Strategie & Management

Katalyseforschung und Prozessentwicklung für ressourceneffizientere Verfahren

Bei Evonik ist die Forschung & Entwicklung für Katalysatoren eng mit der Anwendung und den Kunden verzahnt

12.12.2018 -

Das Segment Resource Efficiency von Evonik bündelt die Spezialchemieaktivitäten für industrielle Anwendungen. Zwei der Geschäftsgebiete des Segments – Active Oxygens und Catalysts – arbeiten beim HPPO-Projekt zusammen. HPPO steht für „Hydrogen Peroxide to Propylene Oxide“ und ist das Ergebnis einer Entwicklungskooperation von Evonik mit ThyssenKrupp. Beim HPPO-Verfahren wird Propylen mit Wasserstoffperoxid (H2O2) als umweltfreundlichem Oxidationsmittel zu Propylenoxid (PO) oxidiert. Das verwendete Katalysatorsystem basiert auf einem von Evonik speziell entwickelten Zeolith. Über die Rolle dieses Katalysators für den HPPO-Prozess, aber auch die Bedeutung der Katalyseforschung generell sprach Michael Reubold mit Stefan Wieland, seit sieben Jahren Leiter Forschung und Entwicklung im Geschäftsgebiet Katalysatoren von Evonik Resource Efficiency, und seinem designierten Nachfolger Bernd Jaeger, derzeit Vice President HP & HPPO Projects.

CHEManager: Herr Wieland, Sie übergeben die Leitung der Katalyseforschung Ende des Jahres an Bernd Jaeger, mit dem Sie bereits seit langem im Rahmen des HPPO-Projekts zusammenarbeiten. Das klingt nach einem reibungslosen Übergang.

Stefan Wieland: Bernd Jaeger und ich kennen uns schon viele Jahre aus dem Bereich der Katalyse. Er ist vom Hintergrund her Katalytiker, ich bin Physikochemiker. Aber gerade die physikalische Chemie, genauer gesagt die Kinetik, hat natürlich viel mit der Katalyse zu tun.

Im Geschäftsgebiet Katalysatoren beschäftigen wir uns nicht nur mit der Entwicklung und der Synthese von Katalysatoren, sondern auch mit der Optimierung von Katalysatorsystemen und deren Übertragung in die Produktion. Das ist die Voraussetzung für eine kommerzielle Anwendung.

Neben der Katalysatorentwicklung geht es entscheidend darum, die Anwendung des Katalysators in den Prozessen unserer Kunden zu verstehen. Dafür brauchen wir anwendungstechnisches Know-how. Und da passt es optimal, dass Bernd Jaeger von der Seite der Katalysatoranwendungen kommt und insbesondere Erfahrung in der Prozessentwicklung mitbringt.

Herr Jaeger, es ist ja charakteristisch für die Spezialchemie, dass die Forschung & Entwicklung eng mit der Anwendung und den Kunden verzahnt ist. Wie beurteilen Sie persönlich Ihren Wechsel von der Anwendung in die Forschung?

Bernd Jaeger: Ich war ein wenig überrascht, als ich gefragt wurde, diese Forschungsleitung zu übernehmen, weil ich zwar lange Zeit in der Forschung & Entwicklung tätig war, mich in den letzten fünf Jahren aber mehr mit kommerziellen Themen wie Geschäftsentwicklung und Lizensierung beschäftigt habe. Ich glaube aber, es ist eine Bereicherung, das Thema noch einmal mit einem anderen Blick zu betrachten. Ich bin gespannt, was sich daraus ergeben wird.

„Die Ressourceneffizienz von Prozessen kann mit Katalysatoren verbessert werden.“
Bernd Jaeger

Die Katalyseforschung ist bei Evonik im Segment Resource Efficiency angesiedelt.

B. Jaeger: Richtig, denn die Ressourceneffizienz von Prozessen kann mit Katalysatoren nachhaltig verbessert werden. Auch unser HPPO-Verfahren, mit dem man Propylenoxid über die Wasserstoffperoxid-Schiene mit einem maßgeschneiderten Katalysator herstellen kann und für das ich in den letzten Jahren mitverantwortlich gewesen bin, passt insofern perfekt in den Bereich, weil es sehr umweltschonend und effizient ist.

Inwiefern?

B. Jaeger: Hinsichtlich seiner Umweltfreundlichkeit folgen wir mit dem Verfahren dem Zeitgeist, dem zufolge die Chemieindustrie immer umweltschonendere Verfahren einsetzen will. Außerdem versetzen wir einen Lizenznehmer in die Lage, Propylenoxid sehr umweltfreundlich herzustellen. Das einzige Koppelprodukt beim HPPO-Prozess ist Wasser.

Bei anderen Verfahren zur Propylenoxid-Herstellung fallen Nebenprodukte an, beispielsweise im Fall des POSM-Verfahrens die 2,3fache Menge an Styrol. Aber nicht jeder Produzent ist in der Lage, beide Produkte als erfolgreich zu vermarkten, denn Propylenoxid und Styrol unterliegen unterschiedlichen Marktlogiken. Wenn ein Unternehmen nur an Propylenoxid interessiert ist, dann bekommt es mit dem HPPO-Prozess das geeignete und deutlich günstigere Verfahren.

Lassen Sie uns noch einen Moment über das Geschäftsmodell sprechen, das hinter dem HPPO-Verfahren steckt. Sie haben das Verfahren in Zusammenarbeit mit Thyssenkrupp entwickelt, stellen den Katalysator bereit und lizenzieren die Technologie an Kunden aus. Und Sie sind selbst natürlich ein führender Hersteller von Wasserstoffperoxid. Gibt es das Ganze nur als Gesamtpaket?

B. Jaeger: Es muss nicht notwendigerweise ein Gesamtpaket sein, aber am Ende gehorcht das Verfahren einer technischen Logik. Wir haben den Prozess entwickelt und dieser stellt gewisse Spezifikationsanforderungen an den Katalysator, aber auch an das Wasserstoffperoxid. Die geforderten Qualitäten sind nicht ohne weiteres für jedes Marktprodukt erreichbar. Jede Abweichung von diesen Parametern birgt ein Risiko und mit dem Gesamtpaket gewährleisten wir, dass alles funktionieren wird. Das besprechen wir vorab mit potenziellen Lizenznehmern.

Und wir haben gemeinsam mit Thyssenkrupp das Interesse daran, diese Technologie zu lizenzieren. Unser Partner möchte Engineering und weitere Services bis hin zum Bau solcher Anlagen anbieten. Und wir sind ein Wasserstoffperoxid- und ein Katalysatorproduzent. Logischerweise versuchen wir daher, dieses Geschäft möglichst weit zu durchdringen.

S. Wieland: Es ist damit alles aus einer Hand verfügbar, das bedeutet einen großen Vorteil für Lizenznehmer. Wichtig zu betonen ist in diesem Fall – und damit kommen wir wieder zurück zum Thema Katalyseforschung und -entwicklung – die Abstimmung des Katalysators mit dem Verfahren. Denn insbesondere was Hydrodynamik, Reaktionskinetik, Wärmebilanzen sowie Stoff- beziehungsweise Massentransport angeht, müssen der Katalysator und das Verfahren optimal aufeinander abgestimmt sein. Bei allen katalytischen Verfahren müssen der Katalysator und der Prozess aufeinander abgestimmt sein, um für die Kunden optimale Ergebnisse in der Anwendung zu erzielen.

Wie machen Sie das in der Praxis?

B. Jaeger: Evonik und Thyssenkrupp betreiben einen enormen Aufwand für dieses Verfahren, denn wie gesagt müssen alle Parameter exakt aufeinander abgestimmt sein. Deshalb betreiben wir hier in Hanau allein für das HPPO-Verfahren eine Pilotanlage mit dem Schwerpunkt Verfahrensentwicklung und eine weitere Pilotanlage mit dem Schwerpunkt Katalysatorentwicklung.

S. Wieland: Eines unserer Grundprinzipien ist, dass wir die Katalysatoren gemeinsam mit unseren Kunden weiterentwickeln. Das gilt auch und insbesondere für das HPPO-Verfahren. Wir versuchen, die bereits hohe Selektivität des Katalysators weiter zu verbessern, damit die spezifischen Verbräuche an Propylen und Wasserstoffperoxid sinken und die Ausbeute an Propylenoxid pro Menge eingesetztem Katalysator weiter steigt. Auch die Standzeit des Katalysators ist ein entscheidender Faktor für die Verfügbarkeit der Anlagen und damit die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens.

Das verwendete Katalysatorsystem beruht auf einem speziell entwickelten Silica-basierten und mit Titan teilsubstituierten Zeolith. Wir arbeiten daran, den Zeolith weiter zu optimieren, beispielsweise die Verfügbarkeit der katalytisch aktiven Zentren für die Reaktanten zu erhöhen und in einer entsprechenden porösen Matrix zu stabilisieren. Bislang haben wir alle zwei bis vier Jahre eine substanzielle Verbesserung des Katalysators erreicht. Nun wird die Luft zwar immer dünner, je mehr bei Selektivität und Performance erreicht ist, aber in der Katalyse gibt es immer noch Verbesserungsspielraum.

Wie viele Anlagen, die auf dem HPPO-Prozess basieren, gibt es derzeit und was sind Ihre Geschäftserwartungen?

B. Jaeger: Es gibt eine seit 2008 in Betrieb befindliche Anlage bei SKC in Ulsan in Südkorea, eine weitere seit 2014 produzierende Anlage bei Jishen Chemical Industry in Jilin, China, und im vergangenen Jahr haben wir einen Lizenzvertrag mit der MOL Group unterschrieben, deren Anlage in Ungarn sich gerade in der Umsetzung befindet.

Es wird über die nächsten Jahre immer wieder Möglichkeiten geben in Asien, in Nordamerika aber auch Europa oder im Mittleren Osten. Wie viele Anlagen das dann sein werden, ist schwer zu sagen, weil wir mit verschiedenen Geschäftsmodellen in so ein neues Projekt hineingehen und nach den jeweils richtigen Partnern und Lizenznehmern suchen. Da geht es um langfristige Lieferverträge und auch die Möglichkeit, in der H2O2-Anlage noch Produkt für den Verkauf am Markt herzustellen.

„Man kann nicht jede Idee von vorne herein in einen Businessplan pressen.“
Stefan Wieland

Was tut sich generell im Moment im Bereich der Katalysatorforschung und -entwicklung, was sind denn die Trends und die Treiber?

S. Wieland: Die Digitalisierung, der beste Umgang mit den enormen Datenmengen, die wir erzeugen, beschleunigt sicherlich die Katalysatorentwicklung. Wir nutzen das intensiv, beispielsweise für die Auswertung von Charakterisierungsdaten und von verschiedenen Syntheseparametern. Ein Katalysator ist nicht einfach nur eine Chemikalie, die eine bestimmte Reinheit haben muss, sondern in der Katalyseforschung ist eine Vielzahl von Charakterisierungsdaten notwendig. Physikalische Eigenschaften, Herstellparameter des Katalysators und Leistungsdaten müssen miteinander korreliert werden. Durch die Digitalisierung können viel größere Datenmengen besser untersucht und die Ergebnisse in die Entwicklung einfließen. Das ist ein klarer Trend.

Ein zweiter Trend und ein ganz entscheidender Punkt im Rahmen der REACh-Thematik ist der Verzicht auf bestimmte Metalle. Obwohl die Katalysatoren immer recycelt werden, also der Kreislauf geschlossen ist, ist man trotzdem bestrebt, beispielsweise Chrom(VI)-verbindungen zu vermeiden. Und hier haben wir für unsere internen und externen Kunden in den letzten Jahren intensiv erfolgreich Lösungen entwickelt, um chromhaltige durch chromfreie Katalysatoren zu substituieren.

Ein dritter Trend ist der Wechsel der Rohstoffquellen, also die Thematik der CO2-Konversion und die Thematik nachwachsender Rohstoffe. Natürlich hängt der Durchbruch solcher Technologien davon ab, wie sich der Ölpreis entwickelt. Aber es wäre sträflich, nicht schon Katalysatoren für solche alternative Verfahren zu entwickeln.

Sehen Sie beim Thema CO2-Konversion große Möglichkeiten, dass reaktionsträge CO2 durch geeignete Katalysatoren in eine auch wirtschaftlich vertretbare Rohstoffquelle umzuwandeln?

S. Wieland: Ja, auf jeden Fall. Wir sind an öffentlich geförderten Projekten beteiligt. Wir arbeiten r mit Industriepartnern beispielsweise an der Umsetzung von Hüttengasen zu Chemikalien. Es ist natürlich klar, in dem Moment wo ich CO2 umsetzen will, brauche ich einerseits einen Katalysator und andererseits die Verfügbarkeit von günstiger und umweltfreundlicher Energie. Insofern ist Power-to-Chemistry ein ganz entscheidendes Thema, wie auch die intelligente Verschaltung von energiewirtschaftlichen mit chemischen Thematiken.

An welchen Standorten betreibt Evonik Katalysatorforschung?

S. Wieland: Unsere beiden größten Forschungszentren im Bereich der Katalyse sind in Marl und in Hanau. Hier investieren wir weiter. Die Wachstumszentren sind aber Asien und die USA. Diese Märkte sehen wir als Wachstumstreiber und entsprechend müssen wir dort auch verstärkt mit Forschungsaktivitäten aktiv sein. Wir haben letztes Jahr neue Forschungslaboratorien in Indien an unserem Standort in Dombivli in der Nähe von Mumbai eröffnet. In China haben wir ein Forschungslabor in Schanghai, welches wir weiter ausbauen. Die Nähe zu den Märkten, zu den Forschungsabteilungen unserer Kunden, ist das Entscheidende.

Wie hat sich denn die Rolle des F&E-Leiters Katalyse in den letzten Jahren entwickelt und welche Herausforderungen werden künftig zu meistern sein?

S. Wieland: Es war schon immer wichtig, als F&E-Leiter einen guten Bezug zur Technik im Bereich der Katalysatorherstellung zu haben. Auch der Bezug zur Anwendungstechnik, also die Kundennähe war bei uns immer sehr stark ausgeprägt. Das sind zwei entscheidende Pfeiler, die auch in der Zukunft ihre Bedeutung haben werden. Das Thema Innovationsmanagement ist sicher eine Herausforderung, weil in der Tendenz immer schnell nach dem Geschäftsmodell gefragt und eine rasche Umsetzung gefordert wird. Es muss aber trotzdem noch genügend Raum für disruptive Themen erhalten und geschaffen werden.

Dazu kann mein Nachfolger kompetent beitragen, denn er hat sich viele Jahre mit kommerziellen Themen beschäftigt. Wichtig ist der Freiraum, neue Ideen auszuprobieren und umzusetzen, denn man kann nicht jede Idee von vorne herein in einen Businessplan pressen.

Ich glaube, dass bei der Ausgestaltung des Portfolios im Innovationsmanagement die Balance gehalten werden muss zwischen kurzfristigen Projekten mit einem sehr klaren und sicheren Businessplan und langfristigen Themen, bei denen man bereit ist, in Vorleistung zu gehen und auch gewisse Risiken zu tragen, um damit eine kreative Atmosphäre zu erhalten.

Haben Sie schon eine Strategie, Herr Jaeger, wie Sie diese kreative Atmosphäre schaffen können?

B. Jaeger: Aus meiner Perspektive ist es die vornehmste Aufgabe eines F&E-Leiters, Freiräume für das Team zu schaffen. Wir sind immer stärker in das Geschäft eingebunden. Das wird so bleiben, denn es hat Priorität, einer Geschäftsrationale zu folgen. Aber auf der anderen Seite muss es auch immer Personen geben, die neue und kreative Ansätze verfolgen.

Die Freiräume in der Forschung zu schaffen ist eine Sache, aber ein Team zusammenzustellen, das diese Kreativitätsfreiräume auch nutzt ist bestimmt auch eine Herausforderung.

S. Wieland: Da haben Sie recht! Unsere Forschungskooperationen mit Hochschulen oder mit dem Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock, die wir schon seit vielen Jahren betreiben, sind ein wichtiger Baustein für unser Recruiting. Wir suchen für die Forschung nach promovierten Chemikern oder Materialwissenschaftlern. Wir stellen nicht nur den reinen Katalytiker ein, sondern gerade unser Team ist sehr interdisziplinär aufgestellt. Für die Innovationsbereiche brauchen wir breit ausgebildete Fachkräfte und nach wie vor sehe ich hier die Promotionen als Einstiegsvoraussetzung an.

B. Jaeger: Ich denke auch, man lernt während einer Promotion in der universitären Forschung, über den Tellerrand hinauszuschauen. Und das ist der Vorteil, den die jungen Kollegen dann mitbringen. Das macht es für uns natürlich interessant.

Aber wenn wir über Kreativität sprechen ist doch die fachliche Qualifikation nicht alles. Welche Rolle spielen denn Soft Skills wie interkulturelle Kompetenzen?

B. Jaeger: Das kann ich nur unterstreichen. Man kann das Profil von künftigen jungen Kollegen nicht immer an der Papierform festmachen. Das Fachliche ist eine Sache, aber wir müssen schon sehen, dass eine Person, die in das Team kommt, genau das gerne machen möchte. Wenn man in einem persönlichen Gespräch den Eindruck gewinnt, dass eine Person gerne in einem internationalen Team arbeitet und es als Bereicherung empfindet, mit Kollegen aus China, aus Indien oder aus den USA kreativ zusammenzuarbeiten, dann ist dies ein wesentlicher Faktor.

S. Wieland: Richtig, es geht nicht darum, eine Liste abzuhaken oder bestimmte Dinge getan zu haben, sondern es geht um den Mindset. Kulturelle Offenheit und Sensitivität für kulturelle Unterschiede, und die Möglichkeit, damit auch umzugehen, ist Voraussetzung, denn wir sind mit Sicherheit eines der am internationalsten aufgestellten Geschäftsgebiete von Evonik. Wir haben eine Vielzahl an Nationalitäten und eine hohe Diversität in unserem Team.

Die Interaktion im breiten kulturellen Umfeld trägt entscheidend zur Motivation und zum Spaß der Mitarbeiter bei. Das macht es spannend, bei Evonik gerade für dieses Geschäftsgebiet zu arbeiten. Spaß an der Arbeit ist der entscheidende Motivator und die Triebkraft für Kreativität. Bei allen Kreativitätstechniken: Freude ist der Haupttreiber!