut zu machen. Trotzdem bestehen sehr ernste Sorgen um den Standort in Europa. So steht auch die Frage im Raum, ob sein Sohn noch in seine „Fußstapfen“ treten kann oder ob zu diesem Zeitpunkt die Chemie- und Pharmaproduktion vollständig aus Europa verschwunden sein wird.

Abgrenzung von Massenproduzenten

Um das Bestehen der „klassischen“ API-Hersteller zu gewährleisten, werden sich die oben genannten Unternehmen verstärkt von asiatischen Massenproduzenten abgrenzen müssen, indem sie weiterhin Marktnischen erschließen, exzellenten Service bieten und kompromisslos den GMP-Gedanken umsetzen. Darüber hinaus muss allerdings auch die breite Öffentlichkeit dafür sensibilisiert sein, dass diese Unternehmen einen hohen Anteil zum Lebensstandard in Europa und Amerika beitragen. Auch den Regierungen muss klar sein, dass es sich um strategisch wichtige Unternehmen handelt, die im Krisenfall die Versorgung mit Wirkstoffen sicherstellen.

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