Chemie & Life Sciences

Nutraceuticals: Vormarsch mit Hindernissen

Aktuelle Trends und regulatorische Besonderheiten

18.11.2010 -

Nutraceutical ist kein streng definierter Begriff, sondern er umfasst eine breite Produktgruppe von Lebensmitteln und Nährstoffen, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesagt wird. Das Interesse, sowohl von Industrie als auch Verbrauchern, ist groß und weiter wachsend, da mit solchen Produkten durchweg positive Eigenschaften assoziiert werden und dementsprechend das Markpotential enorm ist. Im Gegensatz dazu ist jedoch bei Experten, Konsumentenschützern und regulatorischen Behörden große Skepsis bzw. Vorsicht zu beobachten.

Entsprechend dem NBJ's Global Supplement & Nutrition Industry Report 2010 betrug der weltweite Umsatz für Nahrungsergänzungsmittel und funktionelle Lebensmittel (Functional Food) im Jahr 2008 170 Mrd. US-$. Allein für den Fischölmarkt (Omega-3-Fettsäuren) wird ein jährliches Wachstum von 24 % prognostiziert mit einem geschätzten Marktwert von 1,6Mrd.US-$ im Jahr 2014. Ein weiterer wichtiger Indikator für den Boom im Bereich der Gesundheitsnahrung (Health Food) ist die Ankündigung von Nestlé, dem weltweit größten Lebensmittelkonzern, von Ende September 2010 über die Gründung von Nestlé Health Science, einem Tochterunternehmen von Nestlé, das sich ausschließlich gesundheitsfördernder Nahrung widmen wird. Parallel dazu sollen 100Mio.CHF in ein Nestlé Institute of Health and Science investiert werden. Angesichts dramatisch zunehmender Gesundheitsprobleme wie Diabetes, Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Alzheimer etc. sind solche Entwicklungen unschwer nachvollziehbar.

Daneben ist jedoch eine völlig andere und neue Zielgruppe für Gesundheitsnahrung auszumachen, nämlich die nach Schönheit strebende Bevölkerung, sowohl Männer als Frauen. Nutricosmetics bzw. Cosmoceuticals sind die neu geschaffenen Begriffe für Schönheitsnahrung bzw. Schönheit von innen, und auch hier ist Nestlé mit seiner Marke Innéov führend.

Kurze wissenschaftliche Bewertung

Dass hinter diesen Konzepten eine gewisse wissenschaftliche Evidenz steht, erklärt sich angesichts der genannten Entwicklungen von selbst. Jedoch ist die wissenschaftliche Beweisführung noch lange nicht so weit, dass wir alle bereits morgen in den Genuss von konkreten Lebensmitteln speziell für unsere individuelle Situation kommen können. Kurz zusammengefasst sind die derzeit interessantesten Nährstoffe bzw. Lebensmittelbestandteile folgende: Vitamin D, Folsäure, Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien natürlichen Ursprungs (bekannte sind u. a. Polyphenole, Flavonoide, Anthozyane, Catechine, Resveratrol, Carotinoide), Prä- und Probiotika für die Darmgesundheit, cholesterinsenkende Phytosterole, aber auch sog. Phytoöstrogene (hormonähnliche Substanzen aus Pflanzen). Die klassischen Vitamine treten dabei deutlich in den Hintergrund, da immer klarer wurde, dass diese ihre Wirkung vor allem in der Synergie miteinander und mit weiteren Begleitstoffen aus den Lebensmitteln entfalten können. Zu lange wurden Vitamine (und Nährstoffe generell) und ihre Wirkungsweise mit Pharmezeutika verwechselt, was zu enttäuschenden Studienergebnissen mit diesen Stoffgruppen geführt hatte.

Dieses Denken ist jedoch noch lange nicht überwunden, und es besteht weiterhin die Gefahr, dass die Industrie nach einzelnen Substanzen forscht, die wie eine Wunderpille wirken sollen. Jedoch auch im Bereich der Wissenschaft und bei Konsumenten bestehen solche Erwartungen, die vielfach dem Wesen von Nahrung nicht entsprechen und deswegen leider auch immer wieder zu Enttäuschungen in den Bemühungen führen.
Der Kommunikation von relevanten Gesundheitsinformationen und der Ausbildung von Gesundheitsexperten kommen hier eine besondere Rolle zu, zu der die European Nu­traceutical Association ENA einen aktiven Beitrag leistet.

Regulatorisches

Die derzeit sicher größte Herausforderung im Bereich Nutraceuticals ist die seit dem 20.Dezember 2006 europaweit gültige Nutrition and ­Health Claims Regulation des Europäischen Parlaments und des Rates. Dabei soll geregelt werden, welche Aussagen zur Bewerbung von Lebensmitteln gemacht werden dürfen. Diese sollen nach streng wissenschaftlichen Kriterien gestattet oder aber untersagt werden. So willkommen diese Verordnung grundsätzlich im Sinne des Konsumentenschutzes ist, dass nur noch behauptet werden darf, was wissenschaftlich belegt ist, so problematisch stellt sie sich in der Praxis dar. Der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA kommt dabei die Aufgabe zu, die Anträge wissenschaftlich zu bewerten. Dabei haben sich vielfältige Problemkreise herauskristallisiert, und die große Gefahr besteht, dass letztlich das Gegenteil dessen passiert, was man sich durch das Gesetz erhofft hat. Es entsteht der Eindruck, dass hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Nach Ansicht der ENA werden hier wissenschaftliche Kriterien angelegt, die für diese Produktgruppe nur bedingt anwendbar sind. Die ungewöhnlich hohe Rate an negativen Gutachten führt zu einer enormen Irritation der Industrie, und zwar besonders auch der forschenden Industrie. Letztlich besteht die Gefahr, dass sich dieser Prozess als hemmend für Forschung und Innovation herausstellt. Es ist zu hoffen, dass die Europäische Kommission hier ausgleichend eingreift, oder aber durch intensiven Dialog zwischen forschender Industrie und EFSA neue Wege beschritten werden.

Zusammenfassung

Nutraceuticals sind ein zukunftsweisendes Konzept, und viele aktuelle Entwicklungen belegen dies. So lukrativ die Aussichten jedoch auch sind, die regulatorischen Rahmenbedingungen sind leider besonders in Europa derzeit als extrem zu bezeichnen. Investition in die Forschung ist dringend nötig, um hier Fortschritte erzielen zu können. Dies wurde leider in der Vergangenheit zum Teil grob vernachlässigt. Die Industrie steht hier einer großen Herausforderung gegenüber, aber angesichts zunehmender ernährungsassoziierter Gesundheitsprobleme müssen auch durch die öffentliche Hand Gelder bereitgestellt werden. Besonders auch deswegen, weil aufgrund stark eingeschränkten Patentschutzes bei Lebensmitteln Forschungsinvestitionen nur zum Teil geschützt werden können.

Kontakt

European Nutraceutical Ass.

Centralbahnstr. 7
4010 Basel
Schweiz

+41 61 3020490
+41 41 61 3020491