Anlagenbau & Prozesstechnik

Turnaround-Planung und Management

Raffineriestillstände zur Instandhaltung brauchen eine exakte Vorplanung

21.08.2012 -

Der Stillstand einer Raffinerie zur Wartung, Instandhaltung und Optimierung braucht eine exakte Vorplanung durch erfahrene Turnaround-Manager. Ohne Präzision und Disziplin, Fingerspitzengefühl und eine gute Organisation drohen Verzögerungen, Sicherheitsrisiken und hohe Mehrkosten.

Für Anlagenbauer fühlt sich die Arbeit in Raffinerien ein bisschen wie ein Auftritt in der Königsklasse an - ein Gesamtanlagenwert von mehreren Milliarden Euro, konzipiert als Stoffverbund und eng untereinander vernetzt. Steht eine Teilanlage, steht häufig das gesamte System. Und steht die Raffinerie, versiegen auch die Einnahmen. Dass eine Auszeit kommt, ist jedoch sicher: Durch behördliche Auflagen sind für Raffinerien mindestens alle fünf Jahre Prüfungen vorgeschrieben, die einen Stillstand unumgänglich machen - verbunden werden diese Prüfungen mit Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten.

Betreiber nutzen dieses Zeitfenster, um darüber hinaus ihre Anlagen zu optimieren, zu erweitern, umzubauen oder die Anlagensicherheit zu erhöhen. Und das finanzielle Volumen eines Turnarounds ist groß - Investitionen von bis zu 50 Millionen Euro für Revisionen, Instandhaltungen, die Anlagenreinigung und den Austausch von Altkomponenten sind eine übliche Größenordnung. Projekte beispielsweise zur Optimierung und Erweiterung der Anlage erhöhen diesen Wert noch deutlich.

Ohne adäquate Vorbereitung sind Turnaround-Projekte von Raffinerien zum Scheitern verurteilt. Wenn der geplante große Stillstand von zwei Monaten bereits um drei Tage überschritten wird, bedeutet dies bei einer Betriebsdauer von 320 bis 350 Tagen im Jahr einen Einnahmeverlust im Prozentbereich. Bei den Jahresumsätzen der Raffinerie im Milliardenbereich ergibt sich schnell eine Lücke im zweistelligen Millionenbereich. Jedoch hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein einzelner Großstillstand effizienter ist, weil sich alle anstehenden Pflichtaufgaben in einem Schwung erledigen lassen und gleichzeitig Raum für Optimierungsprojekte bleibt - und so wird die erhöhte Komplexität und entsprechende Risiken aufgrund der möglichen hohen Effizienz in Kauf genommen.

Allerdings besteht neben dem Risiko eines verspäteten Wiederanlaufs die Gefahr, dass Ineffizienzen und eine mangelhafte Planung auch die Kosten für das eigentliche Turnaround-Projekt in die Höhe treiben. So beläuft sich die tatsächliche Effizienz eines Montagearbeiters im Durchschnitt auf ca. 75 Prozent - ein Viertel dient der Arbeitsvorbereitung, ist Wegezeit, ist Rüstzeit. Im Stillstand sinkt die Effizienzrate erfahrungsgemäß auf ca. 55 Prozent, aufgrund von erhöhten Aufwänden für Anlieferungen, Einweisungen, Arbeitsfreigaben, etc. In Projekten, bei denen 2.000 Mitarbeiter vor Ort zum Einsatz kommen, liegt das Effizienzpotential einer optimalen Vorbereitung auf der Hand.

Der ideale Stillstand muss wie ein Uhrwerk laufen. Stillstand heißt aber auch: maximal drei Monate Zeit, rund 2.000 Arbeiter aus oft fünf bis zehn verschiedenen Montagefirmen, wenig Lager- und Vormontageflächen, brennbare Stoffe und Explosionsgefahr, Baustellenverkehr und Kollisionsrisiken - die Liste ließe sich beliebig verlängern. Durch die Integration von Instandhaltungsarbeiten und Projekten steigt die ohnehin schon hohe Komplexität des Turnarounds weiter an. Dadurch wächst der Bedarf an Arbeitskräften in der Betreiberorganisation, der Logistik und der Infrastruktur - und in der Regel verlängert sich auch die Stillstandsdauer, wenn das Uhrwerk nicht richtig ineinander greift.

An der Spitze des Projekts sind von Beginn an unabhängige und erfahrene Stillstands-Manager notwendig, die als Owner's Engineer und Projektleiter die Termine planen und verfolgen sowie die Logistik, die Einrichtung der Baustelle, das Qualitäts-Management und die Dokumentation der Arbeiten übernehmen. Mit zehn bis 20 Turnaround-Experten lässt sich ein solcher Ausnahmezustand in geordnete Bahnen bringen. Dabei beginnt eine gewissenhafte Planung rund 18 bis 24 Monate vor dem eigentlichen Stillstand. Die gesamte Vorbereitung gliedert sich in vier Phasen:

Phase 1 - Grobplanung
Die Arbeiten im Rahmen des Turnarounds werden aufgenommen, priorisiert, eingeplant und die Aufgabenbereiche verteilt. Schnittstellen müssen erkannt und kommuniziert werden. Erfahrene Turnaround-Manager finden Synergien zwischen den Arbeiten des Turnarounds und der geplanten Projekte. Ein Maßnahmenkatalog verbessert die Planungssicherheit des Betreibers und dient als Grundlage der Budgetkalkulation.

Phase 2 - Vorplanung
Im Scope Freeze wird der Umfang des gesamten Turnarounds und der Projekte fixiert. Alle Vorhaben, die zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt sind, werden in den nächsten Stillstand verschoben. Auch wenn diese Vorgabe für betroffene Ingenieure dramatisch ist - in jedem Turnaround ist es zwingend notwendig, sich an den Scope Freeze zu halten. Bei der Planung von Logistik und Materialien wird unter anderem festgelegt, welches Werkzeug für die verschiedenen Tätigkeiten erforderlich ist und welche Plätze für die Materialbevorratung genutzt werden. Anschließend erfolgen die Preisermittlung, die Budgetplanung und die Optimierung des Budgets. Hierbei werden die Kosten aller Gewerke und für das Construction-Management-Team sowie die Preise der benötigten Materialien kalkuliert. Long Lead Items mit langen Lieferfristen werden termingerecht, d.h. teilweise über ein Jahr vor der Umsetzung des Turnarounds bestellt.

Phase 3 - Feinplanung
Neben einem umfassenden Sicherheitskonzept für das Projekt wird ein detaillierter Bauablaufplan (bis zu Level 4) erstellt. Dieser berücksichtigt Materialanlieferungen teilweise im Viertelstundentakt, die Vorfertigung und Zwischenabnahmen sowie die Definition der Arbeitsabläufe, um schließlich die Abhängigkeiten aller Gewerke transparent zu machen. Mit einer Betrachtung der so genannten kritischen Pfade sollen drohende Engpässe bei Material, Platz und Personal frühzeitig erkannt werden. Das externe Personal muss exakt kalkuliert werden, um die bestmögliche Auslastung zu gewährleisten. In diesen Bereich gehören auch Zuständigkeiten, Organisationspläne und Unterlagen, ein Personalverzeichnis, Zugangskontrollen, Arbeits- und Pausenzeiten sowie soziale Einrichtungen.

Es gilt, die Constructability zu prüfen, ob etwa der nötige Raum für Bewegungen und Aktionsradien von Kränen vorhanden ist, um Kollisionen zu vermeiden. Auch werden die Ressourcen der Kontraktoren geprüft und bestellt. Abschließend wird der Platzbedarf angemeldet und die Baustelle eingerichtet, wobei unter anderem die Materiallagerung, Plätze für Vorrichtarbeiten und Anforderungen an den Baustrom zu berücksichtigen sind.

Phase 4 - Abschlussplanung
In der finalen Planungsphase erfolgt das Kick-Off-Meeting für den Stillstand. Mitarbeiter müssen für die anstehenden Aufgaben sensibilisiert werden - die Turnaround-Unterweisung erhalten ausnahmslos alle Arbeiter, um sich auf ihre Aufgaben und ihr Verhalten auf der Baustelle sowie die veränderte Hierarchie zu fokussieren. Eine Gefährdungsbeurteilung wird erstellt, Demontagen gekennzeichnet und die Projekt-Meetings terminiert. Durch die Vorbereitung der Abnahmedokumentation zu diesem Zeitpunkt können Teilanlagen schneller wieder in Betrieb gehen oder für andere Arbeiten freigegeben werden. Danach erfolgt der Startschuss für den Stillstand.

Jeder Tag weniger im Turnaround steigert die Produktivität und damit den Ergebnisbeitrag der Anlagen. Ein Erfolgskriterium ist die Definition des optimalen Projektumfangs - vor allem angesichts der Frage, welche Arbeiten man aus dem Turnaround herauslösen kann, um das Vorhaben zu entspannen.

Auch das ist einer der Schlüssel zum Erfolg eines jeden Turnarounds. Darüber hinaus ist es entscheidend, die Standardaufgaben im Stillstand und die anstehenden Projektarbeiten reibungslos zu integrieren. Je eher kritische Stellen erkannt werden, desto leichter lassen sie sich umgehen und desto höher ist die Effizienz des Montagemitarbeiters. Daher muss ein Turnaround-Manager neben den „handwerklichen" Qualifikationen der Arbeits- und Baustellenplanung vor allem Erfahrung mit derartigen Ausnahmesituationen mitbringen.

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Komplexitätstreiber im Turnaround-Management
Ein Stillstandsprojekt ist der Ausnahmezustand für die Raffinerie und den Betreiber. Neben der ohnehin schon komplexen Situation in einer Großanlage müssen folgende Punkte ins Kalkül gezogen werden:

  • Eng getakteter Zeitplan, limitiertes Budget - diese gegenläufigen Interessen müssen im Vorfeld ausbalanciert werden.
  • Begrenztes Platzangebot - die Anlage, Wegeflächen und die Sicherung des Betriebsgeländes geben den Spielraum vor.
  • Koordination externer Arbeiter - auf Europas größtem Stillstand 2011 arbeiteten 2.500 Beschäftigte.
  • Hohe Belastung der Arbeiter - die Monteure arbeiten im Turnaround bis an die Grenze des Erlaubten.
  • Sensibilisierung der Arbeiter - wo drohen Gefahren, wann werden Arbeitsschritte erledigt, welche Hierarchie greift?
  • Baustellenverkehr - Anlieferungen und Transporte müssen geplant, spezielle Verkehrssysteme eingerichtet werden.
  • Integration von Projekten - welche Projekte haben Priorität, welche werden in den nächsten Stillstand verschoben?
  • Materialbeschaffung - Langläuferteile müssen rechtzeitig bestellt, Lieferungen im Vorfeld überprüft werden.
  • Sicherheit - betroffene Anlagen werden leer gefahren und gereinigt. Dennoch gehen immer Gefahren von Kraftstoffresten oder gefüllten Teilanlagen aus, die nicht gewartet werden.

 

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