Anlagenbau & Prozesstechnik

Mehr Konnektivität

Durchgängiges Technologieportfolio für die Digitalisierung

20.03.2024 - Xaver Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Profibus Nutzerorganisation, erläutert die Bedeutung von MTP, Profibus, Profinet, Omlox und IO-Link für die Prozessindustrie.

Häufig scheitert eine effiziente Digitalisierung in der Prozessproduktion an fehlenden Daten aus der Anlage, genauer gesagt: Daran, dass Daten zwar vor Ort im Feldgerät in elektronischer Form vorhanden sind, es aber zu aufwändig ist, diese Daten in die IT-Systeme zu übertragen. Einfache Konnektivität ist gefragt, und es gibt Lösungen. CHEManager sprach darüber mit Xaver Schmidt, dem Vorstandsvorsitzenden der Profibus Nutzerorganisation (PNO) und von Profibus & Profinet International (PI). Das Gespräch führte Volker Oestreich.

CHEManager: Herr Schmidt, was haben die PNO und ihr internationaler Dachverband PI den Anwendern aus der Prozessindustrie an Technologien für die digitale Transformation zu bieten?

Xaver Schmidt: Die PNO feiert dieses Jahr auf der Hannover Messe ihr 35-jähriges Bestehen. Das von der PNO betreute Portfolio ist stetig gewachsen und PI besitzt heute ein durchgängiges Technologieportfolio für die Digitalisierung, das sich von der Verkabelungstechnik bis zur Cloud-Konnektivität erstreckt. Dieser ganzheitliche Ansatz zielt darauf ab, die digitale Transformation für Hersteller und Anwender nahtloser und effizienter zu gestalten. Die Technologieportfolio-Elemente beinhalten zuerst die Spezifikation und Zertifizierung aller notwendigen Funktionen für eine Applikation, wobei die Usability stets im Vordergrund steht. Die Entwicklung erfolgt in enger Abstimmung mit den Anwendern und basiert auf realen Use Cases. Dieser praxisnahe Ansatz stellt sicher, dass die Technologien den Bedürfnissen der Anwender gerecht werden. Die umfangreiche Palette an Lösungen umfasst neben Spezifikationen und Zertifizierungen auch praxisgerechte Richtlinien sowie die internationale Vermarktung. Ein wesentlicher Bestandteil unseres Vorgehens ist das kontinuierliche Scannen und Erweitern des Technologieportfolios. PI hat sich dazu verpflichtet, stets auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben und innovative Lösungen anzubieten.

Da fallen mir natürlich sofort die Drei-Buchstaben-Akronyme APL, MTP und NOA ein …

X. Schmidt: … die wunderbar aufzeigen, wie durch das Zusammenspiel von verschiedenen PI-Technologien durchgängige Gesamtlösungen gestaltet werden können und die den Erfolg sowohl der PI-Mitgliedsfirmen, aber vor allem auch den der Endanwender unterstützen, indem sie die digitale Transformation effizienter und reibungsloser gestalten.

Welche Bedeutung hat APL, der Advanced Physical Layer für Ethernet, für die Prozessautomatisierung?

X. Schmidt: Für den Einsatz eines Ethernet-basierten Kommunikationssystems bis zum Sensor in eigensicheren Bereichen gab es bis vor Kurzem noch keine geeignete standardisierte Lösung. Zu diesem Zwecke wurde das APL-Projekt in Kooperation mit den Organisationen FieldComm Group, ODVA und OPC Foundation ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Technologie Ethernet-APL zu spezifizieren und die Tools, Infrastruktur sowie Prozesse zur Sicherstellung der Konformität von Ethernet-APL-Schnittstellen in Produkten bereitzustellen.

Im Rahmen der von der Kooperation erstellten Spezifikationsdokumente für den eigensicheren Physical Layer für 2-Draht Ethernet haben unsere Experten von PI alle Aktivitäten für den Einsatz von Profinet in explosionsgeschützten Anwendungen der Prozessautomatisierung erfolgreich abgeschlossen und entsprechende Ergänzungen in der Profinet-Spezifikation vorgenommen. Dazu gehörten auch Arbeiten, das Profil für PA Devices für den Einsatz in Profinet-Geräten der Prozessautomatisierung zu optimieren. Zur Unterstützung eines einfachen herstellerunabhängigen Gerätetauschs wurden entsprechende Profil-GSDs bereitgestellt. Der letzte Schritt war die Bereitstellung eines vollständigen Zertifizierungstests für Profinet-over-APL-Geräte.

 

Gibt es hierfür schon zugelassene PI-Testlabore und auch schon zertifizierte Geräte?

X. Schmidt: Ja, beides trifft zu. Zur Sicherstellung eines hohen Maßes an Interoperabilität von Produkten unterschiedlicher Anbieter von Beginn an hat die Test System Development Group die Arbeiten für die Bereitstellung von Zertifizierungstests in bewährter und anerkannter Weise koordiniert. Zum Umfang gehören unter anderem zusätzliche APL-spezifische Test Cases für die Überprüfung der Profinet -Kommunikation, die Festlegung eines APL-spezifischen Test-Setups für Interoperabilitätsszenarien und die Bereitstellung eines Tests für Funktionen für das Profil für PA Devices.

Die Zertifizierungstests und -tools für den Physical Layer wurden im Rahmen der Kooperation mit den anderen Organisationen bereitgestellt. Sie sind damit gleich für alle darüberliegenden Kommunikationssysteme und müssen per Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung für die gleiche Hardware-Version eines Produkts nur einmal durchgeführt werden. Damit steht der Zertifizierungstest in qualifizierten PI-Testlaboren allen Herstellern von Profinet-over-APL-Geräten zur Verfügung – auch in Verbindung mit FDI, der Field Device Integration, zur Integration in übergeordnete Systeme. Damit lässt sich nun eine digitale Anbindung von Feldgeräten über Zweidrahtverbindung, die auch im Bereich Explosionsschutz eingesetzt werden können, realisieren. Erste Zertifikate wurden noch vor der SPS 2023 erstellt.

Profinet over APL ist also für den Einsatz in der Prozessautomatisierung ertüchtigt, und das bestätigen auch die Endanwender, die in der Zwischenzeit die Eignung in zahlreichen Laborinstallationen positiv bewertet haben. Am nächsten Thema arbeitet PI in Abstimmung mit End­anwendern aus der Prozessindustrie bereits: Es ist die Erweiterung des Standards für die funktionale Sicherheit mit Profisafe.

 

„MTP als fünfte und neueste Haupttechnologie der PI ist der Schlüssel für flexible verfahrenstechnische Produktionsanlagen.“

 

Da geben Sie mir gleich das nächste Stichwort: Keine Safety, also funktionale Sicherheit, ohne Security, also Cybersicherheit. Wie sieht es damit bei Profinet aus?

X. Schmidt: Security im Bereich der OT, der operativen Technologie, erweist sich in der Tat als entscheidende Voraussetzung für eine sichere Daten­erfassung, die für die Realisierung von Digitalisierungsprojekten von großer Bedeutung ist. PI hat bereits vor einiger Zeit erkannt, dass grundlegende Anforderungen im Bereich der OT-Sicherheit von höchster Wichtigkeit sind. In den technischen Arbeitskreisen wurden schrittweise Spezifikationen, Proof-of-Concepts und Richtlinien erarbeitet. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, den Umfang beherrschbar und flexibel anzupassen.

Die Profinet Security Class 1 ist nun in die konkrete Umsetzung übergegangen. Zu diesem Zweck hat PI eine Infrastruktur für die Signierung der GSDs aufgebaut. Die grundlegenden Elemente für die SecurityClass 2 und 3 wurden in den letzten Spezifikationen festgelegt, darunter die Definition von Krypto-Algorithmen und das Handling von Zertifikaten. Dadurch konnten Hardware- und Firmwarehersteller bereits mit der Entwicklung beginnen. Derzeit werden die letzten Funktionen, die teilweise auch von der IEC 62443 abgeleitet sind, im Detail spezifiziert, einschließlich des Security Reportings. Parallel dazu bauen wir die Zertifizierung auf. Das Ergebnis wird eine anwendbare und anerkannte Security-Technologie sein, die den Anforderungen entspricht und in enger Abstimmung mit den Herstellern, Anwendern sowie einschlägigen Instituten und Behörden entwickelt wurde.

Kommen wir zum Thema Modularisierung. Hier soll MTP, das Module Type Package, zur Flexibilisierung der Produktion und Einsparungen im Engineering beitragen.

X. Schmidt: MTP als fünfte und neueste Haupttechnologie der PI ist der Schlüssel für flexible verfahrenstechnische Produktionsanlagen. In Kooperation mit Experten der NAMUR und des ZVEI werden die auf Basis der im VDI/GMA entstandenen Dokumentenstände in eine stabile Version gebracht und stehen kurz vor der Veröffentlichung. PI ist der Host für diese Technologie, und die MTP-Aktivitäten haben kräftig Fahrt aufgenommen.

Zur Sicherstellung der Qualität von Implementierungen wurde die Joint Working Group “MTP Quality” aktiviert, deren Aufgabe es ist, im ersten Schritt die Anforderungen und Randbedingungen für Zertifizierungstests zu definieren, die die Grundlage für die Umsetzung in Testtools und für die Durchführung von Zertifizierungstests bilden.

In der JWG “Runtime Interoperability” werden weitere MTP-Spezifikationen entstehen, die die Interoperabilität von MTP-Modulen während der Laufzeit sicherstellen sollen. Zeitgleich sind Aktivitäten zur internationalen Standardisierung von MTP aufgenommen worden, die als Norm IEC 63280 bereitgestellt werden. Die Koordination der Spezifikationsarbeiten, der Qualitätssicherung und der internationalen Standardisierung erfolgt durch die Kooperationspartner in dem hierfür gegründeten Steering Committee.

Das Interesse an MTP ist sowohl bei den Anwendern als auch bei den Herstellern groß. Dies zeigt sich nicht nur durch die Anbietervielfalt auf den Multivendor-Live-Demos und an dem großen Interesse auf den Messen in Hannover, Nürnberg und Singapur im vergangenen Jahr, sondern auch an der regen Beteiligung von zahlreichen Experten in den Joint Working Groups.

Sie haben MTP als die fünfte PI-Technologie bezeichnet – nach Profibus und Profinet sind dann IO-Link und Omlox die Nummern drei und vier. Haben die auch Bedeutung für die Prozessindustrie?

X. Schmidt: Auf jeden Fall. Bei der Digitalisierung der Anlagen mit Ethernet ermöglicht es IO-Link, auch einfache Geräte digital zugänglich zu machen. Und Omlox, unser Ortungsstandard, adressiert ein sehr breites Spektrum an Anwendungsfällen, die zum Beispiel in der Logistik relevant sind für das Tracking von Dingen wie Containern, Fahrzeugen oder auch von Personen bei der Wartung im Feld, einschließlich sicherheitsbezogener Anwendungen wie der Alleinarbeiterschutz in der Prozessindustrie.

Mit welchen Highlights wird PI auf der Achema 2024 vom 10. bis 14. Juni in Frankfurt vertreten sein?

X. Schmidt: Da möchte ich jetzt noch nicht zu viel verraten, aber auf jeden Fall werden Applikationen zu MTP und Feldgeräte mit APL-Konnektivität und dem PA-Profil im Vordergrund stehen. Damit kann dann auch NOA, die NAMUR Open Architecture, an Leben gewinnen – und wir haben Ihre drei Drei-Buchstaben-Akronyme noch einmal aufgegriffen.

 

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