Chemie & Life Sciences

Recyclingprozesse zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen

Stoffkreisläufe zu schließen ist für die Prozessindustrie in der Zukunft eines der wesentlichen Themen

12.05.2021 - Was hat Mode mit der Prozessindustrie zu tun?

Für beide Branchen ist Recycling ein großes Thema, und deshalb arbeiten beide mittlerweile zusammen, um den Pulli vom letzten Jahr in das Sommertop für die nächste Saison zu verwandeln. Das ist nur ein Beispiel für die vielen neuen Wege, die die Prozessindustrie dem Recycling eröffnet.

Angesichts der Ziele für die Circular Economy in Deutschland, Europa und weltweit ist das Recycling auf verschiedenen Stufen einer der großen Trends, die die Prozessindustrie derzeit prägen.
Die Recyclingquote von Kunststoffen liegt in Deutschland seit Jahren bei fast 100 %. Ist die Kreislaufwirtschaft also schon verwirklicht und alles in Ordnung? Leider nein. Wer genauer in die Statistiken etwa des Umweltbundesamtes schaut, findet ein differenzierteres Bild. Demnach wurden 2019 46 % aller gesammelten Kunststoffabfälle werkstofflich und weniger als 1 % rohstofflich verwertet.

53 % der Abfälle wurden energetisch verwertet, also verbrannt. Wollen wir uns von fossilen Rohstoffen unabhängig machen und die Energieerzeugung klimaneutral gestalten, müssen die Quoten für die stoffliche Verwertung deutlich erhöht werden.

Wie unterscheiden sich die Varianten der stofflichen Verwertung?

Beim mechanischen oder werkstofflichen Recycling bleibt die molekulare Struktur des Materials unverändert. Werkstoffe wie Glas oder Kunststoff werden gereinigt, eingeschmolzen und neu geformt. Damit eine gleichbleibende Qualität gewahrt wird, müssen die Stoffströme sehr sauber sein. Ein wichtiger Faktor, der darüber entscheidet, wie „eng“ sich Stoffe im Kreislauf führen lassen, sind deshalb die Sortenreinheit des eingesetzten Materials und inwieweit es durch den Gebrauch verunreinigt wurde. Das setzt bisher der Wiederverwertung häufig Grenzen oder führt dazu, dass anstelle des „Recycling“ das „Downcycling“ tritt, also der Einsatz in weniger hochwertigen Anwendungen.

Vom T-Shirt zum T-Shirt

Kleidung ist dafür ein typisches Beispiel. Textilien aus Mischgewebe lassen sich bisher kaum wieder zu hochwertigen Textilien verarbeiten. Weniger als 1 % der Textilien werden heute am Ende ihrer Nutzungsdauer wieder zu Kleidung verarbeitet; das meiste landet entweder in Putzlappen, Dämmstoffen oder auf der Deponie.

Das britische Start-up Worn Again Technologies will das ändern. Gemeinsam mit Partnern wie H&M und Sulzer arbeitet das Unternehmen daran, seine Technologie zur Trennung und Wiederverwertung von PET, Polyester und Baumwoll-Mischgeweben in den industriellen Maßstab zu überführen. Dazu werden die Komponenten voneinander getrennt und aufbereitet. Am Ende steht zum einen PET-Granulat in höchster Qualität. Aus den Baumwollkomponenten wird Zellulose-Zellstoff gewonnen, der zu Viskose und Lyocell verarbeitet werden kann.

Um diesen Kreislauf zu schließen, braucht es das Wissen aus der Prozessindustrie über Trennen und Mischen und natürlich Polymerisation – einer der Gründe, warum Sulzer Chemtech sich als strategischer Partner und Investor in das junge Unternehmen eingebracht hat. Aktuell arbeiten die Teams daran, eine Demonstrationsanlage mit einer Kapazität von 1.000 t/ a aufzubauen.

Sollbruchstellen fürs Recycling

Was aber, wenn sich die Stoffe nicht so einfach trennen oder reinigen lassen? Das Team um Professor Alexander van Herk vom ASTAR in Singapur setzt auf eine bessere Rezyklierbarkeit von Kunststoffen, indem Sollbruchstellen in die Polymere eingebaut werden. Unterstützt durch Simulationsverfahren werden diese Sollbruchstellen gleichmäßig über die Polymerketten verteilt. So wird sichergestellt, dass die resultierenden Bruchstücke ungefähr gleich lang und damit homogen und gut zu verarbeiten sind. Die „Weak Links“ sind so konstruiert, dass das Polymer im normalen Gebrauch allen Anforderungen standhält. Erst bei definierten pH-Werten oder durch andere Trigger, die in der Recyclinganlage erreicht werden, können Bakterien die Bruchstellen „knacken“ und das Material in Oligomere aufspalten. Diese lassen sich leichter reinigen und trennen als die großen Polymerketten und können dann wiederverwertet werden.
Bei manchen Produkten ist Recycling aber keine Option. Polymere aus Lacken oder aus Kosmetika bspw. landen selbst bei ordnungsgemäßem Gebrauch in der Umwelt und können nicht gesammelt werden. Hier können die Sollbruchstellen dabei helfen, die Kunststoffe besser bioabbaubar zu machen. Resultierende Bruchstücke mit einem Molekulargewicht von 1.000 Dalton oder weniger können nach Angaben von van Herk von Mikroorganismen weiter abgebaut werden.  

 

„Wollen wir uns von fossilen Rohstoffen unabhängig machen, müssen die Quoten für die stoffliche Verwertung deutlich erhöht werden.“

 

Bis zum Monomer und weiter

Noch einen Schritt weiter geht das chemische Recycling. Hier werden die Kunststoffe in ihre Monomere zerlegt und dann wieder als Rohstoff genutzt. Die Produkte sind „Virgin Grade“, d.h. ihre Qualität entspricht der des Ausgangsmaterials. So lassen sich auch aus recycelten Kunststoffen Materialien herstellen, die bspw. die hohen Ansprüche für Lebensmittelverpackungen erfüllen. Lösungen dazu hat u. a. Uhde Inventa-Fischer für Polymere wie PET, PA und PLA entwickelt. Die modernen Verfahren machen es möglich, 50 % der Rohstoffe durch recyceltes PET zu ersetzen, ohne dass dabei die Qualität der Produkte leidet. Der Schlüssel dazu ist der Einsatz eines Reaktors, der Verunreinigungen bei Hochvakuum und hohen Temperaturen effizient entfernt. Außerdem setzen die Prozessentwickler auf die Integration und Vereinfachung von Prozessschritten.

Die BASF bleibt bei ihrem chemischen Recycling nicht beim Monomer stehen. Hier werden die Kunststoffe bei 450 bis 650 °C zu Öl pyrolysiert. Seine Zusammensetzung hängt von den eingesetzten Kunststoffabfällen ab. Das Pyrolyse­öl kann in die etablierten Verfahrensketten eingespeist werden und dort einen Teil der fossilen Rohstoffe ersetzen. Laut Andreas Kicherer von der BASF laufen die kommerziellen Pyrolyseanlagen derzeit mit einem Wirkungsgrad von 71 % und sollen zukünftig 75 − 80 % erreichen können. Das heißt, bis zu 80 % der Kunststoffabfälle werden zu Pyrolyse­öl umgewandelt, der Rest wird genutzt, um den Prozess mit Energie zu versorgen. Ähnlich wie beim Textilrecycling ergeben sich auch hier aus den neuen Verfahren neue branchenübergreifende Kooperationen: Erst Ende April kündigten die Ludwigshafener an, mit dem Entsorgungsdienstleister Remondis und dem norwegischen Energiekonzern Quantafuel gemeinsam eine Pyrolyseanlage für Kunststoffabfälle aufzubauen. Dabei liefert Remondis die Abfälle, Quantafuel betreibt die Anlage und BASF setzt das Pyrolyseöl als Rohstoff im Produktionsverbund ein.

Auch das chemische Recycling ist aber keine Universallösung. So funktioniert die Pyrolyse nur in sauerstofffreien Umgebungen, also auch nicht für Polymere wie Poly­ester, die Sauerstoff enthalten. PET wird häufig in Produkten wie Flaschen eingesetzt, die sortenrein und leicht zu sortieren sind – hier ist mechanisches Recycling die deutlich bessere Option. Welcher Recyclingprozess letztlich am besten geeignet ist, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, lässt sich am besten mit einer Lebenszyklusanalyse bestimmen. Ob Polymer, Monomer oder chemische Grundbausteine – Stoffkreisläufe zu schließen ist eines der ganz wesentlichen Themen, die die Prozessindustrie in der nahen und mittleren Zukunft beschäftigen werden.

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