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Unternehmenssicherheit in der Chemie- und Pharmaindustrie

13.11.2011 -

Unternehmenssicherheit in der Chemie- und Pharmaindustrie. Sicherheits- und Umweltbewusstsein sowie optimaler Schutz von Mensch, Umwelt und Technik sind besonders in der chemischen und pharmazeutischen Industrie ein Muss. Die Entwicklungen von immer komplexeren und komplizierteren Verfahrenstechniken und die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs verlangen nach flexiblen Sicherheitsstrukturen. Gefahrenabwehr und Risikobeherrschung sollen neben starken gesetzlichen Auflagen für ein Höchstmaß an Schadens prävention sorgen. Heiner Jerofsky, Kriminalrat a. D und wissenschaftlicher Schriftleiter der Fachzeitschrift „GIT Sicherheit & Management“ im GIT Verlag, versucht für solche global aufgestellten Produktionsbetriebe Grundzüge einer angemessenen Sicherheitsphilosophie zu entwickeln.

Risikostrukturen

Gerade in der Chemie- und Pharmabranche haben sich in den letzten Jahren die Risikostrukturen verändert. Dadurch ist es erforderlich, die Sicherheitsziele neu zu definieren und aktuelle Sicherheitsanalysen durchzuführen. Je nach Art der Produktion, der Infrastruktur, der Lage des Unternehmens und der Sensibilität der Produktionsverfahren sollte eine Ist-Bestandsaufnahme möglichst alle Risiken (realistische Gefahren und Schwachstellen) aufzeigen, wie z. B.

  • Höhere Gewalt, Naturereignisse und Umweltbeeinflussung,
  • Störfälle, Brände, Explosionen,
  • Betriebsunfälle, Gesundheitsgefahren,
  • technisches Versagen und Anlagenausfälle,
  • Energie- und IT-Ausfälle, Datenverlust,
  • Kriminalität (Eigentumsdelikte, Betrug, Veruntreuung von Firmengeldern, Korruption, Industriespionage, Wettbewerbsverletzungen, Produktpiraterie, Sabotage, Produkterpressungen, Bombendrohungen und Anschläge).

Für die Risikobewertung ist es erforderlich, Statistiken und Erfahrungswerte von Versicherern, Berufsgenossenschaften, Polizei und Sicherheitsdienstleistern heranzuziehen und sich von (externen) Sicherheitsfachleuten beraten zu lassen. Maßstab sind Eintrittswahrscheinlichkeit und die Höhe des befürchteten Schadens. Deshalb gilt: Je höher das Risiko und die Eintrittwahrscheinlichkeit, umso höher ist der Handlungsbedarf. Es ist auch zu unterscheiden, ob die Risiken hoch (existenzgefährdend) oder eher niedrig (ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigung) einzuschätzen sind.

Sicherheitsziele

Gemäß den Prioritäten aus der Sicherheitsanalyse werden Schwachstellen, Bedrohungen und Risiken durch technische, personelle oder organisatorische Maßnahmen minimiert. Das gemeinsam mit der Geschäftsleitung vorgegebene Sicherheitsziel soll in erster Linie

  • die Gesundheit der Mitarbeiter und Besucher bewahren,
  • Betriebseinrichtungen und Know-how schützen und damit
  • die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Produktions- und Lieferfähigkeit des Unternehmens erhalten.

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Sicherheitskonzept alle gesetzlichen Vorgaben einschließt. Es berücksichtigt das komplette Zusammenspiel aller bisherigen Sicherheitsmaßnahmen und sollte sich wie folgt gliedern:

  • Standort, Verkehrswege und Nachbarschaft,
  • Perimeterschutz (Verlauf und Konstruktion),
  • Zugangs- und Zufahrtskontrolle,
  • Schutz besonders gefährdeter Bereiche,
  • Werkschutzorganisation und -einrichtungen,
  • Gefahrenmeldesysteme und Kommunikationstechnik,
  • Maßnahmen des vorbeugenden und abwehrenden Brandschutzes,
  • Maßnahmen des Gesundheitsschutzes (Werksarzt, Sanitätsdienst),
  • Maßnahmen zur Arbeitssicherheit,
  • Maßnahmen zum Schutz der Umwelt,
  • Maßnahmen zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten.

Alle genannten Sicherheitsaufgaben werden heute nicht mehr getrennt voneinander gelöst, sondern fließen in einem integrierten Sicherheits- und Risikomanagement zusammen.

Sicherheitsorganisation

Sie umfasst die Planung, Steuerung und Kontrolle der gesamten Sicherheit des Unternehmens. Diese Managementaufgaben beziehen sich dabei auf Werk- und Brandschutz, IT-Sicherheit, Arbeits- und Betriebssicherheit. Hier müssen u. a. folgende Aufgaben, die insbesondere für die chemische und pharmazeutische Industrie wichtig sind, koordiniert und gelöst werden:

  • Schutz von neuen und bestehenden Anlagen und Betriebsbereichen gegen natürliche, umgebungs- und betriebsbedingte Gefahrenquellen,
  • Einrichtung einer Datenbank zur Analyse sicherheitsrelevanter Ereignisse,
  • Sicherheitsverantwortung bei Störfall betrieben in Industrieparks,
  • Sicherung von Industrieanlagen gegen Eingriffe Unbefugter,
  • Umgang und Lagerung von Gefahrstoffen,
  • Aufbau oder Optimierung einer IT-Sicherheitsorganisation,
  • Coaching für die beteiligten und betroffenen Mitarbeiter,
  • Erarbeitung von Vorlagen und Checklisten.

Zu den strategischen Aufgaben der Sicherheitsorganisation gehören u. a.:

  • Bedrohung- und Schwachstellenanalysen,
  • Sicherheitsplanungen,
  • Erstellen von Sicherheitskonzepten und -zielen,
  • Festlegung der Verantwortung und
  • Kontrollen.

Integrierte Technik

Besonders in der chemischen und pharmazeutischen Großindustrie sind aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der einfacheren Handhabung technische Sicherheitssysteme in eine (innerbetriebliche) Sicherheitsleitstelle – vergleichbar mit einer erweiterten Notruf- und Serviceleitstelle (NSL) – zu integrieren. Hier laufen sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen zusammen, die für die Gefahrenabwehr und den sich daraus ergebenden Einsatz von Bedeutung sind. Dort werden u. a. folgende Techniken verknüpft und überwacht:

  • Zeitmanagement,
  • Zutrittskontrolle,
  • Perimeterschutz,
  • mechatronische Schließelemente,
  • Videolösungen,
  • Gebäudetechnik,
  • Kommunikationstechnologie,
  • Dokumentationstechnik,
  • EMA, ÜEA und BMA,
  • Zustandsüberwachungs- und Störungsmeldeanlagen,
  • Maschinen- und Anlagensicherheit.

Solche integrierten Systeme werden heute von führenden Herstellern angeboten und haben sich bereits in der Praxis bewährt. Durch die Kombination von standardisierter Automatisierungstechnik und Sicherheitstechnik ergeben sich schnelle Diagnosen und kurze Reaktionszeiten im 24-Stunden- Betrieb. Es versteht sich von selbst, dass an das Leitstellenpersonal hohe Anforderungen zu stellen sind.

Sicherheit = wenn nichts passiert?

In den vergangenen Jahren hat sich in der chemisch-pharmazeutische Industrie viel verändert. Es sind in allen Regionen große Industrieparks entstanden, die Hunderte von Einzelunternehmen in eine optimale Infrastruktur einbinden. Im Rahmen der Umstrukturierung vieler Großbetriebe, wie z. B. Höchst–Infraserv, Degussa–Evonik Industries, wurde viel in die Unternehmenssicherheit und den Umweltschutz investiert. In den Industrieparks werden Sicherheitsaufgaben (Werkschutz, Werkfeuerwehr) meist von leistungsstarken Dienstleistern des Parkbetreibers wahrgenommen. Dort werden die beschriebenen Sicherheitsziele in einem angemessenen Sicherheitskonzept umgesetzt, die Sicherheitsorganisation ähnlich gestaltet und integrierte Technik eingesetzt. Dieses Sicherheitskonzept beinhaltet den reibungslosen Betrieb und die regelmäßige Überwachung von Anlagen und Verfahren und den vorschriftsmäßigen Umgang mit chemischen Stoffen und Arzneimitteln. Es muss in dieser Branche zu den obersten Zielsetzungen gehören, Anlagen- und Arbeitssicherheit sowie Umweltschutz kontinuierlich zu gewährleisten und zu verbessern. Kommt es trotz aller vorbeugenden Maßnahmen zu einem Störereignis, dann muss der mit den Behörden abgestimmte Alarm- und Gefahrenabwehrplan greifen. Diese Überlegungen sollten aber auch in kleineren und mittleren Betrieben im Rahmen einer individuellen Sicherheitsplanung angewendet werden, denn auch einzelne Störfälle können dem Ruf einer ganzen Branche schaden und verängstigen die Bevölkerung in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Manche Fachleute glauben, dass Sicherheit der Zustand ist, wenn nichts passiert. Besser ist jedoch, wenn man allen bekannten und kalkulierbaren Schäden in technischer und personeller Hinsicht so ausreichend vorgebeugt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auf ein Minimum reduziert wird.