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Die Quadratur des Kreises

Chemikalienproduktion in China zwischen Qualitäts- und Kostendruck

07.10.2010 - Europäische Chemieunternehmen beziehen inzwischen einen bedeutenden Anteil an chemischen Vorprodukten zur weiteren Veredelung in ihren westlichen Anlagen aus China.

Chinesische Anbieter wollen aber nicht nur Vorstufen liefern, sondern auch im Markt für Zwischenprodukte und Wirkstoffe eine Rolle spielen. Bisher konnten aber nur wenige die von Pharmakunden und Behörden geforderten Qualitätsmaßstäbe erfüllen. Der deutsche GMP-Dienstleister Gempex hat vor 5 Jahren mit dem chinesischen Partner He-Ro Chemicals ein Joint Venture gegründet: Gemro-Services bietet westlichen Chemie- und Pharmaunternehmen im chinesischen Markt vorrangig Beratungs- und Auditierungsdienstleistungen an. Waren es zunächst europäische Kunden, denen Gempex mit diesem Schritt gefolgt ist, so nehmen zunehmend auch einheimische Unternehmen diese Dienstleistungen in Anspruch, um die GMP-Compliance nach westlichem Standard sicherzustellen. Dr. Michael Reubold befragte Gempex-Geschäftsführer Ralf Gengenbach zu den bisher in China gemachten Erfahrungen.

CHEManager: Herr Gengenbach, wie hat sich Ihr Geschäft in China seit der Gründung von Gemro entwickelt?

R. Gengenbach: Wir hatten das Unternehmen vor 5 Jahren spontan ins Leben gerufen. Auslöser war ein konkreter Auditauftrag, der mich auch mit meinem heutigen Partner zusammengebracht hatte. Zunächst war es nur ein Name, den wir damals versuchsweise in Verbindung mit den GMP-Dienstleistungen auf einer Messe in Shanghai präsentiert hatten. Die Resonanz war jedoch so umwerfend, dass es für uns keinen Zweifel gab, dass hier ein größerer Bedarf besteht. Heute haben wir neben dem Hauptsitz in Hong Kong noch Zweigbüros in Guangzhou, Shanghai und Tianjin. Es sind bereits 3 chinesische GMP-Experten ausschließlich für Gemro beschäftigt und weitere werden gesucht bzw. ausgebildet. Darüber hinaus greifen wir abhängig von den laufenden Projekten auf die Mitarbeiter von HeRo oder Gempex zurück.
Auch der Umsatz, der sich heute schon im sechsstelligen Bereich bewegt, kann sich sehen lassen. Und die Tatsache, dass ich gerade in diesem Jahr von einem der größten chinesischen Wettbewerber zu einem Gespräch eingeladen wurde, zeigt mir, dass der Name Gemro mittlerweile seinen Platz im chinesischen Markt gefunden hat.

Auch bei chinesischen Kunden?

R. Gengenbach: Zugegeben - die meisten Kunden sind nach wie vor unsere westlichen Partner während wir uns mit direkten chinesischen Kunden immer noch recht schwer tun. Das ist sicher nicht nur auf das manchmal fehlende GMP-Verständnis, sondern vielfach immer noch auf die Kulturunterschiede zurückzuführen. China - so habe ich es zumindest erlebt - ist ein dynamisches und spannendes Land, aber definitiv keines, das man in wirtschaftlicher Hinsicht im Flug erobert. Es bedarf vielerlei Anstrengungen, Kraft und Durchhaltevermögen, um nicht nur Umsatz, sondern auch Gewinne zu machen.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher in der Zusammenarbeit mit einem chinesischen Kooperationspartner gemacht?

R. Gengenbach: Hier muss ich zunächst bekennen, dass der Partner kein rein chinesisches Unternehmen ist, und das dürfte auch tatsächlich ein Schlüsselfaktor für das bisherige Gelingen sein. Der Geschäftsführer der HeRo Chemicals ist Amerikaner, der vor mehr als 25 Jahren nach China ausgewandert ist und heute mit knapp 50 chinesischen Mitarbeitern seinen Handelsgeschäften nachgeht. Die westliche Grundeinstellung, verbunden mit der intensiven Markt- und Kulturkenntnis sowie die chinesischen Mitarbeiter waren für uns ein absoluter Glücksfall. Ich kann nicht sagen, wie es mit einem rein chinesischen Unternehmen gelaufen wäre. In diesem Falle war jedoch sehr schnell ein sehr intensives Vertrauensverhältnis aufgebaut, das bis heute auch nie enttäuscht wurde, und ich wurde sicher schneller in die chinesische Kultur eingeführt, als ich es je alleine geschafft hätte.

Ist die Distanz ein Problem?

R. Gengenbach: Alles in Allem funktioniert die Zusammenarbeit hervorragend und lässt auch das Problem der großen Distanz in den Hintergrund treten. Wenn es um die Projektarbeit und den Bedarf von Spezialisten geht, die wir sicher nicht alle in China vorhalten können, stehen auch wir natürlich immer noch vor dem Problem der Fernreisen und der damit verbundenen Kosten. Da helfen auch die modernen Technologien nicht unbedingt.

Welchen Ansatz sollten deutsche Mittelständler, die in China Fuß fassen wollen, verfolgen, um erfolgreich zu sein?

R. Gengenbach: Ich denke, der wichtigste Punkt ist, zunächst seine Erwartungen zurückzuschrauben. In vielen Gesprächen erlebe ich immer wieder, wie Geschäftsleute mit großer Euphorie in das gelobte Land reisen und glauben, die in den Zeitungen publizierten Wachstumsraten und das chinesische Wirtschaftswunder wirken sich unmittelbar auf ihren Geldbeutel aus. Oft ist dann die Enttäuschung groß, wenn sich trotz bester Gastfreundschaft der Chinesen kein wirkliches Geschäft abzeichnet. Und auch das unterschiedliche Verständnis von geistigem Eigentum löst immer wieder große Enttäuschungen aus, wenn sich plötzlich die Geschäftsidee oder gar detaillierte technische Lösungen an anderer Stelle wiederfinden.

Welchen Rat können Sie weitergeben?

R. Gengenbach: Ich denke, es sollte in erster Linie eine ordentliche unternehmerische Abschätzung von Chancen und Risiken vorgenommen und die Frage beantwortet werden, warum man unbedingt nach China möchte. Nur um „Ajour" zu sein, ist sicher keine Begründung. Und man sollte den größten Wert auf die Suche nach dem richtigen Partner legen. Hier können oft offizielle Stellen - wie z.B. die AHK (die in China vertretende IHK) - oder auch andere Firmen, die bereits in China vertreten sind, gute Hilfestellungen oder zumindest Ratschläge bieten. Für solche Hinweise sind viele, die ihre Erfahrungen bereits gemacht haben, recht offen.

China hat - für viele sicher überraschend - strenge Umweltgesetze. Gilt das auch in puncto Qualität?

R. Gengenbach: In der Tat durften wir im Rahmen eines Projektes einmal hautnah miterleben, wie einer Firma tatsächlich von Behördenseite der Dampfhahn abgedreht wurde, weil den lokalen behördlichen Umweltauflagen nicht nachgekommen wurde. Und auch GMP ist in China etabliert und wird dort behördlich überwacht. Zuständig ist die die State Food and Drug Administration - SFDA. Auch gibt es in China behördliche Inspektionen als Grundvoraussetzung für eine Marktzulassung kombiniert mit Nachfolgeinspektionen. Dass es trotzdem immer wieder zu essentiellen Qualitätsproblemen kommt, dürfte sicher in der fehlenden Tiefe der Regelwerke selbst und der nach wie vor gegebenen Anfälligkeit des Systems für Korruption liegen. Aber auch das bei den pharmazeutischen Herstellern, insbesondere im Wirkstoffumfeld, fehlende GMP-Verständnis ist noch ein großes Problem. Noch verbindet man in China mit GMP häufiger ein Zertifikat als eine wirklich tiefgehende Qualitätsphilosophie.

Gibt es Unterschiede zwischen westlichen und chinesischen GMP-Standards?

R. Gengenbach: Noch gibt es sehr große Unterschiede. Wenn ich „noch" sage, dann deshalb, weil sich aktuell weitgehende Änderungen in den chinesischen GMP-Regelwerken abzeichnen. In China stellt das derzeitige Regelwerk einen Mix aus Anforderungen an Wirkstoff- und Endprodukthersteller dar. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Thema Reinraum. Oft hat man das Gefühl, dass wenn ein Reinraum mit ausreichend Schleusen gebaut ist, man GMP als erfüllt ansieht. Die tiefgreifende Betrachtung von Abläufen und Prozessen, Risikoanalysen und zielgerichtete Maßnahmen zur Kontaminationsvermeidung kommen eindeutig zu kurz. Diskussionen über einen GMP-Startpunkt gerade bei der Wirkstoffherstellung sind oft unbekannt. Und auch bei der Dokumentation - die im Übrigen immer vorbildlich ist - scheint man sich mehr auf das Dokument selbst als auf den Inhalt zu konzentrieren. Das alles soll sich ja aber jetzt ändern. Aktuell existiert bereits ein neuer Entwurf eines weitgehend überarbeiteten GMP-Regelwerks, das den westlichen GMP-Anforderungen sehr stark angepasst wurde. Im November letzten Jahres hatten wir Gelegenheit, im Rahmen eines Workshops mit der SFDA das neue GMP-Verständnis zu diskutieren und ich kann nur sagen, man kennt von Behördenseite ganz klar die Schwachstellen und die Notwendigkeit, hier einiges zu ändern. Von daher sehe ich dieser Entwicklung positiv entgegen.

Unter welchen Umständen sind chinesische Hersteller von Chemikalien bereit, Investitionen in GMP-gerechte Anlagen zu tätigen?

R. Gengenbach: Sie sprechen hier einen spannenden Punkt an: Das Dilemma der chinesischen Hersteller, auf der einen Seite kostenintensiv GMP-Anforderungen umsetzen zu müssen, auf der anderen Seite aber noch keinen zahlenden Kunden zu haben. Es scheint ein wirklich offensichtliches Problem zu sein, dass der Staat aktuell viel Geld ausgibt, um den Bau solcher Anlagen zu fördern. Land wird teilweise kostenfrei abgegeben und auch der Bau der Anlagen wird durch Zuschüsse gefördert. All das bringt jedoch noch keinen zahlenden Kunden, weshalb man immer wieder die Situation antrifft, dass GMP-Maßnahmen nur dann in Angriff genommen werden, wenn sich ein potentieller - möglichst westlicher - Kunde abzeichnet, der dann auch noch bereit ist, Geld in GMP-Maßnahmen zu stecken. Entsprechend finden Sie viele vorbereitete, aber eben noch nicht wirklich GMP-konforme Wirkstoffproduktionsanlagen vor.

Welche Leistungen werden bei Ihnen von chinesischen Kunden nachgefragt und wie groß ist das Verständnis für das Thema GMP?

R. Gengenbach: Das Verständnis für GMP skizziere ich gerne mit meiner Erfahrung, die ich in den fünf Jahren gemacht habe. Bei unserer ersten Teilnahme an der CPhI China wurde uns fast der Stand umgerannt. Die häufigste Frage war, ob wir ein GMP-Zertifikat ausstellen könnten. Im Folgejahr wurde neben dem Zertifikat zumindest auch schon einmal die Umsetzung von GMP angefragt. Noch ein Jahr später, kam immer noch die Frage nach dem Zertifikat und nach GMP, diesmal aber nach dem „richtigen" GMP. Man schien dazugelernt zu haben. Heute reduziert sich die Nachfrage nach einem GMP-Zertifikat auf Fragen nach CEP-Zertifikaten oder Drug Master File-Erstellungen. Und bei der Umsetzung von GMP stehen zielgerichtet die Fragen nach Unterstützung bei Risikoanalysen, Validierung oder Schwachstellenanalysen im Vordergrund. Und es kommt neu hinzu die Frage, ob man denn auch mithelfen könnte einen entsprechend westlichen Kunden zu finden. Ich denke, dies macht das aktuelle Dilemma deutlich.

GMP-Anlagen müssen in einem qualifizierten Zustand gehalten und regelmäßig überprüft werden. Sind die internationalen Behörden überhaupt in der Lage, eine flächendeckende Kontrolle durchzuführen?

R. Gengenbach: Bei der Vielzahl an Anlagen und Fabriken dürften die Behörden alleine kaum im Stande sein, eine flächendeckende und 100%-ige Kontrolle durchzuführen. Die US FDA hat sich ja mittlerweile für lokale Büros in Guangzhou, Beijing und Shanghai entschieden, um dauerhaft vor Ort zu sein und eine bessere Überwachung zu gewährleisten. Aber da sind immer noch die Sprach- und Kulturhürden die man nur überwinden kann, wenn man einheimisches Personal mit entsprechender Qualifikation einstellt. Und das muss erstmal gefunden oder ausgebildet werden.
Auch europäische Behörden können hier sicher ein Lied davon singen, wie zeitaufwändig gut durchgeführte Inspektionen sind in einem Land, indem nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift fremd ist. Kurzfristige Lösungen in dieser Richtung sind schwer wenn nicht gar unmöglich. Ich denke, der Hauptfokus muss auf die Verantwortlichkeit der westlichen Firmen gelegt werden, die ihre chinesischen Zulieferer intensiv prüfen sollten, bevor sie von diesen Produkte beziehen. Neben der Tatsache, dass dies gesetzlich ohnehin vorgeschrieben ist, haben die westlichen Kunden, mit denen wir bisher zusammengearbeitet haben, hier sicher auch vorbildlich agiert. Ich denke, keine renommierte westliche Pharmafirma geht hier ein Risiko ein. Ein anderer Punkt ist aber sicher auch die Aufklärung der chinesischen Hersteller über die eigentliche Bedeutung von GMP, d.h. Schulung, Schulung und nochmals Schulung.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Wann wird China als zuverlässiger GMP-Produktionsstandort und damit als ernstzunehmender Wettbewerber der etablierten westlichen Chemikalienhersteller anerkannt werden können?

R. Gengenbach: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, zumal das Bild insgesamt recht heterogen ist. Bereits heute gibt es in China durchaus Betriebe, die den Vergleich mit westlichen Unternehmen nicht scheuen müssen. Dies ist bei den aktuellen, von westlichen Firmen in China getätigten Investitionen auch nicht verwunderlich. Ein rein westlich getriebenes Projekt zeigt sicher die gleichen Qualitätsstandards wie hierzulande. Allerdings ist das Bild eben heterogen und es gibt auch viele Negativbeispiele, und so wird man um den Punkt der ständigen Prüfung und Auditierung nicht herumkommen.
Und dann steht natürlich die Frage im Raum, ob man überhaupt von Wettbewerb reden soll. Natürlich schauen viele westliche Firmen teils argwöhnisch, teils ängstlich nach China. Ich denke aber, dass sich hier eher eine letztlich für alle interessante Marktaufteilung ergeben wird: Zwischen Roh- und Ausgangsstoffen, die man eher aus China beziehen wird, und hochveredelten und innovativen Produkten, die man im einheimischen Markt selbst herstellt.

Wie sollten westliche Unternehmen auf die zunehmende Bereitschaft chinesischer Firmen reagieren, in GMP-Produktionsanlagen zu investieren?

R. Gengenbach:
Man sollte diesen Trend in jedem Fall positiv sehen, wenn nicht gar unterstützen. Die Globalisierung und das Öffnen der Märkte lassen sich kaum mehr verhindern, und da es bei GMP zuerst um den Produkt- und damit den Verbraucherschutz geht, ist diese Investition ein absolutes „muss". Auf der anderen Seite ist dieser Trend ein eindeutiger Vorteil für den heimischen Markt. Investitionen in Qualitätssicherung bedeuten auch höhere Preise bei den Produkten. Gleiches gilt für die Investition in Umwelt- und Arbeitsschutz. Die Chinesen spüren schon heute, dass es allmählich der Quadratur des Kreises gleicht, wenn man auf der einen Seite all diese Anforderungen erfüllen muss, auf der anderen Seite aber der Billiganbieter sein soll. Am Ende wird hier nur derjenige die Nase vorne haben, der all diese Anforderungen entsprechend effizient und pragmatisch umsetzt, und ich denke, hier haben wir den Chinesen immer noch etwas voraus. 

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