Chemie & Life Sciences

Global Player mit Biotech-Kultur

Deutschland ist für den US-Biotechkonzern Amgen der weltweit zweitwichtigste Standort. Deutschland-Chef Manfred Heinzer erläutert im Interview, warum das so ist.

18.05.2022 - Amgen Deutschland-Chef Manfred Heinzer warnt vor einer Verschlechterung der pharmapolitischen Rahmenbedingungen.

Der 1980 gegründete US-Biotechkonzern Amgen betreibt in München an zwei Standorten Forschung und Entwicklung, insbesondere im Bereich Onkologie, sowie klinische Entwicklung, Zulassung und Vertrieb von Arzneimitteln. Von den weltweit insgesamt 24.000 Mitarbeitenden beschäftigt das Unternehmen in Deutschland rund 750. Manfred Heinzer, seit Herbst 2020 Vice President und General Manager der deutschen Amgen-Gesellschaft, warnt im Interview mit Thorsten Schüller vor einer Verschlechterung der grundsätzlich guten Rahmenbedingungen für die hiesige Biotech- und Pharmaindustrie.

CHEManager: Herr Heinzer, wie wichtig ist Deutschland für Amgen?

Manfred Heinzer: Die Bedeutung ist sehr hoch. Innerhalb von Amgen ist Deutschland der weltweit zweitgrößte Standort nach den USA. In Europa ist Deutschland mit Abstand der größte Markt für Amgen. Hier haben wir die Möglichkeit, den Patienten sehr schnell Innovationen zur Verfügung zu stellen. Meistens sind wir dabei gleichauf oder nur ein bisschen hinter den USA. Von daher ist Deutschland eine Art Pilotmarkt. Darüber hinaus ist dieses Land bezüglich seines Potenzials und der großen Einwohnerzahl enorm wichtig. Zudem finden wir in Deutschland Rahmenbedingungen vor, die recht innovationsfreundlich sind. Das hat geholfen, die innovative Biotech- und Pharmaindustrie hierzulande strategisch aufzustellen und anerkannt zu werden.

 

„Deutschland ist eine Art Pilotmarkt.“


Diese Charakteristika zeigen sich auch bei den klinischen Studien. Deutschland ist für uns einer der Märkte, wo wir die meisten Studien durchführen. 2020/2021 waren es 44 Studien. Dabei haben wir mit über 200 klinischen Zentren kooperiert und knapp 590 Patienten eingeschlossen.

Die Schnelligkeit, die Sie erwähnt haben, sehen nicht alle so. Immer wieder ist Kritik zu hören, dass Deutschland bei der Umsetzung von Innovationen in konkrete marktreife Produkte zu langsam ist. Wie kommen Sie zu ihrer optimistischen Einschätzung?

M. Heinzer: Es kommt darauf an, welchen Aspekt man betrachtet. Wenn wir vom Zugang zu Innovationen sprechen, also dem Zugang zu neuen Medikamenten ab dem Moment, ab dem diese eine europäische Zulassung erhalten haben, ist Deutschland sehr schnell. Das liegt daran, dass es im ersten Jahr eine freie Preisbildung gibt, während parallel der AMNOG-Prozess stattfindet, also die Nutzen-Preis-Bewertung des neuen Arzneimittels. Nach einem Jahr müssen wir dann mit einem vereinbarten Preis den Markt bedienen. Diesen Mechanismus hat kein anderes europäisches Land. Das hilft, dass Patienten schnell von Innovationen profitieren können.

Und worin zeigt sich die Innovationsfreudigkeit von Deutschland?

M. Heinzer: Generell muss man sagen, dass die Biotech- und Pharmaindustrie ein strategischer Wachstumsmotor für Deutschland ist. Die Politik hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten große Fortschritte gemacht und Impulse gesetzt, damit die Innovation florieren konnte. Das haben wir insbesondere während der Covid-19-Pandemie mit der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs gesehen. Außerdem gibt es in Deutschland verlässliche Rahmenbedingungen wie den erwähnten AMNOG-Prozess und den Patentschutz. Risikoreiche Investitionen in Biotech- und Pharmaansätze werden damit honoriert.
Darüber hinaus gibt es in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern viele gut ausgebildete Wissenschaftler, die zwischen Industrie, Universität und den medizinischen Einheiten cross-funktional zusammenarbeiten und damit einen wertvollen Kosmos bilden.

Sie sagen, dass Innovation in Deutschland honoriert werde. Meinen Sie damit, dass hierzulande bessere Preise für Arzneimittel gezahlt werden als in anderen Ländern?

M. Heinzer: Die Preise für innovative Arzneimittel orientieren sich immer auch an der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Andererseits sind im deutschen Gesundheitswesen Mechanismen eingebaut, die däm­pfend auf die Preise wirken. Das gilt beispielsweise, wenn ein Produkt generisch wird, also seinen Patentschutz verliert. Oder wenn das Patent von Biologika abläuft und der Weg frei wird für sogenannte Biosimilars. Dann wirken große Kräfte, die den Preis stark reduzieren. Das finden wir richtig, denn letztlich schließen wir als Industrie einen Vertrag mit der Gesellschaft. Dieser Vertrag erlaubt es, dass innovative und wertvolle Medikamente honoriert werden, während Biosimilars oder Generika deutliche Einsparungen erbringen.

Die neue Bundesregierung ist nun bereits einige Monate tätig. Können Sie erkennen, in welche Richtung die Koalition in der Gesundheits- und Pharmapolitik geht?

M. Heinzer: Wir sehen bisher Ansätze, wie das Loch bei den Gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von schätzungsweise 17 Mrd. EUR gefüllt werden soll. Für uns ist wichtig, wie sich die Politik hier aufstellt. Setzt sie weiter auf Innovation und Unterstützung der Forschung? Oder setzt sie auf kurzfristige Einsparungen, die diametral entgegengesetzt sind zu dem, was sich die Regierung eigentlich vorgenommen hat? Letzteres wären relativ schlechte Zeichen für uns als innovative Pharma- und Biotechindustrie.

 

 

„In Deutschland finden wir Rahmenbedingungen vor,
die recht innovationsfreundlich sind.“

 

Denn ohne die Wertschätzung für Innovationen wird sich die wirtschaftliche Leistung der Industrie nicht voll entfalten können. Dafür müssen einerseits das reine Kostendenken überwunden und andererseits die Gesamtkosten im Gesundheitswesen wie auch den volkswirtschaftlichen Nutzen unserer Industrie in Betracht gezogen werden, da Arzneimittel Folgekosten in anderen Sozialversicherungsbereichen sparen. Letztlich muss es eine vernünftige Balance zwischen medizinischem Fortschritt und Kostenkontrolle geben.

Können Sie konkreter werden?

M. Heinzer: Die Ampelregierung bekennt sich zu Forschung und Entwicklung. Das stimmt uns eigentlich sehr zuversichtlich. Gleichzeitig zeigen sich ein paar schwarze Wolken. Wenn die Weichen nicht richtig gestellt werden, könnte es beispielsweise sein, dass neue Herstellerrabatte eingeführt werden. Da gibt es offensichtlich einige Ideen. Wenn die so durchkämen, wären die für uns schwer zu verdauen. Damit könnten wir Investitionen nicht mehr so wie bisher in Richtung Deutschland lenken, denn wir stehen im Wettbewerb mit den ganz großen Nationen – insbesondere USA und China.

Werfen wir einen Blick auf Ihre Entwicklungspipeline. Mit welchen innovativen Produkten werden sie künftig in Deutschland auf den Markt kommen?

M. Heinzer: Der Fokus liegt bei Amgen auf schwerwiegenden Erkrankungen, wo es einen hohen medizinischen Bedarf gibt. Dabei wollen wir immer zuerst die Biologie verstehen, ehe wir ein Medikament entwickeln. Wir verfolgen eine Vielzahl neuer Ansätze. Das gilt insbesondere für unsere monoklonalen Antikörper. Spannend ist auch ein Tochterunternehmen von uns, DeCode Genetics in Island, welches über 1,5 Mio. Genome entschlüsselt hat.

 

„Wir wollen immer zuerst die Biologie verstehen,
ehe wir ein Medikament entwickeln.“

 

Das hilft uns, Krankheiten besser zu verstehen und die Verknüpfung zwischen Genetik und methodischen Ansätzen voranzubringen, bevor wir in teure klinische Forschungen und Entwicklungen investieren. Auf diese Weise können wir unsere Erfolgschancen deutlich erhöhen.
Darüber hinaus konnten wir kürzlich ein innovatives Medikament im Bereich Onkologie auf den Markt bringen. Es handelt sich um ein Präparat gegen das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, welches auf die Treibermutation KRAS-G12C anspricht. Bislang ist es keinem Unternehmen gelungen, für diese spezielle Mutation ein personalisiertes Medikament zu entwickeln. Das ist uns jetzt als erstes Unternehmen geglückt.
Beim Prostatakarzinom verfolgen wir aktuell vier Ansätze, die auf unterschiedlichen technologischen Plattformen basieren und von denen wir uns vieles versprechen. Eine davon ist die BiTE-Technologie. Die Abkürzung steht für Bispecific T-Cell Engager-Moleküle. Mit dieser Plattform ist unsere deutsche Forschungsgesellschaft in München weltweit führend.

Die Forschungen an der BiTE-Technologie laufen schon viele Jahre. Wann rechnen
Sie hier mit konkreten Produkten?


M. Heinzer: Wir haben bereits 2015 unsere erstes BiTE-Molekül zur Marktreife gebracht. Es setzt bei der akuten lymphatischen Leukämie an und ist sehr wertvoll bei austherapierten Patienten. Mit weiteren derartigen Ansätzen wollen wir in einigen Jahren auf den Markt kommen.

Ist die mRNA-Technologie für Amgen von Interesse?

M. Heinzer: In der Tat ist die mRNA-­Technologie auch für Amgen sehr interessant. Wir investieren gezielt und signifikant in diesen Bereich, den wir als eine potenziell neue Innovationswelle sehen. Aktuell ist für uns allerdings die BiTE-Technologie weltweit treibend. Hier schauen wir auch, welche spannenden Start-ups es in dem Segment gibt. Sehr interessant ist für uns zudem die angewandte siRNA-Technologie. Dabei handelt es sich um kurze RNA-Fragmente, die im Organismus zum selektiven Abbau der komplementären mRNA führen und damit gezielt die Gen­expression und die Bildung von Proteinen verhindern. Hier sind wir bereits in einer fortgeschrittenen klinischen Entwicklung mit einem Präparat im kardiovaskulären Bereich.

Was sind Ihre Ziele als Chef der Deutschland-Organisation von Amgen? Wo möchten Sie das Unternehmen hinbringen?

M. Heinzer: Als zweitgrößte Niederlassung innerhalb von Amgen möchte ich diesen Stellenwert bestmöglich halten und ausbauen, indem wir frühzeitig in die medizinische und klinische Entwicklung involviert sind und Innovation schnell mit entwickeln. Außerdem möchte ich zusammen mit unseren internationalen Kolleginnen und Kollegen die Strategie weiterentwickeln, damit wir einen Mehrwert nicht nur für Deutschland, sondern für den ganzen Konzern erzielen können.

Amgen bezeichnet sich selbst immer noch als Biotechnologieunternehmen. Sind Sie aber nicht längst ein etablierter Pharmakonzern?

M. Heinzer: Unser Fokus liegt weiterhin auf der Biotechnologie. Das ist unsere Stärke und unsere Expertise. Weltweit sind wir das mit Abstand größte unabhängige Biotechunternehmen, wenn Sie aber mit der Bezeichnung die Begriffe „Start-up“, „Pionier“ und „klein“ verbinden, trifft das auf uns natürlich nicht mehr zu. Mit unserem Umsatz von 26 Mrd. USD und rund 24.000 Mitarbeitenden spielen wir eigentlich bei den Großen mit. Wir bemühen uns aber trotzdem, innovativ zu bleiben, schnelle Entscheidungen zu treffen und die Biotech-Kultur zu bewahren.

Das Interview mit Manfred Heinzer führte Thorsten Schüller, CHEManager

ZUR PERSON
Manfred Heinzer (58) blickt auf eine lange internationale Karriere in der Pharmaindustrie zurück. Der gebürtige Schweizer war über 20 Jahre für den Baseler Pharmakonzern Roche tätig, arbeitete aber auch für GSK und Gilead Sciences. Seit September 2020 ist er Vice President und General Manager der Amgen GmbH in München. Heinzer hat Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule St. Gallen studiert und besitzt einen MBA-Abschluss der Wirtschaftshochschule INSEAD in Fontainebleau.

Downloads

Kontakt

AMGEN GmbH

Riesstr. 24
80992 München

+49 89 149096 0
+49 89 149096 2000