Strategie & Management

GlaxoSmithKline verschreibt sich der Ethik

Mit mehr Transparenz und einer neuen Geschäftspolitik will GSK Vertrauen zurückgewinnen

09.04.2017 -

Die Pharmaindustrie stellt zwar lebenswichtige Produkte her, hat aber nicht den besten Ruf. Der britische Arzneimittelhersteller GlaxoSmithKline hat deshalb vor einiger Zeit begonnen, mit überholten Praktiken der Pharmabranche zu brechen und einen ethischeren Kurs einzuschlagen. Doch zahlt sich die neue Strategie aus? Und was können andere Unternehmen davon lernen?

Der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) war mit seinem Geschäftsgebaren wahrlich kein Vorbild: Vor wenigen Jahren geriet das Unternehmen wegen Schmiergeldzahlungen, einem Bestechungsskandal, gefälschte Daten über Medikamentensicherheit und Intransparenz in die Schlagzeilen. Mitte 2012 musste der Konzern im größten Betrugsskandal des US-Gesundheitssektors sogar ein Bußgeld von 3 Mrd. USD zahlen.

Ende 2013 zog der damalige Unternehmenschef Andrew Witty die Reißleine und verordnete dem Unternehmen einen radikalen Wandel: So sollten Mediziner kein Geld mehr für Vorträge erhalten, in denen sie vor Kollegen für Glaxo-Medikamente werben. Außerdem wurde die Losung ausgegeben, künftig den Patienten in den Mittelpunkt aller Aktivitäten zu stellen und die Ergebnisse klinischer Studien transparenter zu machen. „Wir erkennen an, dass wir eine wichtige Rolle dabei spielen, Ärzte über unsere Medikamente zu informieren, aber das muss klar und transparent erfolgen und darf keine Interessenskonflikte auslösen“, sagte Witty damals. 

Branchenexperten von „Eye for Pharma“, eine auf die Branche spezialisierte britische Analysefirma, haben dies zum Anlass genommen, die Metamorphose von GSK, aber auch von anderen Unternehmen, genauer anzusehen und eine erste Bilanz zu ziehen. Zwar haben die Pharmakonzerne in der vergangenen Dekade Einiges getan, um ihre Profitabilität zu erhöhen – bspw. durch Übernahmen und Zusammenschlüsse, striktes Kostenmanagement und Restrukturierungen. Doch das Ansehen der Branche hat sich nicht wesentlich verbessert. Hohe Arzneimittelpreise, bezahlte Studien und unethische Verkaufspraktiken untermauern immer wieder den negativen Eindruck von Big Pharma in der Öffentlichkeit.

Monatliche Verkaufsziele für Pharma nicht sinnvoll

Das gilt auch für die Beziehung zwischen der Pharmaindustrie und Ärzten. „Die aktuelle Situation ist alles andere als ideal“, zitiert Eye for Pharma Martin Makary, Professor an der Johns Hopkins University. Das Verhältnis von Pharma und Medizinern sei geprägt von Interessenkonflikten. „Es ist schlecht für die Patienten, wenn Pharmavertreter danach bezahlt werden, wie viele Arzneimittel sie verkaufen. Monatliche Verkaufsziele mögen im Einzel- oder Autohandel Sinn machen, nicht aber im Gesundheitswesen“, so Makary. Professor Michael Rawlins, Vorsitzender der britischen Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency, fügt hinzu: „Ärzte sollten nicht Teil der Marketingaktivitäten der Pharmaindustrie sein.“ Allerdings weist er auch darauf hin, dass das Thema nicht nur schwarz oder weiß betrachtet werden könne. „Wenn ich als Unternehmen klinische Studien durchführe, möchte ich diese auf wissenschaftlichen Meetings präsentieren. Ist das falsch? Ist das Marketing?“

Angesichts der seit Jahren anhaltenden Kritik an den Praktiken der Pharmaindustrie haben laut Eye for Pharma mehrere Unternehmen begonnen, traditionelle Strukturen und Verhaltensweisen aufzubrechen, bessere Verbindungen zu ihren Kunden aufzubauen und an ihrem öffentlichen Ansehen zu arbeiten. Kaum ein Unternehmen sei dabei so radikal vorgegangen wie GSK. Rund drei Jahre nach dem Start fragen die Analysten nun, ob sich der Wandel des Pharmariesen wirklich ausgezahlt hat – nicht nur im Renommee und in der Qualität der Kundenbeziehungen, sondern auch auf der wirtschaftlichen Ebene.

Kommunikative Kompetenz

Ein Aspekt der GSK-Reformen betrifft die Bezahlung der Außendienstmitarbeiter. Während sich deren Entlohnung in der Vergangenheit am Volumen der verkauften Arzneimittel orientierte, seien mittlerweile drei Faktoren maßgeblich: Inhaltliche und kommunikative Kompetenz der Außendienstler, das Feedback der Kunden und die Gesamtperformance des Unternehmens.

Darüber hinaus stellte GSK den Umgang mit Ärzten auf eine neue Basis. So werden Mediziner, die im Namen des Unternehmens auf Veranstaltungen auftreten, nicht mehr bezahlt.

Schließlich hat der Konzern die Kommunikation mit den Ärzten verändert und nutzt dafür heute vielfach Webinars, Expertendiskussionen und Social-Media-Plattformen. Mittels dieser Instrumente will GSK zugleich besser verstehen, welche Bedürfnisse Ärzte haben.

Ein weiterer Aspekt des Kulturwandels zielt auf eine größere Transparenz bei klinischen Studien. So schaltete GSK 2013 ein gesichertes Onlineportal frei, das externen Forschern erlaubt, anonymisierte Patientendaten aus klinischen Tests herauszulesen. Damit, so die Erwartung, soll die weitere wissenschaftliche Arbeit gefördert werden.

Mit klaren Worten äußerte sich das Unternehmen zu den Gründen dieser Neuausrichtung: „Wir haben diese Veränderungen gemacht, weil wir glauben, dass die bisherige Vorgehensweise überholt ist und nicht effektiv für die Patienten, das medizinische Fachpersonal und die Pharmaindustrie.“

Vorbehalte von Mitarbeitern

Doch die Verwandlung verlief nicht problemlos. So erwiesen sich die Größe des Unternehmens, aber auch die Vorbehalte von Mitarbeitern als Herausforderung. Der Konzern investierte daher stark in die Fortbildung seines medizinischen-, Marketing- und Verkaufsteams. Zusätzlich holte GSK neue Leute in das Unternehmen, die den veränderten Kurs mittrugen. „Es bedurfte einer starken Führung und intensiven Kommunikation. Die Führungskräfte mussten in dem Veränderungsprozess eine sichtbare Rolle spielen“, zitiert Eye for Pharma George Katzourakis, Senior Vice President Europe von GSK.

Auch externe Beobachter zeigten sich skeptisch, insbesondere mit Blick auf die Entkoppelung von Bezahlung und Verschreibungsvolumen im Außendienst. Viele Ärzte waren zudem verwundert, dass sie plötzlich nicht mehr mit Geld oder üppig ausgestalteten Fortbildungen umgarnt wurden.

Trotz der neuen ethischen Denke verfolgt GSK unverändert wirtschaftliche Ziele. „Der Erfolg jedes Pharmaunternehmens hängt davon ab, dass möglichst viele Patienten vom Nutzen der Arzneimittel profitieren. Wir wählen heute schlichtweg einen anderen Weg, um dies zu erreichen“, stellt Katzourakis fest. Oder wie es Victoria Williams, Vice President und Sales Director von GSK Frankreich, formuliert: „Verkaufen ist kein schlechtes Wort, wenn es richtig gemacht wird.“

Tatsächlich scheint sich das neue Modell auch wirtschaftlich auszuzahlen. Seit dem Start des Programms steigen die Wachstumskennziffern stärker als erwartet. Neue Produkte sollen sich nach Unternehmensangaben gut verkaufen.

Besseres Ansehen

Auch das Ansehen des Konzerns scheint sich verbessert zu haben. Eye for Pharma verweist auf eine Umfrage unter 3.500 US-Ärzten von 2015. Demnach ist GSK das Unternehmen, dem die Befragten am meisten Vertrauen und Wertschöpfung attestieren. Zudem hat GSK im Access to Medicine-Index mittlerweile zum fünften Mal den ersten Platz belegt. Der Index misst, was die Unternehmen tun, damit auch Patienten in Entwicklungsländern Zugang zu wichtigen Arzneimitteln erhalten. Kaum anzunehmen, dass Emma Walmsley (47), die seit Ende März 2017 den Konzern leitet, diesen Kurs grundsätzlich ändern wird.

Angesichts der Entwicklung GSK´s vom Schmuddelkind zum Vorzeigeunternehmen stellt sich die Frage, ob dieser Gesinnungswandel auch für andere ein Vorbild sein kann? „Wenn ich ein Vorstandschef wäre, würde ich auf jeden Fall ein Auge darauf haben“, sagte John LaMattina, ehemaliger Forschungs-und Entwicklungs-Chef von Pfizer. Einige Firmen reagieren bereits. So kündigte Novartis im Juli 2016 an, das Sponsoring bei Kongressbesuchen zu reformieren und die Bezahlung von externen medizinischen Sprechern zu begrenzen. Auch Bristol Myers Squibb teilte mit, in China künftig keine Redner mehr zu bezahlen.

Eye for Pharma kommt zu dem Fazit, dass ein Mittelweg zwischen Ergebnis- und Kundenorientierung für Arzneimittelhersteller Sinn macht. Dabei sollte das Feedback der Ärzte genutzt werden, um die Performance des Außendienstes zu verbessern. Außerdem zeige das GSK-Modell, dass ein solcher Wandel eine starke Führungspersönlichkeit verlange, die Veränderungen auch gegen starke Widerstände durchsetzen könne.

Inwieweit sich das GSK-Modell tatsächlich durchsetzt, hängt nach Einschätzung von Murray Stewart, Chief Medical Officer des Konzerns, aber auch davon ab, wie sich die Ärzte künftig verhalten. Die dürften immer öfter die Wahl haben zwischen einem Meeting in einem Fünf-Sterne-Hotel mit vielen Annehmlichkeiten einerseits und der Teilnahme an einem wissenschaftlichen Austausch in einem kleinen Hotel ohne Essen und Programm andererseits.

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