Forschung / Labor

Achema 2012: Gefährliche Stoffe in kleinen Reaktoren produzieren

Je größer das Reaktionsgefäß, desto schneller lassen sich Produkte herstellen - würde man meinen. Wie falsch man damit liegt, zeigen Mikroreaktoren: In ihnen lassen sich beispielsweise explosive Stoffe wie Nitroglycerin etwa zehnmal schneller fertigen als auf herkömmliche Art, und zudem viel sicherer.

Sollen Tunnel in einen Berg getrieben werden, greifen die Arbeiter zu Sprengstoffen: Der 15 Kilometer lange Gotthardtunnel beispielsweise wurde mit Sprenggelatine »gebaut«, die zu einem großen Teil aus Nitroglycerin - besser bekannt als Dynamit - besteht. Bei der Herstellung der Sprengstoffe ist äußerste Vorsicht geboten, schließlich sollen sie ihre Sprengleistung nicht im Labor entfalten. Da bei ihrer Produktion Wärme entsteht, muss es langsam gehen: Tropfen für Tropfen fließen die Reaktionspartner in die Rührkessel, in denen sich die Ausgangssubstanz befindet. Denn erwärmt sich das Gemisch zu stark, kann es zu Explosionen kommen. Es darf daher nicht mehr Wärme entstehen, als abgeführt werden kann.

Sicherer zum Sprengstoff
Eine Methode, das Nitroglycerin sicherer zu fertigen, haben Forscher am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal entwickelt: Einen Mikroreaktor-Prozess, der für diese Reaktion maßgeschneidert ist. Der Grund für die bessere Sicherheit liegt in den winzigen Mengen. Denn sind die Mengen kleiner, entsteht auch weniger Wärme. Zudem ist die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen sehr groß - das System lässt sich daher sehr gut kühlen.

Ein weiterer Vorteil: Der kleine Reaktor stellt den explosiven Stoff um ein Vielfaches schneller her als man es in Rührkesseln könnte. Denn im Gegensatz zum Rührkessel, der gefüllt wird und in dem dann langsam die Reaktion abläuft, arbeitet der Mikroreaktor kontinuierlich: Durch kleine Kanäle fließen »am laufenden Band« die Ausgangsstoffe in die Reaktionskammer, wo sie einige Sekunden lang miteinander reagieren, und dann durch weitere Kanäle in einen zweiten Mikroreaktor strömen, wo sie aufbereitet, also gereinigt werden. Denn das entstandene Produkt enthält noch Verunreinigungen, die aus Sicherheitsgründen entfernt werden müssen. Die Reinigung im Mikroreaktor funktioniert einwandfrei: Das hergestellte Produkt entspricht den Pharmaspezifikationen und kann in abgewandelter Form sogar in Nitrokapseln für Herzkranke verwendet werden. »Es ist bisher einmalig, dass Mikroreaktoren in einem Prozess sowohl für die Synthese eines Stoffes als auch für seine anschließende Aufarbeitung eingesetzt werden«, sagt Dr. Stefan Löbbecke, stellvertretender Hauptabteilungsleiter am ICT. Der Mikroreaktorprozess wird bereits erfolgreich in der Industrie angewendet.

Bei der Entwicklung eines Mikroreaktors passen die Forscher die Reaktoren jeweils an die gewünschte Reaktion an: Wie groß dürfen die Kanäle sein, damit die Wärme noch gut abgeführt werden kann? Wo müssen die Forscher Hindernisse in die Kanäle bauen, um die Flüssigkeiten gut zu durchmischen und die Reaktion gut ablaufen zu lassen? Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Geschwindigkeit, mit der die Flüssigkeiten durch die Kanäle strömen: Sie müssen zum einen genügend Zeit haben, um miteinander zu reagieren, andererseits soll die Reaktion beendet werden, sobald sich das Produkt gebildet hat. Sonst können zu viele unerwünschte Nebenprodukte entstehen.

Weniger Fehlstellen in Polymeren für organische Leuchtdioden
Auch wenn sich Mikroreaktoren für explosive Stoffe anbieten, ist ihr Anwendungsbereich damit keineswegs erschöpft: Die Forscher am ICT stellen Reaktoren für alle erdenklichen chemischen Reaktionen her - jeweils maßgeschneidert für die entsprechende Reaktion. Ein weiteres der zahlreichen Beispiele ist ein Mikroreaktor, der Polymere für OLEDs herstellt. OLEDs sind organische Leuchtdioden, die vor allem für Displays und Bildschirme verwendet werden. Die Polymere, aus denen sie bestehen, leuchten farbig. Bei ihrer Herstellung, ihrer Synthese, entstehen jedoch leicht Fehlstellen, die den Polymeren einen Teil ihrer Leuchtkraft nehmen. »Über eine genaue Prozessführung können wir die Zahl dieser Fehlstellen minimieren«, sagt Löbbecke. Dazu haben die Forscher die Reaktion zunächst ganz genau analysiert: Wann bilden sich die Fehlstellen aus? Wie schnell muss der Prozess laufen? »Viele Reaktionsvorschriften, die man von den großen Prozessen, den Batch-Prozessen, kennt, entpuppen sich als unnötig. Die Ausgangsstoffe brauchen oftmals nicht stundenlang zu kochen, stattdessen reichen ein paar Sekunden«, weiß der Forscher. Denn durch das lange Kochen können sich die Produkte wieder zersetzen oder ungewünschte Nebenprodukte bilden.

Um einen Mikroreaktor für eine neue Reaktion zu entwickeln und zu optimieren, sehen die Forscher sich die laufende Reaktion in Echtzeit an, sie schauen quasi in den Reaktor hinein. Hilfsmittel sind verschiedene Analyse-Verfahren: Einige, beispielsweise spektroskopische Verfahren, verraten ihnen, welche Stoffe im Mikroreaktor entstehen - und damit auch, wie sie die Ausbeute des gewünschten Produktes gezielt erhöhen können und Nebenprodukte nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen lassen. Andere Verfahren wie die Kalorimetrie geben den Wissenschaftlern Informationen über die Wärme, die sich bei der Reaktion entwickelt. Diese Messmethode verrät ihnen, wie schnell und vollständig die Reaktion abläuft. Sie gibt auch Hinweise darauf, wie die Prozessbedingungen gewählt werden müssen, um die Reaktion auf sichere Art ablaufen zu lassen. Auf der Messe Achema vom 18. bis 22. Juni in Frankfurt stellen die Forscher verschiedene Mikroreaktoren, Mikroreaktorprozesse und Prozessanalysetechniken vor.

Kontakt

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